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Semlin, 8. Sept. Heute Nacht um lUz'Uhr fand hier ein 5 Sekunden dauerndes wellenförmiges Erdbeben, parallel dem Donau­laufe, statt. Nach einer kurzrn Pause folgte ein zweiter nordwärts verlaufender starker Erdstoß.

Es scheint, daß kein Volk auf der Chicagoer Weltausstellung so viele Preise da­von getragen hat, wie das deutsche. Ein Na­menverzeichnis der preisgekrönten Aussteller liegt erst in der Gruppe der bildenden Künste vor. Dieses Verzeichnis gibt einen entschei­denden Sieg der deutschen Bildhauerkunst, denn es sind 18 deutsche Bilvhauer prämiiert worden, dagegen z. B aus den Vereinigten Staaten nur 13, aus Italien 12, aus Groß- britanien 7, aus Spanien 6, aus Dänemark und Schweden je 3 Künstler. Auf die Aus­steller deutscher Oelgemälds sind 70 Preise entfallen, und es ist damit ein Prozentsatz erreicht, welchen nur Großbritanien annähernd erzielt hat. In den Jndustriegruppen, ein­schließlich derjenigen, die das Kunstgewerbe umfassen, ist das Resultat ein noch jweitaus günstigeres, in einzelnen Gruppen derart, daß nahezu 90 Proz. der betr. Aussteller prämi­ert worden sind. In der landwirtschaftlichen Sektion sind Deutschland 21 Auszeichnungen zuerkannt, Rußland 52, Schweden 3, Däne­mark 1.

Rio- Janeiro 8. Sept. Die Befehlshaber der fremden Kriegsschiffe beschlossen auf An­raten des Kommandeurs der französischen Schiffe einzuschreiten, um die Beschießung der Stadt zu verhindern.

Nach Meldungen aus Rio de Janeiro soll die Flotte sich gegen die Negierung auf­gelehnt und die Regierung zum Rücktritt auf­gefordert haben. Die Regierung gab dem Ansinnen nicht nach. Die Garnison der Fest­ung Santa Cruz sei treu geblieben und treffe Vorbereitungen, drei Schiffe der Aufständischen in den Grund zu bohren.

Columbia, Südkarolina 8. Sept. Der Gouverneur entsandte nach den Inseln Südkarolinas einen besonderen Agenten, um die Wirkungen des Wirbelsturmes zu unter­suchen. Der Agent berichtet, daß über 20 000 Personen, größtenteils Neger, durch Hunger Durst und Krankheiten dem Tode nahe ge­bracht feien. Der Gouverneur fordert in einem Aufruf zur Unterstützung der Notleiden­den auf.

TnkwlMrndis.

Der Weaterarzt.

Humoreske von Arthur Bornstein.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Ich glaubte, das Schwerste überstanden zu haben, aber weit gefehlt I Allerdings kam das Unheil von einer anderen Seite her, als ich ahnen konnte.

Die Kranke seufzte tief auf und faßte nack ihrer, wie ick jetzt bemerkte, äußerst schmalen Taille.

Herr Doktor," wandte sich die Mutter zögernd zu mir,soll ick villeicht meiner Tochter das Korsett aufmachen?" Mit leichtem Erröthen fügte sie hinzu:Ich glaube, sie ist etwas eng geschnürt."

Heiliger Brahma, das war das Richtige, aber durfte es in meiner Gegenwart ge­schehen? Mick schüttelte es ordentlich, aber lange Zeit blieb mir vor dem fragenden Blick der Mutter nickt, immer weiter ging's auf der Bahn des Verderbens.

Da ein rettender Gedanke.

Jawohl, das wird sehr zweckmäßig sein, wenn Sie es wünschen kann ich mich ja so lange herumdrehen."

Ein verwunderter Blick der Dame traf mich; ein so schüchterner Arzt war ihr noch nicht vorgekommen.

Ich drebte mich dem Fenster zu und lehnte meinen Kopf an die Scheiben.

Ach, Herr Doktor, seien Sie doch so gut, mir etwas zu helfen, ich bekomme es wirklich nicht allein auf, es ist zu fest!" tönte plötzlich, wie die Posaunen des jüng­sten Gerichts, d>'e Stimme der Mutter mir in die Ohren.

Heiliger Himmel, wenn ich jetzt zauderte war ich verloren. Mit der größten Ruhe der Verzweiflung wandte ich mich um und half.

Ich mag mich ungeschickt genug bei dem ungewohnten Werke «»gestellt haben, aber es gelang.

Ich atmete tief auf meine Patientin ebenfalls. Sie erholte sich jetzt sichtlich und schlug nach wenigen Atemzügen die Augen auf.

Die Augen auf! Wie sich das so einfach, so unbedeutend anhört. Aber was für Augen.

Groß und tiefblau schauten sie unter der weißen, schön gewölbten Stirn mit eigenar­tigem Glanze zu mir auf. Und wunderbar wars anzusehen, wie in den ängstlich fragen­den Blicken allmählich das Verständnis auf­dämmerte, wie die Erinnerung zurückkehrte, bis sie plötzlich, ihres augenblicklichen Zustan­des sich bewußt werdend, tief errötend auf­sprang und sich ihrer Mutter in die Arme warf.

Ich wollte mich entfernen, meine Hilfe war ja nicht mehr nötig I

Aber die beglückte Mutter ließ mich, den Lebensretter ihres Kindes", nicht so ohne Weiteres los.

Sie werden uns doch ihren Namen nennen, damit wir wenigstens wissen, wem wir zu danken haben!"

Es brauste und sauste mir vor den Ohren. Also auch noch Namenssälschung, denn meinen Namen konnte ich doch unmöglich mit einem Doktor" davor nennen.

Mein Name ist Doktor Fischer."

Sehr angenehm und nicht wahr, mein lieber Herr Doktor, Sie sind doch soliebens­würdig, morgen noch einmal nach Ihrer Pa­tientin zu sehen? Das Kind hat noch niemals an solchen Zufällen gelitten. Nicht wahr, Herr Doktor, Sie kommen?!"

Meine Zustimmung mochte ich nur durch eine stumme Verbeugung anszudrücken.

Früher hatte ich mich immer für einen leidlich anständigen Menschen gehalten, beson­ders mit der Wahrheit hatte ichs immer sehr genau genommen. Und jetzt? Innerhalb einer Viertelstunde war ich zum Lügner, zum No­mensfälscher, ja zu noch Schlimmerem gewor­den. Und doch schritt ich, innerlich geknickt, aber hoch erhobenen Hauptes auf meinen Platz im Zuschauerraum zurück, beantwortete die Fragen meiner Nachbarn mit voller Kalt­blütigkeit von der Höhe meines medizinischen Standpunktes herab, als ob ich mindestens täglich eine ohnmächtige Dame wiederzube­leben habe.

Die Primadonna sang noch immer, aber ich hatte kein Interesse mehr für dieselbe, be­ständig drängten sich meiner Erinnerung ein paar blaue Augen auf.

Eine halbe Stunde nach dem Theater, womeine ärztliche Kunst" glücklicher Weife

nicht noch einmal auf die Probe gestellt wor­den war, saß ich meinem Freunde im Cafe gegenüber. Er wollte sich ausschütten vor Lachen übermeine medizinischen Er­folge."

Na, Dich hätte ich sehen mögen, wie Du die Patientin hinausschaffen ließest, und erst, wie Ihr gemeinsam das Corsett schon gut, schon gut, ich höre schon auf jeden­falls meinen allerherzlichsten Dank für die schneidige Vertretung, lieber Kollege."

Laß Deine schlechten Witze, sage mir lieber, wie ich mich aus der Affaire ziehen soll, wegen des morgigen Besuches.

Aber nichts leichter als das, morgen gehe ich eben hin und sage, daß Du aus irgend einem beliebigen Grunde verhindert seist; ich kann Dich ja z. B. verreisen lasten, ein Großonkel von Dir kann ja krank gewor­den sein und will nur von seinem berühmten Neffen-Arzt geheilt werden.

Ich schöpfte schweigend die Schlagsahne ab, die auf meiner Melange herumichwamm.

Gefällt Dir das nicht?! Ja, weißt Du wenn Du etwa die schönen, blanen Angen von denen Du mir vorhin in so verdäch­tiger Weise vorgeschwärmt, gern Wieder­sehen "

Du bist heute ungenießbar, lieber Fischer; Uebrigens gehe Du morgen nur hin, sage, was Du willst!" Ich werde sie niemals Wiedersehen, wollte ich mit Pa­thos hinzusetzen, verschluckte es aber glück­lich noch zur reckten Zeit; man kann einem so gerissenen Mediziner gegenüber, wirklich gar nicht vorsichtig genug sein.

Damit ist die Sache nun wohl end- giltig erledigt," fuhr ich fort;die Sucher sang großartig," versuchte ich das Gespräch in harmlosere Bahnen zu lenken.

Es gelang mir aber schwerlich, ihn von meinerHarmlosigkeit" zu überzeugen, so ein verflixter Pillenschreiber sieht einem auch gleich durch und durch.

Zwei Tage hatte ich es ausgehalten, zu Hause zu bleiben. Zu einer geregelten Ar­beit aber war ich nickt gekommen, bestän­dig sah ich auf dem weißen Papier, das ich für die Riste zu einem Brückenbau bestimmt hatte, das fuße Gesichtchen meinerPa­tientin" vor mir, und als ich mich einmal energisch anfzuraffen beschloß, ertappte ich mich sehr bald bei einem kläglich mißlungenen Versuche, die mandelförmigen blaue» Augen mit Bleistift nachzuzeichnen.

(Fortsetzung folgt.)

Lokales.

Wildbad, 11. Sept. Gestern fand im Konversationssaal eine Obstausstel- lung des Bezirks Neuenbürg statt, die von nah und fern eine Menge Schau­lustiger anlockte. Dieselbe wurde gestern vormittag durch den Vorstand des land­wirtschaftlichen Vereins, Hrn. Oberamt­mann Maier, mit einer trefflichen An­sprache eröffnet. Das Arrangement war vorzüglich, die Zahl der Aussteller eine über Erwarten große und die ausgestell­ten Obstsorten so reichhaltig und schön, daß man kaum glauben konnte, Produkte des Schwarzwaldes vor sich zu sehen. Vom rauhen Mostobst bis zum feinsten Tafelobst, das man sonst nur im Unter­land zu finden hofft, waren fast alle Sorten vertreten. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß die Ausstellung der Herren Weiß aus Ottenhausen wie­der das Vorzüglichste bot; auch die Ge»