- Vermischte Nachrichten.

Das Ergebnis der Wahlen in Braunschwejq.

Braunschweig, 7. Jan. Wie dieLandes-Ztg." berichtet, wurden nach dem gestern festgestellten amtlichen ^Ergebnis der Wahlen zum braunschweigischen Landtag insgesamt 212 283 Stimmen abgegeben. Es entfielen auf die Liste der Demokratischen Bolkspartei 46 291 Stimmen (13 Sitze), auf die der vereinigten übrigen bürgerlichen Parteien 55 616 Stimmen (16 Sitze), ans die Liste der Sozialdemokraten (Richtung Scheidemann) 58 708 Stimmen (17 Sitze) und auf jene der Unab­hängigen 51 668 Stimmen (14 Sitze). 29 bürgerlichen Abgeordneten steht somit eine sozialdemokratische Mehr­heit von 31 Abgeordneten gegenüber.

Weckung deutschöstreichtscher Offiziere und Mann­schaften für die englischen Kolonien.

Wien, 7. Jan. Nach einer Meldung desNeuen Wiener Tageblattes" befaßt sich ein Werbebureau der englischen Militärmission mit der Anwerbung von deutsch- östreichischen Mannschaften und Offizieren für die Kolo­nien. Die nur deutschsprechenden Personen sind haupt­sächlich für die ehemaligen deutschen Kolonien bestimmt. Diejenigen, die englisch oder eine andere Sprache be­herrschen, werden für den Dienst in England oder in den alten englischen Kolonien angeworben. Das Mo­natsgehalt der Offiziere beträgt 3 bis 4000 Kronen und Mr die Mannschaften 1000 Kronen.

Aus Stadt und Land.

> Calw» den 8. Januar 4919

Ein Aufruf der württemb. Regierung.

An die württemb. Bevölkerung?

Die Regierung hat Kenntnis davon, daß die Vor­bereitungen und Durchführung der Wahlen zur Lan- < desversammlung und Nationalversammlung gestört wer­den sollen.

Wir fordern die wahlberechtigte Bevölkerung auf, sich durch wilde Gerüchte nicht beunruhigen zu lassen und ihr Wahlrecht in vollem Umfang auszuüben.

Die provisorische Regierung ist entschlossen, die Er­rungenschaften der Revolution, zu denen auch das neue Wahlgesetz und die ungehemmte Wahlfreiheit gehört, mit aller Entschiedenheit zu gewährleisten. Zu diesem Zweck hat sie ausreichende Sicherheitsmaßnahinen getroffen.

Stuttgart, den 7. Januar 1919.

Blos, Baumann, Lhrispien, Fischer, Heymaun, Kiene, Liesching, Lindemann.

Wahl-Bersammluug der unabhängigen Sozialisten.

* Der Einladung der Unabhängigen Sozialist. Partei zu einer öffentlichen Versammlung am Erscheinungsfest im Badischen Hof" war zahlreich Folge geleistet worden. Auch sehr viele Teilnehmer aus bürgerlichen Kreisen waren erschienen, um den Führer der württemb. Unabhängigen und Minister des Innern, Lrispien, kennen zu lernen. Tri- spicn, dessen ausdrucksvolle Eesichtszüge schon den Feuer- kopf verraten, die aber wie auch seine Aussprache de» tschechischen oder südslavischen Typus leicht erkennen lassen (wenn er auch in Deutschland geboren ist), ist nicht nur «in gewandter Redner, sondern auch ein geistig und ge­mütlich hochstehender Mensch, der nur den Hauptfehler be­sitzt, daß er der Anschauung ist, seine idealistischen Ideen seien heute schon in die Wirklichkeit umzusetzen. Wenn sie Überhaupt jemals verwirklicht werden könnten, so werden 'die Führer der Unabhängigen noch lange warten müssen, bis sich die heute mehr als je kapitalistisch orientier^ Gesell­schaft zu einer solchen Selbstentäutzerung emporentwickelt 'hat, daß sie für die Ideen der Unabhängigen, für den Kom­munismus reif ist. Ob die Ausführung dieser Grundsätze dann aber wirklich den Fortschritt bedeuten würde, wenn jeglicher gesunde Egoismus und damit der größte Teil der -Freude an der Arbeit ausgeschaltet würde, das wird auch Lei Beurteilung dieser Frage mitzusprechen haben, und wenn man sieht, welche Elemente es sind, die sich gerade an die Ideologen der Spartaknsleute und Unabhängigen heranmachen, da kann man schon gewisse Schlüffe auf die Arbeitswillig- und Freudigkeit ziehen, die dieses so ver­lockend dargestellte System beherrschen würden. Doch nun zu den Ausführungen des Redners selbst. Crispien begann seine gedanklich und propagandistisch geschickt aufgebaute Rede mit der Erklärung, wer etwa glaube, daß durch die 'Wahlen für die Landesversammlung die Revolution liqui­diert werden könne, der verkenne den Charakter der Revo­lution vollständig' denn die Revolution sei nicht eine poli­tische Aktion irgend einer Partei, die man wieder aus­löschen oder umdeuten könne, sie sei eine naturnotwendige .Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, die zum Ausdruck bringe, daß die politischen Einrichtungen in den kapitalisti­schen Staaten nicht mehr im Einklang stehen mit den wirt­schaftlichen Grundlagen. Die Völker aller Länder haben wirtschaftlich viele Berührungspunkte, politisch aber seien 'sie zerrissen, weil in jedem Staat die kapitalistische Klasse herrsche und für ihre und nicht die Menschheitsinteressen eintrete. Wir würde» erst eine ruhige Entwicklung haben, wenn die Herrschaft des Kapitalismus aufhöre. Der Kapi­talismus sei nicht von Anbeginn auf der Welt gewesen, sondern es seien eine ganze Anzahl wirtschaftlicher Ordnun­gen vorher dagewesen. Der Kapitalismus habe den Feuda­lismus abgelöst. Er habe sich nur auf der Grundlage ent- WZeln können» daß eine neue Klaffe entstand, hie ohne

jede» Besitz war, ohne Grundeigentum, ohne jegliche Pro duktion, die nur mit ihrer Arbeitskraft bezahlen konnte. Durch das Aufkommen der großen Betriebe konnten die Haiidwerkslwtrirbe und Lohnarbeiter nicht mehr konkur­rieren, und dadurch sei die Klasse des Kapitalismus mehr und mehr zur Macht gekommen. Di« bürgerlichen Elemente hätten sich im letzten Jahrhundert gegen die Macht des Adels und der Geistlichkeit durchgesetzt, und die Entwick­lung habe mit der Gründung der großen kapitalistischen Staaten geendet, die immer Märkte für ihre Waren such­ten, Rohstoffgebiete und Bodenschätze zur Verbilligung ihrer Produktion. Es wurde überproduziert, urrd so mußten Ab­satzgebiete im Ausland gewonnen werden, in Ländern, die kapitalistisch noch nicht erschlossen waren. England, das Mutterland des Kapitalismus, habe mit diesem System zuerst begonnen, indem es fremde Länder mit Waren über schüttete und die fremden Völker ausbeuteie. T)ie deutjche Industrie habe sich später als die der übrigen Länder ent­wickelt, und so habe sich dann wie im Innern, so auch auf dem Weltmarkt ein erbitterter Konkurrenzkampf der kapi­talistischen Staaten entwickelt, der wissenschaftlich Imperi­alismus genannt werde, und dieser< Imperialismus habe zum Krieg geführt. Der Krieg sei erstens dadurch entstan­den, daß Serbien Line gefährliche wirtschaftliche Konkurrenz für Oesterreich-Ungarn gewesen sei, weshalb Oesterreich- Ungarn den Serben den Weg sowohl nach der Adria als nach dem Schwarzen Meer verlegen .wollte. Rußland aber habe gefürchtet, daß Oesterreich eine Vormachtstellung aus dem Balkan erringen könnte, und deshalb habe es Serbien unterstützt. Als zweite Kriegsursache sei zu betrachten die Konkurrenz Deutschlands und Englands in Kleinasien. Der deutsche Kapitalismus sei in die Türkei eingedrungen, und habe sich durch den Bau der Vagdadbahn die wertvollen Provinze» Mesopotamien und Syrien erschließen wollen. Durch diese Politik Habs sich der englische Kapitalismus in Aegypten, Persien und Indien bedroht gesuhlt, und habe deshalb der deutschen Politik Schwierigkeiten bereitet. Eng­land habe die Italiener nach Tripolis geführt, habe sich über Persien mit Rußland verständigt, und habe auch die deut­sche Marokkopolitik durchkreuzt. Die dritte Konfliktsursache sei in Afrika zwischen Deutschland und Frankreich gelegen. Nach dem letzten Krieg sei das französische Kapital aus­gewandert, und habe in Afrika große Kolonialgrbiete ge­gründet, die aber zwischen den deutschen Kolonien lagen. Deutschland habe aber ein großes zentralafrikanisches Reich gründen wollen und deshalb seien ihm die französischen und belgischen Kolonien im Wege 'gewesen. Daß das einen Konfliktsfall für Deutschland gegeben hätte, ist u. E. eine freie Kombination des Herrn Crispien, denn er sollte wissen, daß schon Bismarck Koloniale. Erwerbungen seitens Frank­reichs unterstützt chatte, und daß Deutschland nur Interesse hatte, das gehässige und rachsüchtige Frankreich von seinen neuen Grenzen abzulcnken, was ihm aber nicht gelang, weil England und Rußland die Nevanchesucht aus eigenem In­teresse heraus begünstigt hatten. Wenn Herr Crispien dann weiter behauptet, die Zentralmüchte hätte» den Anlaß zum Kriege gegeben, so beweist er dadurch nur, daß er ebenso wie sein derzeitiger bayrischer Kollege zu deutschem Denken nicht fähig ist, weil diesen Herren der deutsche Instinkt von

Heere8Zut i8t Kercli8§ut

Oid tierau8, wa8 nickt vir Zekörl. KMMrMkfMMin!. MinM. MeüriMromSK.

Geburtswegen mangelt. Herr Crispien behauptet, es sei nach dem Serajewoer Attentat eine deutsche Note nach Wien gegangen, wenn Oesterreich nicht mit den schärfsten mili­tärischen Mitteln vorgehe, dann komme es als Großmacht nicht mehr in Betracht. Bethmann Hollweg dagegen sagte, er habe in Wien mäßigend eingewirkt. Wer hat recht?! Und dann, selbst wenn Oesterreich-Ungarn sich gegen die immer offener auftretende serbische Propaganda in öster­reichischen Gebieten gewehrt, und auf das Attentat hin ein Exempek statuiert hätte, wie kamen Rußland und Frank­reich dazu, sich auf serbische Seite zu stellen? Und die rus­sische Mobilisierung, die, wie Herr Fabrikant Sann- wald feststellen konnte, schon im Januar 1914 im Gang war, dürfte doch einem vorurteilsfreien Menschen beweisen, wo die Schuld am Kriege lag. Und weder Rußland noch Frankreich hätten gewagt, gegen die Mittelmächte vorzu­gehen. aber sie waren von vornherein sicher, daß England sie unterstützen, und daß der italienische Dreibundsgenoffe einen Treubruch begehen würde. Herr Sannwald charak­terisierte auch die Ursachen richtig, die die Deutschen in der Welt unbeliebt gemacht haben, ihre Strebsamkeit und ihr Fleiß, und England war eben auf den Wettbe»'--b Deutsch­land,? eifersüchtig. Auch darauf wies er hin, Wst, wenn wir Krieg gewollt hätten, wir uns doch eine bessere Zeit dafür ausgesucht hätten, beispielsweise den Burenkrieg, wo die ganze Welt gegen England war, oder den Russisch- Japanischen Krieg und die nachfolgende Revolution. Daß Deutschland 44 Jahre Frieden gehalten hatte, ist doch Be­weis genug für seine Friedfertigkeit, und wenn Herr Cri­spien sagte. Deutschland habe schon 1912 mobilisiert, bei Ein­bringung der großen Militürvorlagen, so Hütten der Tri­poliskrieg und der Balkankrieg, welch letzterer unverkenn­bar von Rußland und Frankreich inszeniert worden war, jedem vorsichtigen Diplomaten zeigen muffen» daß es tatsäch­

lich auf die Verteilung der Türke! und des Balkans in die JnieressensjHüren der Entente abgesehen war. England aber hatte sich wie immer zuriickgehalten. um erst im letzten Augenblick hervorzntreten. Die einzige Schuld Deutschlands lag darin, daß cs die drohende Gefahr nicht erkannte, und daß bei den jeweiligen Entscheidungen die militärischen Führer unsere und unserer Bundesgenossen Kräfte über­schätzte::, und die feindlichen zu gering cinschäßteii. Der Redner äußerte sich dann über Frndc;:-n:eglich-e:ten 19 mit England, c'.e es die allgemeine Wehrpflicht einfiihile, dann über die Aerwittlungsabsichieu Wilsons Ende 1910. die deutschen Generäle aber hätten es immer nbgelehnt, weil sie noch nicht genug gesiegt hätten. Mit Rußland hätte man vor der Revolution, und auch mit Italien tMe inan einen Sonderfrieden haben können. Aber inan haste einen Erobervngssriedeii haben wollen. Und weil die alte Regierung schließlich nicht den Willen und die Macht ge­habt hake, Frieden zu machen, so hätten es die Unabhängi­gen unter Führung von Soldaten getan, und sie hoffen, zum Frieden zu komme», wenn die Bürgerlichen nicht durch ihre Umtriebe diese Möglichkeiten zuschanden machen, in­dem sie den Eindruck erwecken, in Deutschland herrschen Räuber und Mörder. Der Kapitalismus habe Millionen von Blutopfem gefordert, und unsere Industrie zu eineiig. Trümmerhaufen gemacht, da fei es Pharisäertum, wenn man sich über vereinzelte Uebergriffe entrüste.

Ueber das Programm der Unabhängigen sprach sich dev Referent dahin aus. daß sie eine zweijährige Gesetzgebungs­periode verlangen, Wahl der Regierung und der Behörden, bei wichtigen Gesetzen das Referendum. Aerztliche Hilfe und Apotheke soll unentgeltlich sein, ebenso die Leichen­bestattung, die Rechtsoertretung. Die jetzige finanzielle Bankerottpolitik dürfe nicht weitergefiihrt werden. Es. müsse eine gestaffelte Vermögens- und Einkommenssteuer eingeführt werden, Luxusvermögen würden eingezogen, die Kriegsgewinne erfaßt. Die Staatsmittel sollen nicht zur Schaffung von Kriegsmaterial, sondern zur Förderung der Nolksgesundheit verwendet werden. Es solle eine gemein­same Schule für alle »der errichtet werden. Die Tüchtig­sten und Fähigsten solle» dann in einem gewissen Lebens alter höhere Bildungsanstalten besuchen. Unterricht und Lehrmittel sollen frei sein. Die stehenden Heere sollen ab­geschafft werden; man brauche keine Offizierskaste. Es- solle eine Volkswehr geschaffen werden; die Soldaten wür­den sich aber ihre Vorgesetzten selber wählen. Weiter werde eine internationale Arbeiterschutzgesetzgebung erstrebt. Er iniisse der Acht-Stunden-Tag und ein Minimaleinkoinmen festgesetzt werden, das sich nach den Lebensmittelpreiscn richte. Gewerbliche Arbeit für Kinder bis zum 16. Jahr soll verboten werden. Die Arbeiter sotten NNlVcsNMNlungs- und Kontrollrecht in den Betrieben haben, die landwirt- -baftlichen Arbeiter und Dienstboten sollen rechtlich gleich­gestellt sein mit den andern Arbeitern. Die Landwirtschaft soll in Produklivgenossenschaften vereinigt werden, Staat und Gemeinden sollen zur Förderung der Landwirtschaft herangezogen werden. Ackerbau und Viehzucht sollen nach neuesten wissenschaftlichen Gesichtspunkten betrieben werden. Das Versicherungswesen, die Kreditanstalten, Handel und Industrie sollen sozialisiert werden, bis alle Produktions- dcr Allgemeinheit gehöre». Es fechte seine Partei wenig an, wenn der Unverstand gewisser Kreise diese Ideen noch nicht fassen könne. Man könne die Menschen vernichten, aber die Idee nicht. Auch Christus sei gekreuzigt worden, weil die Besitzenden und Herrschenden seine Lehre gefürchtet haben. Der Sozialismus aber werde kommen, wenn es auch noch Opfer koste, und mit ihm der Völkerbund.

In der nachfolgenden Erörterung bemerkte Bäckermeister Pfrommer, daß sich der Achtstundentag in der Landwirt­schaft nicht werde durchführen lassen, worauf der Referent meinte, man würde die Arbeitsweise den Bedürfnissen an­passen. Auf eine weitere Anfrage, ob die Unabhängigem zurücktrcten würden, wenn die Landesversammlung gegen sie entscheide, antwortete der Redner, in dem Augenblick wür­den sie abtreten, wenn ein ersprießliches Arbeiten nicht mehr möglich sei. Wen» allerdings eine neue Regierung ihre Anhänger wieder ins Gefängnis werfen wollte, so wür­den sie sich mit Gewalt gegen solche Vergewaltigung wehren. Oberpräzeptor Väurhle wies darauf hin. daß der Konkur­renzneid den Völkerhaß hervorgsrufe» habe. England habe durch diesen Krieg die Allsbreitung der deutschen Volkswirt­schaft verhindern wollen. Den Rormalarbeitstag würden wir wohl jetzt nicht durchführen können, weil wir mehr arbeiten müßten, als unsere Gegner, wenn nicht inter­nationale Vereinbarungen getroffen werden. Die Zustände in Rußland seien nicht gerade verlockend zur Nachahmung. Eine Regierung dürfe nicht nur zerstören, sie müsse in erster Linie ausbauen. Das Volk aber wolle Brot und Frieden, und sodann Material- und Rohstoffe, damit wir unsere Arbeiter beschäftigen können. Scharfe Auseinandersetzungen wurden hervorgerufen durch die Nachfrage nach der Natio­nalität der derzeitigen württemb. Minister. Handelsschul- direktor Zügel fragte, wo denn die württemb. Sozialisten gewesen seien.

(SCB.) Stuttgart» 7. Jan. Generalleutnant von Hofacker, erst seit wenigen Tagen stellv. Leiter des Kriegs­wesens fiat bereits wieder seine Entlassung beim Mini­sterpräsident Blos eingereicht.

Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei. Calw, Für die Schrift!, verantwortl. Otto Sxltmann. Calw.