'Nelersvurg, 19. Okt. In den deutschen Kolonien des Wolgagcbietes sind über Hunderttausend Menschen, die nichts zu essen haben und bettelnd von Ort zu Ort ziehen; viele sind dem Hungertode nahe. Das Elend ist geradezu entsetzlich und es bricht sich immer mehr die Erkenntnis Bahn, daß die vom Staate und der Privathilfe veranstalteten Maßregeln auch nicht entfernt genügen werden, dem furchtbaren Verhängnis zu steuern.
Lokales.
—» Wildöad, 24. Oktober. Von der Villa Wetzel bewegte sich heute Samstag Nachmittag ein imposanter Trauerzug die Olgastraße hinab zum Friedhof. Wer die große Zahl der Leidtragenden sah, und die beinahe unzähligen Blumenspcnden, welche in drei Wagen dem Sarge folgten, der mußte sich sagen, daß hier Jemand zu Grabe geleitet wurde, dem große Ehre und Dankbarkeit gebührt. Wer die Verstorbene, Frau Mina Wetzel, kannte, der wußte auch wie sehr die Dahingeschiedene aller Ehren welche ihr gebracht wurden, würdig war. Während der Zeit, in welcher Frau M. Wetzel an der Seite ihres vortrefflichen Gatten, gew. Pächters des K. Badhotels thätig war, gebührt auch Ihr das Verdienst den guten Ruf des Hotels durch unermüdlichen Fleiß und umsichtigen Sinn mitbegründet, und in immer weitere Kreise verbreitet zu haben. Nachdem bald nach ihres Gatten Tode der Sohn die Führung des Hotels übernommen, gönnte sie sich die wohlverdiente Ruhe. Aber auch jetzt sollte cs ihr noch vergönnt sein, sich um Wildbad verdienstlich zu machen. Durch Er- baung der schönen und stilvollen Villa Wetzel in prächtiger Lage Wildbads, wurde unserer an stilvollen Privatgebäuden gerade nicht reichen Badestadt eine hervorragende Zierde. Hier in ihrem schönen Heim durfte sie noch circa 8 Jahre des schönsten Friedens genießen. Jeder der in dem gastfreundlichen Hause verweilte wird stets gern der Besitzerin, welche durch ihren lebhaften Geist, und Sinn für Alles Schöne, Anderen frohe Stunden bereitete, gedenken. Hilfreich sein und Wohlthun war mit ein Grundzug ihres Charakters. Aufrichtig wird die durch tückische Krankheit dahin- gcraffte edle Frau betrauert; in den Herzen der Wildbadcr wird Frau Mina Wetzel in dankbarer Erinnerung fortleben. Ehre ihrem Andenken!
Wikdvad, 23. Okt. lieber das am gestrigen Abend von den Herren Fohmann, Lässig und Wö rner von hier in Ncuen- bürg veranstaltete Konzert schreibt der Enzth.: „Emen überaus schönen und genußreichen Abend verbrachten die Teilnehmer an dem Konzert der Herren Fohmann, Lässig und Wörner von der Wildbader Kurkapelle. Ein sehr hübsch zusammengestelltes Programm mutete schon beim Lesen an und erweckte Hoffnungen und Erwartungen, die durch die vorzügliche musikalische Ausführung desselben vollauf erfüllt werden sollten. Das Konzert wurde eröffnet durch den „Einzug der Gäste auf der Wartburg" aus dem „Tannhäuser", vorgetragen von Hrn. Wörner, der durch die treffliche Wiedergabe dieses Stückes, sowie durch die des „Impromptu" von Schubert und namentlich durch die gefühlvolle, feinsinnige und gewandte Begleitung der Einzcl- vorträge sich als ein Meister des Klavicrspiels erwies. Der Klarinett-Virtuos Th. Lässig erntete für seine Vorträge begeisterten Beifall. In „Ein Traum" von Bärmann, „Walzer- Arie" von Bergson und namentlich in „Der
„Karneval von Venedig" von Cavallini überwand er gehäufte technische Schwierigkeiten in einer Weise, die Staunen und Bewunderung erregte. An manchen Stellen wirkte seine Fertigkeit, der unscheinbaren Röhre in rasender Geschwindigkeit einen Strom von Tönen mit unvergleichlicher Fülle und Schönheit zu entlocken, geradezu verblüffend. Die dringend gewünschte Wiederholung des „Karneval von Venedig" mußte der Künstler wegen der all- zugroßcn Anstrengung, zu der ihn die höhere Stimmung des Pianinos nötigte, ablehnen. Mit stürmischem Beifall wurden die Vorträge des Meisters auf dem Waldhorn, Hrn Karl Fohmann, begrüßt. Die weichen Klänge seines Instrumentes gemahnten an Heimweh, Mondcnschein, Maicnluft und Blütcnduft; die lieblichen Melodien und die bezaubernden Pianissimos, der Gipfelpunkt seiner Kunst, schmeichelten sich in das Ohr des Hörers ein und bewegten Herz und Gemüt. Von den herrlichen Liedern erwähnen wir das „Jagd- lied" von Mendelssohn, „Abschied von der Heimat",vonGounod und der„Lindenbaum"vo n Schubert. Am besten gelungen ist dem Künstler das ergreifend schöne „O Du mein Oesterreich," das auf den dringenden Wunsch der Anwesenden wiederholt werden mußte. In einer Romanze von Halevy vereinigten sich alle 3 Instrumente zu den schönsten Harmo nien. Den Schluß des Konzertes bildete das Lied „Jung Werners Abschied" aus dem Trompeter von Säckingen, das Fohmann mit gleicher Meisterschaft auf der Trompete vortrug. Einige freundliche Zugaben, ivie „Andreas Hofer" für Waldhorn und „Waldandacht" von Abt für Trompete hielten die Anwesenden noch längere Zeit in anregender Geselligkeit beisammen. Die 3 Künstler, die in den nächsten Tagen eine größere Konzertreise an- trcten, werden auch in anderen Orten sich die Sympathien der Musikfreunde in dem Maße gewinnen, wie es ihnen hier gelungen ist; und in dieser Ucberzeugung rufen wir ihnen ein herzliches „Glück auf!" und ein „Auf Wiedersehen" zu.
Tntki-Halkndkr.
Entdeckt.
Kriminalerzählung von G. Struder.
(Fortsetzung.)
„Das ist selbstverständlich, Herr Baron."
Sie sind ein wackerer Mann und wer weiß, vielleicht gebe auch ich bald meine jetzige Stellung auf und ziehe dann ganz in ihre Nähe, um an dem Anblicke und dem Gedeihen der jungen Heinriche mich zu erquicke». Morgen früh wollen wir nochmals in G. unser Glück versuchen." —
Den Abend verbrachte der Baron in Gesellschaft des Bürgermeisters und des Doktors, während Heinrich eifrig mit der geliebten Wirtstockter sich unterhielt. Letztere war jedoch nicht besonders aufgelegt zu einem Gespräche. Sie sah fortwährend ängstlich nach der Thür, denn sic erwartete den Moment, daß ihr Verlobter dort erscheinen und am Ende eine kleine Eifersuchts- fzene aufführen würde.
Die drei Herren an dem Honoratioren- tiscke sprachen inzwischen vorwiegend über den Eindruck, welchen der Baron von der Umgegend und dem Landgute, das er besichtigt, erhalten hatte. Auf di« Ermordung Hcidens kam die Rede nur ganz vorübergehend. Mit einem vielsagenden Blicke auf
seinen anwesenden Diener wußte der B"rvn dem Gespräche gewandt eine andere Rich^ tung zu geben, woraus seine Tischgenoffen sofort den Schluß zogen, daß derselbe seinem Untergebenen nicht mehr recht trauen mochte und dies war Grund genug für die beiden Herren, mit verständnisvoller Miene die stille Mahnung zur Vorsicht zu be- f-lge».
Die außerordentliche Unterhaltungsgabe des Herrn von Reifenberg hatte die kleine Gesellschaft in die beste Laune versetzt, so daß der gute Bürgermeister auch heute mehr trank, als,sein Wirthrusbudget ihm eigentlich gestattete, als mit einem Male die Thur aufging und der Förster Baumbach ins Zimmer trat. Die drei Herren grüßte er höflich, aber fein haßerfüllter grimmiger Blick überflog sein hartes Gesicht, als er den großen Menschen neben seiner Verlobten erblickte. Schon gestern hatte das Gefühl, in Bezug ans seine bekannte Körperstärke, auf die er sich nickt wenig einbildete, in Jenem einen gefährlichen Nebenbuhler zu besitzen, eine Art instinktiven Hasses in ihm erregt; daß dieser Mann ihm nun aber auch bei seiner Braut in den Weg zu treten wagte, das versetzte ihn in vollständige Wut. Nur mühsam wußte er sich soweit zu beherrschen, um Gertrud, die bei seinem Anblicke schnell und nicht ohne ein leichtes Erröten sich erhoben hatte, einen guten Abend zu wünschen.
„Du unterhälst Dich ja recht gut in meiner Abwesenheit," stieß er sodann mit höhnischer, vor Zorn faß erstickender Stimme hervor „und dazu noch mit recht ach- iungsiverten Personen."
Entrüstet über den brutalen, verletzenden Ton ihres Zukünftige» 'entgegnete Gertrud:
„Ich werde dock wohl noch mit untereren Gästen reden dürfen, wenigstens mußt Du Dir es nicht einfallen lassen, mir dies auch noch zu verbieten. Außerdem ist der Heinrich ein sehr anständiger Mann, der jedenfalls seine Braut nicht auf eine solche Weise anfahren würde." —
„Sehr richtig, liebes Fräulein," warf dieser ein.
Der Förster sprachlos vor Erstaunen, maß den letzteren mit einem Blicke, in dem. fein ganzes haß- und zornerfülltes Innere auf eine wahrhaft fruchtcinflößende Art sich abspiegelte.
„Herr, was geht das Sie an, was ich mit meiner Braut zu verhandeln habe," keuchte er endlich, „bekümmern Sie sich lieber um Ihre eigene Angelegenheiten, die ohnedies faul genug aussehen."
Heinrich lachte laut und verächtlich auf, während er zu dem vor ihm stehenden Manne kopfschüttelnd und wie mitleidig ent- porschaute. Die Fäuste des Försters ballten sich zusammen vor Wut, wobei er einen Schritt näher auf seinen Gegner zutrat so daß Gertrud, die todcsblcich geworden war, einen Sch. ei des Schreckens ausstieß. Es wäre wahrscheinlich zu einem gewaltthätigrn Auftritte gekommen, wenn nicht in diesem Augenblicke der Bürgermeister zwischen die beiden Nebenbuhler getreten wäre.
„Was beginnen Sie, Herr Baumbach?" sprach er ernst, „als Vertreter der Polizei ersuche ich L>ie dringend keine Ruhestörungen in einem öffentlichen Lokale zu veranlassen. Sic sind doch sonst ein ruhiger und gesetzter Mann und um so weniger begreife ich, wie Sie hier vor all diesen Herren sich so weit konnten Hinreißen lassen. Kommen sie mit mir an unfern Tisch und trinken