Geilage zur „WNbader Chronik"
2Cr. 141 DLsrrslrÄL, 8. DsLSvLbsr 1832.
Die Kleintierzucht
u. ihr Einfluß auf den Bolkswohlstand-
(Schluß.)
Wolle es sich doch Niemand einfallen lassen, ohne die gründlichsten Kenntnisse und Erfahrungen gleich mit einer großen Geflügelzuchtanstalt zu beginnen. Das war ja der Fehler der Milliardenjahre, wo unsere Braven in Frankreich sehr wohl gesehen haben, welch ungeheuren Nutzen die Geflügel« und Kaninchenzucht bringt, nicht aber gelernt haben, wie man Kleintierzüchter wird. Damals wanderten viel zu hohe Summen für „Raffetiere" in das Ausland; die leidige Sportgc- flügelzucht" mit edlem französischem, englischem, chinesischem, japanischem, indischemGe- fiügel beherrschte bis Mitte der 80er Jahre den deutschen Markt und hat manchen Landwirt ruiniert, vielen Liebhabern ein unsinniges Geld gekostet. Wer's hat, ja der kann diesen schönen Sport treiben, er ist besser wie mancher andere, aber praktischen Wert hat er gar nicht. Unser bewährtes deutsches Landhuhn verbessern, das sollte das erste Ziel der Hühnerhaltung sein. Unsere Gans und Ente bedürfen gar keiner Verbesserung, die genügen vollständig so, wie sie sind. Straßburg ist ein glänzendes Beispiel hochentwickelter Gänsezucht, bei so manchem Leser werden auch hier einige statisti- ische Zahlen Staunen Hervorrufen. Alljährlich kommen auf den Straßburger Herbstmarkt aus der Umgegend mindestens 150 000 Gänse, der Gänseleberpastetenhandel bringt alljährlich innerhalb der 6 Monate seines Betriebes mehr als 2 Mill. Mark in Umlauf. Eine schlecht behandelte oder schlecht gepflegte Gans gedeiht nicht, daher pflegt man in Straßburg die Gänse mit besonderer Sorgfalt. Die Ente eignet sich ihrer ganzen Natur nach nur für ländliche Verhältnisse und nur für Gegenden, wo größere Weiher oder fließendes Wasser in unmittelbarer Nähe sind. Dort aber wird ihre Zucht so vorteilhaft, daß ihr Wert doch heute schon so ziemlich allenthalben geschätzt und genützt wird.
Ohn' Fleiß, kein Preis! Jeder, der mit Geflügelzucht Gewinn erzielen will, wird sich auch zu den verschiedenen Arbeiten bequemen müssen, in welchen allen Frankreich uns als Vorbild dienen kann. Geflügelmästung ist geradezu eine Vermögensquelle; aber auch äußerste Sorgfalt und Ordnung in Aufbewahrung und Sammlung der Federn und auch des verhält- nißmäßig unglaublich wertvollen Dunges gehören zu einer nutzbringenden Geflügelzucht. Es kann unmöglich unsere Aufgabe sein, eingehende Anleitung zur Geflügelzucht und Hal- , rung zu geben. Wir betonen nur zweierlei: äußerste Vorsicht und Umsicht bei dem Ankäufe, nicht blindes Bestellen auf verlockende Anpreisungen hin. Man wird sich stets am besten an die Leitung großer Vereine, aber nicht Sports-, sondern mehr landwirtschaftlicher Verein, wenden. Sodann peinlichste Sorgfalt mit Bezug auf die Erhaltung des Gesundheitszustandes, insbesondere Reinlichkeit und sofortige bedingungslose Entfernung jedes auch nur kränklichen Stückes. Des weiteren aber empfehlen wir für die landwirtschftliche Geflügelzucht zwei Werke, die jede theoretische
Anleitung erschöpfend geben; Dr. Ruß, Das Huhn als Nutzgeflügel für die Haus- und Landwirtschaft" (Creutz Magdeburg), ein ausreichendes Buch für die Hühnerzucht in kleinen Verhältnissen und für mittlere und größere Züchtereien „Düngen, Die Geflügelzucht nach ihrem jetzigen rationellen Standpunkt." Dieses Prachtwerk schildert uns auch die französischen Mustergeflügelhöfe und giebt die genauesten Anleitungen zum Gebrauche der Brutmaschinen bei dem Betriebe im Großen.
Während aber in Deutschland Geflügel doch allenthalben gehalten wird, steht (mit Ausnahme von Berlin) der Kaninchen- Züchtung ein seltsames Vorurteil entgegen. Unerklärlich bleibt es, daß, trotz der zunehmenden Verteuerung des Fleisches, gerade in Deutschland gegen den Genuß des so gesunden, wohlschmeckenden und nahrhaften Kaninchenfleisches eine lächerliche Voreingenommenheit besteht, zumal in den höheren Kreisen; während man in Frankreich, Belgien, England dasselbe (und zwar offen unter seinem Namen) in allen Ständen, auch an den vornehmsten Tafeln, speist. In Frankreich werden nach den amtlichen statistischen Angaben gegen 100 Mill. Kaninchen jährlich gezüchtet und verkauft. Freilich, wenn wir diese wirtschaftlichen Verhältnisse des Nachbarlandes betrachten und dagegen deutsche Verhältnisse nehmen, so werden wir ganz andere Erklärungen für ven unerschöpflichen Reichtum desselben finden, als „klimatische Vorzüge" und „Rückgang der Bevölkerung". Das ist ja die Hauptwichtigkeit der Kaninchenzucht, daß auch die ärmste Familie durch sie in die Lage gesetzt wird, sich Fleisch zu gönnen, zugleich aber auch für Jedermann ohne Vergleich billigeres Fleisch geschaffen wird, als wir bis jetzt haben. Daß Kaninchenfleisch mit dem Fleische abgetriebener alter Pferde gar nicht zugleich genannt werden kann, wird schließlich jeder zugeben. Der Kaninchcnbraten steht weder dem Hühner- noch dem Hammelfleisch nach; Kaninchenpasteten zählen in England und Frankreich zu den beliebtesten Leckerbissen. Es gibt ferner am Kaninchen nichts, was nicht benutzt oder verwertet werden könnte; ein Tier liefert jährlich gut 200 Gramm feine Duhnenwolle, von der das Kilo mt 12 Mk bezahlt wird; ein Tier liefert jährlich ca. 1 Ztr. Dünger, den der Gärtner besser noch wie Taubenmist bezahlt; der Balg ist jederzeit an die Kürschner gut abzusetzen. Was aber das Kaninchen so unendlich wertvoll, so einfach unersetzlich erscheinen läßt, ist seine fast grenzenlose Bescheidenheit. Die Geflügelzucht ist stets an Besitz von Grund und Boden gebunden, Kaninchen kann und soll der ärmste städtische Arbeiter Hallen. Die Kaninchenzucht erfordert keine besonderen Auslagen, keine Geduld zum Abwarten des Ertrages, sondern lohnt schon ununterbrochen nach ewigen Monaten und läßt nie nach; sie ist und bleibt eine goldene Erwerbsquclle für den ganz kleinen Mann, welcher damit nicht nur seinen Fleischbedarf deckt, sondern auch aus dem Verkaufe gemästeter Tiere ein schönes Stück baren Geldes löst. Die Stallanlage wird kostenlos in alten Kästen gemacht, die Fütterung mit Küchenabfällen aus der eigenen und fremden Küche, mit Gras und Kräutern, von den Kindern an Gräben, in Wäldern und an Waldrändern und Heiden gesammelt, mit
Fallobst und Kartoffeln, ab und zu einem Stückchen hart gewordenen Brotes und drgl., kostet auch im ärmsten Haushalt wiederum so viel wie nichts, wie sehr lohnt sich also gute Wartung und Pflege, das einzige, was die Tiere im engen Raum bedürfen. Welch ein Glück, wenn bereits nach wenigen Monaten, von da aber in regelmäßiger Folge, ein kostbarer Braten auf demselben Tische steht, auf welchem man bisher kein Fleisch sah. In Berlin, in dessen Umgebung mit größtem Erfolge schon einige größere Züchtereien sind, kostet das Pfund Kaninchenfleisch auf dem Markte 25 Pfennig' Die Mililärküchen dort beachten bereits dieses billige, zarte, ausgezeichnete Fleisch. Die Lazarete nehmen es alle. Sowie der Verbrauch dieser Anstalten ein allgemeiner wird, werden viele Besitzer größererZüchtcreien reiche Leute werden.
Der gleiche Fehler wie bei den Hühnern, wurde von uns nach 1870 mit den Kaninchen gemacht. Wir waren eben im Milliarden- taumcl und das Beste war uns nicht gut genug. Auch hier wurden die teuersten Sportsraffen eingeführt, so die Widderkaninchen aus Algier, 5—6 Kilo schwer, die bei uns natürlich sämtlich starben, ,m günstigsten Fall ausarteten, es genügt unser ziemlich verkommenes deutsches Kaninchen, das aber bei vernunftgemäßer Züchgung und Pflege in 2 bis 3 Jahren wieder auf eine Höhe gebracht ist, daß es dem Lapin ganz ebenbürtig ist. Wer Geld hat, der thut vielleicht gut, sich aus dem Elsaß Lapins zu kaufen; der Arme hüte sich vor Ausgaben. Wenn er ein gutes Wort ausgiebt, bekommt er schließlich deutsche Kaninchen geschenkt! Wenigstens vorläufig noch. Ohne jede Schädigung der Elterntiere kann man das Mutterkaninchen 5mal im Jahr belegen lassen und einen Rammler für sechs Weibchen halten. Diese werden jedesmal 4 bis 5 Junge im warmen Neste haben, sehr oft auch mehr, so daß also mit diesem kleinsten Zuchtanfang der Minimalertrag im Jahr an Jungen 120 Stück ist. Nach 4 Monaten schon sind diese Ju,»gen reif zur Mästung, die in 4 Wochen beendet ist, schon nach !4 Tagen Mastzeit aber genügen die jungen Kaninchen um einen Braten zu liefern, so vortrefflich und schmackhaft, daß er den verwöhntesten Feinschmecker befriedigen wird. Das Gewicht des gemästeten Landkaninchens beträgt 7 bis 9 Pfund, nur 5 Pfund Fleisch berechnet, liefert also obige kleinste Zucht dem Haushalt pro Jahr 600 Vfund Fleisch. Wo in aller Welt hat das jetzt ein.kleiner Handwerksmann oder eine Arbeiterfamilie in Deutschland ? I Diese Zahlen aber sind gering, nicht hoch angenommen, die wenigen Tiere, welche bet der Sorgfalt, die einer so kleinen Zucht zu teil wird, sterben, sind reichlich in Abzug gebracht. Möchte also doch endlich unser Kaninchen in seinem ungeheuren Werte erkannt werden, in chm ist ein gewaltiges Hilfsnuttel zur Lösung der sozmlen Frage verborgen. Auch für die Anzucht und Pflege des Kaninchens ist ein volkstümliches ganz vortreffliches Lehrbuch zu empfehlen: „Brinkmeiers Kaninchen-Buch". (Schröter Ilmenau.) Möchte doch endlichen Deutschland der Wert der Kleintierzucht erkannt werden, und sich namentlich der „kleine Mann" in der Stadt und auf dem Lande, ihr in sorgfältiger, vernunftgemäßer Weife widmen, eine bedeutende Förderung des volkswirtschaftlichen Gedeihens würdedie Folge sein. (Schw.M)