Nr. 66.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

94. Jahrgang.

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Gefährdung der Lebensmitteltransporte Abbruch der Verhandlungen in Posen Die auswärtige Lage.

* lieber die Beweggründe des Proteststreiks der Ham­burger Seeleute gegen die Auslieferung der deutschen Han­delsflotte vermögen wir uns noch kein klares Bild zu machen, weil die Nachrichten aus verschiedenen Quellen stammen. Der Seemannsbund begründet seinen Entschluß damit, daß wir nach Auslieferung unserer Flotte keine Ge­währ dafür haben, daß wir noch weitere Lebensmittel er­halten. Es wird bei den Seeleuten aber auch die Befürch­tung mitsprechen, daß sie bei Auslieferung der Handelsflotte beschäftigungslos würden, und daß sie später womöglich im Ausland sich Snwerben lassen müssen. Andere Beweggründe werden allerdings von Berlin aus mitgeteilt. Danach soll es sich um eine kleine Grupve im Deutschen Seemanns- bund organisierter radikaler Seeleute handeln, die an die Reeder mit der Forderung einer 100 prozentigen Erhöhung der Sähe des Tarifvertrags heranqetreten sei mit der Droh­ung, wenn dieser Forderung nicht nachgegeben werde, die deutschen Schiffe nicht ausfahren würden. Der Seemanns­bund habe zur Unterstützung seiner Forderungen in Ham­burg und Bremen Versammlungen einberusen, in denen die arbeitswilligen Seeleute aufqefordert wurden, sich nicht anrverben zu lassen. Durch diese Propaganda kann also einmal das gesamte Lebensinittelabkommen hinfällig werden, weil die Schisse zum Einholen der Lebensmittel nicht aus- fahren können, zum anderen ist die Gefahr vorhanden, daß die deutschen Seeleute nicht auf den Schiffen bleiben dürfen, weil die Alliierten den Einwand erheben können, sie würden den Bolschewismus in die Hafenstädte der Alli­ierten tragen. Der deutsche Transportarbeiterverband, der mit den Reedern ein neues Abkommen abgeschlossen hat, wendet sich in einem Flugblatt gegen den Beschluß der Hamburger Seeleute unter dem Hinweis, daß die Seeleute, wenn sie auch unter alliierter Flagge fahren müßten, doch unter deutschem Recht und deutschem Kommando stehen würden. Wir wollen hoffen, daß wegen unbilligen Lohn­forderungen nicht die ganze Lebensmittelregelung Deutsch­lands aufaehälten wird, was zu den schwersten inneren und äußeren Folgen führen müßte.

Die Verhandlungen in Posen zwischen einer deutschen und einer alliierten Abordnung zur Festsetzung der Aus- führnnisbestimmungen für die vorläufige militärische Grenz­linie sind gestern früh abgebrochen worden. Der Grund liegt darin, daß sich die Parteien nicht einigen konnten über die Zusammensetzung der Oberkommission, die als Beschwer­deinstanz dienen sollte gegen die paritätische Kommission, welch letzterer die Aufgabe oblag, ohne Unterschied der Nationalität den Schutz des Lebens, der persönlichen Frei­heit, des Eigentums und der Ausübung des Berufs und der öffentlichen Rechte zu garantieren. Die deutschen Vorschläge gingen dahin, je einen deutschen und alli- ierten Vertreter in diese Obe Kommission zu wählen und als Unparteiischen einen neutralen Vorsitzenden, der entweder vom Bundcspräsidenten der Schweiz oder vom Papst bestimmt werden sollte. Die Alliierten aber wünschten neben einem polnischen und deutschen Vertreter noch einen Alliierten, sodaß die Alliierten immer die Mehrheit gehabt hätten. Darauf gingen mit Recht die Deutschen nicht ein, und so wurden von Seiten der Entente in einer in franzö­sischer Sprache abgefaßten Note die Gründe niedergelegt, warum sie die Verhandlungen abbreche. DieDeutsche Allq. Ztg.", das Sprachrohr der Regierung, schreibt zu dem Abbruch, es komme darin zum Ausdruck, daß der eigent­liche Grund in der Weigerung der deutschen Waffenstillstands­kommission und der Obersten Heeresleitung zu suchen sei. über die Grenzen der mit deutscher Ehre zu vereinbarenden Zugeständnisse hinauszugehen. Man dürfe hoffen, daß Festigkeit gegenüber übertriebenen Zumutungen zum Ziele führe zur Rettung des deutschen Lebens und des deutschen Eigentums. Wie weit allerdings unsere moralische Haltung allein die ungerechtfertigten Forderungen der Polen einzu- schmnken imstande sein wird, darüber möchten wir keinen allzugroßcn Optimismus aufkommen kaffen. Der frühere preußische Polensührer Eeyda hat sich über die Frage der künftigen Grenzen des geeinigten Polens in der über­schwenglichsten Weise geäußert. Die Fragen betreffend den

Donuerstag de« 20. Marz 191S.

Bezirk Teschen (an der schlesisch - österreich. Grenze) und Posen seien schon zu Gunsten der Polen gelöst, und jetzt werde noch über Danzig und Lemberg verhandelt. Auch hier seien die Polen auf bestem Wege. Also die Polen hoffen von den Alliierten Posen und Oberschlesien zu erhalten, weiterhin das deutsche Danzig und wahrscheinlich auch große Teile Westpreu­ßens. Es würde sich allein in Westpreußcn um mehr als eine Million deutscher Stammesbrüder handeln, die dadurch der Vernichtung höchster wirtschaftlicher und geistiger Kultur ausgesetzt würden. Oberschleflen wollen die Polen wegen des dortigen Kohlenreichtums, vermittelst welchem sie große wirtschaftliche Machtmittel in die Hand bekommen würden. Auch wäre dann der Anschluß Deutsch-Ocstreichs an Deutsch­land gefährdet. Natürlich wünschen die Polen auch aus wirtschaftlichen Gründen die Einverleibung.Ostgoliziens mit Lemberg, das fast durchweg nur von Ukrainem bewohnt ist Dort locken die reichen Petrolemnquellen. Und die Polen werden in ihren Forderungen offen und versteckt von den Alliierten unterstützt, weil sie den Angelsachsen und Roma­nen mithelseu sollen, das tüchtige deutsche Volk dauernd zu knebeln.

Also von einer Gerechtigkeit kann bei solchen Grund­sätzen keine Rede sein. Wir müssen nach wie vor damit rechnen, daß dem deutschep Volk ein Friede aufgezwungen wird, der es nicht nur machtpolitisch dauernd lahmlegt, son­dern auch auf bevölkerungspolitischem und wirtschaftlichem Gebiet so schädig!, daß wir auf Jahrzehnte und noch länger zu einein Volk dritten Ranges herabgedrückt werden und wie früher den Kulturdünger für die Angelsachsen infolge Auswanderung unserer besten Kräfte werden liefern muffen. Nur eins kann uns heute angesichts unserer völligen mili­tärischen Ohnmacht retten: Die soziale Revolution in Frankreich und England. Es sind Anzeichen in diesen beiden Ländern dafür vorhanden, aber wir wollen sie nicht überschätzen. Das Organ der frairzosischen Sozia­listen mahnt die alliierten Machtpolitiker, sie sollten nicht glaubey, den Krieg durch einen Sieg liquidieren zu können. In Deutschland, im alten Oesterreich und in Rußland streben. die Völker mit allen Kräften nach einer neuen sozialen Ordnung, und auch in Frankreich mache sich die Beun­ruhigung der Gemüter bemerkbar, die großen Ereignissen vorausgehe. Und das bürgerlicheJournal des Debats" sagt, während man sich um Gebietsfetzen streite, nehme die allgemeine Desorganisation der Welt mit unheimlicher Schnelligkeit zu. Ob die Pariser Machthaber aber diese Warnungsrufe hören werden? 0. 8.

Proteststreik des Deutschen Seemannsbundes gegen die Auslieferung der deutschen Handelsflotte.

Berlin, 20. März. Der Deutsche Seemannsbund stimmte gsstern in einer in Hamburg abgehaltenen Ver­sammlung folgender Entschließung zu: Die heutige Versamm­lung der Seeleute aller Chargen verweigert die von der Entente geforderte Auslieferung der deutschen Handelsflotte und mache allen deutschen Seeleuten und Arbeitern, zur Pflicht, die Arbeit auf den Schiffen zu verweigern. Auf diesen Beschluß hin sind bereits gestern zwei Schiffe, die gemäß dem Brüsseler Abkommen auslaufe» sollten, die Dampfer «Bürgermeister von Halle- und «Bürgermeister Schröder," an der Aiksfahrt verhindert worden.

Die englischen Arbeiterbewegungen.

Rotterdam, 20. März. DerTimes" zufolge ist die Lage »der Baumwollspinnereien in Lancashire kritisch. Un­gefähr 60 Prozent der Arbeiter sind ohne Arbeit. Dies wird der großen Steigerung der Löhne zugcschrieben, die es Lancashire unmöglich machen, zu den von den Abnehmern gebotenen Preisen zu liefern. In einigen Kreisen beginnt man auch für die Baumwollspinnereien in Lancashire das einzige Mittel in der Verstaatlichung zu sehen. DieTimes" hält die Lage für nmso bedrohlicher, als England nicht mehr länger der Kreditgeber der Welt ist.

Rotterdam, 20. März. Der Korrespondent de»Daily News" für Arbeiterangelegsiiheilen schreibt, es sei kein An­zeichen dafür vorhanden, daß die Parteien einander näher gekommen seien. Die Haltung der Besitzer der Kohlen­gruben und der Eisenbahnverwaltunqen lasse nicht auf die Absicht schließen, irgend ein Zugeständnis zu machen. Las als Bewilligung der Forderungen der Bergarbeiter oder

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Eisenbahnanqestellten betrachtet werden könne. Andererseits habe die Abneigung unter den Bergarbeitern gegen eine Regelung unter ihren Forderungen zugenominen. Auch die Eisenbahnangestellten wollten keine ihrer Forderungen sollen lassen. Es sei unwahrscheinlich, daß die Mitglieder der Kohlenkommission zu einer Einigung gelangen würden.

Zur MffeiiWstMdr- «Ä FMMsriige.

Die deutsche Regierung gegen die Pläne der Alliier­ten, den Frieden zu diktiere«.

Berlin, 19.' März. Der Vorsitzende der deutschen Waffcnstillstandskommission in Epaa hat gestern Abend folgende Note überreicht: Nach englischen Blättermeldungen hat der Premierminister Lloyd George erklärt, daß der Friedcnsvertragsentwnrf den Deutschen zngestellt werde, sobald Präsident Wilson seine Genehmigung gegeben habe." Man werde den Deutschen aber nicht gestatten, über den Entwurf zu debattieren oder irgend welche Verän­derungen an ihm vorznnehmen. Das Datum der Einbe­rufung der deutschen Delegierten hänge von der inneren Lage Deutschlands ab. Zu derselben Zeit hat der fran­zösische Minister des Auswärtigen. Pichon, in der wöchent­lichen Pariser Pressekonferenz nach übereinstimmenden Mel­dungen der französischen Presse erklärt, daß die Alliierten sich in keine Debatte über den Borfrieden mit den Deut­schen elniassen werden. Die Deutschen dürsten den Vor- frieden so wie er ausgearbeitet sci, nur annehmen, oder sie könnten ihn anch ablehnen.

Der Reichsininister des Äußern und ich als Vorsitzen­der der deutschen Waffenstillstandskommission ersuchen i m baldige Aufklärung, ob diese Meldungen der englischen r d französischen Presse, welche bisher ohne Widerspruch von zuständiger amtlicher Seite geblieben sind, als zutreffend an­gesehen werden müssen und ob die oiliierteu und o'^ociier- en Mächte nach diesen Meldungen zu verfahren gedenken.

Reichsminister Erzberger.

Die Deutschland aufznerlegenden

Rüstungsbe chränkungen.

Paris, 18. März. Havas. Zur Frage der Rüs­tungsbeschränkungen Deutschlands schreibt das Journal: Deutschland werde nur noch Geschütze von 5l mm haben dürfen. Die Verwendung von Tanks und giftigen Gasen wird verboten. Kriegsakademien werden gleichfalls verbo­ten. doch sollen große Manöver gestattet sein. Ferner da:; Deutschland nur 6 Panzerschiffe, 5 Kreuzer, 12 Zerstörer. 26 Torpedoboote und 6 000 Mann Besatzung erhallen. Die Festllngen an den Küsten sollen geschleift werden.

Die deutschen Seekabel sollen verteilt werden.

Paris, 18. März. Nach dem diplomatischen Sitna- tionsbericht heißt es, daß Verteilung der deutschen Kabel unter die Alliierten und die Einrichtung einer internntio nalcn Verwaltung für den Kieler Kanal ähnlich wie beim Suezkanal jetzt ins Auge gefaßt werden soll. Beide Fra­gen sollen übrigens in wenigen Tagen entschieden werden.

Belgische Willkikk.

Berlin, 19. März. Nach dem «Berliner Tageblatt" wurde der Geschäftsführer des Warenhauses Tietz in Krefeld vom belgischen Kriegsgericht zu 6 Monaten Gefängnis und 5000 Franken Geldstrafe verurteilt, weil in der Spielmarcn abteilung des Warenhauses Bleisoldaten vorgefunden wur­den. welche Kämpfe zwischen deutschen Feldgrauen und den Gegnern darstekltcn, bei denen die Feinde nicht besonders gut abschnitten. Der Geschäftsführer wurde erst ans der Hast entlassen, nackdem die Firma Tietz 100 OM Mark als Sicherheit gestellt hatte.

Widerhalls Besetzung der Rheinhäfen von Karlsruhe und Mannheim.

Berlin, 18. März. Nach der «Bossischen Zeitung­traf gestern Abend eine französische Besatzung von 70 Mann, zum Teil schwarze Truppen, und 2 Offizieren in Karls- ruhe-Rheinhafen ein. Gleichzeitig erhielten auch die Orte Mannheim und Rheinau wieder französische Besatzungen. Die Truppen waren wegen des Putsches seinerzeit zu­rückgezogen worden.