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Rundschau.

Karlsruhe, 29. Febr. Gestern abend hat sich in seiner Wohnung der großherzog­liche Kammerherr Frhr. August von Gcm- rningen durch einen Revolverschuß getötet. Der Verstorbene nach Erscheinen und Umgangs­formen eine aristokratische Persönlichkeit ertrug seit Jahren mit Ergebung ein unheilbares Herzleiden, dessen Fortschritte mit dem zu­nehmenden Alter ihm die Zukunft wohl als qualvoll und unerträglich erscheinen lasten mochten. Die Familie von Gemmingen ist in ihren verschiedenen Zweigen in unserem Lande sehr zahlreich vertreten und gehört zu den ältesten Adelsgeschlechtern des Großher­zogtums. Den Ort Gemmingen besaß die Familie schon 1272. August v. Gemmingen war am 14. August 1830 hier geboren; er war nicht verheiratet.

Naden-Aaden, 1. März. Stadtrat und Bürgerausschuß haben beschlossen, zur Errich­tung eines Denkmals für die verstorbene Kaiserin Augusta 20 000 M. auszusetzen.

Griöerß, 29. Febr. Schon seit einiger Zeit wird über flauen Geschäftsgang geklagt. Eine hiesige Uhrenfabrik läßt nur noch sieben Stunden täglich arbeiten und in Schwenningeu wurden Arbeiter entlassen. Auch die von der Industrie beschäftigten Hausarbeiter haben nicht voll zu thun. Bis zu 10 M. wöchent­lich, 1,66 M. täglich beträgt zudem noch ihr Verlust durch Lohnverminderung. Dazu taucht bald da bald dort die Nachricht auf von Firmen, die im Auslande, Italien, Oesterreich rr. s. w. Filiale einrichten und so die Uhren­ausfuhr nach diesen Ländern vermindern und dem Schwarzwald eine Einnahmequelle ent­ziehen. Sollte wirklich eine Katastrophe ein- treten ihre Folgen für den Schwarzwald wären unabsehbar. Früher konnte wenigstens noch etwas durch Strohflechten verdient werden, jetzt bringls eine Strohflechterin täglich auf durchschnittlich 20 L zwanzig Pfennige! Auch unsere Handwerker, von denen gerade viele Schuhmacher und Schneider für die Jahrmärkte arbeiten, klagen immer mehr über die Zunahme der Schuh- und Kleidcrbazare, die den ehrsamen Handwerksmann bedenklich schädigen. Die Landwirtschaft auf dem Schwarzwalde ist nicht im Stande, seine Be­wohner zu ernähren. Sie müssen daneben «inen Handwerksbetrieb haben. Fällt er zu­sammen, so ist die Bevölkerung des Schwarz­walds ruiniert.

Wiesbaden, 29. Febr. Der Kaiser von Rußland verlieh dem bekannten Massagearzt Dr. Mczger für dessen erfolgreiche Bemüh­ungen um die Gesundheit der Zarin den Stanislausorden mit Brillanten. Während des 3wöchigen Aufenthalts Dr. Mczgers in Petersburg war die Straße in welcher er im Hotel d'Europa wohnte, fortwährend mit Wagen von Leidenden dicht besetzt, die den berühmten Arzt zu Rate zogen. Augenblick­lich weilt zur Massugekur bei Dr. Mezger, der Generaladjutant des russischen Kaisers, Generallieutenant Wojeikow.

Perlin, 20. Febr. Ein alter Offizier schreibt derKöln. Ztg." betr. Maßregeln zur Verhaltung von Soldatenmißhandlungen: Ich glaube mit dem General-Reichskanzler, daß der Weg der obligatorisch-n Beschwerde nicht gang­bar ist. Durchzuführen aber ist eine leichte Aenderung im Mechanismus der Beschwerde; man bestimme, daß die Beschwerden in Miß- handiungssachen nicht mehr an den Feldwebel, sondern direkt an den Hauptmann gehen, denn beim Feldwebel bleiben die meisten Sachen stecken. Nicht in der Oeffentlichkeit allein, welche die Disziplin nicht gefährdet, wie die

Erfahrung lehrt, sondern vor allem in der Gewährung einer ordentlichen Verteidigung und der Trennung der vielfachen Obliegenheiten des Auditeurs liegt der große Vorteil des bayerischen Verfahrens. Die Mißhandlungen sind am sichersten abzuschaffen, wenn man im gegebenen Fall die Regimentskommandeure verantwortlich macht. Em halbes Dutzend Beispiele würden genügen. Wenn ein Regi­mentskommandeur weiß, daß es ihn seine Stellung kosten kann, so wird und kann er Mittel finden, die Mißhandlungen wenigstens zu ganz seltenen individuellen Ausnahmen zu machen.

Nachdem die letzten Sitzungen des Reichstags, in welchen das neue Telegraphen­gesetz beraten wurde, bei sehr schwacher Be­setzung des Hauses abgehalten waren, wurde am Sonnabend die zweite Lesung des wich­tigen Marineetats begonnen, aber auch hiebei ließ der Besuch noch gewaltig zu wünschen übrig. Die Vertretung des Etats übernahm mit dem Admiral Hollmann, der Reichskanzler Graf C.iprwi, der ja früher schon längere Zeit an der Spitze der Marincverwaltung ge­standen hat und mit den einschlägigen Ver­hältnissen genau vertraut ist. Bei der Bera­tung behauptete der Abgeordnete Metzger (Soz.) daß auch die Schiffsmannschaften viel­fach Mißhandlungen von Seiten ihrer Vor­gesetzten ausgesetzt seien und erzählt verschie­dene Fälle. Staatssekretär Admiral Hollmann erklärte, daß die vom Vorredner milgeteilten Vorkommnisse sehr ^seltene Ausnahmen seien, die streng geahndet würden. Zu einer längern Debatte kam es bei der Forderung zur Ver-§ mehrung des Marinepersonals. Abg. Richter (fr.s.) bekämpft dieselbe und beantragt wesent­liche Streichungen. Die Abgg Fritzen (Ztr.) von Stumm (freikons.) und Staatssekretär Hollmann befürworten die Forderung die ge­ringfügig und im Interesse der Landesver­teidigung und für eine größere Indienststellung von Schiffen im Interesse des politischen Dien­stes notwendig sei. Reichskanzler Graf Ca- privi bittet um Bewilligung ider Forderung. Wenn wir auch nie in der Lage sein werben, unseren gesamten Handel zu schützen, so muß doch die Entwicklung der Kriegsflotte der ste­tigen Entwicklung der Handelsflotte folgen. Wir können Zeiten entgegen gehen, wo sich die eu­ropäischen Staaten zum Schutze ihres Handels in entlegenen Weltteilen vereinen müssen, und Deutschland einer wirksamen Vertretung nicht entbehren kann. Unsere Marine bedarf eines guten, zahlreichen, geschulten Personals, das seine Ausbildung auf den Schulschiffen er­halten hat. Das ist um so notwendiger, als es auf gute Schulung und Schnelligkeit bei der Marine mehr als bei dem Landheer ankommt, da der Ausfall der ersten Seeschlacht für den Verlauf des ganzen Seekriegs entscheidend ist. Nach einer Polemik zwischen den Abgeordneten Richter (freis.) und von Stumm (freik.) wird die Forderung bewilligt, und dann ohne wei­tere Debatte die laufenden Ausgaben.

Durch die nculichen Erklärungen des Handelsmimstcrs von Berlepsch gegen den Befähigungsnachweis für das Handwerk im preußischen Abgeordnetenhause ist die Antwort auf die vom letzten Jnnungstage in Berlin aufgestellte bezügliche Forderung gegeben. Es ist keine Aussicht vorhanden, daß die Reichs - rcgierung hierauf eingehen wird. Der wirkliche Freund des Handwerks, so schreibt diePost" mit Recht, wird daher dahin wirken müssen, daß die Handwerker ihre Kraft und ihre Zeit nicht mehr an Bestrebungen setzen, deren Er­folglosigkeit außer Zweifel ist, sondern sich anderen Bestrebungen zuwenden, von welchen

für die Hebung des Handwerks ein praktischer Erfolg zu erwarten ist. Wie für die land­wirtschaftlichen Kleinbetriebe ist auch für das Kleingewerbe des Genostenschaftswesen ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel, sich in Betreff des Bezuges von Rohstoffen, Verkaufs der Waren, Kredits und der Verwendung von Maschinenkraft wenigstens teilweise die Vorteile des Großbetriebs anzueignen.

In der auswärtigen Presse finden die Berliner Kravalle teilweise eine recht schiefe Beurteilung. Daß die französische Presse die Gelegenheit mit Wonne ergreift, den gehaßten Deutschen etwas am Zeuge zu flicken, versteht sich von selbst, und daß bei dieser Gelegenheit die einzelnen Radauszenen ins Unendliche auf­gebauscht werden, war ebenfalls zu erwarten. Aber auch Blätter, wie z. B. die Wiener Presse" machen den Berliner Behörden einen Vorwurf daraus, baß sie nicht durch Militär namentlich durch Kavallerie-Attaquen, der Sache ein rasches Ende bereitet habe. Wir erblicken darin gerade einen Vorzug im Verhalten der Behörden. Die Kravalle waren so wenig ernst, daß man ihnen durch Militärisches Ein­greifen nur eine unvcrhältmäßige Folie gegeben hätte, und so lange die berufenen Sicherheits­organe sich als Herren der Situation zeigen, erscheint die Beiziehung von Soldaten über­flüssig, ja direkt schädlich, weil dadurch Sie etwa vorhandene Aufregung nur gesteigert würde. So lange die Polizei mit flachen Säbelhieben durchkommt, ist weder der Mehr­lader noch der Pallasch am Platze.

Sehr interessante militärische Uebungen finden gegenwärtig in der Gegend von Goslar am Harze statt. Eine Abteilung Unteroffiziere unter Kommando eines Offiziers von der Garnison Goslar macht seit einigen Tagen Uebungen im Laufen auf Schneeichuhen, wie sie in Norwegen gebräuchlich sind und jetzt auch in Deutschland in Aufnahme zu kommen be­ginnen. Falls sich der Gebrauch der Schnee­schuhe als zweckdienlich und empfehlenswert erweist, sollen auch andere Truppenteile diese Uebungen zu geeigneter Zeit aufnehmen.

Wik», 29. Febr. Infolge mißratener Kartoffelernte brach im Nordwesten Ungarns eine förmliche Hungersnot aus. Zahlreiche Personen durchziehen bettelnd Vas Land.

Jürich, 29. Febr Seit etwa 14 Tagen sind etwa 250 Arbeiter damit beschäftigt, die Schmalipurbahn Landquart-Davos vom Schnee der stellenweise 3 Meter tief ist. frei zu machen. Die Bahngesellschaft hat seit dem ersten Schnee­fall im Dezember schon über 70 000 Fr. für Schneeräumen ausgegeben.

Lissabon, 26. Febr. Em furchtbarer Sturm, der am Samstag wütetet, richtete ungeheuren Schaden an der Küste bei Lissa­bon und Oporto an; 6 Segelschiffe zahlreiche Barken sind untergegangen über 200 Per­sonen ertrunken.

Shanghai. Mit dem am 8. Febr. in der Nähe von Swantau untergegangenen DampferNamchow" sind 500 Menschen er­trunken. Der Dampfer hatte, demOstasia­tischen Lloyd" zufolge, Hongkong am Nach­mittag des 7. für Swatau verlassen; kurz nach Mitternacht bekam das Schiff in der Nähe des Maschinenraums ein Leck, die Pum­pen wurden sofort in Bewegung gesetzt, doch versagten sie gegen 4 Uhr morgens, woraus man Segel setzte und den Kurs auf das Land nahm. Doch füllte sich das Schiff reißend schnell; 5 -6 Boote wurden heruntergelassen, >n diese stürzten sich die chinesischen Passa­giere, von denen 500 an Bord waren, mit einer derartigen Hast, daß sämtliche Bote,