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Nrv. IS.
Samstag, 13. Jebruar 1892
28 . latii'gang.
Wochen-Rimdschau.
Nachdem die bereits mit Gefängnis bestrafte» Uiheber des Vaihinger Eisenbahnunglücks, Finanzrat Lang und Bahnhofver- waltei Scbwenningcr »uninebr auch zum Schadenersatz, wenn auch vorläufig nur in dem Teilbetrag von 3000 (der ganze Schaden beträgt über 320 000 verurteilt worden sind, kann unseren Eisenbahnbeamten der Humor vergehen. Für ein Berschen nicht nur eingesperrt zu werden sondern auch um sein ganzes Vermögen zu kommen, das ist eine ernste Perspektive für unsere Bahn- beamten vom äußern Dienst. Bel jedem andern Beamten wird ei» Versehe» mit einer „Nase" schltinmstensalls mit einer kleinen Geldstrafe gerügt. Freilich stehen bei den Versehen anderer Beamten auch keine Menschenleben auf dem Spiel. —
Die bayerischen Staatsbeamten sollen endlich die lang erwartete Gehaltsaufbesserung bekomme». Der Finanzminister Frhr. v. Riedel verlangt hiefür jährlich 2 300 000 und für die Volksschullehrer weitere 460 000 Mark. Die Summen sehen groß aus aber im Verhältnis zu der Zabl der Beamten und Lehrer sind sie klein. In die 460 000 haben sich z. B. 11 000 bayerische Lehrer zu teilen.
Anfangs dieser Woche hat das deutsche Reich eine 3°/oige Anleihe im Betrag von 160 Millionen, der preußische Staat eine ebenso verzinsliche im Betrag von 180Mill!o- neu zur Zeichnung aufgelegt. Im ganzen wurden etwa 1130 Millionen gezeichnet, die Reichsanleihe ist etwa 4 mal, die p,russische Anleihe etwa 3 mal gezeichnet worden. Dieser Erfolg ist um so schöner, als er nicht durch künstliche Zeichnungen von Großbanken und Spekulanten herbeigeführl ist, wie s. Z. die sog. Ueberzeichnung der russischen Anleihe in Paris, welche thatsächlich nicht zur Hälfte genommen wurde. — Im Reich s- ta g wurde'letzter Tage auch über das Altersversicherungsgesetz debattiert und einzelne Mängel desselben gerügt, an eine völlige Aufhebung des Gesetzes ist aber nicht zu denken. — Die Reichstagskommission behandelte auch das Kapitel der Loldarenmiß- baudlungen, welche Prinz Georg von Sachsen so scharf gerügt hat. Die fortgesetzte strenge Beanfsichliguug der Unteroffiziere durch die Offiziere wird zwar manches vermeiden, aber die Mißhandlungen doch nicht ganz verhindern können.
Auch in der östr.-uugariichen Armee scheint es einzelne Soldatenschinder zu geben. Auf Befehl des Kaisers Franz Josef verfügre
der Reichskriegsmiuister, daß ihm alle Akten bezüglich der Soldatenmißhandlunge» dagelegt werde» müssen.
Die französischen Großbanken haben — gewitzigt durch den an der letzten russischen Anleihe erlittenen schweren Schaden »ach 2 monatlichen Verhandlungen mit russischen Eisenbahngesellschaften, welche diesmal an Stelle der russischen Regierung eine große Anleihe kontrahieren wollten, diese Verhandlungen abgebrochen. In Geldsachen hört bekanntlich nicht bloß die Gemütlichkeit sondern wie es scheint auch die bisher so dicke französisch-russische Freundschaft auf. Was kann es dem Zaren nützen, daß er vorigen Sommer die Marseillaise stehend angebört hat, wenn ihm die Franzosen kein Geld mehr geben wollen? Zu was hat man denn überhaupt Freunde, wenn man sie nicht immer wieder anpumpen kann? Die russischen Bahngesellschaften wollen jetzt eine innere Anleihe in dem viel bescheideneren Betrag von 120 Millionen Rudel (von den Franzosen wollten sie 250 Millionen Rubel haben) auflegen, also in Rußland selbst. Warum haben Sie das nicht von vornherein versucht? In Rußland selbst ist ein solcher Betrag weder jetzt noch später anfzutreiben. Da zum Krieglühren bekanntlich viel Geld gehört, so halten die Russen nach diesem Fiasko vielleicht noch einige Jahre länger den Frieden, als sie bisher dazu gewillt waren.
Das e n g l i s ch e Parlament ist letzten Dienstag mit einer geschäftsmäßig trockenen Thronrede eröffnet worden, welche einige innere Vorlagen ankündigt z. B. ein Altersversicherungsgesetz und bezüglich der auswärtigen Beziehungen nur so viel besagt, was jedermann schon vorher weißt, daß dieselben zu allen Mächten „gut" seien. Unter „gut" kann man sich verschiedenes denken.
Württeml> er g.
Stuttgart, 8. Febr. Nachstehender Fall mag größeren Arbeitgebern zur Warnung dienen. Die Werkmeister G. und L. Geißler in Berg hatten ihren Arbeitern Blechmarken und zwar solche zu 10, 20, 50 und 100 Pf. eingeführt, welche als Vorschuß verabreicht und von bestimmten Geschäftsleuten an Zahlungsstatt angenommen werden. Wegen Ueber- tretung der Gewerbeordnung, welche vorschreibt, daß Arbeitslöhne in barem Gelde ausbezahlt werden müssen, wurden die beiden Werkmeister heute von der hiesigen Strafkammer zu einer Geldstrafe von je 15 ^ verurteilt.
— Die heute eröffnete elektrische Ausstellung in der Legionskaserne enthält, eine Reihe sehr interessanter Objekte, durch welche die sehr bedeutenden Fortschritte der Elektrotechnik aufs beste illustriert werden. Sämtliche hiesige elektrotechnischen Firmen, auch soweit sie auswärtige Elektrizitätswerke vertreten, haben ausgestellt. In der Hauptsache handelt es sich bei der Ausstellung um die Darstellung der elektrischen Kraftübertragung zm Nutzbarmachung für das Kleingewerbe. Wir sehen da Elektromotoren für den Betrieb von Nähmaschinen, Druckerpressen, für Ventilation in Wohnräumen, für Kochapparate, Bügeleisen rc., für elektrische Heizung u. s. w. Sehr geschmackvoll wird auch von der Firma W. Reißer ausgestellt, wie sich die farbigen Glühlämpchen für dekorative Zwecke verwenden lassen.
— Der Kommandeur der Württemberg. Feldartillerie im Kriege 1870, Generalmajor von Sick, seit 1872 pensioniert, ist am S. ds. im Alter von 76 Jahren in Stuttgart gestorben.
Weuenviirg, 12. Febr. In der gestrigen Amtsversammlung wurde Hr. Nevisionsassistent Holzäpfel zum Oberamts-Sparkassier gewählt.
Akpirsöach, 8. Febr. Bloß der Wachsamkeit des Wärters ist es zu danken, daß auf der Strecke Loßburg-Alpirsbach den Freudenstädter Zug, welcher in Alpirsbach kreuzen sollte, nicht ein Unglück ereilte. Oberhalb des Tunnels waren nämlich Felsmassen niedergestürzt, welche durch Frost und Nässe locker geworden. Die Telegruphenleitung war zerstört, der Bahnkörper verschüttet. Die Passagiere der Gegenzüge wurden ausgewechselt und mußten die kurze Strecke zu Fuß gehen, ungefähr 100 Meter durch den Tunnel, bei der unheimlichen Beleuchtung von Fackeln. Das Aufregende der Szene verursachte das Jammern der Frauenzimmer und die Kopflosigkeit der Männer, von denen einer seinen Hut und Ueberzicher zurücklicß und noch einmal den unheimlichen Gang antrcten mußte. Schließlich siegte der schwäbische Humor und ein Bäuerlein rief'. „Des sich aber a elends Fuhrwerk, do wird mei Mittagessa kalt."
Aavensöurg, 8. Febr. Gestern verstarb hier Prof. a. D. Wilhelm Müller infolge eines Herzschlags im 72. Lebensjahre. Einundzwanzig Jahre wirkte Müller am Gymnasium in Tübingen bis zu seiner 1884 erfolgten Pension. Sein Geschichtsleitfaden hat einer ganzen Generation, welche die württembergsichen höheren Schulen besucht hat, als Unterlage des Geschichtsunterrichts gedient. Die litera