462

ihn betroffen haben soll, doch auf Wahr­heit beruhen. Der Appetit ist gleich Null; er, der sonst ein kolossaler Esser war, läßt die meisten Speise» unberührt. Wie soll der gewaltige Körper unter solchen Umstän­den zu Kräften kommen? Der Fürst ist reisescheu, weil er eine bedeutende Ver­schlimmerung seines schmerzhaften Leidens, das ihn heute noch Tag und Nacht Plagt, befürchtet; er traut sich nur an Helle», son­nigen Tagen ins Freie. Der Fürst ließ sich jetzt einen Bart stehen, da ihm das Ra- siren durch fremde Hilfe lästig ist und er selbst sich jetzt nicht rasiren kann. Vom 23. Juli bis 26. Aug. hat Bismarck 24 Soolbäder genommen; am letztgenannten Tage badete er bei 28 Grad Reaumur, blieb fast V- Stunde im Wasser und zog sich die verhängnisvolle Erkältung zu, als er an dem sehr kühlen Tage eine große Stecke bar­häuptig durch die Menschenmenge ging. Trotzdem empfing er am 27. Aug. die Frank­furter, und dies hat ihm vollends denKrach" gegeben, wie Graf Herbert sagte. Am 28. Aug. konnte er noch eine Spazierfahrt un­ternehmen, und dann blieb er wochenlang gänzlich unsichtbar. An eine Lungenentzünd­ung kann man bei dem hohen Alter des Fürsten nicht glauben, denn die hätte er schwerlich überstanden.

Kassel, 25. Sept. Aufsehen erregt der unter eigentümlichen Umständen erfolgte Selbstmord eines jungen Mannes, aus Ulm gebürtig, der lange Jahre als Buchhalter in einem der ersten Bankgeschäfte tbätig und als eifriger Sportsmann, Radfahrer und Ruderer in den weitesten Kreisen bekannt war. Derselbe machte vergangene Nacht noch die Ballfestlichkeit der Radfahrer in der vergnügtesten Weise mit, bekam eine Differenz mit einem jungen Mädchen und regte sich aus Eifersucht derart auf, daß er während des Tanzes in seine Wohnung ging und sich erschoß.

Köln, 2. Okt. Bei dem teilweisen Ein­sturz des im Bau begriffenen Hotels zum gold. Drachen in Königswinter wurden 3 Personen getötet, 3 verwundet; 3 sind noch verschüttet. Pioniere besorgen die Aufräumung. Für die Hinterbliebenen ist eine Sammlung «ingeleitet.

Köln, 2. Okt. Nach derK. Z." ist bei der Antisklaverei-Gesellschaft ein Telegramm eingetroffen, wonach Major v. Wißmann am 7. Juli am Tanganjika angekommen ist. Derselbe hatte dort schwere Kämpfe zu be­stehen, di- jedoch siegreich und mit der Be­freiung von mehreren hundert Sklaven en­deten.

Bezüglich der gesetzlichen Regelung der Entschädigung für unschuldig Verurteilte haben wir bereits in gedrängter Kürze eine Notitz derN. A. Z." mitgeteilt, die etwas genauer dahin lautet, daß die Regelung dieser Frage gleichzeitig mit der Einführung der Berufung in Aussicht genommen sei. Der Entwurf soll sich außer auf diese beiden wichtigen Punkte noch auf zahlreiche Aenderungen und Ergänz­ungen der Strafprozeßordnung und des Ge­richtsverfassungsgesetzes erstrecken. Namentlich soll ein abgekürztes schleuniges Verfahren gegen auf frischer That betroffene und über­führte Uebelthäter eingesührt werden, welches nach dem Vorbilde des französischen und eng­lischen Rechtes die sofortige Aburteilung er­möglicht. Der Entwurf soll vom preuß. Ju­stizministerium unter Beteiligung des Reichs­justizamtes ausgearbeitrt und bereits in allen Einzelheiten vollendet sein.

Eine ganz ungewöhnliche Erscheinung ist das Usberwiegen der Auswanderung aus

den Vereinigten Staaten über die Einwan­derung aus Europa. Nach amerikanischen Berichten von DaMpfschiffahrts Gesellschaften übertrifft die Anzahl der Auswanderer in die Mittelmeergebiete das Doppelte der Ankömm­linge, und nach Bremen gehen 10 bis 20 pCt. mehr Passagiere, als von dort Herkom­men. Wenn die Beobachtungen der Schif­fahrts-Gesellschaften wonach dieser Umschwung die Folge der Schließung von Bergwerken und Fabriken wäre, wirklich zutreffen, dann müßte die Geschäftskrise in den Vereinigten Staaten für noch gewaltiger gehalten werden als es nach den bisherigen Anzeichnen ge­schehen ist. Indessen bietet sich für den merk­würdigen Vorgang wohl noch eine andere Er­klärung dar. Man darf annehmen, daß die Chicagoer Ausstellung Tausenve von Arbeits­kräften über den Ozean geführt hat, die jetzt wieder frei werden und den Rückweg nach Europa einschlagen.

Charleroi, 2. Okt. Die Zahl der Ausständigen im Bassin von Charleroi ist auf 16,000 gestiegen. In Marchienne, Chate- lineau, Charleroi und Dampremy ist der Strike ein vollständiger. An allen übrigen Orten nahm ein Teil der Bergleute die Ar­beit wieder auf. Die Ruhe wurde nirgends gestört.

Neapel, 3. Okt. Heftige Gußregen seit der vorigen Nacht verursachten Ueber- schwemmungen; 20 Häuser mußten ge­räumt werden. Zwei Brücken sind gebrochen, der Tramwayverkehr ist teilweise eingestellt worden. In der Umgegend wird der Scha­den auf 20,000 Lire berechnet. In Florenz wurden viele Brücken weggerissen. In Lucca wurden 2 Personen unter eingestürzten Häu­sern begraben. In der Provinz Bologna gab es 3 Opfer. Die Bahnlinie Faenza-Florenz und Ferrara-Modena sind überschwemmt.

Ber mischt es.

Das Koupieren der Eisenbahn-Fahr­karten durch die Schaffner kommt vom 1. Okt. an auf der Linie LeipzigHalleMagdeburg in Wegfall. Es tritt dafür eine einfache Billetkontrolle der Reisenden beim Betreten des Bahnsteiges ein, wie sie bereits in Ber­lin im Lokal- nnd Vorortsverkchr eingeführt ist. Wenn sich diese Maßregel, die außerdem zunächst noch auf der Strecke Braunschweig» Berlin getroffen wird, bewährt , so soll sie auch auf den andern deutschen Bahnen zur Einführung kommen. In England und Frank­reich ist dies längst der Fall.

Auf dem Schwa rzwald ist wieder einmal ein Bauer auf einen höchst plumpeu Zigeunerschwindel hereingefallen. Das Haus des Bauern, so berichtet derSckwarzw." ist nämlich vor vielen Jahren einmal abge­brannt. Nun kommt vor einigen Tagen eine gut gekleidete Zigeunerin zu ihm und sagt, sie könne es machen, daß das Haus niemals mehr abbrenne und daß nur Glück und Segen in demselben herrsche. Dem Bauer war dies recht und bereitwillig erhielt die Zigeunerin einen verlangten Faden, den sie zu ihrer geheimen Mission brauchte. An den Faden wurden nun drei Knöpfe gemacht und mit demselben eine Messung des Bauern in Läng«, Breite u. f. w. vorgenommen! Nach dieser Prozedur wickelte die Zigeunerin den Faden zusammen, rollte ihn zwischen den Händen und als derselbe wieder anS- einander gezogen wurde da, welch' ein Wunder befand sich nur noch ein Knopf an demselben. Das war das Zeichen, daß nun Glück und Segen in dem Haus einge- zogcn sind. Doch nun kam aber noch die Hauptsache. Damit das Errungene auch

von Bestand sei war es erforderlich, daß die Zigeunerin neun Wochen nach einander je Freitags 10 Mk. in Gold an eine kirch­liche Stiftung sende. Das Geld mußte der Bauer hergeben. Und sonderbar! Im Kasten hatte derselbe gerade 10 blanke Jold- füchsle, von denen er neun hervorholte und sie dankerfüllten Herzens der Zigeunerin übergab. Diese war damit zufrieden, nur wegen des Portos hatte sie noch einen An­stand, sie konnte es doch nicht aus ihrer eigene» Tasche zahlen und dann sollte sie doch auch noch eine Kleinigkeit für ihre Bemühungen haben, deshalb wurde:hr noch ein weiteres Goldfüchsle überreicht. Jetzt verließ sie das beglückte Haus, gewiß unter den innigsten Wünschen, daß ver Himmel den Bauer noch reckt lange so dumm er­halten möge. Die Sache wurde noch an­deren Leute» gewahr, welche der Gendarmerie davon Mitteilung machten. Diese fahndet nun nach der Betrügerin. Das Traurigste an dem Vorfall ist, daß der betr. Bauer immer »och nicht begreifen will, daß er es mit einer Schwindlerin zu lhun hatte.

Das weibliche Gigerl ist da I so schreibt dasFrankfurter Journal". Mit eigenen Augen haben wir es gestern Nachmit­tag um 4 Uhr auf der Straße gesehen. Das Herrenhütchen kokett auf dem nicht übel ge­formten Kopf, gestärktes Herrenhemd, natür­lich farbig, Herrengürtel neuester Mode, gleich­falls farbig, Stehkragen, selbstgeschlungene Herrenkravatte, bis zu den Knieen reichendes schwarzes Herrenjacket ohne jegliche Spur von Taille, dafür aber mit fingerbreiten Nähten, eine faustgroße weiße Rose im Knopfloch des linken Nockaufschlages, Schnabelschuhe und die Krone des ganzen in der weißbehand- schuhten Rechte einen zierlichen Spazierprügel so stieg6li^srl kslllininus" mit langen Gigerlschritten und im vollen Bewußtsein seines imposanten, unwiderstehlichen Eindruckes die Zeil entlang. Mehr erschreckt als erstaunt blickten die Passanten dem Prachtexemplar nach. Am Wege aber standen zwei männ­liche Kollegen, die vor Neid erblaßten.

(Ein gefährlicher Konkurrent.) Die in Lübeck erscheinendeE.-Ztz." geißelt die Fahr- Geschwindigkeit" dortiger Sekundär-Bahnen in dem nachfolgenden drolligen Artikel: Von sonst unzuverlässiger Seite wird uns mitge­teilt, daß ein Lokomotivführer der Lübeck Eutincr Bahn mit einem einbeinigen 66er Invaliden eine Distanzfahrt von Lübeck nach Gletschendorf unternommen habe. Obwohl die Lokomotive noch 14 Wagen zu ziehen hatte, schlug sie dennoch den Invaliden, der mit nur einer Schiebkarre am Bahndamme entlang humpelte, in ziemlich guter Kondition um anderthalb Pufferlängen. Die Freude des Siegers ist leider nicht ungemischt, da er von der Direktion der Bahn ernstlich ermahnt wurde, die Maschine nicht etwa noch einer solchen Strapaze zu unterwerfen. Der In­valide beabsichtigt nun, der Lübeck-Büchener Bahn eine ähnliche Distanzfahrt anzubieten, und zwar (mit Rücksicht auf die Terrain­schwierigkeiten) unter Vorgabe von zwei Kiolm.

Der Badearzt von Müggendorf in der fränkischen Schweiz macht am schwarzen Brett die Damen aufmerksam, daß bei stau­bigem Wetter die Schleppen hochgehalten werden müssen, dagegen sei es bei schmutzigem Wetter den Damen gestattet, durch die Schleppen zu der Straßenreinigung beizutragen.

Manöveridyllen" der verschie­densten Art pflegen alljährlich nach Schluß der Manöver die Runde durch die Zeitungen zu machen. Ein reizendes G-schichtchen teilt da ein Offizier des in Colmar i. E. liegenden