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die niedrigen Leidenschaften der Masse gegen eine andersgläubige Minderheit aufrufen zu wollen, hat kein Recht, jemanden Streitsucht vorzurücken.

4. DieAnfrage" spricht von der weit­gehendstenToleranz", die hier, am Fremden- platz und Kurorte, gegen Andersgläubige ge.' übt werde. Ich versichere den Einsender, daß wir Katholiken nichtlichtscheu" sind, daß wir nötigenfalls dieToleranz", womit uns hier dieAnfrage" bedenken will, ungeschsut im In- und Auslande, in niederen und hohen Kreisen werden bekannt zu machen wissen. Ob die Schritte, die uns die Notwehr gebieten ckönnte, dem Fremden- und Kurplatze zu dessen Aufblühen unsere katholischen Einricht­ungen nicht an letzter Stelle beigetragen haben sehr förderlich sein werden, das haben nicht wir, sondern dieFrager" undEin­sender" zu überlegen.

8. Ich erwarte bestimmt, daß der Ein­sender nicht blos den Namen dergewissen Persönlichkeit", sondern auch seinen eigenen bekannt giebt; und ich schließe mit der Frage: Sind Dunkelmänner Ehrenmänner?

Wildbad, den 25. März 1893.

Carl Braig,

kath. Stadtpfarrer.

Wildbad, 24. März. Heute Nach­mittag war der Untersuchungsrichter des Land­gerichts Tübingen hier anwesend. Es war «ine Meineidsanzcige gegen einen Waldhüter eines benachbarten Orts zu erledigen. Da derselbe aber auf freiem Fuß belassen wurde, ist wohl anzunehmen, daß die Beschuldigung nicht begründet sein dürfte.

Tntki-HMndkr.

Dorf und Stadt.

Mne einfache Erzählung aus dem Lebenv.M.B.

(Fortsetzung.)

III.

Von allen Seiten ürömten auf den ver­schlungenen Fußpfaden geputzte Menschen jung und alt dem schmucke» Bergschlößchen zu, welches sich auf einem rebenumrangten Hügel über den Kronen mächtiger Buchen erhebt. Auf dem breiten Fahrweg reihte sich Wagen un Wagen. Nur mit Mühe schleppten die dampfenden Pferde diese mit den lachenden und schwatzenden Passagieren die steile Anhöhe hinauf. Die aus der Spitze des Bergkegels rings um das Schlößchen im Walde ver­steckten Lauben waren teils schon mit Gästen Gesetzt. Doch gewährte deren reichliche An­zahl auch für den fortwährenden Zuzug noch hinreichenden Raum.

Die Musik hatte bereits in einem hübschen Kiosk Aufstellung genommen und gleich da­rauf tönte unter das Stimmengewirr, unter das Summen und Klirren ein lustiger Marsch. Fast gleichzeitig rollte ein prächtiger Lan­dauer auf dem Kiesweg heran. Er hielt. Der Kutscher sprang vom Bock, öffnete den Schlag und der Doktor Viktor Graf sprang leichtfüßig heraus. Er reichte die Hand einer Dame, deren zierlicher Fuß unter dem blauen Tüllkleide auf dem Trittbett erschien. Sie schwang sich auf den Boden und rief dem Inspektor Werner, welcher mit langsamer Behäbigkeit dem Innern des Wagens entstieg, einige mutwillige Worte zu.

Werner gab die Neckerei mit zweideutigem Schmunzeln zurück.Wirst auch nicht mehr zo flink sein Malchen, wenn Du es einmal

zur Taute gebracht hast. Sapperlot, Mädel," fuhr er mit den Augen zwinckernd fort, wie hübsch Du heut bist! Hans will ich heißen, wenn eine von den noblen Geheim­und andern Staatstöchtern es mit Dir auf- nehmen kann!"

Amalie spielte mit dem goldenen Kettchen, welches über dem blendend weißen Einsatz ihres Kleides an der Brust herabhinz und errötete bis an die Stirne. Ob aus Verlegenheit oder geschmeichelter Eitelkeit, verriet ihr Mienenspiel nicht. Der Doktor ergriff ihren Arm.Komm Kind," mahnte er mit übermütiger Vertraulichkeit,wir wollen ein hübsches Eckchen aufsuchen, wo man die Musik nicht zu nahe hat und ungenirt ist!"

Das Mädchen sträubte sich nicht. Sie zog ihren Seidenschleier über das rosige Gesichtchen und schritt am Arme des Ge­fährten elastisch durch die Menge, wo manches bewaffnete Auge ihre prächtige Gestalt zur bewunderten Zielscheibe nahm.

Werner war vorausgeeilt. Mit einem launischen Schmunzeln kam er nach einer Weile zurück.Famoses Plätzchen entdeckt," berichtete er.Eine Laube, ganz isolirt und im Dickicht verborgen, daß wir so gut auf­gehoben sind wie in Abrahams Schooß."

Die beiden folgten dahin. Man ließ sich nieder. Der Inspektor holte Speisen und ein fröhliches Gelage begann.

Zur gleichen Zeit verließ ein hochgewach­sener Bursche in der charakteristischen Kleid­ung der Schwarzwaldbauern die Bahnhof­halle und schritt an den mächtigen Gebäu­lichkeiten vorüber der Hauptstraße zu es war Gottlob Birkhold. Das Menschenge­wühl, die im herrlichsten Frühlingsschmuck prangenden Bäume, der süße Duft, welcher die linde Matlust durchdrang, das Rauschen der Springbrunnen, das herrliche Schloß Alles interessirte ihn nicht. Ohne rechts oder links zu blicken, schlug er den Weg nach der I oberen Stadt ein. In der linken Hand hielt er ' einen mächtigen Straus von halbverwelkten Feld-und Waldblumen und in der rechten einen rothwollenen Regenschirm, dessen bauschiger Umfang die Zweckmäßigkeit seiner Bauart verriet. Auf dem Antlitz des Burschen lag ein auffallender Ernst. Fast traurig blickten die treuherzigen Augen unter den dunklen Brauen hervor.

Vor einem großen Hause blieb Gottlob stehen. Er holte tief Athen,. Ein Seufzer entrang sich seiner Brust. In augenschein­licher Beklommenheit schaute er a>( die mit Goldbuchstaben über der Thüre sich hinzie­hende Tafel hinauf. Endlich ermannte er sich. Ec hob den Kopf in die Höhe. Ein herber Zug legte sich um seinen Mund. Er drückte auf die Thürklinge und trat hinein. Das schöne Lokal war fast leer. Nur in der Mitte wurde von ein paar jungen Leutchen Billard gespielt und ein weißköpfiger Herr schlürfte an einem kleinen, runden Tffche seinen Kaffee.

Gottlob schaute sich um. Der Gl«nz des schönen Lokals machte keinen besonderen Eindruck auf ihn. Er suchte etwas. Ent­täuscht wandte er sich nach einer Weile ab und nahm auf einem Stuhl Platz. Er stellte seinen Schirm zwischen die Kuiee, den Blumen- l strauß aber behielt er in der Hand Eine Kellnerin, ein dralles, sauberes Ding, kam auf ihn zu. Ein spöttisches Lächeln kräuselte m,*, ^ den Bauersmann sah.

Als Gottlob jedoch bei ihrer Anrede die schonen blauen Auge» aufschlug, bekam sie,

wie es schien, auf einmal vor dem prächtigen, frischen Burschen Reipeckt.

Was wünschen Sie?" fragte sie freund­lich.Kaffee Wein Bier?"

Gottlob war weder ein Trinker noch ein Prahlhans. In diesem Hause glaubte er aber nicht knausern zu dürfen. Er be­stellte ein Fläschchen Wein.

Als das Verlangte von der hübschen Kellnerin gebracht wurde, holte er seinen ledernen Geldbeutel aus der Tasche, zog ihn an der Schnur auseinander und man sah, daß er nicht schlecht gespickt war. Zwischen den Silberthalern glitzerte da und dort ein Goldvogel hervor.

(Fortsetzung folgt.)

Vermischtes.

Ein Bürger in Sangershausen verab­folgte einem um Almosen ansprechenden Menschen einen Pfennig. Er wurde darauf wegen dieser einem Bettler erwiesenen Wohlthat auf Grund einer Polizeiverordnung vom 10. August 1880, welche die Verabfolgung von Gaben an Bettler untersagt, angeklagt und vor einigen Tagen vom Schöffengericht zu 10 Mt. Geldstrafe oder einen Tag Haft verurtheilt.

In Jugenheim (Bergstraße), be­wunderte die ganze Jugend des Ortes auf dem Tanzboden den prächtigen Zopf einer Dienstmagd, bis der Polizeidiener kam und ihn und sie abholte. Der Zopf war aus echtem Roßhaar und kurzweg dem Schweif eines Pferdes ihres Herrn abgeschnitten.

(Der Dieb des Marienschmuckes i n Wien.) Der Dieb, welcher den von der Herzogin Margarethe Sophie von Württemberg dem wunderthätigen Marienbilde iy Wien gespendeten Schmuck gestohlen hat, ist in Prag verhaftet worden. Der Dieb ist ein 18 Jahre alter Bursche, aus Krain gebürtig, und hat den Diebstahl bereits eingestanden. Von dem Schmuck ist nur ein Theil wieder gefunden worden.

(Die Runenschrift des men schlichen Gesichts). Nicht nur die Jahre, sondern auch stark bewegende seelische Zustände hinter­lassen auf dem Antlitze ihre Spuren in der Gestalt von Fältchen und Falten, die gewisser­maßen eine Schrift bilden, deren Entzifferung nach dem italienischen Gelehrten Mantegazza durch folgenden einfachen Schlüssel möglich ist. In der Regel erscheinen die Runzeln mit dem Alter von vierzig Jahren. Senkrechte Falten zwischen den Augen deuten auf Nach­denken oder Sorgen. Gebogene Falten der Stirn über der Nasenwurzel und zwischen den eben genannten senkrechten Falten, sowie wag­rechte Stirnfalten verraten heftige köperliche oder geistige Leiden, sie sind die Furchen, welche der Gram gezogen hat. Die sogenannten Krähen­füße neben den Augen berichten, daß das vier­zigste Jahr überschritten wurde, während die Falten an der Nase, von denen die nach den Mundwinkeln herabneigenden zuerst erscheinen, Zeichen des vorgeschrittenen Alters sind. Eben­falls sind die Runzeln der Backen in der Nähe der Ohren die Verkünder höheren Alters. Die Falten endlich im oberen Augenlied er­zählen von Kummer und Sorge. Maler, welche, um zu schmeicheln, die Runzeln vertuschen, Photographen, welche die Falten fortretouchieren, löschen die Schrift des Antlitzes aus, deren künstlerische Wiedergabe einem Porträt geistiges Gepräge giebt. Daher kommt es, daß ein mit allen Details gemalter Karakterkopf durch seine Wahrheit anziehend wirkt, wogegen ein verschöntes" Gesicht kalt läßt und geistloser­scheint, weil ihm die Runenschrift fehlt, die das Leben darauf schrieb.