Nr. 306. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 93. Jahrgang.

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Dienstag de« S1. Dezember 1S18.

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Zum neuen Jahre.

Das Jahr 1918 wird in der deutschen Geschichte dieselbe schmerzliche Erinnerung auslösen wie die Jahre der Unterdrückung Deutschlands zu Napoleons Zeiten. Und wieder ist es die französische Habgier, die franzö­sische Eitelkeit, die mit den Hauptanlaß zu dem Kriege gegeben hat, dein wir jetzt zum Opfer gefallen sind. Denn ohne Frankreichs unauslöschlichen Haß wäre es weder den Russen noch dm Engländern möglich gewesen, Deutschland zu l.Kriegen. Und nun, nachdem England, Frankreich und Amerika den Mitbewerber der mit friedlichen Mitteln die Welt erobert hatte, den verhaßten, an Geist und Fähigkeiten überlegenen Gegner niederge­worfen haben, nun soll Gericht über das deutsche Volk gehalten werden. Es ist zum Erbrechen widrig, wie die feindlichen Staatsmänner, namentlich aber der Präsident der Vereinigten Staaten, in einer geradezu zynischen Selbstgerechttgkeit immer und immer wieder von der Schuld Deutschlands sprechen, während erdrückende Be­weise für die systematische Vorbereitung des Krieges seitens der Entente zu Tausenden vorhanden sind. Und das deutsche Volk muß sich diese Heuchelei, muß sich diese dreisten Beschuldigungen gefallen lassen, dieses Volk, dessen Gerechtigkeitssinn in einerWeise ausgeprägt ist, daß es sich oft gegen seine Interessen stets für die schwachen Völ­ker eingesetzt hatte, und das wirklich nach keiner Eroberung verlangt hat. Dagegen aber regen sich heute infolge der Proklamation derFreiheit" der Völker durch Wilson und Genossen alle Nachbarn des deutschen Volkes, um ihre Freiheit dadurch zu betätigen, daß sie sich anschicken, dem deutschen Reich Jahrhunderte alten deutschen Kul­turboden zu entreißen. Und was tut das deutsche Volk? k Es ist allgemeiner Waffenstillstand geschloffen, und die Tschechen haben so wenig wie die Polen das Recht, sich in den Besitz deutschen Landes zu setzen. Darüber wird die Friedenskonferenz entscheiden, und wenn wir auch keine große Hoffnungen auf sie setzen, so gehören West- Preußen, Posen und Oberschlesien bis heute noch zum Deutschen Reich, und wir haben das Recht, unfern Be­sitz mit Waffengewalt zu verteidigen. Wie der neue Volksbeauftragte Noske mitteilte, sei in dem militäri schm Programm der Reichsregierung die nächste große Aufgabe, gegen die von Osten drohenden Gefahren mit allen verfügbaren Mitteln einen starken Schutz zu schaffen Die Reichsleitung denke nicht daran, dieUebergriffeder Polen auf deutschem Gebiet weiter ruhig mit anzusehen. Wir hoffen, daß das recht bald geschieht, denn es muß jetzt endlich mit der Unentschlossenheit Schluß gemacht werden. Auch nach Süden hin muffen wir im Interesse unserer östereichischen Stammesgenossen jetzt klare Verhältnisse schaffen. Die Entente und die tschechischen und südslavischen Staaten sind am Werke, die Deutschen Oestereichs durch wirtschaftliche und natio­nale Versprechungen von uns abzuziehen, und wie Wilson die Nationalitätenfrage auffaßt, das sieht man aus dem Beschluß in London, wo er sich nach den Meldungen Reuters im Sinne der französischen Forder­ungen bezüglich Elsaß-Lothringen ausgesprochen haben soll. Also das zu "/,» deutschsprachige Elsaß-Lothringen soll nicht einmal das von vielen Elsäßern verlangte Recht der eigenen Entscheidung über seine Zugehörigkeit haben. Der Waffenstillstand aber war aus Grund der 14 Punkte Wilsons geschloffen worden. Und genau der­selbe Wortbruch wird mit der Entschädimmgsfrage ge­trieben. Wilson hat seinerzeit gesagt, Kriegsentschädi­gungen seien nur der Anlaß für neue Kriege. Und er hat Recht, besonders wenn die Forderungen so sind, daß sie ein Volk Jahrzehnte lang zu Arbeitssklaven machen. Der französische Finanzminister mit dem echt französischen Namen Stern rechnete aus, daß die Alliierten das Recht hätten, von Deutschland 470 Milliarden Mk. zu fordern. Frankreich berechne 250, England 200, Belgien 20 Milliarden Kriegsschäden. Deutschland habe nach Helfferichs Schätzung 1913 ein Einkommen von 50 Mil­liarden gehabt. Auf dieser Schätzung müßten die Alliierten fußen. Das sind die Aussichten, die unsere Feinde für unsere Zukunft eröffnen. Und wie verhält sich das deutsche

Volk heute dazu? Man muß oft den Eindruck bekom­men, als empfinde das Volk in seiner Gesamtheit die drohende fürchterliche Gefahr für seine Unabhängigkeit, für sein Volkstum nicht mehr, als sei aller vaterländi­scher Iifftinkt durch die Kämpfe und Entbehrungen von 4*/- Jahren verloren gegangen. Es wird nur im Innern gestritten, während der Staat von draußen her untekivühlt wird. Deshalb muß es jedem Volksgenossen beim Iahres- schluß mit aller Eindringlichkeit gesagt werden: Der innere Hader mutz aushör««, wir müssen Ordnung und Sicherheit bekommen, wir müssen als Deutsche zusam­menstehen. Die internationale Sozialdemokratie bezahlt auch in Zukunst dem deutschen Arbeiter nicht seinen Lebensunterhalt, sondern das deutsche Volk. Wenn aber nicht gearbeitet wird, wie das jetzt überall in den großen Städten der Fall ist, dann kann auch mit der Zeit nichts mehr bezahlt werden, dann bricht nicht nur unsere Volks­wirtschaft zusammen, sondern auch unsere Ernährungs­versorgung, dann muß das deutsche Volk zugrunde gehen wegen ein paar Hundertausend Faulenzern und Tag- dieoen, denen es nicht um die Arbeit zu tun ist, sondern um den Krakeel, bei dem sie ihre unsauberen Geschäfte machen können. Weil wir so nicht mehr fortmachen können, deshalb haben sich die Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen zu gemeinschaftlichem Zusammengehen entschlossen, um eine akttonsfähige Reichs- reaierung und Nationalversammlung zu schaffen, und da- nm eine schleunige Herbeiführung des Friedens für das leutsche Reich zu erreichen. Sie wenden sich gegen die Zu- tände in Berlin, die eine Gefährdung der neuen Errungen- chasten und eine Bedrohung der deutschen Einheit erstellen. Die Reichsregierung müsse von ört­lichen Einflüssen freigemacht werden. Daß es bis beute noch nicht so ist. das sieht man daraus, daß die Reichsleitung zu der Tagung des Spartakus­bundes den rabiaten ruffischen Bolschewisten Radek zu- gelaffen hat. Wir fragen, übernimmt die Reichsleitung die Verantwortung für die Folgen, die sich aus der An­wesenheit Radeks in Berlin im Innem wie nach außen hin ergeben können?! Es muß jetzt endlich anders werden. Und daß wieder Ordnung, Sicherheit und Frieden im deutschen Land einziehen, dazu beizutragen hat jeder Deutsche Gelegenheit im neuen Jahre. Der nationale Selbsterhaltungstrieb muß wieder lebendig werden, dann wird von selbst die soziale Aussöhnung kommen müssen. O. 8.

Zur WlffmftWmdr- «»r SrieLkWage.

Neutrales Urteil über die elsaß-lothringische Frage.

Christiania, 28. Dez. Romsdais Amtsttdend, führt in einem bemerkenswerten Leitartikel über die ei saß-lothringische Frage aus, die ganze Welt glaube, daß Elsaß-Lothringen ursprünglich von den Deutschen mit Ge­walt geraubtes und unterdrücktes Land sei. Dies wider­streite aber den geschichtlichen Tatsachen. Englische Blät­ter, wieTimes" undDaily News", hätten 1870 aus­drücklich betont, daß Elsaß-Lothringen von Ludwig XIV. gestohlen worden sei. Eine ähnliche Auffassung habe erst kürzlich der englische Schriftsteller Brailsford in der Schweizer ZeitschriftFriedenswarte" verfochten und deshalb ebenfalls^die Volksabstimmung verlangt, da ein dauernder Friede nur möglich fein werde, wenn die el­saß-lothringische Bevölkerung ihr Schicksal selbst bestim­men könne.

Widerstand gegen die Franzose« in Odessa.

Amsterdam, 29. Dez. Dem Reuterschen Bureau zufolge ifl in London die Nachricht eingetroffen, daß es in Odessa zu ernsten Kümpfen gekommen ist, an denen die französischen Kriegsschiffe teilgenommen haben. Es verlautet, daß die Franzosen im Einvernehmen mit den örtlichen Militärbehördeu 5000 Mann landeten, um die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten. Während diese Truppen ausgeschifst wurden, nahmen die Trupen in der Stadt sie in verräterischer Weise unter Feuer. Die französischen Kriegsschiffe beschossen daraufhin die Lager hinter der Stadt. Die Zahl der Toten und Ver­wundeten muß sehr groß sein. Es ist nicht bekannt, ob die französischen Truppen Odessa noch besetzt hatten.

England.

Die engl. Wahlen unter dem Einflvß des Sieserransche».

(WTV.) Amsterdam, 2S. Dez. Nach einer Reutermeldung aus London werden die Wahlen durch die vollständige Nie­derlage derjenigen Parlamentsmitglieder charakterisiert, die während des Krieges pazifistische Neigungen an den Tag legten. Die ehemaligen liberalen Exminister wurden mit großer Mehrheit geschlagen. Lord Robert Es eil wurde wiedergewählt. Die Koalition gewann 469 Sitze, also eine Mehrheit von 238. Nach den letzten Angaben war die Lage folgende: Koalition: Unionisten 334, Liberale 127, Arbei­ter 19. Koalitionsgegner: Anhänger Asquiths 334, Un­abhängige Unionisten 48, andere S, Arbeiterpartei 65, Frauen eine, Nationalisten 7, Sinn Feiner 70. Rur drei Ergebnisse standen noch aus. Der Führer der Sinn Feiner, Devalera, hat den Nationalisten Dillon geschlagen. Rach einer Meldung de»Mg. Handelst»!." aus London ist be­merkenswert, daß so wenige Arbeiterparteiler gewählt wur­den. Es gehe daraus hervor, daß diese einen großen Irr­tum begingen, als sie ihre Mitglieder aus der Regierung zogen. Außerdem lasse sich daraus schließen, daß die Arbei­ter zum Teil anders stimmten» als ihre Führer wünschten. Möglicherweise haben die Stimmen der Frauen viel zu dem Ausgang der Wahlen beigetragen. Man hatte erwartet, daß sie im allgemeinen für Lloyd George stimmen würden, All- genzeln wird bedauert, daß Asquith seinen Sitz in Cast Fife verlor. Die Liberalen find trotz der Niederlage nicht im mindesten niedergeschlagen. Sie sind davon überzeugt, daß die folgenden Wahlen, die nicht mehr vom Kriege be- etnflußt werden, sie wieder ans Ruder bringen werden.

Der Wahl-,Sieg" von Loyd George in der

Nahe besehen.

Amsterdam. 31. Dez. Nach einer vorliegenden Meldung aus London über den Ausgang der Wahlen haben die Koalattonsgegner viel mehr Stimmen gewon­nen, als man nach den ersten Meldungen erwartete. Nach dem Londoner Korrespondenten desTelegraaf" entfallen auf die Koalition 5293 976, auf die Koalitionsgegner 4 690699 Stimmen, sodah die Koalition bei einem ge­rechteren Wahlsystem nur eine kleine Mehrheit erhalten haben würde. Nach derMorning Post" betrug die Zahl der Wahlberechtigten 21611211 Personen. Es beteiligten sich an der Wahl 10 755 268 Personen oder 49,3 Proz. der Stimmberechtigten. Für die Koalittons- Unionisten wurden, demselben Blatte zufolge. 3527613, für die Koalitions-Liberalen 14M 683, für die Koalitions- Arbeiter 154174 Stimmen abgegeben. Von den Ko- alittonsgegnern erhielten die Unionisten 587889, die Liberalen 1 330978, die Nationalisten 330010, die Ar­beiterparteiler und Sozialisten 2 457 648, die unabhängi­gen Kandidaten 408791 und die Sinn-Feiner 497 522 Stimmen. __

Deutschland.

Die bolschewistische Propaganda

im Osten Deutschlands.

DerDeutschen Allgemeinen Zeitung" wird aus zuverlässiger Quelle mitgeteilt, daß für bolschewistische Propaganda in Deutschland noch Depots in Höhe von insgesamt 12V, Millionen Mark zur Verfügung stehen, die sich zum überwiegenden Teil aus Mitteln der groß­russischen Regierung zusammensetzen. Diese Beträge sollen in erster Linie zur Einleitung einer kräftigen bol­schewistischen Propaganda unter den deutschen Industrie- und Transportarbeitern dienen. Besonderes Interesse wenden die großrussischen Drahtzieher in letzter Zeit dem oberschlesischen Industrierevier zu. Durch Stillegung der Kohlenförderung und Lahmlegung der Lebensmitteltrans­porte erhoffen sie den Ausbruch des Bürgerkrieges in den deutschen Städten erzwingen zu können. In den letzten Tagen begaben sich von Moskau aus 9 bolsche­wistische Agitatoren nach Polen, um hier mit bedeuten­den Geldmitteln den Sturz der gegenwärtigen Macht­haber in Polen zu betreiben. Einige von diesen Agi­tatoren konnten in Warschau verhaftet werden. 3 haben sich nach Oberschlesien begeben. Die bolschewistische Be­wegung in Polen ist stark im Wachsen begriffen. In