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In Hamburg beträgt in diesem Jahre das Defizit im Staatshaushalt 5 Mill. Mk. Zur Deckung desselben ist von der ge­mischten Senats- und Bürgerschafts-Kommission die Erhöhung der Einkommensteuer von 10 0000 Mark aufwärts um 20 resp. 25 pCt.in Vorschlag gebracht worden.

Prag, 26. Febr. Der bei der böhmi­schen Eskomptebank angestellte Franz Seiler defraudierte gestern aus zwei Gelvbriefen die Summe von 52,350 fl. Als er sich entdeckt sah, flüchtete er nach Karolinenthal, durchschnitt sich den Hals mit einem Rasiermesser und starb nach wenigen Augenblicken. Die unter­schlagene Summe wurde wieder beigebracht

Paris, 26. Febr. WieUniverS" meldet, empfing der Papst 6000 Glückwunsch- Telegramme. Eissel ist schwer erkrankt.

Paris, 27. Febr. Das Urteil des Kassationshofes auf die Beschwerde der im Panamabestechungsprozeß Angeklagten ist vor­aussichtlich für morgen zu erwarten. Der Figaro behauptet, der Empfänger der berüch­tigten Eheks von 500 000 Fr. sei der frühere Abgeordnete Raphael Bischofsheim, der Akade­miker ist. Das Blatt fügt hinzu, Bischofsheim habe keinesfalls straffällige Operation unter­nommen, sondern Geschäftsverbindungen mit Reinach gehabt. Der Chek repräsentire eine ihm von Reinach geschuldete Summe. Andrieux habe somit keinen Grund gehabt, den Empfänger zu verschweigen.

Paris, 27. Febr. Die Kaiserin Euge­nik, die vor 3 Tagen hier ankam und sogleich nach dem Cap Martin Weiterreisen wollte, ist durch eine heftige Erkältung in Paris festge­halten worden. Sie beabsichtigt jedoch, mor­gen ihre Reise fortzusetzen.

Brüssel, 27. Febr. Bei der Verwal­tung des Kongostaats ist die Meldung einge­gangen, daß Major Dhanis am Lomamifluß mit den Arabern, die von Sefu, dem Sohne Tippo Tipps geführt wurden, zusammengestoßen sei. Die Araber wurden in die Flucht geschla­gen, 5 Häuptlinge, 500 Mann gefangen, 600 Flinten erbeutet. Delcommune ist mit seinen Gefährten wohlbehalten in Leopoldville «»ge­kommen.

Amsterdam, 26. Febr. Währendeines Manövers der Artillerie auf dem Polygon, explodierte eine Granate, welche dem Lieute­nant Chevalier die Kinnladen abriß und wei­tere 3 Kanoniere schwer verwundete. Sämt­liche Betroffene wurden in das Hospital überführt.

Rom, 27. Febr. Der kommandierende General des VHI. preußischen Armeecorps Freiherr von Los wurde heute mittag vom Papste in feierlicher Audienz empfangen. Der General stellte dem Papste fein Gefolge vor. Nach der offiziellen Audienz lud der Papst den General ein, ihm in seine Privatgemächer zu folgen, wo sie sich eine halbe Stunde lang unterhielten. Hierauf stattete der General nebst Gefolge dem Kardinal Rampolla einen Besuch ab.

In Mailand erregt ein blutiges Ehebruchsdrama großes Aufsehen. Der Ad­vokat Garganico, der Leiter des Mailänder Bezirksgerichtes, hatte von der Untreue seiner 27jährigen Frau, eines ehemaligen sStuben- mädchens, Kenntnis erhalten. Er folgte der­selben in ein großes Modewarengeschäft in die Via Silvia Bellico und tötete sie dort durch 3 Revolverschüsfe während sie eine Toilette pro­bierte.

Konstantinopel, 26. Febr. In der gegenüber Stambul gelegenen Vorstadt Kadiköi wurden durch eine Feuersbrunst 500 Häuser im griechischen und türkischen Viertel einge­äschert. DaS deutsche und englische Viertel

blieben verschont. Menschen sind nicht umge­kommen.

Belgrad, 27. Febr. Die Stadt Risch befindet sich seit gestern unter Wasser. 2000 Häuser sind überschwemmt; der Schaden ist bedeutend.

London, 27. Febr. Nach einer Mel­dung derDaily News" aus Rom soll der Papst Leo XIII. wegen Ueberanstrengung zeit­weilig die Stimme völlig verlieren.

Jekaternoslaw, 26. Febr. Bei der Ueberfahrt einer Bauernhochzeits-Gesellschaft über den Dnepjr brachen 2 Schlitten im Eise ein. Die Insassen des einen Schlittens, über 10 Personen, sind ertrunken.

Washington, 26. Febr. Bei der Untersuchung der Beziehungen der Panama- Unternehmer zu amerikanischen Politikern wurde festgestellt, daß die Chefs dreier größerer Banken in den Vereinigten Staaten jährlich je 50,000 Dollars für ihre Bemühungen um das Pana­maunternehmen erhielten.

San Francisko, 26. Febr. Heute schoß ein 73jähriger Mann namens Ratcliffe den bekannten Millionär John Mrckay in den Rücken. Ratcliffe schoß sich sodann in die Brust, sein Zustand ist gefährlich. Makays Wunde ist nicht tätlich. Der Beweggrund des Attentats ist unbekannt.

Bei Depeschen nach Kamerun ist das Wort mit 10 M. 10 Pfg. zu bezahlen. Das erste Telegramm war an den Kaiser ge­richtet der sofort antwortete.

UntkrhMkndkv.

Dorf und Stadt.

Eine einfache Erzählungaus demLebenv. M. B.

Langsam schritt ein einsamer Wanderer über die staubige Straße, welche von Schön- münzach nach Baiersbronn und Freuden- stadt führt. Der Herbst hüllte Baum und Strauch bereits in sein buntes Gewand. Die Felder waren zum größtenteil geleert und doch herrschte eine Temperatur, als befände man sich mitten im Sommer. Der Wanderer hatte seinen Rock ausgezogen und über die Schulter gelegt; den breitrandigen Strohhut trug er am Stock. Auf den von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne verklärten Schwarzwaldhügeln lag jener wun- derliebliche, träumerisch-poetische Hauch, der unwillkürlich zur Andacht stimmt. Es war Sonntag Abend. Durch die feierliche Stille ringsum wurde dem prächtigen Natur­gemälde eine noch höhere Weihe zu Teil. Zwischen dem goldigen Blätterschmuck eines Obstbaumwaldes tauchten die roten Ziegel­dächer eines kleinen Dorfes empor. Bald hatte der Wanderer die erste» Häuser erreicht, welche mit ihrer mannigfaltigen Unregel­mäßigkeit ein charakteristisches ländliches Bild gewährten.

Der Wanderer hatte seinen Rock wieder angezozen und den Hut wieder aufgesetzt. Er ging noch langsamer, als vorher. Die Ordnung und Sauberkeit, welche sich allen­thalben seinem musterndem Blicke darstellte, machten einen unverkenubar wohlthuenden Eindruck auf ihn. Namentlich schienen die zahlreichen Obstbäume,deren üppige und ge­sunde Entwicklung eine aufmerksame und kundige Pflege verriet, ein Gegenstand seines besonderen Wohlgefallens zu sein. Er blieb da und dort stehen, betrachtete die hervor­ragendsten Exemplare mit Kennerblick und jedesmal glitt ein befriedigtes Lächeln über sein von einem blonden Vollbart umrahmtes

Gesicht. Wieder stand er vor einem mächtigen Nußbaum, dessen stolze Krone sich wie ein ungeheurer bunter Blumenstrauß weit über das Dach eines kleinen Häuschens erhob, da wurde er durch lieblichen, vo» einer Handharmonika begleiteten Gesang aus seinen Betrachtungen geweckt. Er horchte und fühlte sich durch die innig wehmütigen Weisen des wohlbekannten Volksliedes, noch mehr aber durch den ergreifenden Schmelz der süßen Mädchenstimme, welche wie die Flötentöne einer Nachtigall die ruhige Luft des Abends durchklang, mächtig bewegt.

-Ach da draußen in der Ferne Sind die Menschen nicht so gut,

Und ich gäb' für dich so gerne All' mein Leben, all' mein Blut."

Der Ausdruck einer ungemeinen Weich­heit, eines tiefen Mitempfindens prägte sich auf dem interessanten Antlitz des Wanderers aus. Er blieb ruhig auf seinem Platze und hörte zu, bis der prächtige Gesang in einigen wehmütigen Akkorden des meisterhaft gespielten Instruments verklang. Dann trat er vor, wandte sich nach dem Hofraum des etwas aus der Linie zurückstehenden Gebäudes und gewahrte nach wenigen Schritten ein freund­liches Bild. Ein altes Mütterchen mit jenen sanften und einnehmenden Zügen, wie sie nur die Ruhe und Zufriedenheit eines guten Herzens Hervorbringen kann, saß zwischen einem jungen Mädchen und einem ungefähr zweiuudzwaiizig Jahre alten Burschen neben der offenen Hausthüre auf einer Bank. Der Bursche dessen klarer und offener Blick, verbunden mit der jugendlichen Frische des Angesichts einen angenehmen Eindruck machte, hielt die Handharmonika auf den Knieen. Er war also der Künstler welcher dieses Instrument mit so ungewöhn­licher Fertigkeit zu spielen verstand- Das Mädchen und die Matrone strikten. Seit­wärts neben dem Garrenzaun befand sich ein Brunnen, aus dessen Rohr sich das krystallhelle Wasser plätschernd in ein höl­zernes Bassin ergoß. Das Häuschen war zwar einstöckig, aber frisch geweißt, und daS hervortretei.de Balkenwerk trug jenes kräftige Wetterbraun, welches de» ländlichen Bildern überall eine so wohlthuende Staffage ver­leiht. Ein üppiger Spalierbaum rankte weit über den Vorsprung des Daches hinauf. Die Fensterscheiben, die Läden und Thüren, die mit Topfblumen gefüllten Gesimse wo man hinschaute Alles war spiegel­blank, sauber und nett.

Halb zutraulich, halb scheu, erhoben sich die Leutchen, als mit einem freundlichen Gruße der Wanderer an sie herantrat. Dieser wußte eigentlich selbst nickt was er wollte. Er war lediglich dem Zug des unwillkürlich geweckten Interesses gefolgt. Der sprudelnde Brunnen und fern ziemlich fühlbar gewordener Durst gaben ihm jedoch schnell einen Anknüpfungspunkt. Er bat um ei» Glas Wasser. Augenblicklich eilte das Mädchen in's Haus. Sie kam gleich wieder mit einem niedlichen steinernen Krüg- chen zurück, füllte es an dem Brunnen und reichte dem Fremden mit einem anmutigen Lächeln den erfrischenden Trunk.

Arnold, jo hieß der Fremde, hatte in» dessen auch zur Musterung der hübschen Kleinen hinreichende Muße gehabt. Das Mädchen wäre vielleicht nicht wenig stolz gewesen, hatte es gewußt, welch' ungewöhnliche, wenn auch stillschweigende Bewunderung ihrer äußeren Erscheinung dabei gezollt worden war. Herr Arnold war ein hübscher Mann und über die Zeit, wo das Herz durch ein