Nr. 61.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

94. Jahrgang.

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Freitag den 14. März 1819.

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Die Pläne der bayrischen Unabhängigen. Die Nationalversammlung gegen die französi­schen Absichten auf das linke Rheinufer.

* Trotzdem die Henker des deutschen Volkes vor der Tiire stehen, und in kürzester Zeit das Urteil aus lebenslängliche Zuchthausstrafe gegen uns ausgesprochen werden wird, gibt es keine Ruhe und Verständigung im Reich. In Leipzig und Sangerhausen wurden Freiwil­ligentruppen für den Osten und für Berlin beschimpft, entwaffnet und deren Führer mißhandelt. Was die Spartakisten und die mit ihnen geistig verwandten Unab­hängigen wollen, das geht aus einem Beschluß der gest­rigen Generalversammlung der Unabhängigen in Mün­chen hervor, nach dem die.bürgerliche Demokratie und der bürgerliche Parlamentarismus als Ausdruck des politischen Willens und als Kampfmittel des werktätigen Volkes grundsätzlich zu verwerfen ist, und die Verwal­tung durch das werktätige Volk (Diktatur des gesamten Proletariats) als nicht terroristisches, sondern schöpferi­sches Mittel gefordert, wird. Also dauernde Herrschaft einer Minderheit wird hier gefordert, und zwar, wie der Beschluß weiter sagt, auf Grund der Forderung der politischen Macht durch die Räte. Die Stellungnahme der Unabhängigen kennzeichnet sich dann weiterhin da­durch, daß erklärt wird, die Partei sehe in der kommu­nistischen Partei (Spartakisten) eine Bruderorganisation und sie wolle die revolutionären sozialistischen Massen der Mchrhsitsparteien für denNeuaufbau" gewinnen. Deshalb verwirft sie die mit den Mehrheitssozialisten getroffenen Vereinbarungen, wonach. ein Ministerium beider sozialistischer Parteien in Bayern gebildet werden soll, und lehnt die Teilnahme am Ministerium mit den Mehrhcitssoziolisten ab. Und der Zentralrat der Arbei­terräte Bayerns hat auch sehr deutlich kundgegeben, daß ihm die von der Neichsregierung vorgeschlagenen Sozi- alisiernngsmaßnahmen, die also vorderhand die Sozialisie­rung der Bodenschätze und der Wasser- und elektrischen Kräfte vorsehen, nicht genügen. Er giebt nämlich be­kannt, daß diese Maßnahmen nicht das seien, was eine erschlossene revolutionäre Gewalt durchführen müsse. Es gelte nicht Teilverstaatlichungen, sondem den Sozia- alisinus. Die Sozialisierung Bayerns nach umfassendem Plan sei auf dem Marsch. Der Zcnlralrat wolle voll­ständige Kontrolle der Rohstoff- und Euergiever- wendnng und ihrer endgültigen Verwertung sofort mit aller Kraft in Angriff genommen wissen. Da die Volkskammer in Sachsen beschlossen habe, daß auch dort die Produktion und Verteilung planmäßig nach sozialistischen Grundsätzen erfolgen solle, so werde vorqeschlagen, eine gemeinsame bayrisch-sächsische Sozi- alisierungsstclle in Hof oder Plauen zu errichten. /Wie der auf 17. März zu kurzer Tagung, einberusene Landtag sich zu diesen Fragen stellen wird, läßt sich heute noch nicht sagen. Die Tagung wird überhaupt wertlos sein, denn die Beschlüsse der Volksvertretung werden doch nicht von dem die Macht besitzenden Volks"-Rat anerkannt werden. Mas übrigens die Führer der Mehrheitssozialisten, die doch den größten Teil der Arbeiter und zwar der intelligenten und dis­ziplinierten, hinter sich haben, von der ganzen Agitation der Unabhängigen und Spartakisten halten, das hat an­läßlich der gestrigen Sozialisierungsdebatte in Weimar der Mchrhcitsoziälist Osterroth den Herren recht deutlich gesagt, als er angesichts der radikalen Anträge der Unabhängigen inbezug auf die Sozialisierung und die Rechte der Betriebsräte sagte, die Unabhängigen hätten durch ihre Anträge gezeigt, daß sie den Klassencgoismus der Unternehmer durch einen andern Klassenegoismus ersetzen wollen. Die Unabhängigen seien gegen das Gesetz, weil es die Arbeiter beruhige. Das Sozialisier- ungsgesetz, das den Arbeitern große Rechte in den Be­trieben einräumt, wurde dann gegen die Stimmen der Rechten angenommen, ebenso das Gesetz über die Kohlen- wirtschaft, die nun unter Kontrolle des Reichs gelangt.

Nach der Erledigung dieser innerpolilischen Ange­legenheiten, zu denen auch eine kräftige Rechtfertigungs- rede des Reichswehrmmisters Noske bezüglich der Ein­

setzung der Regierungstruppen in Berlin gehörte, in der er erklärte, daß die Revolution von Verbrechern dazu ausgenutzt werde, um auf Mord und Plündereien aus­zugehen, wandte sich Ministerpräsident Scheidemann gegen die französische Propaganda in den linksrheinischen deutschen Gebieten. Die Werbetätigkeit werde an der Treue der Bevölkerung zum Reiche scheitern, die nichts zu tun habe mit den eigennützigen Bestrebungen ein­zelner Personen (die wegen der zu erwartenden Steu­ern einen Anschluß an Frankreich wünschen.) Die Neichsregierung sehe in jedem Versuch der Loslösung links- und rechtsrheinischer Lande einen durch keinen Vorwand zu beschönigenden Vorstoß gegen das.allge­mein anerkannte Nationaliiäte »Prinzip und eine uner­hörte Vergewaltigung des einheitlich fühlenden deutschen Volkes.

Diese Erklärung wurde von allen Parteien gutge- Heißen, und soll allgemein bekannt gemacht werden. Es wird gut sein, wenn man auch in Bezug auf unsere andern bedrohten Grenzen solche Erklärungen abgiebt, damit die Alliierten wissen, daß wir auf unserm Recht unter allen Umständen bestehen, das wir uns durch die Annahme der schweren Waffenstillstandsbedingungen er­worben haben.

Zur Waffenstillstands, und NieLenssrage.

Die deutschen Unterhändler in Brüssel

Berlin, 13. März. Die deutschen Kommissionen für Lebensmittel, Schiffahrt und Finanzen sind am 12. März abends 8 Uhr in Brüssel eingetroffen. Sie wur­den am Bahnhofe von etwa 10 belgischen Militärautos abgeholt mit belgischen Chauffeuren, aber ohne sonstige militärische Begleitung. Die Ankunft am Bahnhofe er­folgte in Anwesenheit eines zahlreichen Publikums unter lautloser Stille. Zwischenfälle sind nicht eingetrcten. Sämtliche Mitglieder der Kommissionen sind im Hotel Astoria sehr gut untergebracht. Freiheit des Telegraphie­ren-;, offen und chiffriert, des Telephons und der pcr- önlichen Bewegung ist gesichert. In der Nacht noch and von 11-^-1 Uhr eine eingehende Besprechung Wi­chen sämtlichen Kommissionsmitgliedern statt, unter Bor- Itz des Unterstaatssekretärs v. Braun.

Schwarze Truppen zur Besetzung des Rheinlandes.

Bern, 14. März.Petit Parisicn" erfährt, daß beabsichtigt sei, im Frühjahr die schwarzen Truppen an den Rhein zu senden.

Der Wehrlosmachung Deutschlands.

London, 13. März. Reuters Sonderberichterstatter meldet aus Paris zur Schleifung der deutschen Grenz­befestigungen, daß die betreffende Bestimmung des Frie­densvertrages nur für die Befestigungen an der West­grenze gelte. Die Festungen an der Ostgrcnze würden zum Teil in das Gebiet Polens fallen und zur Stärk­ung des neuen Staates beitragen.. Der deutsche Gcne- ralstab werde verschwinden und der Stab, des künftigen deutschen Heeres von IM 000 Mann nur aus dem Oberbefehl und 2 Armeekorpsstäben bestehen.

Das ^Selbstbestimrnungsrecht" der Völker.

Rom, 14. März. Die italienische Delegation hat der Friedenskonferenz eine Denkschrift überreicht, in-der die italienischen Forderungen dargclegt werden. In der Denkschrift wird einleitend erklärt, daß die Fordeningen Italiens auf der Grundlage der Wilsonschen Grundsätze beruhen. Wenn auch eine Anzahl Einwohner fremder Sprache und fremden Ursprungs Italien einvcrlcibt würde, so sei doch deren Zahl im Vergleich zu den Fordeningen anderer Staaten gering, denn während Polen 40"/°, Böhmen 30° °, Rumänien 17 »/o, Süd- siaoien 1 l "/» und Frankreich 4'/« fremdländische Be­völkerung erhalle, würde Italien nur 3 °/° umfassen. Man sieht aus diesen italienischen Darlegungen, daß alle Phrasen der Alliierten über die unterdrückten Völker und das Selbstbestiininungsrccht nicht als eitel Schwindel waren, denn sie selbst schicken sich jetzt an. Millionen

von Deutschen unter Ihre Herrschaft zu nehmen, und ihnen das Recht auf eigene Sprache und Kultur abzu­sprechen, was deutscherseits weder in Elsaß-Lothringen noch in Posen getan worden ist.

Lansing über die Notwendigkeit unserer Versorgung.

Amsterdam, 12. März. Nach einer ausführlichen Reutermeldung aus Paris sagte Lansing zu seiner be­reits kurztclegraphierten Erklärung an die Presse u. a.: Wir müssen die Derhältnisie, die zur sozialen Unruhe führten, ändern und versuchen, Deutschland wieder zu einem normalen Leben zurückzusühren. Was Deutsch­land brauche, lasse sich in 2 Worten sagen: Friede und Lebensmittel. Um Deutschland zu ermöglichen, der Anarchie und dem östlichen Despotismus des roten Ter- rorsWiderstand zu leisten, muß man ihm Lebensmittel geben, und ihm gestatten, diese Lebensmittel zu verdienen. Das normale Leben muß Durch den Friedensverirag wieder hergestellt werden. Das muß nicht aus Mitleid für das deutsche Volk geschehen. Aber cs muß unverzüglich ge­tan werden, da wir die S>'eger die Haupileidtragcnden sein würden, wenn dies nicht geschieht. Man kann so viel Schadenvergütung verlangen wie man will und da­rauf bestehen, so lange wie man will. Wenn das deut­sche Volk kein Material für seine Industrien und keine Gelegenheit erhält, die Erzeugnisse seiner Arbeit auf fremden Märkten abzusctzen, und wenn die Arbeiter keine Lrbensmittel haben; dann kann Deutschland süt die von ihm begangenen Uebeltaten nicht zahlen. Außerdem wird es, wenn der jetzige chaotische Zustand foridauert, weder eine verantwortliche Regierung geben, die Frieden schließen kann, noch eine Regierung, die stark genug ist. um die Dertragspflichten zu erfüllen. Wir sehen, es wird im alliierten Lager mit Konsequenz an dem System festgehalten,. daß Deutschland an dem Kriege schuld ist. und für alle Greueltaten desselben ver­antwortlich ist. Ohne Aufrechtcrhaltung dieses Glaubens in der Welt könnte man doch nicht diese schamlose Aus­hungerung und rücksichtslose Unterdrückung alles Deut­schen mit oem Pathos der Menschlichkeit rechtfertigeu. Im übrigen ist es merkwürdig, daß Lansing seine Ein- sicht erst jetzt erhält. Und wie lange wird es dauern von der Einsicht bis zur Tat? Uebrigens ist die Lau- singsche Begründung von geradezu überwältigender Menschlichkeit diktiert. Damit wir für die Alliierten ar­beiten können, sollen wir Lebensmittel und Rohstoffe erhalten. Das sind die Prinzipien des Wilsonschen Völkerbundes der Gleichberechtigung der Völker.

Englische Kritik an der englischen Politik.

Berlin, 13. März.Daily News" vom 4. März greifen Churchills Unterhausrede über das englische Frie« densheer an, welches eine Stärke von fast einer Million Menschen haben und dem englischen Steuerzahler über 4M Millionen Pfund Sterling Lasten aufcrlcgeii ,olle. Man rechne dazu die Ausgaben für die Männe, die Pensionen und die Zinsen von 6060 Millionen Pfund Sterling (120 Milliarden Mark) Kriegsschulden, sowie das andauernde Steigen der Kosten für die Zivilve» maltung und das englische Reich steuert dem Ruin zu. Die Sozialisten im Parlament hatten mit Erstaunen zu­gehört und dazwischengcrusen: Wir dachten, cs solle kein Krieg weiter geführt werden. Ueber die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht hat sich Churchill geäußert. Die Entschuldigungen, mit deiren er seine Vorlage begründete, sind in Wahrheit eine Selbstbeschuldigung. Die englische Politik in der russischen Frage ist ein Skandal. IM Millionen Pfund Sterling kommen im neuen Budget allein auf dieses Konto. Weitere Ausgaben werden durch die Besatzungsarmee in Deutschland verursacht. Deutschland hat den vierzehn Punkten zugestimmt. Vier Monate sind verflossen und Churchill gibt zu, daß England immer noch Deutschland aushungert. Diese Hungersnot ist der Grund für den Bolschivismus. Wenn die englische Regierung nicht diese infame Politik trei­ben würde, so wäre Deutschland in der Lage, durch die Wiederaufnahme der Friedensarbeiten seine Schulden zu bezahlen und England brauchte nicht ein so großes Heer zu unterhalten, um den durch englische Politik hervor»