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Nrv. S2.
Sarnstag, 5. Wai 1894.
30. lakrgang.
Württemberg.
Stuttgart, 2. Mai. In Anwesenheit des Königs, der Prinzessin Pauline, der Frau Herzogin Wera, des Prinzen Weimar, des Herzogs von Urach, des Staatsministers v. Pischek und anderer hervorragender Persönlichkeiten wurde beute das neue Bürgerhospital auf der Prag eingeweiht. Der König wurde von dem Oberbürgermeister Rümelin mit einer Ansprache begrüßt. Nach Übergabe der Schlüssel an den den Hospitalverwalter hielt Stadtdekan Wcitbrecht in der Spitalkirche die Festpredigt. Dann wurde ein Rundgang durch sämtliche Neubauten angetreten. Es sind deren 6, die einschließlich der allgemeinen Ausgaben der Stadt einen Kostenaufwand von 1,365,000 Mark verursachten. Außer dem Bürgerhospital umfaßt die Neuanlage auch das Asyl für Obdachlose, die Armenbeschäftigungsanstalt, einen Jrrenbau, ein Wirtschaftsgebäude, einen Betsal u. s. w. Das Bürgerspital bietet in drei Stockwerken Raum für 100 männliche und 100 weibliche Pfleglinge. Ueber 400 Jahre lang hat das bisherige Hospital, vor dem ein Franziskanerklofler, dem Aufenthalt dieser Leute gedient. Vorläufig wird das leergewordene Spital zu Kanzleizwecken verwendet, später dürfte das Stadtpolizeiamt einlogiert werden.
Stuttgart, 2. Mai. Das Befinden der Königin ist befriedigend, die Wnndheil- ung mackt gute Fortschritte. Die Aerzte hoffen, daß die Königin in einigen Tagen werde bas Bett verlassen können.
— Der württ. Landtag soll in der Woche nach Pfingsten, voraussichtlich am 16. Mai, wieder zusammentreten und sich zunächst mit der Schulvorlage beschäftigen. In der darauffolgenden Woche wird wohl mit der Beratung der Verfasfungsvorlage begonnen werden.
Ludwigsburg, 1.Mai. Am 30. April waren es 12 Jahre, daß die unvergeßliche erste Gemahlin des Königs, Prinzessin Marie, aus diesem Leben geschieden ist. Wie alljährlich an diesem Tage, so wurde auch gestern wieder das Grab derselben auf dem alten Friedhof von der Hand des Hofgärtners mit schönen Blumen geschmückt. Die Stadt Ludwigsburg, das Maria-Marthastift und Offiziere der Garnison ließen auf dem Grabe prächtige Kränze niederlegen. Nachmittags erschien der König mit Prinzessin Pauline um das Andenken der Gattin und Mutter durch Kranzspenden zu ehren.
Rundschau.
Pforzheim, 2. Mai. In Folge des anhaltenden Regengusses, wie in Anbetracht des ziemlich flauen Geschäftsgangs verlief die
Maifeier so still, daß dieselbe Heuer gar nicht bemerkt wurde. Eine Volksversammlung im „Riesen" wurde dagegen stark besucht. Hauptredner des Abends war Landtagsabg. Dr. Rüdt, der sich über die geschichtliche Entstehung und die Bedeutung der Maifeier verbreitete. Zugleich hielt der soz.-dem. Verein die Weihe der von Genossen und jGenossinnen gestifteten roten Fahne, bei welchem Akte ebenfalls Dr Rüdt eine Ansprache hielt. Eine Resolution wurde angenommen.
Baden-Baden, 1. Mai. Heute Nacht wurde die weiße Marmarbüste Kaiser Wilhelms I., welche sich in den Anlagen vor der Trinkhalle befindet, von ruchloser Hand „rot" angestrichen. Hier herrscht darüber große Erbitterung und es wäre zu wünschen, daß die eingeleitete Untersuchung sichere Anhaltspunkte bietet. — Troß des anhaltenden Regens während der letzten 14 Tage ist der Fremdenbesuch gegenüber dem Vorjahre ein ganz bedeutender.
Kempten, 2. Mai. In der Nacht zum 1. Mai ist in dem benachbarten Oberegg ein Bauernanwesen niedergebrannt, wobei 23 Stück Rindvieh, 2 Pferde und 2 Schweine in den Flamme» zu Grunde gingen. In Amendingen bei Memmingen zerstörte ein Brand daS Haus des Bäckermeisters Trautmann. Der Verdacht der Brandstiftung fiel auf eine der Familie nahestehende Person. Dieselbe wurde noch in der Nacht verhaftet und ins Gefängnis Memmingen eingeliefert. Auch beim Brand in Oberegg wird Brandstiftung vermutet.
Kronberg, 2. Mai. Der Kaiser besuchte gestern vormittag die alte Bergruine Kronberg. Die Tafel in Schloß Friedrichsruh zählte 11 Gedecke. Zahlreiche Kriegervereine marschierten gestern abend mit klingendem Spiel am Schlosse vorüber, um dem Keiser ihre Huldigung darzubringen. Nach der Tafel erledigte der Kaiser Regierungsgeschäfte und unternahm nachmittags mit seiner Mutter eine Spazierfahrt über den von der Kaiserin Friedrich neu angelegten Weg von Schloß Friedrichshvf nach der hohen Mark. Von dort fuhren die Majestäten über Oberhöchstadt und Schönberg nach Fricdrichshof zurück. Abends um 8 Uhr reiste der Kaiser ab.
Berlin, 2. Mai. Die Maifeier scheint nach den eingelaufenen Nachricht ruhig verlaufen zu sein; wenn auch Hw und da unreife Burschen demonstrirten.
— Frhr. v. Schele veröffentlicht im Kolonialblatt einen Bericht über seine Expedition durch den Süden Deutschostafrckas und gelangt zu dem Schluß, das durchforschte Land biete sowohl für den Plantagenbau als auch als Auswanderungsgebiet so viel günstige Aus
sichten, daß dieser Besitz allein die Erhaltung der Kolonie, auch wenn sie noch auf lange Jahren Kosten verursacht, erfordere. Für Ostafrika empfiehlt Frhr. v. Schele die Anlage von Eisenbahnen, das einzige Mittel, das Land dem Handel und Verkehr in größerem Maßstabe zu erschließen.
Wien, 1. Mai. Ueber den Umfang des Ausstandes wird gemeldet, daß noch 9000 Tischlergesellen streiken. 113 Meister haben die Forderungen der Gehilfen bewilligt, die übrigen Weitster verharren auf ihrem ablehnenden Standtpunkte. 500 Streikende sind nach der Provinz abgereist.
Graz, 2. Mai. Die Rettung der im Zugloch eingeschlossenen Höhlenforscher ist trotz der angestrengten Thätigkeit noch immer nicht gelungen. Heute Nachmittag trifft ein Taucher aus Triest mit zwei Gehilfen ein, um die Rettung zu versuchen.
Aus der Schweiz, 2. Mai. Aus dem ganzen Älpengebiet bis herunter zu den Oberländer Seen wird reichlicher Schnefall geweidet, welcher von einem merklichen Sinken der Temperatur in der Ebene bekleidet war. Infolge der anhaltenden Nässe ist eine ausgiebige Heuernte gesichert, und nun kommen an vielen Orten beträchtliche Mengen von vorjährigem Heu zum Vorschein, w.lche gewinnsüchtige Bauern während der Futternoth aufgespeichert hatten und jetzt zu sehr niedrigen Preisen losschlggen müssen.
Paris, 3. Mai. Nur ein geringer Theil der Arbeiterschaft hat heute gefeiert. Die Stadt trug den ganzen Tag die gewöhnliche Physiognomie. Auch in in der Provinz war es ruhig. In Roubaix feierten alle Arbeiter.
— Der Vergleich zwischen den Liquidatoren der Panamagcsellschaft, dem Verwalter des Reinachschsn Nachlasses und Cornelius Herz ist gerichtlich bestätigt worden. Die Reinachschen Erben zahlen 1550 000 Cornelius Herz 1500000 Fr. Dadurch ist die Verfolgung gegen Herz erledigt.
Parrs, 2. Mai. In Roubaix, wo bekanntlich die gesamten Mitglieder der Gemeindebehörde Sozialisten sind, begann die gestrige „Maifeier" mit Kanonendonner.
Lüttich, 4. Mai. Heute Abend 11^ Uhr fand vor dem Hause des Doktor Renson in der Rue de la paix eine Dynamitexplosion statt, welche beträchtliche Verheerungen anrichtete. Doktor Renson und dessen Frau wurden verwundet, der untere Teil des Gebäudes erheblich beschädigt, die Verkleidung des Hausflures vernichtet. In den Nachbarhäusern wurden zahlreiche Fensterscheiben zersprengt.