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dieses Felsens hat sich die bildhübsche Tochter eines Handschuhfabrikanten in die Tiefe gestürzt, wie man sagt, aus Liebes- gram. Drei Spaziergänger sahen, wie die Unglückliche raschen Laufes den Berg erkletterte, oben sich erst über den Abgrund beugte und sich dann mit hocherhobenen Händen und lautrufend hinunterstürzte. Geradezu wunderbar ist es, daß nicht, Wie bei früheren Selbstmorden an dieser Stelle — der Körper völlig zerschmettert unten ankam. Das bejammernswerte Wesen hat sogar noch beinahe 2 Stunden gelebt.
Aus Hamburg, 24. Nov., wird gemeldet: An der bei Bergedorf gelegenen Landstelle Lindenhof wurde vergangene Nacht ein Raubmord ausgeführt, wobei 3 Personen, der Eigentümer Perschen, dessen Haushälterin und ein kranker Mit' bewohner ermordet wurden. Die Verbrecher steckten das Haus an, um die Un- that zu verdecken. ° Das Gebäude ist gänzlich niedergebrannt.
Wien, 27. Nov. Die gestrige Arbeiterdemonstration auf der Ringstraße ist infolge des schlechten Wetters belanglos verlaufen. — Die „Neue Freie Presse" meldet aus Triest, daß das italienische Torpedoschiff „Nonzamchono" bei furchtbarem Sturm auf der Insel Unie strandete, als es gerade vor Anker gehen wollte.
Lyon, 25. Nov. Das eiserne Schiff „Karoline Morris" ist mit großer Getreideladung von Chile kommend, mit Mann und Maus untergegangen.
Rom, 23. Nov. Eine 15 Mann starke, wohlbewaffnete Bande überfiel im Dorf Garbanella bei Ferrara die einem reichen Manne gehörige Tabakhandlung. Bei dem Kampf der sich entspann, wurden zwei Leute erschossen, einer schwer verwundet. Näheres ist noch unbekannt.
Rom, 26. Nov. Aus Reggio und Messina werden neuerdings Erdbeben gemeldet.
Alatri, 26. Nov. Infolge der Erhöhung der Gemeindesteuern erhoben sich 600 Bauern gegen die Gemeindebehörden. Die Unruhestifter, darunter viele Frauen, schleuderten Steine gegen das Gemeindehaus und verletzten 2 Schutzleute. Das Militär stellte die Ordnung wieder her.
InKopenhagen hat sich ein Komitöe gebildet, mit dem bekannten Mäcen Brauer Jacobsen als Präsidenten, um dem verstorbenen Zaren Alexander III. ein Denkmal im Fredensborger Schlosse zu errichten.
Petersburg, 26. Nov. Zu der heute stattgefundenen Trauung bringen die Zeitungen begeisterte Artikel und Gedichte. Das Publikum strömt zum Winter- palastplatze und zum Newskiprospekt. Das Wetter ist hell und trocken. Gegen vierzigtausend Arme wurden heute gespeist.
— Gerüchtweise verlautet, daß auf die Initiative des Kaisers der Plan erwogen wird, den Belagerungszustand, wo derselbe immer iu Rußland besteht, aufzuheben.
— Zar Nikolaus soll geäußert haben, wenn ihm durch das Geschick bestimmt sei, getötet zu werden, könne ihn die geheime Polizei auch nicht schützen. Es soll deshalb die geheime Hofpolizei abgeschafft Werden. Er billige auch die Preßfreiheit als Mittel, um Mißbräuche der großen und kleinen Staatsbeamten aufzudecken und zu unterdrücken.
> — Am Hochzeitstage des Zaren soll
mehreren Tausend nach Sibirien Verbannten Menschen die Freiheit wieder gegeben werden.
Wildbad, 28. Nov. Kaufet am Platz! Die Zeit der Weihn achtSein- käufe ist gekommen und mit ihr halten wir es für unsere Pflicht, den Käufern zuzurufen: „Kauft am Platz!" Die hiesigen Geschäfte aller Branchen halten reiches Lager, sie sind bestrebt, das Beste zu einem reellen Preise zu verabfolgen, und unsere Geschäftsleute haben wohl, da sie an den Steuern ein gut Teil tragen, bei gemeinnützigen Unternehmungen immer zur Stelle sind und auch ihrerseits den lokalen Geschäftsgang durch Deckung ihrer Bedürfnisse am Platze zu fördern bestrebt sind, ein moralisches Anrecht darauf, daß man sie in der guten Zeit des Jahres, denn das ist die Weihnachtszeit, gedenkt und nicht das Geld nach auswärts verträgt. Der Kauf auswärts hat auch seine großen Schattenseiten; die Vorteile, die der direkte Bezug und der in großen Geschäften größerer Städte zu bieten scheint, sind nur zu oft illusorisch. Darum: „Kauft am Platz!"
Wom oftcrfrcrtrscHerr Kriege.
London, 26. Nov. Die Morgenblätter sind einstimmig der Ansicht, daß sich China auf Gnade und Ungade ergeben solle. Die japanischen Staatsmänner würden dann Farbe bekennen müssen. Der „Standard" meint, China würde jetzt nach dem Fall von Port Arthur die angebotene Kriegsentschädigung von 300 Mill. Mark auf 500 erhöhen müssen. Anscheinend aber stelle Japan seine Forderungen noch höher, in der Absicht, die Goldwährung in Japan einzuführen. Der „Standard" warnt Japan vor Uebertreibung seiner Forderungen, sonst werde es schließlich Ruhm und Kriegsbeute zugleich verlieren. (Etwa an die Engländer?) Ein Glück für den Weltfrieden will der „ Standard" in dem Einvernehmen Rußlands und Englands behufs Einschränkung des Kriegsgebietes erkennen.
London, 27. Nov. „Reuter- Meldung aus Sanghai vom 26. d.: Es verlautet, daß die japanischen Truppen östlich von dem Kriegshafen Wei-Hai-Wei landen, den Hafen von der Rückseite erstürmen und dann gegen Peking marschiren würden. — Nach einer Reuter-Meldung aus Jokohama vom 26. d. betrug der Verlust der Chinesen bei Port Arthur 3000 Mann. Viele entflohen während der Nacht vom 21. November. Die Japaner ließen den Weg dazu frei. Die letzteren verloren 300 Mann. — Die Offiziere des britischen Schiffes „Porpoise", welches die Nachricht von der Einnahme Port Arthurs brachte, berichten, daß die Japaner große Beute in Port Arthur gemacht haben. Sie fanden zehntausend Tonnen Kohlen und für zwanzig Millionen Mark Munition.
Londo n, 27. Nov. Reuters Bureau er hilt eine Depesche aus Shanghai, welches die Gefangennahme des Spezialkorre- spo deuten in Port Arthurdurch die Japaner bestätigt. Die Japaner hielten den Kor- j respondenten für einen Offizier in chines. Diensten. Schritte zur Befreiung desselben sind eingeleitet.
Der Hrästn Jache.
Von H- Waldemar.
(Fortsetzung.)
„Dann verweilt Graf Breden sicherlich mehrere Tage, denn ich habe es im vorigen Jahre selbst erlebt, wie die äußerst liebens- würdige» Wnthe ihre Gäste länger zurnck- zuhalten verstehen."
„Mag sein, Baron, wenn es Juuggeseflen sind, aber Gert läst sich nicht halten. So lauge ich auf Schloß Breden weile, ist er nicht ein einzigesmal länger geblieben, wie er sich vornahm, im Gegentheil, er kam oftmals früher, um mich zu überraschen."
„Die reine Schäfer-Idylle," warf die Gräfin ein
„Kein Wunder," meinte Beringen, „wenn ein solcher Magnet zieht."
„Du hast Recht, Odo, aber auf Schloß Breden existirt noch ein weiterer Magnet in Gestalt einer jungen schönen Schwägerin, die es versteht, mit ihm zu philojophiren und alte Handschriften zu enträthseln."
„Ich bin Elisabeth recht dankbar, Mama, daß sie mir diese» Theil meiner Pflichten abnimmt, denn jetzt, nachdem ich im vorigen Winter schon die geselligen Freuden g kostet und mir im nächste» so viel schönere bevorstehen, fühle ich mich mehr denn je abgeneigt, ans Gerts gelehrte Liebhabereien einzugehxn, nnd wen» er mit meiner Schwester in der Bibliothek über wissenschaftliche Problem? grübelt, tändle ich »nt meinem Felix oder ich taste meine Toileten Revue passieren. Das ist mrr angenehmer und amüsanter."
„Es ist schade, daß Sie nicht tu der Resivenz wohnen, gnädigste Gräfin, dort würde» sie erst am Acht ge» Platze sein."
„Das bin ich h er vielleicht noch mehr, Herr Baro», denn hier in der ganzen Umgegend bin ich die Einzige, die jede Gelegenheit znm Vergnügen ersaßt und ausnützt, und diesen Vorzug würde ich in der Residenz verlieren. Sie sehen, die Abgeschlossenheit hat auch hier Angenehmes."
„Ja, aber ich bitte Sie, hier wohnen ja lauter alte Herren und alte Damen, Sie wollen doch nicht zugeben, daß Ihnen der Umgang mit Jenen znsagr?" rief Beringen erstaunt.
„Warum nicht? Amüsanter ist es jedenfalls," erwiderte Milli, „und die alten Herren sind in ihren größtentheils altmodischen Galanterien gar zu komisch. Uebrigens sink» auch jüngere Elemente darunter, und wen» Mama wollte, könnte sie den Mittelpunkt manchen Festes bilden."
„Ich? O seit die junge Gräfin Breden in der Gegend auftauchte und Alles, Alt und Jung, bezauberte, kümmert sich Ne mand um die „alte Gräfin"." -
„Da bist Du selbst schuld, Mama," rief Milli eifrig, Du selbst willst absolut alt sein und ziehst Dich immer mehr zurück. Nun sind wir wieder so weit wie vorher, da der Baron eiutrat. Soll ich fortfahren in dem, was Dir der Spiegel sagt?"
„Nein!" entgegnete Gräfin Wilma hart, „was nützen mir alle Redensarten? Ich fühle, wie ich alt sein muß, weil ich die Gräfin Witwe bin. Still, still," wehrte sie Milli, welche auffahren wollte, „ich weiß es bester und überlasse Dir gern den Rnbm, durch äußere und innere Vorzüge zu glänzen. — Nur nebenbei geduldet zu werden, ertrüge ich niemals, ksssorm lä ässsus, Milli." —
Sie erhob sich, trat in den Erker und sah, in ihre Gedanken vertieft, unverwandelt