Nr. 305.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

93. Jahrgang.

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Montag den SV. Dezember 1S18.

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Zur inneren und äußeren Lage.

Der Zentralrat der A.-- und S.-Rate Deutschlands hat den Mehrheitssozialisten in der Reichsregierung sein Vertrauen ausgesprochen, was die Vertreter der Unab­hängigen in der Regierung veranlaßt hat, zurückzutreten. Es war aber auch höchste Zeit, daß endlich eine Klä­rung eingetreten ist. Die englische Presse hatte schon darauf Hingeiviesen, daß die stärkere Besatzung der besetzten Gebiete eine Folge der Zunahme der bol- schewis vn Vorfälle in Deutschland sei, und daß man schließlich zur ganzen Besetzung der neutralen Zone schreiten werde, denn Deutschland stehe vor der Gewaltherrschaft des Proletariats. Die englische wie auch die französische Negierung seien entschlossen, mit der machtlosen deutschen Regierung keine Friedensverhand­lungen aufzunehmen. Es fragt sich nun, ob die neue Regierung die Kraft und den Willen hat, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und Maßnahmen zu treffen, dag die Arbeitsunlust angesichts der dringend zu erledigenden Arbeiten, (namentlich auf dem Gebiet der Kohlenförder­ung) endlich energisch eingedämmt wird. Während ganz Deutschland nach Kohlen schreit, gestatten es sich verhetzte Bergarbeiter im Ruhrgebiet und in Oberschlesien, die Arbeit einzustellen, weil ihre unverhältnismäßig höhe Forderungen nicht r ommen werden. Löhne von 20 bis 24 ^ täglich uns 800 ^ Wcihnachtsgabe ver­langen die oberfchlesischrn Bergarbeiter Der Staatssek­retär des Reichswirtschaftsamts, Dr. Müller, ein Sozial­demokrat, aber sagt, wir können die von Frankreich und Belgien unerbitterlich geforderten Entschädigungsansprüche nicht befriedigen mit einem Achtstunden lag und bei den jetzigen hohen Löhnen. Allerdings verlangte Müller dann auch niit Recht einen Abbau der Preise auf allen Ge­bieten. Das ist wahrhaftig nötig, denn dieser schamlose Wucher, der heute noch überall herrscht, ist mit schuldig an der Demoralisation unseres nationalen Empfindens. Es scheint jedoch, als wolle sich der nationale Instinkt wieder etwas von seiner Apathie erholen. In Posen haben deutsche Soldaten sich gegen die polnischen An­maßungen aufgelehnt. Es wurden französische und ame­rikanische Fahnen von den Häusern heruntergerissen, und im Verfolge dieser Maßnahmen kam es zu schweren Straßsnkämpfen, in deren Verlauf es eine größere An­zahl von Loten und Verwundeten gab. Die Polen scheinen in ihrem deutschfeindlichen Benehmen von eng­lischen Offizieren bestärkt zu werden, denn auf die deutsche Selbsthilfe hin erschien eins Abordnung der englischen Mission in Posen, die Aufklärung über das Verhalten der deutschen Soldaten verlangte. Der deutsche Kom­mandant erklärte zu dem Herrn., reißen der Fahnen der Entente, daß man doch in Preußen sei, und feindliche Fahnen nicht geduldet würden. Aus diese Antwort des Generalmajors verließen die englischen und polnischen Vertreter unter Abbruch der Verhandlungen.das Gene­ralkommando. Also soweit ist es gekommen, daß wir uns in deutschen Gebieten Fahnen unserer Feinde ge­fallen lassen sollen. Wie in Posen, so ist es in Ober- scklcsien, so ist es in Deutsch-Böhmen und Mähren, in Südtirol und Elsaß-Lothringen. !!»d angesichts dieser zynischen Verachtung aller Rai mlitätengrundsätze, für die doch die Entente angeblich emgetreten war, spricht Herr Wilson aus seiner Europarersc in Paris, in London, täglich und stündlich von dem gerechten Frieden, für den er cintreten wolle.

Austritt der Unabhängigen aus der Reichsregierung.

(WTB.) Berlin, 29. Dez. Die Krisis in der Reichsregierung hat sich in der Weise gelöst, wie die Allgemeinheit des deutschen Volkes es erwartet hat: Die Unabhängigen sind aus der Regierung ausgeschieden. Der Zentralrat hat auf eine Frage der Unabhängigen erklärt, daß die Volksbeauftragten Ebert, Landsberg und Scheidemann dem Knegsminister lediglich den Auftrag erteilt hätten, das Nötige zur Befreiung des Stadtkom­mandanten Wels zu veranlassen. Auch d'es sei erst ge­schehen, nachdem den drei Regierungsmitgliedern von rem Führer der Volksmarinedivision telephonisch mitge­

teilt worden sei, daß er für das Leben von Wels nicht mehr garantieren könne. Der Zentrairat erklärte aus­drücklich, daß er dieses Vorgehen billige. Trotz dieser , Entlastung durch die höchste Instanz haben die Unab­hängigen eineVerschuldung" der Regierungsmitglieder ! Ebert, Landsberg und Scheidemann konstruiert und da­mit ihren Austritt begründet. Unter dem nichtigen Vor­wand, einer Verantwortung überhoben zu sein, haben die Unabhängigen auf folgende Fragen des Zentralrates die Antwort verweigert: Sind die Bolksbeauftragten be­reit, die öffentliche Ruhe und Sicherheit, insbesondere auch das private und öffentliche Eigentum gegen jeden gewaltsamen Eingriff zu schützen? Sind Sie mit den Ihnen zu Gebote stehende» Mitteln auch bereit, Ihre eigene Arbeitsmöglichkeit und die Ihrer Organe gegen Gewalttätigkeiten, ganz gleich von welcher Seite sie er­folgen sollten, zu gewährleisten ? Die Regierung liegt nun allein in den Händen der sozialdemokratischen Par­tei. Sie wird zu den drei bisherigen Mitgliedern noch weitere delegieren, wobei auch dem Süden Deutschlands eine Bertrctnng gesickert werden soll. Berlin ist ruhig. Von dem festen Willen der Arbeiter, Bürger und Sol- Laten der deutschen Volksrepublik wird erwartet, daß sie sich mit ganzer Entschlossenheit hinter die neue einige Re­gierung stellen.

Auch Hamburg gegen Spartakus.

Berlin» 30. Dez. Aus Hamburg wird demVerl. § Lokalanzeiger" berichtet: Nachdem"»! der Nacht zum j Sonntag Anhänger der Spartakusgruppe die Redaktion desHamburger Echo" besetzt hatten, verfilzte der Ar­beiter- und Soldatenrat eine Demonstration, die bereits um 1 Uhr auf dem Heiligen Geistfeld vor sich ging. Die , Demonstranten begaven sich vor das Rathaus. Vom ! Balkon des Rathauses wurden Reden gehalten. Ein i Anhänger der Spartakusgruppe kam nicht zum Worte; ^ er wurde niedergepfiffen. Die Ansprachen der anderen ' Redner wurden mit lauten Bravorufen begrüßt.

Zur MsseMftM-r- Md NiedeorsWe.

Grey und Wilson.

(WTB.) London, 27. Dczbr. Viscount Grey wird an der Spitze einer Abordnung des Vereins für Pölker- bund vom Präsidenten Wilson am Sonntag vormittag in der amerikanischen Botschaft empfangen werden. Zu der Abordnung werden gehören Viscount Bryces, Gene­ral Smut und Professor Gilbert Murray.

Tschechoslowakischer Raubzug gegen Ungarn.

Prag, 30. Dez. (Tschecho-Slowak. Pressebureau.) Das Oberkommando in der Slowakei berichtet: Die am 28. Dezember begonnene Unternehmung zur Besetzung von Kaschau schreitet günstig fort. Nach kurzem Kampf haben mir Margecal erobert. 100 Magyaren, darunter 12 Offiziere, wurden gefangen genommen, 14 Kanonen, 12 Maschinengewehre und anderes Material erbeutet. Auf dem weiteren Vormarsch haben wir Eperies besetzt. Die ganze Unternehmung wird von dem Schützenregi­ment 30 und dem Infanterieregiment 21 mit Unter­stützung eines Panzerzuges durchgeführt.

Tschechoslowakische Dölker-Besceirrng".

Budapest, 28. Dez. Der ungarische Oberleutnant Breselmayer ist mit mit einem Kameraden aus den Kase­matten aus Spielberg bei Brünn, wohin er mit etwa 60 Personen aus Okcrungarn von den tschechischen Truppen verschleppt worden war, geflüchtet und in Buda­pest eingctroffen. Bresclmeyer berichtet verblüffende Ein­zelheiten über die Leiden der verschleppten Geiseln, die i von den Tschechen mißhandelt werden und Hunger leiden müssen. Ein 60jähriger Dechant wurde fast zu Tode gepeinigt. Die Töchter vornehmer Familien, die eben­falls fortgeschleppt wurden, wurden geschändet. Bresel­mayer ist im Besitz detaillierter Beweise für die Grau­samkeiten.

Die elsaß-lothring. Geistlichen für Frankreich.

(WTB.) Bern, 27. Dez. Der Klerus von Elsaß- Lothringen hat an den französischen Klerus eine Sym­

pathiekundgebung gerichtet, in der er seiner Freude übe^

! die Befreiung der Provinzen Ausdruck gibt und seine Loyalität für Frankreich beteuert. -- (Daß der Klerus von Elsaß-Lothringen schon in Friedenszeiten franzosen- freundlich war, ist ja bekannt. Glauben die Herren, in Frankreich würden sie besser behandelt als unter deut­scher Regierung?)

Zur Demobilisierung des französischen Heeres. (WTB.) Berlin, 30. Dez. Einer Depesche desB. Tgbl." aus Genf zufolge hat nach einer Havasmeldung die französische Regierung die Demobilisierung der ge­samten Territorialarmee beschlossen, die bis zum 5. Fe­bruar beendet sein soll.

Dir französische Linke und Clemenceau.

Genf, 27. Dez. Die Pariser Zeitungen stellen, nach der Frkf. Ztg.", beachtenswerte Betrachtungen an über die vor­gestrige Interpellation des Deputierten Constaut in der Kammer. Nach der Auszählung der Stimmzettel wurde fest- gestellt, daß die Vertagung der Interpellation mit 30S gegen 117 Stimmen beschlossen worden war. Aber diese Ziffern ändern nichts an der Tragweite der vorläufigen Abstim­mungsziffern, denn das Verhältnis der Opposition zur Re­gierungsmehrheit ist wieder so geworden, wie es in den kritischen Tagen der Ministerien Vriand und Ribot gewesen war. Herve gibt das in seinerVictoirc" auch ehrlich zu. Zn der Deputiertenkammer," so sagt er,macht sich einige schlechte Laune gegen unfern Tiger geltend. Man ist unzu­frieden wegen der langsamen Entlassung der Truppen, wegen der schlechte» Rahruilgsmittelvefforgung des Nordens. l?s mischt sich aber auch etwas Beunruhigendes in diese schlechte Laune. Clemenceau wird die Friedensverhandkung« n führen. Wird er sie aber auch allein führen mit seinen Tige - monieren? Im ganzen Land stellt man sich angstvoll die Frage. Wenn seine Freunde nicht wagen, ihm das klar z r sagen, so möge er einem unabhängigen Blatte gestatten, e« ihm zuzurufen, denn als er noch Journalist war, hat er sei' nen Vorgängern noch ganz andere Dinge gesagt." In der Humanitee" schreibt der sozialistische Deputierte Tachina Die Kammer hat gesteren einen noch schüchternen Wider­spruch erheben gegen das hartnäckige Schweigen der Regie­rung. Die Negierung weigert sich, das Land über Dinge aus- zuklärcn, welche die öffentliche Meinung leide.ischastlich be­wegen. Das Parlament trägt mit wachsender Ungeduld die jeden Tagen unerträglicher werdende Herabsetzung. Wenn Clemenceau, der über eine sichere Mehrheit verfügt, jede Auseinandersetzung ablehnt, so geschieht das doch nur, weil seine Pläne durch eine Ausbreitung vor den Augen des Publikums nicht gewännen. Wir behalten eine ungeheure Armee im Felde. Zu den französischen Soldaten, die man nur tropfenweise entläßt, kommen Millionen englische und amerikanische Soldaten. Welche Zwecke diese Kräfteentfal­tung gegenüber einer feindlichen Macht hat, die sich tatsäch­lich mit jedem Tag mehr auslöst, ist nicht ersichtlich. Der Grund kann nur derartig sein, daß eine französische Regie­rung ihn nicht leicht offen eingestehen kann, d. h. man be­reitet eine Aktion vor gegen die Republiken, die sich in Europa erheben und das Unrecht begehen, ihnen sozialistische Form zu geben. Man will das doch nicht offen eingestehen, aber man will eine starke Armee behalten für eine Inter­vention, deren genauen Charakter man noch nicht sieht. Die Furcht vor dem Sozialismus ist der ursprüngliche Grund, aber es gibt noch einen andern, der dem nämlichen Geist entspricht. Unsere militärischen und diplomatischen Führer» unsere Staatsmänner sehen auf den europäischen Kontinent nur noch die militärische Macht der Entente und im Grunde ihrer Seelen zaubern sie sich Pläne der Hegemonie und der Eroberungen vor, und damit diese Pläne nicht plötzlich zusammenstürzen, brauchen sie auch ferner gegenüber dem vom Militarismus befreiten Europa eine starke Armee. Eie haben die demokratische und sozialistische Bewegung noch nicht begriffen, die am Ende des Krieges überall die alten Kräfte weggeriflen hat. Wir sind 191t ausgezogen, um die deutsche Autokratie und den deutschen Militarismus nieder­zuwerfen, und gerade jetzt, wo diese Ziele erreicht find, unterliegen unsere berauschten und übel beratenen Regie­renden der Versuchung, ohne Napoleon auf ein neues «apo»