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gerichtet. Hundert Passagiere, darunter 20 Frauen, waren 24 Stunden lang mit einem Eisenbahnzuge zwischen Bridestowe und Oke- hampton eingeschneit. Gestern abend erst wurden sie ausgegraben. Seit Montag sind 14 Schiffe, darunter auch Dampfer, an der Küste von Cornwall und Devonshire mit über 60 Mannschaften untergegangen.
New-KorK, 15. März. Buffalo Bill erhielt vom amerikanischen Kriegsdepartement die Genehmigung, alle neuerdings am Jndianeraufstand beteiligt gewesenen Häuptlinge, die jetzt im Fort Sheridan gefangen sind, nach Europa behufs Schaustellung mitzunehmen.
— Das eiserne Schiff „Malaysia", von San Iranzisko mit 2500 Tonnen Getreide nach England unterwegs, ist auf hoher See mit Mann und Maus untergegangen; die Besatzung des Schiffs war 35 Mann stark.
Aew-Hrleans, 13. März. (Lynchjustiz). Der Prozeß gegen die der Ermordung des Polizeichefs Hennessey bezüchtigten Sizilianer fand heute seinen Abschluß. Hennessey war, ehe er ermordet wurde, gerade daran, den geheimen ital. Gesellschaften, welche im vorigen Jahre in kurzer Zeit 40 Meuchelmorde begangen, auf die Spur zu kommen. Die Geschworenen sprachen 6 der Angeklagten frei, konnten sich aber nicht über 3 andere einigen. Als das Urteil bekannt wurde, rottete sich eine große Menge Volkes zusammen und stürmte nach dem Gefängnis, unterwegs die Waffenläden plündernd. Die Kerkerthür wurde mit Brecheisen bearbeitet, bis ein riesiger Neger sie mit der Axt einschlug. Darauf wurden 50 mit der Ausführung des Lynchucteils beauftragt, drangen ein und erschossen 6 der Gefangenen. Um die blutdürstige Menge draußen zu befriedigen, wurden 2 Italiener lebendig hinausgeschleppt, einer an einem Baum aufgeknüpft und mit Kugeln durchlöchert, ein anderer, an einer Laterne aufgehängt, siel hinab und wurde wieder aufgeknüpft. Der Polizeidirektor, der mit einem Dutzend Polizisten anlangte, wurde mit Fäusten bedroht und kehrte um. Schließlich hielt ein hervorragender Advokat am Kerkerfenster an die Menge eine Schlußrede: „Die Gerechtigkeit ist geschehen, die Mörder Hennessys sind tot, die Verantwortlichkeit dafür gebührt der bestochenen Jury. Das Volk verlangte den Tod, wir haben den Willen des Volkes erfüllt. Jetzt geht nach Hause!" Darob jauchzte die Menge und trug den Redner auf ven Schultern im Triumphzuge durch die Straßen. Die Zahl der Gelynchten beläuft sich auf 11.
Untkrhaltkndks.
Heheimrats Lilli.
Von Otto Richard.
(Fortsetzung.)
„Dann würde ich wohl schwerlich so allein mit ihm in die Dunkelheit hineinlaufcn. Sehen Sie nur, wie weit die andern schon voraus sind! Und dort gehl schon der Mond in die Höhe. Schauen Sie nur hin, wie schön! Aber bitte, Herr Metz, wir müssen etwas rascher laufen. Ach! — "
Hätte nicht Otto seine Gefähitin fest in den Armen geholten, sie wäre rücklings übergeschlagen. Der eine ihrer Schlittschuhe fuhr klirrend über das Eis hin; der Riemen, der ,hn gehalten, war geplatzt, und der Stachel hatte nicht mehr sestgehalten.
Als der erste Schrecken vorüber, führte Otto das humpelnde Mädchen an's Ufer, wo
ein quer überliegender Weidenstamm in das Wasser eingefroren war. Lilli ließ sich darauf nieder, und Otto holte den Schlittschuh. Er nahm sein Halstuch, br itete es aus und ließ sich vor Lilli auf die Kniee nieder.
„Das wird rasch repariert sein," sagte er. „Als ein richtiger Famulus Ihres Herrn Papa habe ich einiges Handwerkszeug in der Bcusttasche, wenn ich es zu einem regelrechten chirurgischen Besteck auch noch nicht gebracht habe."
Er holte starke Seide und eine Nadel aus der Brusttasche, die er dann Lilli auf den Schoß legte.
Ohne etwas zu denken nahm Lilli die offene Tasche in die Hand.
„Sehen Sie, Fräulein Lilli? Kein Sattler könnte besser und schneller arbeiten.
Lilli beugte sich zu ihm nieder, um die Musterarbeit zu betrachten. Da fiel etwas aus der Brieftasche, Lilli wollte es rasch aufheben, doch schon hatte Otto eine welke Rose, die auf das Eis gefallen war in der Hand.
„Kennen Sie die Rose, Fräulein Lilli?"
Lilli gab keine Antwort; es überlief sie heiß.
„Ich habe sie seit dem Morgen als mein teuerstes Kleinod aufbewahrt."
„In der Brieftasche?" Wo sie jeder sehen konnte, wie ich jetzt. Sie haben wohl auch jedem, der sie sah, erzählt von wem sie ist?"
„Lilli! - . . Die Rose lag fest hinter dem Rahmen, der meiner Mutter Bild umfaßt, ich weiß nicht, wie sie herausfallen konnte."
Lilli schwieg. Sie schämte sich, daß sie einen solchen Verdacht ausgesprochen.
„So wie das Bild meiner Mutter nicht für jeden da ist, noch viel weniger die erste Gabe aus Ihrer Hand, die Rose, die ich tausendmal geküßt, wenn ich traurig oder voll seliger Hoffnung Ihrer gedachte, allein auf meinem kleinen Zimmer, aus dessen Fenster ich zuerst das Morgengold leuchten sah."
„Sieh, Lilli! Da es einmal so gekommen, daß das Herz nicht mehr verschweigen kann, was es so lange stillsclig in sich eingeschlossen, so will ich auch jetzt offen um mein Glück werben: Lilli, willst Du dem Heisasa ein klein wenig gut sein, fest und treu zu ihm halten, daß er nie wieder schlimm und leichr- sinnig wird?"
Was sollte die kleine Lilli machen? Es war ihr so ängstlich ums Herz, und doch fühlte sie sich so glücklich, so unendlich selig. Sie wußte wirklich nicht, wie es kam, daß sie plötzlich so fest und innig an Ottos Brust ruhte. Die Glut seiner Küsse durchschauerte sie so wonnevoll, daß sie Erde und Himmel, Vater und Mutter vergaß.
„Du bist mir also wirklich gut? Du willst mich lieb haben, mein Morgengold, mein kleine, herzige Lilli?" flüsterte Otto.
„Ach Otto! Ich hatte Dich lieb von Anfang an!"
Noch einmal schloß Otto das bebende zitternde Mädchen fester in die Arme.
„Um Gottes Willen, Otto! Wir müssen eilen! Was wird die Mama denken. Die Andern sind längst zu Hause.
Otto sah ein, daß Lilli Recht hatte. Rasch hatte er den Rest seiner Riemenarbeit beendet und Lilli den Schlittschuh wieder angeschnallt. Noch fester aneinandergeschmiegt, aber schweigend in dem Uebermaß ihrer Seligkeit, liefen sie rasch über die Eisfläche. Einmal hielt Lilli noch inne.
„Ich kann der Mama nicht in die Äugen sehen. O! ich kann ihr nicht verheimlichen, was heute zwischen uns vorgegangen. Sie
muß mirs an den Augen ansehen, an der Stimme anhören!"
„Du sollst ihr auch nichts verheimlichen, meine Lilli. Aber heute abend, den einzigen Abend schweige noch. Ich muß zuerst reden, denn ich bin ja doch der schuldige Teil, wenn von Schuld die Rede sein kann. Nur bis morgen warte noch, Lilli! Ich will mit Deinem Vater reden."
„Wenn ich es kann, Otto!"
„Versprich es mir, liebste Lilli!"
„Gut, Otto, denn ich glaube, daß Du Recht hast und es wird so besser sein. Aber ich habe eine schreckliche Angst, als wenn uns noch Schlimmes bevorstände."
„Sei nur ruhig, Liebchen! — Doch da kommen schon Leute von unserer Gesellschaft. Man war neugierig, wo wir gesteckt haben.
So war es in der That. Es gab jetzt ein Hin- und Heriragen. Man harte ein Unglück vermutet. Hie and da siel auch ein leises Scherzwort, das Lilli das Blut in die Wangen trieb, Otto übernahm die Aufklärung und erzählte von dem kleinen Unfall und der schwierigen Arbeit, die er mit dem zerrissenen Riemen gehabt hatte.
Man erreichte nun rasch den Landungsplatz bei der Stadt und trennte sich nach verschiedenen Richtungen.
Lilli hatte außer Otto noch mehr Begleitung von einigen Freundinuen bis zu ihrem Haus. Es war Otto nicht mehr möglich, mit ihr allein zu reden. Ein verstohlener Händedruck und ein einziger, aber seelenvoller Blick aus ihren Augen sagten ihm jedoch beim Abschiede vor der Gitterthür des Hofes, daß Lilli ihm den Liebesschwur halten werde, den sie ihm drunten auf dem Weidenstamm im Eise geleistet und mit den heißesten Küssen besiegelt hatte.
XI.
O jerum, jerum, jerum!
0 gnas mutatio roruva!
Die Frau Jrdenberger schüttelte am
andern Morgen ganz bedenklich den Kopf, als sie in der Küche stand und den Kaffee für ihre „Herren Studenten" kochte. Der
Herr Metz, den sie in der letzten Zeit gar nicht genug rühmen konnte, schien wieder einmal seine tollen Streiche anzufangeu. Wie war das wieder ein Gepolter auf der Treppe in der letzten Nacht l Entweder hatte er einen tüchtigen Rausch, so daß ihn einer nach Haus bringen mußte, oder er hatte einen andern betrunkenen Bruder Studio mitgebracht.
Heißt das arbeiten? Als er aufs Eis ging, hatte er gesagt, abends müsse er noch ein oder zwei Stunden im Institut arbeiten, daß alles für die Vorlesung fertig sei. Die Frau Jrdenberger solle ihm doch ein paar belegte Brote auf dem Zimmer zurechtlegen und Wasser zum Thee in den Ofen stellen. Und was hatte sie ihm für ein paar Brote geschnitten , und wie reichlich mit Butter gs- strichen und mit dem besten Schinken belegt! Denn von der kalten Luft und von dem Schlittschuhlaufen bekommt man ja gehörigen Appetit. Wenn man da noch arbeiten will, heißt's erst den Magen ordentlich restaurieren!
„Kaum nach Hause gekommen, läuft Herr Metz wieder weg, hat aber die Butterbrot»e eingesteckt. Im Institut ist er gewesen? Auf der Kneipe hat er ivicder gehockt!"
„Was? Ist er schon auf?" Wahrhaftig er komint die Treppe herunter"
„Guten Morgen, Frau Jrdenberger!" sagt Heri Metz. Seine Stimme klingt nicht so frisch wie sonst. Das macht der Katzen- Jammer. Frau Jrdenberger brummt nur so vor sich hin. (Fortsetzung folgt.)