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Tnknhalkrrdts.
Auf dem Jelde der Lhre!
Erzählung eines alten Husaren.
Von O. Elster.
(Nachdruck verboten.)
„Ja Kinder das sind jetzt zwanzig Jahre und ich stand damals als Gefreiter bei de» Husaren. Heiß genug ging es her in den Augusttagen anno 1870."
„Erzählt einmal, Vater, wie Jbr die französische Fahne erobert habt."
„Nun, erobert Hab' ich sie gerade nicht — Ehre, dem Ehre gebührt, selbst wenn er uns auf dem Schlachtfeld als Feind gegenübergestanden hat. Mit der französischen Fahne verhielt es sich aber folgendermaßen."
Vater Wedekind lehnte sich behaglich gegen den dicken Stamm der Linde, unter der die Bank stand, und blickte eine kleine Weile in das verglimmende Abendrot hinaus, während sich die Kinder um ihn schaarten und auch einige Nachbarn näher heranrückten. Man wußte im ganzen Dorfe, welch schöne Kriegsgeschichten Vater Wedekind erzähle» konnte, der anno 66 bereits den Krieg in Böhmen mitgemacht hatte und im Jahre 70 wieder mit gegen die Franzosen gezogen war. Die Denkmünzen, das eiserne Kreuz auf der Brust und eine hübsche tiefe Narbe über das Gesicht zeigten an, daß Konrad Wedekind ein tapferer Soldat gewesen war. Nachdem der Husar seine Pfeife frisch gestopft und in Brand gesteckt hatte, Hub er an zu erzählen.
„Es war am 16. August bei Mars-la- Tour. Die Sonne brannte heiß auf die zerstampften Aecker und Felder nieder und manch braver Bursche sank erschöpft zusammen, ehe er das Schlachtfeld erreichte. Aber es hals nichts. Vorwärts! war die Losung. Der Fuchs Bazaine mußte in dem Loch bet Metz sestgebalten werden, bis König Wilhelm mit ver Hauptarmee herankam, und so warfen sich den» die Truppen i» das Gefecht, wie sie auf dem Schlachtfeld ankamen. Die braven Burschen von der Infanterie bissen sich fest, w e die tapferen Jagdhunde, die den Fuchs an den Ohren gefaßt haben; die Artillerie fuhr im Galopp die Anhöhen hinauf, um sofort abzuprotzen; nur für uns Husaren gab es vorerst nichts zu thun. Aber das sollte auch noch anders werden.
Die UebermaLt der Feinde war zu groß; unsere Artillerie hatte sich fast verschossen, die Infanterie mußte das gewonnene Terrain wieder anfgeben und wich hier und da langsam zurück. Da war es Zeit für uns, einzuhauen!
Wir Husaren hielten gedeckt hinter einem Hügel, ungeduldig auf einen Befehl zum Eingreifen wartend. Unser Commaudeur batte mit seinen Adjutanten und dem Trompeter auf dem Hügel Posto gefaßt. Ich sehe ihn noch vor nur, wie er da saß im Sattel, kerzengerade, nur den grauen Kopf mit dem langen Scknauzbart, dessen Enden wie ein Paar Eiszapfen über die Mundwinkel herabhingen, leicht nach vorn gebeugt, die scharfen blauen Augen auf das dampfende Gewühl der Schlackt gerichtet. Zuweilen scharrte sein großer dunkelbrauner Trakehner leicht mit dem Hufe oder schüttelte wie unwillig über das lange Warten den Kopf; sonst stand das Pferd ebenso unbeweglich wie sein Herr inmitten des tobenden, brüllenden Scklachteulärms während sich der
junge, mutige Fuchs des Adjutanten oft hoch aufbäumte bet den krachenden Donnerschlägen und der Trompeterschimmel scheinbar geduldig ergeben in das unvermeidliche Schicksal still dastand, mit angelegten Obren und scheuen Auges nach den aufleuchtenden Blitzen der Batterien schielend.
Jetzt richtete sich die straffe Gestalt des Obersten höher empor; er schwenkte den Säbel in der Luft; der Trompeter blies das Trabsignal; „Trra-a-ab!" hallte das Com- mando an der Kolonne entlang und rasselnd und schnaubend setzte sich das Regiment in Bewegung. Wir folgten dem Säbelwinken unseres Obersts. Ueber den Kamm des Hügels hinweg ging es in den Grund, wo vor Kurzem ein erbitterter Kampf getobt. Die ersten feindlichen Granaten schlugen in das Regiment. Stöhnend stürzten einige Gäule nieder. Der feuchte Wieseugrund war besäet mit Todten und Verwundeten, Preußen uud Franzosen bund durcheinander. Unsere Infanterie hatte dieFranzose» von eurer Stellung zur anderen getrieben; jetzt aber rang sie dort an der gegenüberliegenden, sanft ansteigenden Anhöhe mit übermächtigen Kräften; ihr Angriff stockte; sie flutete teilweise schon zurück. Das scharfe Auge unseres Obersten hatte die blitzenden Schwadronen der französischen Kürassiere bemerkt, die sich auf unsere erschöpfte Infanterie stürzen wollten. Er zog sich näher heran, um sich diesem Ansturm der Panzerreiter entgegenzuwerfen. Aber iiock war der richtige Zeitpunkt nicht gekommen. Im Trabe rückten wir näher vor, unbemerkt von den französischen Reitern. Hinter einem dichten Erleugebüsch ließ er nun die Gäule sich einen Augenblick verschnanfen.
Ein Back durchfloß das Erleugebüsch. Mehrere Verwundete hatten sich hieherge- schleppt; ein graubärtiger französischer Sergeant lag fast zur Hälfte in dem Bache, das Wasser spülte über seine Beine und seinen Unterkörper hinweg; sein todtenbleiches Haupt ruhte mit geschlossenen Augen in dem feuchten Gras des Ufers; ans einer Biustwunde sickerte langsam das Blut.
„Der arme Kerl," sagte mein Lieutenant. „Steigen Sie doch einmal ab und heben Sie den Mann aufs Trockene, er ertrinkt ja sonst noch in dem Sumpfe."
Ich sprang aus dem Zattel und wollte den alten Sergeanten aus dem Wasser ziehen. Zr schlug die Äugen auf und sah mich finster an. Dann wehrte er meine Hilfe heftig ab.
„Laßt mich, Kamerad — ich bin so durstig," stöhnte er.
Ich wollte ihm zu trinken geben — da schmetterten die Trompeten — ich sah, wie der Oberst mit seinem Adjutanten davon jagte — es war kein Moment zu verlieren. Das Galoppsignal erklang wieder und wieder — ich sprang in den Sattel — „Schenkel 'ran — laß' ihn laufen, was er kann!" — und mit brausendem Hurrah und geschwungenem Säbel prasselten wir in den Feind.
Der alte Husar machte eine Paule »' d schaute wie in Erinnerung verloren lächelnd in die Weite. Blutig rote Wolken türaitem sich im Westen auf; einzelne blitzende Sonnenstrahlen schoflen daraus hervor, wie scharf gezückte Schwerter und das dumpfe Murren eines Gewitters erklang gleich fernem Schlach- tendonner. Im Kreise der Zuschauer herrschte tiefe Stille. Manchem jungen Burschen, der demnächst auch des Königs Ehrenkleid an- ziehen sollte, klopfte das Herz vor kriegerischem Verlangen und die Kinder hingen mrt großen Augen und offenem Munde an den Lippen des Erzählers.
„Kinder," Hub der alte Husar wieder an und atmete tief auf, „solch' einen Ritt muß man selbst mitgemacht haben, um ihn sich vorzustellen. Die Pferde schnaubten und griffen wie rasend aus, daß Staub und Steine einherflogen! Die Klingen blitzten im Sonnenlicht! Die Trompeten schmetterten! Das Kleingewehrfeuer knattert unaufhörlich, die dumpfe» Donnerschläge der Artillerie krachen dazwischen — und jetzt prallen die Regimenter zusammen — der leichte Husaren« säbel gegen de» schweren Kürassierpallasch
— die Klingen kreuzen sich blitzschnell — die Hiebe sausen — rasch bückt man sich, um dem Hiebe des wuchtigen Pallasch auszu- weichen — drängt seinen schneidigen Ostpreußen an den schweren Gaul des Kürassiers und ehe dieser zum neuen Hiebe ausholen kann, fährt ihm der Säbel blitzschnell in die Brust, da wo an der Schulter der Küraß eine unbedeckte Stelle bietet.
„Hurrah! hurrah! Es lebe der König!" Die Kürassiere sind geworfen. Weiter geht die wilde Jagd durch die Linien der Infanterie hindurch auf die Batterie zu. Tod und Verderben speien die Geschütze — vorwärts ! hinein in die Bartterie I die Bedienung uiedergehauen — weiter — weiter — dort hält der Marschall mit glänzender, goldstrotzender Suite! Schon sind wir in seiner Nähe! Der Marschall selbst zieht den Degen
— unser Oberst schlägt ihm den Degen aus der Faust — streckt schon die Hand aus, um den Marschall zu ergreifen — da zerschmetterte eine Pistolenkugel seinen Arm
— wie eine Wetterwolke braust der Ansturm
neuer feindlicher Kavallerie heran — wir können nicht widerstehen — die Trompeten schmettern das Rückzugssignal — zurück — zurück-
In dem feuchten Wiesengrunde neben dem Erlengebüsch sammelten wir uns wieder. Viele von uns fehlten, aber wir hatten unserer Infanterie Luft geschafft, die jetzt wieder mit frischen Kräften Vordringen konnte.
„Abgesessen!" ertönte das Kommando.
Wir warfen uns neben den Bach nieder und Pferde und Husaren schlürften gierig das Wasser, wenn es auch mit Blut und Schmutz vermischt war.
Ich wollte meine Flasche füllen, um sie meinem Lieutenaut zu geben. Da — wahrhaftig, da lag der alte französische Sergeant »och im Wasser, jetzt aber fast bis zum Knie von den Wellen überflutet!
„Er ist todt, der arme Bursche," sagte mein Lieutenant, „zieh ihn heraus; er ist im Todeskampfe in's Wasser gesunken."
Ich zog den starren Körper an das Ufer; die Beine schienen sich in irgend einen Gegenstand verwickelt zu haben; ich beugte mich tiefer hinab, griff in das Wasser und zog den Gegenstand heraus.
„Alle Wetter! Das ist ja eine französische Fahne!" rief mein Lieutenant."
Und richtig, es war ein zerfetztes Fahnentuch, an dem noch die Splitter der Stange hingen! Der alte Sergeant hatte sich, als er verwundet niedergesunkeu war, hierher in das Gebüsch geschleppt und, um die Fahne zu retten, sich daraufgelegt. Deshalb wehrte er mch so energisch ab, als ich ihn aus dem Wasser herausziehe» wollte! Jetzt konnte der arme Kerl sich nicht mehr sträuben, und die Fahne, die er so treu und tapfer verteidigt, fiel nun doch in unsere Hände.
„Braver Bursche sagte mein Lieutenant, indem er den starren, nassen Körper des alten Sergeanten mit einem Mantel bedeckte,
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