38

Berlin, 33.Jan. Die Budgetkommisfion des Reichstags setzte heute dir Beratung des MarincetatS fort und strich nach dem Antrag der Referenten 535 000 Mk., außerdem weitere 15 000 Mk., alles Forderungen für die In­dienststellung von Schiffen. Sie beschloß ferner, die Vorlegung der Submissionsergebnisse für deutsche und englische Kohlen zu verlangen. Der Kaiser hat die Wahl des Rechtsanwalts Kirschner (Breslaus zum zweiten Bürgermeister Berlins bestätigt.

Breslau, 21. Januar. Der Prozeß gegen Dr. Schwand und mehrere Mitange­klagte, wegen Verbrechens gegen das keimende Leben, hat gestern vor dem Schwurgericht hier begonnen. Der Zudrang des Publikums ist gewaltig, um so mehr, als die 28 weiblichen Mitangeklagten ausnahmslos besseren Gesell­schaftsklaffen angehören. Es sind über 100 Zeugen geladen, wodurch der Prozeß, der unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattsindet, mehrere Tage in Anspruch nehmen wird. Die Auf­regung im Publikum ist groß; viele Familien sind in Trauer gestürzt, da Angehörige unter den Angeklagten sich befinden.

Wien, 22. Jan. Ihre Majestäten der König und die Königin von Württemberg trafen heute Vormittag nach 11 Uhrjaufdem Westbahnhofe ein. Bei der Einfahrt wurde die württ. Volkshymne gespielt. Zum Empfange hatten sich eingefunden: Der Kaiser mit den Erzherzogen, der Erzherzogin Maria Theresia, sowie einem großen militärischen und hof­staatlichen Gefolge. Die Begrüßung der beiden Monarchen war rme überaus herzliche und freudige, ebenso diejenige des Kaisers und der Königin. Nach der üblichen Vorstellung und Musterung der Ehrenkompagnie begaben sich die hohen Herrschaften zu ihren Wagen, die Königin von Württemberg vom Kaiser am Arme geführt, während König Wilhelm die Erzherzogin Maria Theresia führte. Alle fuhren vom Bahnhofe direkt nach der Hofbug unter den brausenden Hochrufen des massenhaft versammelten Publikums, das trotz des von 11 Uhr an eingetretenen starken Schneefalls wacker auf dem Platze aush>elt, um die württ. Herrschaften zu begrüßen. Der König von Württemberg stattete Mittags den Erzherzogen und den Fürstlichkeiten Besuche ab und em­pfing deren Gegenbesuche. An dem Effen bei Erzherzog Karl Ludwig, dem Vater der Braut, nahmen der Kaiser, der König und die Köni­gin von Württemberg, das Brautpaar und die Mitglieder des Kaiserhauses Teil.

Wien, 21. Jan. Heute mittag erfolgte die Renunciation der Erzherzogin Margarete Sofie nach dem herkömmlichen feierlichen Zere­moniell im Beisein des Kaisers, sämtlicher hier anwesender Erzherzöge, des Bräutigams Herzog Albrecht von Württemberg, des Fürstbischofs, des württcmbergischen Gesandten Frhrn. von Maucler, sowie aller Minister. Durch diesen Akt verzichtet die Erzherzogin Margarete Sofie im Hinblicke auf ihre Vermählung mit einem württcmbergischen Prinzen auf alle Erbrechte, die ihr als Erzherzogin von Oesterreich zustehen. Diese Verzichtleistung muß jede österreichische Prinzessin die sich verheiratet, abgeben. Dann folgt ein Familien- und ein großes Galadiner in Anwesenheit des württembergischen Königs­paares, eine Festvorstellung in der Hofoper, ein Hofkonzert, ein Hofball rc. Die Ver­mählung findet am 24. d. M. um 11 Uhr vormittags in der Hofburgpfarrkirche statt. Nach derselben werden die Neuvermählten nach Salzburg zu kurzem Aufenthalt abreisen und bald darauf ihren Einzug in Stuttgart halten.

Wien, 23. Jan. Gestern abend fand im Redoutensaal der Hofburg ein Hofball statt.

Der Kaiser erschien um 9 Uhr, die Königin von Württemberg am Arm führend, hinter ihm der König mit der Erzherzogin Marie Therese, sodann Erzherzog Karl Ludwig mit der Prinzessin Gisela, Prinz Leopold von Bayern mit der Erzherzogin Maria Josefa, hierauf das Brautpaar und die übrigen Fürst­lichkeiten. Das Brautpaar «öffnete den Tanz, während der Kaiser und der König von Würt­temberg Cercle hielten. D« Verlauf des Balles war überaus glänzend.

Bei dem Gala-Essen in dem prächtig geschmückten Redouten-Saale brachte der Kaiser den Toast auf das Königspaar von Württem­berg und das gesamte königl. HauS aus, in­dem er dieselben in treuer Freundschaft herzlich begrüßte. Der Kaiser schloß mit den Worten: Glück und Segen dem teuren Brautpaar!" Unter den Klängen desHeil Dir im Sieger­kranz" stieß der Kaiser mit dem Königspaar und dem Brautpaar an. Der König von Württemberg dankte im eigenen Namen und im Namen der Königin, indem er die in Wien verlebten Tage als unvergeßlich be­zeichnet« und fortfuhr:Durch die Vermählung des jungen Paares sind Wir in nahe Be­ziehungen getreten. Ich spreche die Bitte und den Wunsch aus, Ew. Majestät bewahre Uns fernerhin unwandelbare Gunst wie bisher." Der König brachte unter den Klängen der österreichischen Hymne das Wohl, des Kaisers aus.

Wien, 23. Jan. Dem heutigen Früh­stück bei dem deutschen Botschafter Prinzen Reuß zu Ehren der württembergischen Maje­stäten wohnten auch die Herzoge Nikolaus, Wilhelm und Albrecht von Württemberg, sowie der württemb. Gesandte Staatsrat v. Maucler nebst Gemahlin bei.

Wien, 24. Jan. Heute Vormittag um 11 Uhr fand in der Pfarrkirche der Hofburg die Vermählung des Herzogs Albrecht von Württemberg mit der Erzherzogin Margarete Sofie nach dem herkömmlichen feierlichen Ce« remoniell statt. Der Bräutigam schritt zwischen dem Kaiser und dem König von Württem­berg. Die Braut, in weißer Faillerobe mit silbergestickten Margueriten, Orangeblüten und Myrthen geschmückt, wurde von der Königin Charlotte von Württemberg und der Erzher­zogin Maria Theresia geleitet. Kardinal Druscha vollzog die Trauung und hielt eine Ansprache. Der Hofburgpfarrer Mayer über­reichte die Ringe, die sich das Brautpaar gegenseitig ansteckie. Nach dem Segen küßten die Neuvermählten dem Kaiser und dem König von Württemberg die Hände und nahmen die Glückwünsche der anderenFürstlichkeiten entgegen.

Wlen, 22. Jan. Die östercichischen Blätter nehmen an der Hochzeitsfeier den innigsten Anteil und bringen dem neuen Paare begei­sterte Huldigungen dar. So schreibt die Reichs­wehr" ein östreichisch-ungarisches Militär­blatt u. a.: Wie die bewährte Liebe des Volkes des Kaiserhauses erlauchte Tochter in die neue uns stamm- und sinnverwandte Heimat begleitet, so grüßt sie auch den edlen Bräutigam, der ein Urenkel des beharrlichen Kämpfers für Deutschlands Ehre und ein Enkel unseres Heldenmarschalls, allen in Habsburgs Landen lieb und wert ist, und besonders uns Soldaten, die stets dessen eingedenk sind, daß bei den herrlichen Waffenthaten und glänzenden Siegen, die je unter des Kaisers Panier erfochten wurden, in Ehre der Heldenname Württemberg ge­nannt ist. In treuer Waffenbrüderschaft ver­eint, verbinden sich Völker und Kameraden zu herzinniger Huldigung für das Brautpaar, übereinstimmend in dem Wunsche <Was als Glück zu höchst gepriesen,

' Schütt' auf sie der Himmel aus!"

Aus Ungarn, 19. Jan. EineDepesche der N. Fr. Pr. aus Temesvar meldet, daß im Walde von Köveres während der letzten Tage die Wölfe drei Frauen zerrissen haben. In einzelnen Gemeinden des Temesvar« Ko- mitats wagen die Bewohner sich gar nicht aus den Häusern, da infolge der entsetzlichen Kälte die Wölfe in ganzen Rudeln die Dörfer aufsuchen.

Paris, 22. Jan. Die anläßlich des hundertjährigen Gedächtnistages des Todes König Ludwig XVI. in sehr vielen Kirchen der Stadt und der Provinzen gehaltenen feierlichen Messen verliefen ohne jeden Zwi­schenfall.

Paris, 21. Jan. Bei ein« Konfron­tation Clemenceaus und des früheren Privat- Sekretärs des Baron Reinach, Stephane, vor dem Untersuchungsrichter, soll es zu lebhaften Auseinandersetzungen gekommen isein. Es ver­lautet, die Angelegenheit des Cornelius Herz werde der Gegenstand zu einer besonderen Un­tersuchung bilden, damit der Panama-Prozeß möglichst wenig verzögert werde.

Paris, 21. Jan. Die Panamakommis­sion vernahm Andrieux. Derselbe erklärte: Im Jahr 1887 zahlte Rouvier 100 000 FrS. an dieLanterne", um ihren Angriffen Ein­halt zu thun, 80 000 Frs. seien Rouvier hierzu vom Ministerrat aus dem geheimen Fonds bewilligt worden. Die Kommission vernimmt morgen Clömenceau.

Die Verhaftung von Cornelius Herz ist eines der entscheidensten Ereignisse in der Panama-Angelegenheit. Seit Freitag früh ist Cornelius Herz im Taukerville-Hotel in Bour» nemouth verhaftet worden, o. h. er wird, da er im Bette liegt, von zwei englischen Poli­zisten scharf bewacht, während mehrere andere Polizeibeamten das Hotel umstellt halten und bewachen. Weniger eines Fluchtversuchs wegen denn Herz soll nach einem ärztlichen Zeug­nis derartig erkrankt sein, daß er zur ge­ringsten Ortsveränderung unfähig ist. Der Verhaftete hat bereits für seine Verteidigung gesorgt.

Amsterdam, 21. Jan. Nachdem zahl­reiche blutige Zusammenstöße zwischen Arbeits­losen und der Polizei stattgefunden haben, wobei 200 Polizisten wiederholt mit Steinen geworfen wurden, erfolgten gestern spät abends schwere Krawalle. Taus nde durchzogen mit roten Fahnen und Revolutionslieder singend, die Straßen und versuchten Bäckerläden zu plündern. Von der Polizei, Gendarmerie und Infanterie mit der blanken Waffe zurückge­worfen, setzten die Arbeitslosen die Unruhen fort. Die Manifestationen und Unruhen dauerten bis spät in die Nacht an. Zahlreiche Ver­wundungen und Verhaftungen kamen vor.

Nom, 23. Jan. Die Polizei verhaftete gestern Abend im Hause einer Dame der Halb­welt den entflohenen Bankdirektor Cueiniello der Bank von Neapel; derselbe wird beschuldigt, 2*/? Millionen L.re entwendet zu haben. Er war, als er verhaftet wurde, als Pnester mas- kirt und versuchte einen Selbstmord durch Gift zu begehen, was jedoch rechtzeitig verhindert wurde. (Pnv.-Tel. d. Berl. Tagbl.)

Belgrad, 19. Jan. Eine überraschende und unglaublich klingende, aber dennoch völlig authenische Nachricht kommt aus Biaritz: Der Exkönig Milan und die Königin Na. talie haben sich versöhnt. In hiesigen einge- weihten Kreisen war es bereits bekannt, daß der Zar bereits persönlich und durch den Bot­schafter in Paris, Baron v. Mohrenheim, für eine Verständigung wirkte, doch glaubte man ? infolge der widerstrebenden Charaktere nicht daran. Am griechische» Nsnjahrstage (13.