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Rundschau.

Pforzheim, 4. Febr. Pforzheim wird in diesem Jahre auch seinen ge­ordneten Karnevals-Umzug haben. Die kürzlich hier neugegründete Karnevalsge­sellschaft hat in ihrer am Dienstag Abend imSchwarzen Adler" abgehaltenen Ver­sammlung die Veranstaltung eines solchen am Fastnachts-Dienstag beschlossen. Vor­läufig soll der Umzug aus 11 Gruppen: Musikivagen, Kindergruppe, Schneider im Mittelalter, desgl. Buchdrucker, Bürger- ansschußsitznng, Bärentreiber, Theaterbau, internationale Hochzeitsgesellschaft ans dem Fahrrade, Tigererbild, verschiedene Kinder- grnppen, Prinz Karneval mit Hofstaat, bestehen, wird jedoch, je nach Beitritt neuer Mitglieder, noch großartiger ge­staltet werden.

Gun dels heim, 1. Febr. Die Kaltwasser-Heilanstalt Schloß Horn egg bei Gondelsheim wurde vor einigen Ta­gen zum Preis von 280 000 Mk. an ein Consortium verkauft.

In den Verhandlungen, die am 1. Februar vor dem Schwurgericht in Konstanz stattgesunden und die mit Ver­urteilung des Angeklagten zu einer Zucht­hausstrafe von 7 Jahren endeten, wurde festgestellt, daß Hegele in den Jahren 188996 71 Millionen in Spekula­tionen umgesetzt hat und zwar 1889 2^2 und in den folgenden Jahren 4, 5'/?, 6, 10, 11, 13 und 19 Millionen. Angesichts dieses kolossalen Umsatzes drängt sich dem Laien unwillkürlich die Frage auf, wie es möglich ist, daß derartige langandauernde Spekulationen mit den damit Hand in Hand gehenden Unterschlagungen Jahre hindurch von einem Angestellten der Reichs­bank ausgeführt werden konnten, ohne daß die Vorgesetzte Behörde ans die Unterschla­gungen aufmerksam wurde.

DieDeutsche Ztg." berichtet über folgenden köstlichen Vorfall: Die Gym­nasiasten in K- haben die Erlaubnis, während der Zehnuhrpanse,in den Anla­gen der Umgebung spazieren zu gehen. Dabei traf eine Abteilung mit einem Eselsgefährt zusammen. Jur jugendlichen Uebermut neckten sie das Tier. Ans ein­mal erscheint der Kutscher, alle nehmen Reißaus; nur einen, der sich vom ganzen Treiben ferngehalten, kann der Kutscher erreichen. An ihm läßt er seine Erbit­terung und seinen Zorn aus: er giebt dem Schelm zwei derbe Ohrpfeiffen. Im Gefühl der erlittenen Beleidigung eilt der Knabe bitterlich weinend dem Gym­nasium zu, nur dem Direktor hievon Anzei­ge zu machen. Da widerfährt ihm kurz vor dem Portal das Mißgeschick, während er von seinen Angen die Thränen ab­wischte, mit Heftigkeit gegen Professor Z. zu rennen. Sieh da: zwei Ohrfeigen sausten um seinen Kopf. Mit erhöhtem Schinerzgefühl, unter strömenden Thrä­nen, eilt der Unselige weiter zum Direk­tor. Er macht von dem ihm wiederfah­renen Unrecht Anzeige mit den heftig schluchzenden Worten:Der Herr Pro­fessor Z. hat mir eben zwei Ohrfeigen gegeben, ich habe ja dem Esel nichts ge- than." Schwapp, da saßen ihm zwei neue hinter den Ohren! . . .

Berlin, 3. Febr. Von der Budget­kommisston des Reichstags wurden bei dem württembergischen Etat bei Position 11 zur Vermehrung der Reserveverpfle­gungsmittel 341926 Mk. ausgesetzt. Hier­

auf sprach Rembold für die Durchführung der im Vorjahre angenommenen Reso­lutionen, welche die Erwartung aussprachen, daß bei der Beschaffung der Kasernements für die beiden württembergischen In­fanterieregimenten die in Weingarten vorhandenen Bauten verwendet und da­her die eintretenden Ersparnisse an der geforderten Bedarfssnmme später zurück- gerechnet werden. Der württembergische Kriegsminister Frh r. Schottv. Schotten- stein: Die württembergische Kriegsver- wältnng sei durch die Resolution in arge Verlegenheit gebracht worden. Durch die Benützung der Kaserne in Weingarten würden absolut keine Ersparnisse erzielt. Deshalb sei die Resolution unverständlich. Man möge also von der vorjährigen Re­solution znrücktreten. Gröber tritt dieser Auffassung entgegen. Weingarten sei eine vorzügliche Garnison, die auch den Offi­zieren genügende Gelegenheit zur Fort­bildung biete. Die Stadt Weingarten habe viele Opfer gebracht, das müsse auch anerkannt werden. Entschieden sei Wein­garten Ulm vorzuziehen. Mau möge es daher bei dem vorjährigen Beschluß lassen. Auch Prinz Arenberg tritt für Wein­garten ein. Die kleineren Garnisonen müßten möglichst erhalten werden. Kriegs­minister v. Schott erklärt, das alte La- zaret sei räumlich unzulänglich. Ein neues würde etwa 40000 Mk. kosten. Die Garnison solle nicht geschädigt werden. Für eine so kleine Stadt sei eiu In­fanterieregiment völlig ausreichend, v. Pod b ielskiist ans militärischen Gründen für Ulm. Lieber (Zentr.) ist für die Resolution. Maßgebend sei für ihn, daß Weingarten bereits erhebliche Opfer ge­bracht habe. Frhr. v. Schott: Wein­garten habe bis jetzt kein Opfer gebracht, sondern nur Anerbietungen gemacht. Schließlich wird Titel 374 zur Erwei­terung und Ansstattnngsergänznng von Kasernements behufs Unterbringung der aus den 4 Bataillonen zu bildenden In­fanterieregimente:: 391 000 Mk. bewilligt und die im Vorjahre gefaßte Resolution wieder angenommen. Zur Erweiterung des Garnisonsexerzierplatzes bei Ludwigs- bnrg werden 465 000 Mk. gefordert, auf Antrag des Referenten Or. Bachem aber nur 235000 Mk. bewilligt. Häm­in ach er lntl.) hält die Ueberweisnng der Vorlage an eine Kommission für über­flüssig und ist mit dem Entwürfe im all­gemeinen einverstanden, hat aber gegen eine Konversion bis ans 3 Prozent ans wirtschaftlichen Gesichtspunkten Bedenken.

Staatssekretär Graf Posadowsky hofft auf einen guten Erfolg der Statistik.

Bebel (Soz.) hält es für falsch, sich auf volle 8 Jahre die Hände zn binden. Die Konversion werde eine bedeutende Kurssteigerung der 3st2prozentigen Pa­piere herbeiführen. Barth (fr. Ver.) pölemisirt gegen den Abgeordneten Bebel. 3^2 Prozent entsprächen der derzeitigen wirtschaftlichen Lage. Staatssekretär Graf Posadowsky bekämpft die Aus­führungen des Abgeordneten Bebel und bemerkt, die Unterbringung der Anleihen im Jnlande sei wünschenswert. Es fol­gen weitere Bemerkungen der Abgeord­neten Hammacher (ntl.), Lieber (Zentr.), Bebel (Soz.) und Barth (fr. Ver.) Die zweite Lesung findet demgemäß im Plenum statt.

Berlin, 3. Febr. (Reichstag.) Bei der heutigen ersten Beratung des Ent­

wurfs einer Grundbuchordnung wurde die Vorlage an eine Sechzehnerkommission überwiesen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs betreffend die Kün­digung und Umwandlung der 4prozentigen Reichsanleihen. Staatssekretär Graf P o - sadowsky führt aus, die Vorlage ent­spreche fast ganz der preußischen. Die Abweichungen seien nur formeller Natur. Mit den: Konversationsverfahren solle eine statistische Untersuchung nach den Besitzern der Reichsanleihen vorgenommen werden. Hng (Zentr.) erklärt sich mit dem Vorhaben der Reichsregierung ein­verstanden und wünscht eine hinlängliche Schonung der Gläubiger.

4. Febr. Auf der Tagesordnung steht die Beratung des Antrags Auer, wonach die Regierungen bis zur nächsten Session einen Gesetzesentwurf vorlegen sollen, wonach die regelmäßige tägliche Arbeitszeit für alle im Lohn-, Arbeits­und Dienstverhältnis in Gewerbe, Handel, Industrie und Verkehr beschäftigten Per­sonen auf 8 Stunden festgesetzt werden soll. Fischer (Soz.) begründet diesen An­trag.

Breslau, 4. Febr. Der Orient- expreßzng 5 blieb gestern infolge Axen- bruchs an der Maschine bei der Station Nenmarkt liegen. Die Passagiere und Post­sachen wurden von dem nachfolgenden Personenzuge übernommen, welcher mit ^Madiger Verspätung um 12 Uhr nachts in Breslau eintras.

Zürich, 2. Febr. Der Kantonsrat beschloß nach langer Debatte mit 120 gegen 22 Stimmen die Zulassung der Frauen zur Ausübung der Advokatur. Ehefrauen bedürfen der Zustimmung des Gatten.

Rom, 2. Febr. Heute früh wieder­holten sich die Stndentenskandale in um­fangreichster Weise. Die Studenten ver­übten allerlei Unfug, drangen in die Ana­tomie, demolirten die Thüre des Rekto­ratszimmers und befreiten einen darin internirteu Kommilitonen und verhöhnten dabei die Polizei. Zuguterletzt mußten wieder 2 Kompagnien Bersaglieri-Soldaten die Hochschule besetzen. Wie nachträglich bekannt wird, mißhandelten die Polizisten die in ihre Hände fallenden Studenten mit der ganzen, Lei der italienischen Po­lizei traditionellen Brutalität. Die in die Hochschule eindringenden Schutzleute und Polizei-Kommissare insultirten auch die Professoren auf das Gröblichste und hie­ben mit den Fäusten ans die Studenten ein, ob diese nun für oder gegen den Minister demonstrirten. Die Studenten verbrannten gestern Abend das Bild des Unterrichtsministers und beschlossen, zu streiken, so lange die Universität militä­risch besetzt sei, und die Studenten der anderen Hochschulen Italiens zu demsel- selben Vorgehen ansznfordern.

Wie ans Neapel telegraphirt wird, erhielt bei den gestrigen Tumulten daselbst Professor Eesaro eine Verletzung am Kopf. Viele Studenten wurden ver­wundet, zwei davon ernstlich. In gewis­sen Hörsälen kam es zu Barrikadenkämpfen.

London, 3. Febr. Die Sammlun­gen für die von der Hungersnot in In­dien Betroffenen haben über 200000 Pfund Sterling ergeben.

Vermischtes.

Der im vorigen Jahre in Neapel im Alter von 22 Jahren verstorbene