Amts- imd Aykigk-Dlatt für Vildbad und Umgebung.
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Donnerstag- 25. War 1893.
29. talingang.
Uro. SS.
Württemberg.
Stuttgart, 21. Mai. Wie wir vo" zuverlässiger Seite vernehmen, wird zur Zeit durch Schutzleute bei Schneidern angefragt, inwieweit die betreffenden Handwecksleute im Malle einer Mobilmachung ihre Dienste dem Staat widmen könnten. Wir wissen ganz wohl, daß von Zeit zu Zeit derartige Erhebungen bei gewissen Branchen des Gewerbes gemacht werden, können aber nicht umhin zu bemerken, daß uns eine derartige Enquete unter den gegenwärtigen Verhältnissen als unzeitgemäß erscheint. Derartige Schritte und Maßregeln, welche dem unbefangensten Bürger allerlei Schlüffe und Vermutungen nahe legen müssen, sollten von den Behörden im Interesse ihrer moralischen Autorität unbedingt vermieden werden.
Stuttgart, 21. Mai. Seit einigen Tagen ist hier das Gerücht verbreitet, auch die Konservativen und sogar die Antisemiten wollen sich hier eine eigene Kandidatur leisten, ein Luxus, der selbstredend nur den Sozialdemokraten zu gut käme. Desgleichen wird mitgeteilt, daß man namentlich in höheren Kreisen sich einer „lebhaften Wahlenthaltung" befleißigen werde. — Etliche sanguinische Bismarckfreunde wollen Bismarck wählen — als Protest gegen den „neuen Kurs." Falls dieselben mit der nötigen Energie vergehen, ist nicht daran zu zweifeln, daß in Stuttgart der Name „Bismarck" sehr viele Stimmen auf sich vereinigen würde. Die Situation ist hier ungeklärt Und verworren. Die Einigkeit der Sozialdemokratie hier hat die staatserhallenden Parteien von der Pflicht eines geschlossenen Zusammengehens noch nicht zu überzeugen vermocht.
Stuttgart, 21. Mai. Mit dem in der Irrenanstalt Wenau verstorbenen Dr. von Teuffel ist einer unserer gesuchtesten praktischen Aerzte, namentlich auf dem Gebiet der Geburtshilfe dahingeschieden. Wie bekannt, assistierte Teuffel auch- beim letzten Wochenbett der verstorbenen Prinzessin Marse. Teuffel war in zweiter Ehe der bekannten amerikanischen Schriftstellerin Blanche Howard verheiratet.
— Der Würtü Schutz verein für Handel und Gewerbe nimmt nun gleichfalls Stellung zu den bevorstehenden Reichstagswahlen, indem er folgenden Aufruf ergehen läßt: „Nachdem der Reichstag wegen Ablehnung der Miiitärvorlage in Form des Antrags Hüne aufgelöst worden, ist zu befürchten, daß bei den bevorstehenden Reichstags- wahlcn gerade die Militärvorlage so sehr in den Vordergrund gedrängt wird, daß die Stellung zu derselben das einzige Motiv bilden wird, nach dem die Abstimmungen sich richten. Der Reichstag wird aber nicht nur
wegen der Militärvorlage gewählt; er hat eine gesetzliche Dauer von 5 Jahren, innerhalb welcher eine Reihe von wirtschaftlichen Fragen, die in unser Erwerbsleben tief einschneiden, zur Entscheidung gelangen werden Es ist für den Mittelstand zu beklagen, daß seither die Stellungnahme zu solchen Fragen viel zu sehr in den Hintergrund gestellt wurde und daß unsere Standesgenoffen dem Appel der polnischen Parteien ohne Rücksicht auf die eigenen Interessen viel zu willig gefolgt sind; so lange die Parteiinteressen über vie wirtschaftlichen Interessen des Mittelstandes gesetzt werden, wird dieser aus seiner Notlage nicht befreit werden. Bei den bevorstehenden Wahlen empfehlen wir daher, jeden der Kandidaten, sei es durch eine besondere Deputation sei cs durch Anfragen in den Wahlversammlungen darüber zu interpellieren, wie sie sich zu unseren Forderungen stellen : 1) Einschränkung der Konsumvereine auf die Kreise, welche innerhalb der Grenze der sozialen Gesetzgebung sich befinden. (Einkommen bis 2000 Mk.) Desgleichen: Verbot der Beamten- und Offiziersvereine, welche den Zweck gemeinsamen Warenbezugs verfolgen 2) Einschränkung des Hausiergewetbes auf gesetzlichem Wege auf Grunv der Bedürfnislage, Verbot des De- tailreisens, der Wanderlager, der schwindelhaften Ausverkäufe. Gesetzliche Bestimmungen gegen illoyale Konkurrenz nach Muster des französischen Gesetzes gegen oouourronos äälo- zmls. 3) Progressive Gewerbe- und Einkommenssteuer in der Weise, daß ein Großbetrieb verhältnißmäßig höheren Steuersatz zu leisten hat, als ein Gewerbetreibender mit einem den Lebensunterhalt kaum deckenden Ertrag seines Geschäfts."
Stuttgart, 22. Mai. Eine für die zahlreichen Imker Württembergs interessante Entscheidung ist dieser Tage vopl Reichsgericht getroffen worden. Ein süddeutscher Honigfabrikant hatte bis vor kurzer Zeit, seinen von ihm fabrizierten „Schweizer Alpenhonig" zum Verkauf angepriesen. . Sein Fabrikat wurde jedoch, vom Ländgericht einer Prüfung unterzogen, wobei cs sich herausstellte, daß der gepriesene „Schweizer Alpenhonig" aus Chile bezogen war, ein Kunstprodukt sei und 58 pCt. Glykose — aus Kartoffel- oder Stärkezucker — enthalten, im übrigen aber aus einem Absud verschiedener Kräuter bestehe. Das Landgericht glaubte den Begriff „Honig" dahin definieren zu müssen, daß darunter der von den Bienen gesammelte Blütensaft zu verstehen sei und verurteilte den Honigfabrikanten zu 3 Wochen Gefängnis und 1000 Mk. Geldstrafe. Hiegegen legte der Honigfabrikant Revision beim Reichsgericht ein, weil nach seiner Ansicht der Begriff Honig vom Landgericht unrichtig definiert worden sei. Das
Reichsgericht trat jedoch den Ausführungen des Angeklagten entgegen und trat dem Urteil des Landgerichts in allen Punkten bei.
Cannstatt, 21. Mai. Unsere Metzger haben dem durch den Futtermangel verursachten Rückgang der Viehpreise nunmehr Rechnung getragen und den Preis des Kalbernd Schweinefleisckes herabgesetzt. (Das gleiche wird von Riedlingcn gemeldet.)
Eßlingen, 21. Mai. Das Württ. Kriegerbundesfest gestaltete sich diesmal dank der prächtigen Witterung zu einem wahren Volksfeste. Von ven Türmen, von den Höhen von der Burg flattern Fahnen in den verschiedensten Farben, das Innere der Stadt gleicht einem Farbenmeer, überall Guirlanden, Kränze, Inschriften, Draperien. Nach dem festlichen Empfang des Ehrenpräsidenten Sr. H. des Prinzen Weimar und des Präsidiums fand um 10 Uhr Vorm, die Sitzung des Bundes« ausschusscs im Rathaussaal statt. Nach derselben Mittagessen im Palm'schen Bau bei welchem der erste Toast des Ehrenpräsidenten S. Maj. dem König galt. Um 7 Uhr begann das Bankett in Kugels Festsaal. Der Vorsitzende des Festausschusses, Bankier Otten- bacher eröffnete die Versammlung und brachte ein begeistert aufgenommenes Hoch auf Kaiser und König aus. Stadtschultheiß I)r. Mühlberger toastierte in glänzender meisterhafter Weise auf den Ehrenpräsidenten Prinz Weimar, worauf der letztere dankend erwiderte Und ein Hoch auf die gute Stadt Eßlingen ausbrachte. Es folgen noch verschiedene Toaste u. A. von Stadtschultheiß Bätzner-Wildbad auf die Frauen.
— Der zweite Festtag wurde mit Tagwache und Kanonendonner eingeleitet. Bald brachten die Züge Gäste von allen Richtungen, stets mit Musik und von dem Festausschuß empfangen. Um halb 9 Uhr begannen unter dem Ehrenpräsidium des Prinzen Weimar und dem Präsidium des ObersthofmarschallFrhrn. v. Wöll- warth die Verhandlungendes 11. Bu ndestages in der Staatsturnhalle. Nach der Begrüßung bringt der Ehrenpräsident zunächst ein Schreiben Sr. Maj. des Königs, welcher durch seine Reise nach Arolsen dem Feste nicht beiwohnen konnte, zur Kenntnis der Kameraden. Bei den Verhandlungen wurde u. a. auf Antrag des Prä- sidims beschlossen: Der Reinertrag der Lotterien hat als Kapitalvermögen des Württemb. Kriegerbundes erhalten zu bleiben, das einen Bestandteil des Grundstocks der Witwen- und Waisenkasse bildet. Der Antrag von Tübingen, wonach das Präsidium einleiten sollte, daß den ausmarschierten Vereinsmitgliedern auf Ansuchen und auf Gmnd ärztlicher Verordnung ohne Amtsurkunde Freibäder und freie Kurtaxe in Wildbad verwilligt werde