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welchen aber auch die Mittel- und Kleinbauern Norddcutschlands stehen, beschwerten sich bitter über die schwere Benachteiligung der deutschen Landwirtschaft durch die Handelsverträge mit Oesterreich und Italien und fürchten noch schwerere Nachteile durch einen etwaigen Handels­vertrag mit Rußland. Tausende von Land­wirten erschienen auch in Berlin und auch hier wurde energische Stellung gegen einen etwaigen Handelsvertrag mit Rußland genommen. Der Reichskanzler versicherte zwar im Reichstag selbst die Landwirte des Wohlwollens der Reichsregierung, aber diese wollen keine Worte sondern Thaten.

Im Reichstag ruckt die Militärvorlage nicht vom Fleck. In der Kommission sind bis jetzt alle Anträge sowohl der Regierung als der einzelnen Parteien abgelehnt worden; Las Zentrum hat neue Anträge angekündigt oder vielmehr eine ganz neue Militärvorlage, ist aber mit derselben noch nicht herausgerückt. Neuerdings heißt es auch, die Neichsregierung wolle in eine Revision der Mllilärgerichtsver- fassung einwilligen. Ob dann auch O-ffent- lichkeit und Wichtigkeit des Verfahrens bei den Militärgerichten emgeführt wird, steht noch dahin.

Im österreichischen Reichsrat haben die Tschechen wieder einmal eine Skandalizene aufgeführt. Graf Kaunitz sprach von einer unverschämten Beamtenbagage" und nahm diese schwere Beleidigung des österreichischen Beamtenstandes nur teilweise zurück, womit sich die österreichischen Minister in äußerst schwächlicher Weise zufrieden gaben.

Die Franzosen sind in großer Sorge, ob die Regierung von Columbia die Konzession zum Bau des Panamakanals, deren Frist Ende Februar abläuft, verlängern werde. Vernei­nenden Falls wären die bei jenem Kanalbau schon bisher aufgebrauchten kolossale» Summen für die Franzosen vollständig verloren, falls die Engländer oder die Amerikaner neue Kon­zession erhalten sollten. Die Regierung von Columbia scheint zu einer Konzessionsverlänger­ung nicht geneigt zu sein, wenigstens hat der englische Ministerresident in Bogota der colum- bischen Regierung bereits die kräftigste Unter­stützung Englands versprochen, falls Frankreich die Rechte Columbiens etwa beeinträchtigen wolle. Auf diese Art revanchieren sich die Engländer für den französischen Versuch, die -Engländer aus Ägypten hinauszulootsen. Die französische Deputiertenkammer hat ohne jegliche Debatte eine bedeutende Kredilsorder- ung für die Verstärkerung der Armee geneh­migt. Man vergleiche damit unfern deutschen Reichstag.

D-r italienische Deputierte Dezerbi, Welcher der Bestechung iu dem bekannten Bankenskandal beschuldigt und bereits vor Ge­richt verwiesen war, ist plötzlich gestorben; damit ist freilich dieser Skandal nicht aus der Welt geschafft; man wird sich noch auf aller­lei schlimme Enthüllungen gefasst machen müssen. Ein Versüch des früheren Minister­präsidenten Crispi, unter den Deputierten eine Koalition zum Sturze des Kabinets Giolitti zusammcnzubringen, ist vorläufig gescheitert. Giolitti ist deshalb aber keineswegs auf Rosen gebettet.

Das englische Unterhaus hat Glad- stones Homerulevorlage in erster Lesung mit 40 Stimmen Mehrheit angenommen, was aber noch keinen Beschluß auf das entgiltige Schicksal dieser Vorlage zuläßt. Schottland und Wales wollen überdies jetzt auch ein eigenes Homerule haben und das kann so­weit führen, das Großbritannien nach und nach aus dem Leim geht. Für England

taugt eine Bundesverfassung nach deutschem Muster wie etwa das englische Kriegsver­fahren für Deutschland paffen würde. Die Königin hat bereits einen Hauptgegner Glad- stones, Lord Randolf Churchill, zu sich berufen und es erscheint nicht als unmöglich, daß ge­rade die Forderungen von Schottland und Wales der irischen Herrlichkeit und dem Mini­sterium Gladstone mit einem Schlag ein Ende machen.

Württemberg.

Stuttgart, 23 Febr. Dem Verneh­men nach hat der Kommandeur des 4. württ. Jnf.-Reg. Nr. 122, Oberst v. Schmidt in Heilbronn, seinen Abschied eingereicht.

Ell wangen, 21. Febr. Heute Abend 6 Uhr wurde der ehemalige Kutscher Anton Barth von Königsbronn, der vor einigen Mo­naten einen Bauern von Heuchlingen, O.-A. Aalen, ermordet und beraubt hat, aus einem Schweizer Zuchthaus hier eingeliefert. Er soll noch weitere Verbrechen auf dem Gewissen haben.

Oberndorf, 22. Febr. Diesen Mor­gen stürz e sich ein etwa 16jähriges Mädchen in selbstmörderischer Absicht in den Kanal der Waffenfabrik. Durch herzueilende Arbeiter konnte es noch rechtzeitig dem nassen Element entzo­gen werden.

Bopfingen, 21. Febr. Nachdem vor mehreren Wochen einige Personen wegen Falsch­münzerei in Haft genommen wurden, nahm gestern Landjäger Ungerer von hier in gleicher Angelegenheit wieder einige Verhaftungen vor. In züngster Zeit circuliertcn in hiesiger Um­gegend falsche Zweimarkstücke.

Rundschau.

Mannheim, 17. Febr. Unsere Ta­gesblätter waren in der letzten Zeit voll von Artikeln über die Art der Beileidsbezeugung bei Trauerfällen, namentlich über den hoch- gestiegenen Aufwand, der mit Blumenspenden getrieben wird, und über den Ersatz derselben durch eine Spende an die Armen, nach dem Vorbild der Neujahrswunschenthebungskarten. Jedoch ist noch kein zweckmäßiger Vorschlag gemacht worden, wie ohne Verletzung der Pie­tätsgefühle eine gründliche Aenderung herbei­geführt werden kann.

Berlin, 18. Febr. Dem Gesundheits­amt wird vom. 17. bis 18. Febr. aus Altona ein Todesfall an Cholera gemeldet. Bei einer am 5. Febr. erkrankten Person wurde nach­träglich Cholera festgestellt.

Berlin, 21. Febr. Die telegraphische Verbindung zwischen Deutschland und Kamerun ist hergestellt. Der Präsident der afrikanischen Telegraphen - Gesellschaft Sir John Pender sandte heute dem Staatssekretär Dr. v. Stephan ein Begrüßungstelegram:Legung des Kabels Bonny-Kamerun am 18. Febr. beendigt. Sende ihnen Glückwunsch zu diesem Werk, welches die schnellste Verbindung Kameruns mit allen Telegraphen der Erde verwirklicht, und bin überzeugt, daß es eine rasche Ent­wickelung des Verkehrs und der sozialen Inte­ressen zur Folge haben wird."

Hildburghausen, 21. Febr. Unter dem hiesige» Jnfanteriebataillon ist die Typhus- cpidemie ausgebrochen. Das Lazaret ist fast vollbesetzt. Ueber die Stadt wurde die Ver- kehrssperre verhängt.

Wien, 18. Febr. Nach einer Meldung desFremdenblattes" aus Bukarest ist gestern zwischen der rumänischen Kriegsverwaltung unv den Vertretern der Steyrer Waffenfabrik ein

Vertrag wegen Lieferung von 110 000 Gr» wehren abgeschlossen worden.

Aus Prag, 23. Febr., wirdden M. N. N. gemeldet: Der Kanzleidiener Söller der böh» mischen Eskomptebank sollte 53 350 fl. zur Post für Karlsbad und Traulenau bringen. Depeschen von dort meldeten, daß Zeitungs­schnitzel statt Geld angekommen. Söller, der davon erfuhr, durchschallt sich den Hals mit einem Rasiermesser. Ein Söller befreundeter Gastwirt brachte der Bank das gesamte Geld in einem Packet, das Söller ihm durch einen Dienstmann zur Aufbewahrung geschickt hatte.

Paris 18. Febr. An der Banque de France und an der Banque de Loudres soll ein Photograph angestellt werden, der sämtliche unbekannte Personen aufzunehmen hat, welche kommen, um Cheks einzulösen.

Paris, 22. Febr. In einer die Präsi­dentenwahl vorbereitenden Vollversammlung der vier republikanischen Senatsgruppen erhielt Ferry im ersten Wahlgange 70, Magnin 40, Cballemel-Lacour 23 Stimmen; 'im zweiten Wahlgange Ferry 89, Magnin 54 Stimmen. Magnin erklärte darauf seinen Entschluß, von der Kandidatur zurückzutreten. Ferry ist so­mit als Kandidat der republikanischen Majorität, der künftige Senatspräsident.

In Paris macht man sich mehr und mehr mit dem Gedanken der Kammerauflösung vertraut; in ihr erblickt man den einzigen Ausweg aus der Klemme, in welcher "der französische Staatswagen gegenwärtig festsitzt. Am Montag hat der Cavaignac, dem parla­mentarischen Boulanger, wie er bereits von den Radikalen genannt wird, eine Versamm­lung stattgefunden, in der die Frage der Kammerauflösung erörtert worden ist. Der Kammerpräsident Casimir Perier hat der Kon­ferenz beigewohnt. Der zweite Panama-(Be- stechungs-)Prozeß wird am 6. März vor dem Schwurgericht beginnen.

Bordeaux, 20. Febr. In einem hiesigen Zirkus ereignete sich ein beklagenswerter Vor» fall. Ein Jongleur führte das Kunststück vor, rings um den Kopf seiner Frau, die an einer Breitwand stand, aus ziemlich großer Ent­fernung eine Anzahl von Messern zu werfen. Infolge eines plötzlichen Gedränges verfehlte er jedoch sein Ziel und ein Lolch traf die Frau mitten in die Stirne. Die Verunglückte wurde sterbend in das Spital gebracht.

Rom, 22. Febr. Tanl o n g o legte ein umfassendes Geständnis ab; er bestätigt- dem Untersuchungsrichter, daß die Römische Bank Gelder an zwei Ministerpräsidenten, an zahl­reiche Politiker, an Minister und frühere Mi­nister bezahlt habe. Er nannte die Namen und versprach, Enthüllungen in vollständigem Umfang vor Gericht machen zu wollen. An­geblich stehen neue Anträge auf Strafverfolg- ung zu erwarten.

Vogelfreunde. Das rühmlichst bekannte Voß'sche Vogelfutter, Singfutter für Cana- rienvögel, Waldvögel, Universalfutter für Dros­seln, Staare sowie für alle in- nnd auslän­dische Vögel (nur echt in versiegelten Palleten mitdcr UnterschriftGustav Voß,Hoflieferant,") erhält man hier nur bei Carl Wilh. Bott. Der große Prachtkatalog der Vogelhandlung Voß, Köln ist daselbst einzusehen. Kurze Schrift über Vogelpflege umsonst.

Hinweis: Wir empfehlen den unserer

heutigen Nummer beiliegenden Prospekt, betr. Asylvereins sLotterte" allgemeiner Be­achtung und bemerken, daß die Lotterie auch in Württemberg genehmigt ist. Die General- Agentur hat Herr I. Schrveikert in Stillt« l gart übernommen.