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Nr. 2.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

94. Jahrgang.

Erscheinungsweise: mal wöchentlich. Arneigenpreit: Di« klein paltige

Zeile.Pfg., Neklaruen 38 Äs^. Echluft der Anzeigenannahme 9 Uhr vor» mkttpg-. ffenUvrecher 9.

Freitag den 3. Januar ISIS.

SeziigkprsiS: In der Stadt niit !kr!!->erlohn Mk. 828 vleneljiihrllch,

Postbezuglprel« tm Ort«- und NaLk,i>rar>«v»kehr Mt. L IS, im Faiwrrkehr Mk. 2.LS. BestoNgcN, in ÄNrttemberg 30 Psg.

Zur Lage.

Die Deutsche Oberste Heeresleitung hat neben der Reichsregierung, und der Wafsenstillstandskomission den alliierten Vertretern in Spaa einen energischen Protest gegen die neuerlichen unerhörten Berqewaltigungsabsichten zugehen lassen. Wie wir gestern schon mitgeteilt haben, verlangen die Alliierten, daß die deutschen Truppen tm Osten solange verbleiben, wie es den Alliierten paßt, und > sie die Bevölkerung der besetzten Gebiete im Osten chützcn. Zuerst sollten die deutschen Truvpen sofort linier die deutsch-russische Grenze 19 t4 zuriickgehen, jetzt ollen sie dableiben, und sich von der Ueberzahl der Bol- chewisten vernichten lassen. Die O.H.L. hat darauf hin- gewiesen, daß es den Alliierten nicht so sehr um den Schutz der kleinen Völker zu tun sein könne, wenn sie zulassen, daß die Polen die deutschen Verbindungswege abschneiden, und in der Ukraine die Deutschen-entwaff­net werden. Durch die beabsichtigte, entwürdigende Behand­lung der deutschen Truppen wurde die Gefahr des Bolsche­wismus in den östlichen Ländern außerordentlich gestei­gert, und namentlich in Polen, wo die bolschewistischen Ideen weitverbreitet seien. Auch wären die Länder, die die deutschen Truppen waffenlos durchmarschieren sollten, von feindlichen Aaitatoren verhetzt, und so wären sie schutzlos in der Winterszeit dem Rauben und Morden ausgesetzt. Aber das wollen doch die Alliierten; sie

wollen, daß das deutsche Heer überall zertrümmert und zermürbt wird, und daß sich möglichst alle Nachbarn Deutsch­lands an der Vernichtung der deutschen militärischen Macht beteiligen, um damit für alle Zeit eine gemeinschaftliche Znteressenpolitik gegen das deutsche Volk zu schaffen Zn diesem Sinne arbeitet Llsmenceau mit allen Mitteln. Das hat er offen und brutal in seiner Syl­

vesterrede in der Kammer ausgesprochen. Er behandelte die Wilsonscheu Grundsätze so von oben herab, wie wenn er sagen wollte: Na ja, es ist halt ein Professor. Aber wir werden es ihm schon beibringen. Er erklärte näm­lich. Wilson habe ihm gesagt, er werde versuchen, ihn zu überzeugen, vielleicht sei es aber Clemenceau, der ihn (Wilson) überzeugen werde. Auf diese Aeutzerung baut Elemente««, wie er bemerkte, seine Hoffnung aufVer­ständigung", d. h. auf den Umfall Wilsons. Ob dann rin Schurke und Wortbrüchiger mehr unter den Alliierten ist, das gereicht dieser Gesellschaft nur zur Auszeichnung. Gegen den ausgesprochenen Eroberungs­und Bergewaltigungsgeist der französischen Machthaber werden die Sozialisten nicht aufkommen. Sie haben zwar anläßlich der Besprechung des Vorgehens der Alliierten in Rußland scharf gegen diese Vergewaltigungspolitik protestiert, aber dabei ist es geblieben. Und der fran- zösische Außenminister Pichon konnte ruhig eingestehen, vaß die Alliierten Rußland wirtschaftlich in ihre Hände bringen wollen. In den nächsten Tagen werden die Alliierten samt Polen und Tschechoslowaken in Paris über die Zukunft Deutschlands, oder vielmehr über die zukünftige Gestaltung der Gefangenschaft Deutschlands in Europa beraten. Auf die Anfrage der deutschen Regier­ung bezüglich Abschluß eines Präliminarfriedens wurde, wie das Organ Clömenccau's meldet, geantwortet, die Alliierten seien nicht in der Lage, vor Bildung einer vom ganzen Volk gewählten Regierung die Friedensfrage Überhaupt zur Diskussion zu stellen. 'Aber einstweilen wird ruhig über deutsches Gebiet entschieden. Daß Elsaß- Lothringen kein französisches Land ist, das mußten die Franzosen zu ihrem Leiowesen erfahren, denn die Mehr­zahl der Elsäßer versteht kein Französisch, und so mußten die Franzosen, um dem Volk klar zu machen, daß es französischer Abstammung ist, und also den Anschluß an Frankreich mit Freuden begrüßen müsse, das Elsäßer Dütsch für ihre Agitation anwenden. Und wie es im Elsaß betrieben wird, so wird es in Posen, Westpreußen und Oberschlesien von den Polen gemacht. Zwar hat die deutsche Regierung erklärt, daß sie die Uebergriffe der Polen im Osten des Reichs nicht dulden werde, zwar haben die Deutsch-Ocsüeicher versichert, sie werden unbedingt auf ihrem Standpunkt beharren, und das Recht des Anschlusses au Deutschland tu Anspruch

nehmen, aber was wollen wir machen, wenn die Entente einfach die Ansprüche der Franzosen, Polen und Tschechoslowakei! gutheißt, und Wilsons Macht nicht ausreicht, oder nicht ausreichen will. Denn wir müssen es gestehen, bis heute halten wir den amerikanischen Präsidenten noch nicht für einen pazifistischen Ideologen, sondern für den geriebensten unter den Ententediplomaten. Bis heute können wir die amerikanische Politik nach ihrer seitherigen Tätigkeit von Anfang des europäischen Krieges on nur als ausgesprochene Ententepolitik ver­stehen. und wenn Wilsonnachgibt", dann setzt er eben seiner Gaunerei die Krone auf. Poincarö will im Sommer nach dem Fricdensschluß nach Amerika gehen, Es wird sich da um nichts anderes als ein französisch- amerikanisches Bündnis handeln. Bewahre nicht mit schriftlichen Abmachungen, denn Amerika hat das nie getan, die mündlichen sind sicherer, das haben wir in diesem Kriege erfahren. Daß man jetzt Gegensätze zwischen Amerika und England konstruieren will, ist der größte Schwindel, und nur darauf berechnet Japan auch für die Zukunft an England zufeffeln, und es damit politisch unselbständig zu machen. Der angel­sächsisch-romanische Völkerbund wird von min an die Welt regieren und zwar mit einem wirtschaftlichen und politischen Terror, wie er zur Zeit Napoleons nicht schlimmer geherrscht hat. 0. 8.

Zur MssevslillftMs- M IMevssWk.

Tie Fortschritte der deutschen Demobilisetion.

(WTB.) Berlin, 1. Jan. Die Entente erblickt, wie die deutsche Waffensiillstandskommission miiteilt, Len- Haupt­zweck des Waffenstillstands darin, eine Wiederaufnahme de: Feindseligkeiten durch Deutschland zu verhindern. Der Geist, in welchem weitere Verhandlungen von seiten der Entente geführt werde«, hängt also davon ab, die Entente z» über­zeugen, daß Deutschland die Demobilifation ohne jeden Hintergedanken tatsächlich und so schnell wie möglich durch­führt. Darum war es von Wichtigkeit, der Entente eine Uebersicht über die Fortschritte der deutschen Demobilmach­ung zu bieten. Das ist von seiten der deutschen Waffensiill- stanL-skommission zum Jcchresschlutz in Form einer Rote.ge­schehen. Aus dieser Uebcrsick>1 geht hervor: An der gesam len Westfront befinden sich, abgesehen von den Friedens­garnisonen, nur noch einige 20 geschlossene deutsche Divi­sionen, deren älteste Jahrgänge auch bereits entlassen sind. Das Armeeoberkommando und die Heeresgrnppenkommandos sind bereits in Auflösung begriffen. Damit geht dte mili­tärische Kommandogewalt an der Ostgrenze der neutralen Zone vollständig in die Hände der Friedensgcneralkomman- dos über. Dieser Zustand wird bei der Heeresgruppe bis 2. Januar, bei der Heeresgruppe K zwischen dem 10. und IS. Januar, bei der Heeresgruppe L etwa um dieselbe Zeit erreicht sein. Im Bereich der früheren Heeresgruppe D übt schon jetzt das Generalkommando des 1-i. Armeekorps dte alleinig militärische Kommandogewalt aus. Damit ist deut­scherseits die völlige Unmöglichkeit einer Wiedereröff­nung der Feindseligkeiten erwiesen. Es wurde deshalb von der deutschen Waffenftillstandskommission angeregt, nunmehr weiters Erleichterungen für den Verkehr und die Verwaltung im besetzten Gebiet zu gewähren und an allen geeigneten Sitzen der alliierten Kommandobehördcn deutsche Verbin­dungsoffiziere einzustellen. Dies soll die Kontrolle der Poli- zeitruppen in der neutralen Zone, die Regelung örtlicher Anfragen, sowie die Einreiseerlaubnis «sw. erleichtern.

Gnlenteoffiziere ln Berlin.

Berlin, 2. Jan. In den nächste» Tagen trifft eine Kommission von 3 Offizieren der Entente von Spaa kommend in Berlin ein, um in Ausführung der Waffenstillstandsbedingungcn die Marinekuftschiffe in Iüterborg und Friedrichshafen zu besichtigen. Mit der Führung der Kommission ist der Kapitänleutnant Brcit- haupt beauftragt.

Auch die internierten U-Boote muffen adzeUefert werden.

Sentander, 1. Jan. (Havas.) Die Zeitung Atalays meLel die Ankunft von 2 englischen Lorpedobootsze»

störern, die gemäß den Waffenstillstandsbedingungen die in den neutralen Häsen internierten U-Boote übernehmen sollen. Die Rückgabe dieser U-Boote soll unter Mit­wirkung der spanischen Behörden nacheinander in Cadix, Ferrol, Vigo Kartagena und Sentander stattsinden.

Die Verteilung der deutschen U-Boote.

Berlin, 2. Fan. DerBerliner Lokalanzeiger" meldet aus Haag: Die Alliierten haben beschlossen, die 114 von Deutschland abgelieferten Unterseeboote unter sich zu teilen. England erhält 78, Frankreich 15, Ita­lien 10, Japan 7 und Amerika 7 Unterseeboote. Die letzteren sind bereits nach den Bereinigten Staaten ab­gegangen.

Clemenceau und Pichon über die WUsonschen

Grundsätze.

Bern, 31. Dez. Die Pariser Zeitungen enthalten noch keine eingehenderen Besprechungen der Reden Pichons und Llemenceaus. Humanite erklärt in einer kurzen Notiz, nach Pichon habe sich auch Clemenceau erlaubt, die Wilsonschen Grundsätze zu diskreditieren.

Festigung der französisch-amerik. Freundschaft. (WTV.) Paris, l. Jan. (Havas.) Der Senat ver­tagte sich heute bis zum 14. 1. Die Kammer nahm die vom Senat zurückgekommene Finanzvorlage unverändert an und vertagte sich dann ohne Zeitsestsetzung. In einer Unterredung mit einem amerikanischen Journalisten er­klärte Poincare, er hoffe nach Friedensschluß nach Ame­rika zu reisen. Die Einzelheiten der Reise seien noch nicht festgesetzt, aber es wurde von den Monaten Zu»! und Juli gesprochen.

Serbien und Italien.

Bern, 2. Jan. Der neue serbische Gesandte in der Schweiz Iovanowitsch erklärte in einer Unterredung mit einen! Vertreter der Gazette de Lausanne, daß die Be­ziehungen zwischen Italien und dem neuen Serbien ein sehr ernstes Problem bildeten. Der Gesandte wies auf die italienischen Ansprüche an der damaltinischen Küste hin und erklärte, Italien werde, wenn es sich auf Kosten Serbiens imperialistisch erweisen sollte, in seiner Stellung als Großmacht und in seiner wirtschaftlichen Entwicklnngssreihcit stark betroffen werde. Serbien werde in diesem Falle Rohstoffe und Fertigwaren über Salo­niki oder über Böhmen und die nordischen Länderleiten.

Die Tschechoslowaken zu den Verhandlungen der Alliierten.

Prag, 3. Fan. Die Friedcns-Deligation der tschecho­slowakischen Republik wird sich am Montag zu den Friedensoerhandiungen nach Paris begeben. Gestern fand hier eine Beratung im Ministerrat statt. Also es wird alles verbrettet, daß die Deutschen nur noch ihr Urteil zu unterschreiben nötig haben.

Die Zustände in den russische» Ostseeproviaze». iWTB.) Mita«, 31. Dez. Der Soldatenrat Mitau 1c u mit: Die Engländerim Hafen von Riga fordern plötz­lich, dcitz die deutschen Truppen zum Schutz der Bevölkerung hier bleiben, und drohen Deutschland für die Schäden und Verbrechen der Bolschewisten haftbar zu machen. Von Nor­den vordringende russische Truppen sind von Riga durch eine eiserne Division von Freiwilligen ausgehalten worden. Tie Bewahrung Deutschlands von wetteren Schäden ünd die Zu­rückziehung der Armee, soweit sic im Abtransport ist, -st nur möglich, wenn die englischen sreiwilligenTruppen ihre Pflicht tun. Der Generalbevollmächtigte Winnig und das Armee­oberkommando 8 in Riga erlassen darauf bezügliche Ausrufs on die Truppen zur Entsendung weiterer Freiwilligen, denen von der lettländischen Regierung als Belohnung neben 10 täglicher Löhnung volles Etaatsbürgerrecht und die Mög­lichkeit des Landerwerbs versprochen werden.

(WTV.) Riga, 31. Dez. Ueber die Vorkommnisse in Riga wird gemeldet: Am Sonntag den 20. Dezember men'.erterr die beiden lettischen Kompagnien Landeswehr und erklär-en. daß sie zu den Bolschewisten übergehen würden. Der lettische Ministerpräsident wandte sich an die deutsch-baltische Kom­pagnie der Laudeswehr mit dem Ersuchen, die Meutere*