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sei, war von vornherein klar. Schalsch (Ztr.) erklärt, die Tarife für eine Konzession an Oesterreich, das Reich würde infolge des Ver­trags weniger Zölle einnehmen, die lieber» Weisungen würden geringer di« Steuern müßten erhöht werden. Er hofft, der Reichskanzler werde sich später dem Bimetallismus gegen­über nicht so ablehnend verhalte». Prinz Caro- lath ist freudigen Herzens für die Verträge. Der Kanzler habe m t der Auffassung gebrochen, daß wer gegen eine Vorlage stimme, ein Rcichsfeind sei. Von den Getreidezöllcn habe die Sozialdemokratie den größten Vorteil. Auch in dieser Beziehung werden die Beiträge gut wirken.

Merlin, 12. Dez. Herr von Kardorff drahtete an den Fürsten Bismarck, ob er in den Reichstag käme; Bismaick antwortete mitNein."

Merlin, 11. Dez. Die sinkenden Buch­drucker hielten heute nachmittag eine Versamm­lung ab, in welcher ihre Führer versicherten, daß'Geld genug für die Fortsetzung des Streiks vorhanden sei und daß nicht nur die englischen sondern auch die amerikanischen Arbeiter zu großen Opfern bereit seien. Es wurde ein von dem nach London gereisten Vorsitzenden des Unterstützungsvereins eingegangenes Telegramm verlesen, wonach die TradeS Unions weitgehende Unterstützungen zugesagt und ein Konnte ge­bildet hätten. Es sei auf mindestens vier- hunderttauscnd Mark aus England zu rechnen und damit könne man bis Pfingsten streiken.

Die Influenza fordert in Merliu noch immer, wiewohl die Krankheit bereits in der Abnahme begriffen ist, eine hohe Zahl von Opfern. In der Woche vom 29. Nov. bis 5. Dez. betrug die Durchschnittszahl der an Influenza gestorbenen Personen täglich 9, und hiezu treten noch etwa 130 Todesfälle in der Woche, die durch Lungenentzündung, Lungen­katarrh u. s. w. hcrvorgcrufen und als Folgen der Influenza zu betrachten sind. Das Durch­schnittsalter der an der Influenza in der vo­rigen Woche Verstorbenen beträgt 60 Jahre und ebenso stellt sich die Durchschnittsberech­nung in den Wochen seit Wicderauftreten der Influenza; daraus ist ärztlicherseits gefolgert worden, daß alte Leute die bösartige Grippe nur selten überstehen. Einen schweren, wenn nicht rötlichen Verlauf nimmt die Influenza auch bei Herzleidenden, ebenso haben skrophu- löse Kinder, welche von der Grippe erfaßt wurden, wie beobachtet wurde, Gehirnleiden davongetragen.

Unterhaltendes.

Die AMistin.

Von A. Grant.

Nachdruck verboten.

(Fortsetzung.)

Ein kurzer wilder Rauschvon beiden Seiten dann Enttäuschung, Reue, ebenfalls ge­genseitig. Die Fürstin wollte ihre Errungen­schaft in den öden Steppen Rußlands ber­gen, den einen, Albert Hillmann konnte sie füglich in ihrer Welt nickt präsentieren; auf ihren Gütern hieß er derFürstj' und wer hätte es gewagt, sie, die Fürstin Jwanovna, nach den weiteren Verhältnissen zu befragen?

Mit maßlosem Erstaunen sahen Alle die seltsame Ehe; selbst die Domestiken machten unausbörliche Glossen. Ihr neuer Gebieter war freundlich und gütig, verlangte und empfing alles mit Höflichkeit, aber Jeder fühlte sofort heraus, er war kein Herr!

Die Fürstin befahl, ordnete an, als existiere gar kein Gatte, rechnete, zankte mit dem Administrativpersonal und ignorierte ihre Ehe mit einer Unbefangenheit, als sei sie nach wie vor, die alleinige Herrin.

Der Herr Gemahl streifte indetz mit sorgenvollem Gesicht, die Flinte auf dem Rücken, den ganzen Tag im Wald umher bis znm Diner, welches in völligem Still­schweigen eingenommen wurde. Dann legte sich Fürstin Jwanovna im Salon auf einen Divan, neben sich ein Tabouret mit Confi- tnre» und französische» Romanen, sagte nach­lässig zu dem Gatten:Bitte singe ietzt!" las dann, oder schlief, knusperte Consect, ganz »ach Laune, und that, als wäre sie völlig allein in der Welt.

Das war noch des armen, aus allen Himmeln gefallenen Sängers, beste Zeit: der Aufenthalt im Walde, und seine heiß, geliebte Musik, bei welcher ihm Constanze treulich sekundierte. Ihr hatte er auch bald in der geliebten Muttersprache seine Schick­sale erzählt. Wie kurz war der Traum, wie bitter das Erwachen! In seiner Un- erfahrenheit, seiner künstlerischen Und fangen- heit hatte er über die gesellschaftliche Stellung welche er einnehmen würde, gar nicht nach­gedacht. Der Abschied von der Bühnen- lhätigk-it war ihm ein so überaus schmerz­liches Opfer geworden, daß er geglaubt, es wiege wohl einige gesellschaftliche Vorteile aus. Die Präsentation alsFürst" bei seiner Ankunft erschien chm wie Betrug, und der ehrliche, einfache, schlichte und dennoch gottbegnadete Künstler, schlich unter dieser Lüge wie gebeugt umher. Die Fürstin lachte dieser Klage, wie sie über siin mangelhaftes Französisch lachte.

Wie die meisten Tenoristen, hatte auch er in dem hingehendste» Studium der Musik jedes andere Wissen unbeachtet gelassen.

Die vornehme Dame imponierte dem bürgerlichen Sänger zu sehr, um auf deren abweisende Reden zu erwidern, so schwieg er denn und dachte nur unaufhörlich nach, wie er sich aus dieser total schiefen Stellung befreien könne?

Die junge Prinzessin Axinia, welche ihm zutraulich, fast herzlich entgegcngekommen war wagle er aus lauter Respekt kaum anznre- den. Constanze die anfänglich eine mögliche Eifersucht der Fürstin befürchtete, nahm sich, als sie von Gleichgültigkeit derselben über­zeugt war, seiner an, machte ihn auf die Sitte» und Gebräuche, welche hier herrschten, auf­merksam, verbesserte kleine Verstöße und half ihm, das hier unumgänglich notwendige Fran­zösisch, diesen Firnis der geselligen Bildung zu verbessern. Auch wenn der fürstlichen Gemahlin, einem Befehl ähnlicher Auffor- verung, zu musizieren, ertönte, vertiefte sie sich mit ihm in das Reich der Töne, wo er Alles vergessend, sich Herr, Fürst, Götter­liebling wähnte.

So kam der Herbst und mit ihm die Jagden der Gutsnachbarn. Auch hier, trotz seines Protestes, nnter falscher Flagge präsen­tiert, begegnete er dennoch mehr Wohlwollen, als er erwartet; ein guter Kamerad der Jä­ger, auch ziemlich tapfer bei der Flasche, wie alle Rheinländer, nannten sie ihnVäterchen" und der einem exquisiten Diner kümmerten sie sich wenig, ob der Hermelin seines Für­stenmantels falsch oder ächt. De» Damen gefiel seine Schönheit, und man fand die Caprice Jwanowna's sehr verzeihlich. Den riesenhaften Mann mit den großen, guten blaue» Anzen, dem Kindeilächeln um Lippen, welche nue Kirschen nnter dem blonden Bart

hervorleucktetcn, erregte förmliches Ent­zücken; und wen» er sang, hingen die Blicke Aller so an seinem Mund, daß er wirklich wie ein Herrscher unter ihnen stand, und daß die gesamte Schar diesen. Rattenfänger von Hameln gefolgt wäre, wenn er gerufen. Allmälig gestalteten sich die Verhältnisse erträglicher; die Indolenz der Fürstin ließ so ziemlich jeden das Leben nach Lust und Laune gestalten obwohl eine drückende Schwüle über Allen lag.

Das Gewitter nahte sich denn auch bald in der Gestalt des Neffen der verstorbenen Durchlaucht, eines französierte» Russen, wel­cher sich vorläufig alsGast" intiednznrtc. Es war ein schlanker, hocheleganter junger Mann, mit blassem, verlebtem Gesicht, ein beständiges moqaantes Lächeln ans den schma­len Lippen, das ächte Bild des Spielers, des Roue's unter den vollkommensten Formen, ce» verbindlichsten Manieren, die asiatische Wildheit, welche aus den tückischen Augen blitzte, ve: hüllend. Mit der größte» Höflich­keit verneigte er sich vor Albert, de» ihm die Fürstin alsGemahl" und mit der größte» Unbefangenheit und Ruhe, welche die ewige Wiederholung der Lüge diese ihr schon selbst glaublich gemacht, alsFinst" vor­stellte.

Hatte bereits ui Deutschland die Ehre Fürst Lohegrin, so viel ich weiß?"

Alber! erblaßie und war im Begriff zu antworten, aber er kam nicht dazu, denn nach abermaliger Verbeugung bot der Neffe der Fürstin, galant den Arm, und führte sie in ihr Kabinet um eine klein Geschäfts­angelegenheit zu ordnen. Leider erwies sich diese als sehr schwerwiegend.

Der junge Wladimir Dimitrowitsch er­wies sich, nebst dem einzigen Sohn des Fürsten als Haupterben; dem Letzteren wollte er überhaupt die Erbschaft streitig machen, da mau bei der ersten Ehe des Fürsten mit der Tscherkessin versäumt hatte, die kaiser­liche Genehmigung cinznholen. Sein Anwalt hatte ihm die Kunde von all' dem Vorge- gangencn nach Monaten gemeldet, von wo er, fast ruiniert natürlich verschwieg er diesen Umstand, mit größter Eile heim- gekehrt war, um sich an Ort und Stelle wirksam zu informieren. Nach einigen Tagen erschienen zwei Herren im Schlosse, augenscheinlich Advokaten; endlose Conferen- zcn fanden statt, wobei der arme Albert wieder vollständig ingnoriert wurde.

Das Ergebnis war: man bewies der Fürstin, daß ihr nur eine, für ihre Bedürf­nisse allzukleine Rente bleibe und der Wit­wensitz auf einem entlegenen Schlosse.

Z im Vormund der kleinen Axinia wurde der junge Fürst bestellt; außer den Erzie- hnngsgeldern sollten dieser die Interessen ihres Vermögens bis zur Mündigkeit znm Kapital geschlagen werden.

Jwanownas ganze unzähmbare Wildheit brack los, sie raste und machte ihrem Zorn in Ausdrücken Luft, welche entschieden mehr auf den Petersburger Fischplatz als in den fürstlichen Salon paßten. Die Herren reis­ten wieder ab, freudig den fetten Prozeß erwartend, welcher indeß merkwürdig lange auf sich warten ließ.

Der mutmaßliche Erbe blieb, und die Conferenzen i» dem verschlossenen Arbeitska- binet zwischen ihm und der Fürstin waren endlos. Letztere betrachtete den Herrn Ge­mahl, welcher jetzt überall, nur nickt zu Hanse zu finden war, mit unterdrücktem Haß, Wladimir mit seinem vielsagenden Lächeln. Die Musik-Abende hörten auf, da