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Berlin, 22. April. Gestern abend fand in den Gcrmaniasälen eine von ca. 1000 Personen besuchte Versammlung selbstständiger Handwerksmeister statt behufs Gründung einer Mittelstandspartri. Es sprachen die Abgeordneten Ackermann (kons.), Bachem und Metzner (Zentr.), Liebermann v. Sonnenberg (Antisemit). Es wurde beschlossen, eine eigene Handwerkerpartei zu gründen und dieselbe auf den gesamten städtischen Mittelstand auszudehnen.
Berlin, 25. April. Das „Berliner Tageblatt" meldet aus Rom, es bestätige sich, daß der französische Botschafter am Sonntag Abend, nach dem Besuche des deutschen Kaiserpaares, über eine Stunde beim Papst verweilte.
— Der „Reichsanzeiger" sagt in einem Artikel über die Romreise des Kaiserpaares, dieses sei mit der Aufnahme in Rom in hohem Maße zufrieden. Die freundschaftlichen Gefühle und Gesinnungen des italienischen Königs- Paares theile die ganze Bevölkerung, welche keine Gelegenheit vocübergehen läßt, um dem Kaiserpaar ihre Huldigung darzubringen, die bei dem lebhaften feurigen Temperament des Südens oft in einer für den Nordländer ungewohnten Weise zum Ausdruck komme.
Lübeck, 23. April. Auf den Pastor Becker von der St. Marienkirche wurde gestern durch einen soeben entlassenen Sträfling kin Attentat durch 5 Revolverschüsse ausgeführt. Pastor Becker wurde tödtlich verwundet; der Attentäter ist verhaftet.
Wien, 24. April. Die hiesigen Zimmer - mannsgehilfen begannen heute wegen verweigerter Lohnerhöhung einen Strike. Von 1500 Gehilfen sind jetzt 600 ausständig. Die Strikenden verhalten sich ruhig.
Graz, 24. April. Sinkende Maurer, etwa 1200 Mann, versuchten heute ihre nicht- strikenden Genossen von der Arbeit abzuhalten und von den Gerüsten zu vertreiben. Die Wache schritt ein. Drei Wachleute wurden durch Steinwürfe verwundet. Die Gendarmerie stellte die Ordnung wieder hier.
Rom, 23. April. Gestern nach 5 Uhr fand vor dem Schloß eine Stunden lang dauernde, großartige erhebende Volkskundgebung für das Königspaar stattt, das lange auf dem Balkon stand und tiefbewegt dankte.
Rom, 24. April. Dis Parade fand auf dem vom Tiber, vom Monte Mario und dem Monte Pasodi eingkschlossenen Exerzierplatz Aufstellung. Ihnen gegenüber die zahlreich erschienenen verabschiedeten Offiziere. Dis Infanterie defilierte im Schritt, die Bersaglieri im Laufschritt, Kavallerie und Feldartillerie im Galopp. Das Haupinteresse erregte die Gebirgsartillerie, wobei je 6 Maulesel ein zerlegbares Geschütz trugen. Der Kaiser äußerte wiederholt seine hohe Anerkennung. Zum Schluß bildeten die Truppen ein offenes Carrä und brachten den Majestäten ihre Huldigung dar. Auf der Rückkehr kam es zu enthusiastischen Kundgebungen. Um HV- Uhr trafen die Majestäten wieder im Quiri- nal ein.
Roni, 24. April. Die kaiserl. Majestäten begaben sich gest rn von der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan in preußischen Hofwagen zum Vatikan. Auf dem Wege dorthin bildeten die italienischen Truppen Spalier. Das Publikum begrüßte die Majestäten auf's herzlichste. Das Kaisecpaar traf gegen 3 Uhr im Vatikan ein, von Hochwürdenträgern des Papstes empfangen. Der Papst selbst empfing die Majestäten am Eingang des gelben Saales. Die Kaiserin verweilte daselbst eine Viertelstunde lang. Der Kaiser blieb sodann noch allein eine halbe Stunde bei dem Papste,
während die Kaiserin die vatikanischen Sehenswürdigkeiten besichtigte. Die Rückkehr nach der Gesandtschaft erfolgte um Uhr.
— Die nunmehr in ihrem reichsten Schmucke prangende Stadt ist noch belebter als an vorhergehenden Tagen. 101 Kanonenschüsse kündigten gestern früh den 25. Jahrestag der Vermählung des königlichen Paares an. Der Platz vor dem Quirinal war von einer unabsehbaren Menge angefüllt. Um 11 Uhr wohnten der König und die Königm sowie die Mitglieder des königlichen Hauses der von dem Hofkaplan Msgr. Anzino in der Privatkapelle des Palastes celebrierten Messe bei. Um 10 Uhr besichtigten Kaiser Wilhelm und Kaiserin Auguste Viktoria mit Gefolge die Kirche San Pietro vi Monlorio und die Villen der Familien Corsini und Panfili; um 11 Uhr kehrten sie über die Piazza del Popolo und über den Monte Pincio nach dem Quirinal zurück. Ueberall, wo sich die kaiserlichen Herrschaften zeigten, wurden sie von dem Publikum begeistert begrüßt.
— Zum Empfange des Kaisers Wilhelm und der Kaiserin Augusta Viktoria in Luzern werden eine Kompagnie Infanterie, eine Kompagnie Sappeure und eine Schwadron Kavallerie aufgeboten werden. Bis Basel werden der Oberst-Corpskommandeur Wieland-Basel, Chef des Generalstabes Oberst Keller-Bern und Oberstlieutsnant Ruffi-Lausanne den Kaffer begleiten. Die Abordnung des Bundesrats wird von General Herzog Aarau, Obecst-Corps- kommandeur Feist-Bern und Hauptmann im Generalstab Cottorey-Freiburg begleitet werden.
Neapel, 24. April. In Torre Annunziata brach in der Kirche während des Gottesdienstes eine Feuersbrunst aus. In dem dabei entstandenen Gedränge wurden 13 Leute, gerötet, zahlreiche andere verletzt.
— Aus allen Teilen Italiens liegen Klagen über die bereits wochenlang andauernde große Trockenheit vor, die begonnen hat, die Ernte-Aussichten äußerst ungünstig zu beeinflussen; der bisher angecichtete Schaven ist sehr bedeutend.
— In Villa Pianore bei Pisa fand am Donnerstag vormittags um 10 Uhr die Trauung des Prinzen Ferdinand von Bulgarien mit Prinzessin Marie Louffe voie Parma statt. Prinz Ferdinand schenkte seiner Gemahlin eine Krone mit Diamanten, Rubinen und Smaragden und ein Saphir-Ohrgehänge, herrührend von der Königin Marie Antoinette, ferner ein Halsband mit 190 Diamanten. Am Schluffe der Tafel brachte Stambulow auf den Herzog von Parma einen Toast aus; er sprach den Dank dafür aus, daß der Fürst seine Tochter dem Prinzen Ferdinand anver- lraute, und erklärte, Bulgarien werde oie Prinzessin ehren und eifersüchtig behüten. Die Neuvermählten reisten abends 9 Uhr nach Spezzia ab.
B,e lgrad, 22. April. Heute vormittag wurde hier ein schwacher Erdstoß verspürt.
Kopenhagen, 25. April. Der Edelhof Selso, Majorat des preuß. Rcktmeisters v. Scheel-Plesscn, ist gestern abgebrannt. 400 Kühe, alle Schweine, fast alle Pferdes sind umgekommen.
London, 24. April. Der Korrespondent der „Times" sagt, ein Prälat aus dem Gefolge des Papstes teilte mit, es zirkuliere das Gerücht, der deutsche Kaiser suche eine Verständigung zwischen Vatikan und Quirinal anzubahnen. Dies werde nur zu erreichen sein, wenn Rom dem Papst zurück gegeben werde. Auf einer andern Grundlage zu verhandeln dürfte zwecklos sein.
— Der bei der „Russischen Droguen-Ge- sellschaft in St. Petersburg seit zwanzig Jahren angestellte Kassierer Iwan Ebel hat i,i den letzten 18 Jahren nach seinem eigenen Geständnis zusammen gegen 400 000 Rubel in größeren und kleineren Beträgen entwendet und die Bücher gefälscht. Ebel ist verhaftet.
— Aus Newyork wird berichtet: Der Mammuthkäse für die Chicagoer Weltausstellung wurde unbeschädigt auf einem Güterwagen in Perth verladen. Er wiegt 22 000 Pfund. Auf Probe und Anstich erwies er sich als von Prima-Qualität. Ein Sonderzug führt ihn nach Chicago, doch wird der Riesenkäse auf allen Zwischenstationen begrüßt werden.
U»iki>h«lirndks.
Dorf und Stadt.
Eine einfache Erzählung ausbem Lebenv. M. B.
(Fortsetzung.)
Ein einziger weiterer Schritt hätte wahrscheinlich zu ihrem zeitlichen und ewigen Verderbe» genügt. Ich habe Dir noch gar nicht miigeteitt, wie wir zu diesem prächtigen Mädchen kamen. Es ist ein kleiner Roman, der so viel des Interessanten und Lehreichsn enthält, wie mancher andere nicht, den man gedruckt le,en kann. Komm', dann erzähle ich Dir.
Er ergriff den Arm des Freundes und drängte ihn nach einem hübschen Kiosk, der sich in der Mitte des Baumguts befand. Oie beiden nahmem Platz. Adolf zündete die ausgegangene Havannah wieder an und Arnold begann. Er berichtete über seine Lchwarzwaldtour, über jene anmutige Szene, die er vor dem Häuschen der Lehrerswitwe Zerweck in Thaiheim belauscht hatte, und über all die nachherigen Ereignisse, durch welche sein Interesse für Amalie und deren Verlobten geweckt worden war.
„Im Drang der Geschäfte," fuhr Arnold fort, „hatte ich jenen Zwischenfall bereits schon vergessen, da wurde meine Erinnerung daran in überraschender Weise geweckt. Als ich vor zwei Jahren am Fastnachtsdienstag aus unserem Klub, wo Ich wegen Abwesenheit meiner Frau etwas länger als gewöhnlich verweilt hatte nach Hause kam, fand ich das gleiche Mädchen, durch dessen Liebreiz und Unschuld ich damals so angenehm berührt worden war, bewußtlos und blutend auf meiner Schwelle. Ich erkannte es gleich wieder, trotz des gleißenden Aufputzes, der mit der damaligen einfach netten Tracht in nichts weniger als vorteilhaftem Gegensätze stand. Daß ich ihr ohne Rücksicht auf den schlimmen Verdacht, welcher sich in mir unwillkürlich regte, meine Hilfe angedeihen ließ, versteht sich von selbst. Die Unglückliche mußte jedoch schon am andern Morgen ins Spital gebracht werden, da bei ihr der Typhus ausbrach. Wochenlang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Ihre kräftige Natur errang endlich den Sieg. Sie genas, und nun besuchte ich sie. Ich war ihr kein Fremder. Sie wußte atzch, daß in jener Ünglücksnacht der Zufall sie vor mein Haus führte und daß ich für sie gesorgt hatte. Durch den Arzt war es ihr mitgeteilt worden. Mit Thräuen in den Augen dankte sie mir. Mein Anblick rief ihr noch andere Gedanken in's Gedächtnis zurück. Sie erinnerte sich jenes Abends, der uns zum ersten Mal zusammengeführt hatte. Ihre Thräuen flössen noch reichlicher. Ich sah, wie ihr ganzes