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Nr. 24V. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 93. Jahrgang.

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Samstag den 12. Oktober 1918.

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Wie es in E gland steht.

* DemSchwab. Merkur" wird geschrieben: Von einem Neutralen im Haag, der sich im August und September in England anfgehalten hat, ging einem namhaften Berliner Kaufmann folgender Bericht zu:

. . . . Die ganze innere Situation ist heute restlos auf Bluff aufgebaut. Der Durchschnittsengländer zeigt seinem eigenen Bluff gegenüber eine geringere Skepsis als der kritische Deutsche. Das läßt ihn stärker und seine Zustände günstiger erscheinen. Die Führer wissen natürlich, wie es steht, und täuschen sich kaum darüber, daß mit den sestgeschraubten Ventilen nur noch eine kurze Zeit gefahren werden kann, in der das Ziel erreicht werden muß, wenn es nicht zur Katastrophe kommen soll. Von dem. was Lu dann wohl allzu bescheidenpersönliche Unbequemlichkeiten" nennst, habt ihr soviel gehört, daß ihr daran nicht mehr glaubt. Dennoch liegen die Dinge so, daß der Re che sich in de>n kommenden Winter allerdings das Lebensnotwen­dige verschaffen mag und noch einiges darüber, aber die Masse hungert und wird sehr hungern und wird mehr hungern als bei euch. Und sie wird hungern in kalten Räumen und völlig ohneKohlen; denn für Haus- halte stehen Kohlen nicht zur Verfügung. Laste dieper­sönlichen Unbequemlichkeiten" außer Rechnung, so bleibt immer bestehen, daß, wie Eompers sagt,die Kohlenfrage die Kardinalsrage des ganzen Weltkrieges' ist". Menschen mögen sich durchhungern, Maschinen ohne Kohlen bewegen si-h nun einmal nicht. Und es ist den Sachverständigen klar, daß ein Jahr vergehen muß, bis die Betriebe der wieder­gewonnenen nordsranzösischen Kohlenzechen von Lens wieder hergestellt sein und fördern können. Nur hält das Land ein Jahr Kohlenknappheit nicht mehr aus, weil vorher alle- stocken muß. Nein, sie opfern nicht umsonst heute Menschen Las Master steht ihnen an der Kehle. Schon lagen Hoch­öfen, die Stahl für Munition herstellten, tagelang still. Es gibt ein anderes Moment, das die dennoch England wie kein anderes Land beherrschende Bourgeoisie zu Verzweif­lungsschritten treibt. Sehr vorsichtig schrieb ..koily -ele- graph":Es ist kein angenehmer Gedanke, daß die Un ruhe unter unfern Arbeitern zu ein-: Zeit zun. Sieden kommt, in der die Verbandsheere von Sieg zu Sieg schreiten." Die immer weiter um sich greifenden FriLc- rungcn der unteren Schichten, die Schraube ohne Ende, die Notwendigkeit unter dem Zwange des Kriegs immer nach- g»ben zu müssen, ohne es jemals auf eine wirkliche Kraft­probe ankommen lasten zu dürfen, verstört die bürgerliche Oberschicht ganz ungeheuer. Die herrschende engli'sche Bourgeoisie erkennt, und wo sie nicht erkennt, ahnt sie, Laß ihre Tage gezählt find und möchte sich retten um jeden Preis, ehe es zu spät ist. Nirgends, es sei denn in dem sozialistisch noch unentwickelteren freien Amerika fürchtet man mehr einen Anarchismus im Sozialismus, und wahrscheinlich hat man auch nirgends mehr als in England und Amerika Grund dazu, denn die englische sozia­listische Maste ist alles andere als sozialistisch erzogen. Sie hat den sozialistischen Denkprozetz der deutschen und west­europäischen und skandinavischen Arbeiterschaft nicht durch- gcmacht. Das ist die verzweifelte Not des bürgerlichen Ka­pitalisten John Bull, der sich als Demokrat ausgab und es nie war. In diesem Herbst entscheidet sich sein Schicksal. Ein unbürgerliches England ist kein England mehr. Bleiben noch zwei höchste Nöte, die wiederum die ganze Nation an- gehen, die rückläufige Schiffsprcduktion trotz allen Verspre chungen und die Heberstügelung durch Amerika und Japan. Tie Klage desLioerpooler Journal of Tommerce" ist in der ganzen Welt bekannt geworden. Eie lautet: Wenn nicht ganz wesentliche Veränderungen in England eintreten, werden die Vereinigten Staaten und Japan Englands Erb­schaft antreten, während England auf die Stufe einer zweit- oi er drittklastigen Handels- und Schiffahrtsmacht herabsiukt, und das ganze Reichsgebäude geschwächt wird." So steht es jenseits des Kanals in Wahrheit aus, alles andere ist Mache. Was bei euch verkehrt ist» weißt du. Der leiden«

Faden, an dem das Schicksal hängt, ist drüben schwächer als bei euch. Es scheint mir jetzt in diesem Endkampf auf das onzukommen, was der frühere Student of War desManch. Guardian" in derTimes" in folgender Weife ausdrückte: Die Moral des Feindes muß gebrochen werden. Es ist der Verlust anMoral", nicht Verlust an Boden oder an Men­schen oder cm Material, was Sieg oder Niederlage aus macht. Der Feind muß aushören, an sich oder a» seine Führer zu glauben."

Jur Kriegslage. - Die Fried erfrage.

Der feindliche Ansturm im Westen dauert mit unver­minderter Heftigkeit fort. Zwischen Tambrai Zmd St. Quentin wird der gegnerische Druck mit allen Mitteln des Menscheneinsatzes und der Verwendung von Kriegsmaterial in Richtung auf Le Tateau fortgesetzt. Oest.ich und nord­östlich von Cambrai wird gegen die Seile angerannt. Auch nördlich von Tambrai, im Raum östlich von Lens, soll ein gewaltiger Angriff der Engländer im Gang sein. Nach kindlichen Berichten beabsichtigt Fach den Durchbruch im Raum TambraiSt. Quentin unter allen Umständen zu erzwingen, und damit di« ganze deutsche Front Laon Reims Verdun im Rücken zu bedrohen.' Was mfere Heere in der Abwehrschlacht an Heldenmut und Aufopferung leisten, ist unvergleichlich. Bei ihnen ist das Bewußtsein lebendig, daß es um das Leben unserer Nation geh:, und daß sie deshalb aushalten mästen bis zum Letzten. Möge auch das deutsche Volk in der Heimat in diesen ernsten Tagen sich seiner Pflicht voll bewußt werden, der Pflicht, eiserne Disziplin zu halten, damit unsere Regierung und '-ecresleitung den festen Rückhalt haben, der notwendig st, um uns einen Frieden zu erkämpfen, der den Bestand osss Reiches sichert.

Heber den Stand der Friedensfraze haben wir noch keine bestimmten Anhaltspunkte. Es scheint, daß die d-utsche Antwortnote an Wilson in ihren Grundsätzen fest gestellt ist, und daß sie heute abend nach Washington über­mittelt, und gleichzeitig auch veröffentlicht wird. Eine end­gültige Antwort Wilsons erwartet man dann Mitte nächster Woche. Wie die deutsche Antwort lauten wird, darüber kann man vorerst nur Vermutungen aussprechen. Der Franks. Ztg." wird aus Berlin gemeldet, daß sie tn zu­stimmendem Sinne gehalten sein werde: das würde also bedeuten, daß man sich zur Räumung sämtlicher be­setzten Gebiete bereit erkläre. Daß das aber bedingungs­los geschehen könnte, das glauben wir nicht annehmen zu dürfen im Hinblick auf die grpßen Gefahren, ^ie ein ,olcher Schritt tn sich schließen würde. Die Regierungen von Frankreich und Italien haben sich schon beeilt, durch halb­amtliche Auslastungen derAgance Havas" bezw.Agenzia >tefani" ihre Anschauung zum Ausdruck zu bringen, daß als erste Vorbedingung für einen Waffenstillstand d'e be­dingungslose Räumung der besetzten Gebiete zu gelten hat. So läßt Tlemenceau durch dieAgence Havas" nach Er­hebung von Zweifeln in die Ehrlichkeit der deutschen Volks­regierung erklären:Wenn die Vorbedingungen: Rückhalt- !'se Zustimmung zum amerikanischen Friedensprogramm, Neuorientierung der deutschen Politik, sowie Räumung der besetzten Gebiete von der kaiserlichen Regierung angenom­men werden, so wird der Waffenstillstand noch nicht ipso kacto eintreten. Präsident Wilson wird vielmehr dann vst nur in der Lage sein, die Einstellung der Feindseligkeiten tn, Völkern der Entente vorzuschlagen, die dann die Bürgschaften bekannt geben müssen, welche sie von den Feinden fordern wollen, bevor sie die Waffen niedeilegen. Deutschland hat jetzt das Wort."

Der hochfahrcnde, anmaßende Ton desTigers" spricht hier aus jedem Wort. Er glaubt sich schon seiner Sache sicher. Wesentlich anständiger ist die italienische N te ge­halten, die tn der Wilsonschen Antwort die Abs'-»t er- ki nnen will, einen gerechten und dauernden Frieden yergU- stellen. Die Mittelmächte müßten jetzt durch Tatsachen be­weisen, daß ste bei ihrem Vorschlag eines Waffenstillstandes

von jenem guten Glauben durchdrungen feien, von dem Wilson die Möglichkeit der Durchführung von Verh'- dlun- gen abhängig mache. In England beschäftigt man ü-v sch»«, mit dem kommenden Völkerbund, dessen Charakter Kren 1 >tzt skizziert hat. Wie nicht anders zu erwarten, bat ein solcher Völkerbund für uns durchaus das Gcsich» eine» angelsächsischen Bundes zur Erhaltung der englischen Kolo­nien, dir die Engländer auf die Dauer allein nicht ballen könnten, und zur Niederhaltung jedes möglichen w-, schrift­lichen und politischen Konkurrenten. Wenn Gren oen den deutschen Rüstungen sprechen kann, ohne der wahst oniDen Rüstungen des viel kleineren Frankreich zu gedenk--», und oorjenigen des russischen Riesenreichs, so zeigt uns rcr Mp Genüge, daß Erey immer noch rein in ententistis len Ge­dankengängen befangen ist. Wenn auch Wilson üt- von solchen Aeberlegungen leiten ließ«, dann müßte all--ding- ein Völkerbund Zustandekommen, der wirklich eine Parodie z» seinen Grundsätzen der Freiheit und Gerechtigkeit dar­stellen würde. Wilson hat es also jetzt tn der H-i"d die Welt darüber aufznklären, ob es ihm tatsächlich au b Ernst mit feinen moralischen Ideen ist, oder ob er der g-chte Heuchler ist, der jemals ein Volk regiert hat. O 8.

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Die Berliner Presse vor der deutsche« Antwort an Wttfon.

Berlin, 11. Okt. Nach der Fertigstellung der deutschen Ant­wort auf WilsonS Fragen wird der BimdrSratSauSschuß für aus­wärtige Angelegenheiten, sowie der Ausschuß, de« Reichstags heute damit befaßt werden. Wie diePost' hört, ist es frag­lich, ob die Veröffentlichung heute schon erfolgen wird. Der Vorwärts" sagt, die Veröffentlichung dürste heute abend oder morgen stütz zu erwarten sein. Nach der Annahme der .P»st" hätten die Schwierigkeiten, die bei der Abfassung und der Ver­sendung der deutschen Note zu überwinden sind, sich wohl als größer hcrausgestellt, als zuerst angenommen worden sei. Das Blatt erinnert an die Note derAgence Havas", welche es offen ausspreche, daß nach Räumung der besetzten Gebiete von Deutsch­land Bürgschaften zu fordern seien, bevor die Waffen niedei-e- legt werden könnten. Daß die Ententepolitiker unter diesen Bürg­schaften die Besetzung innerdeutscher Festungen verständen, sei allgemein bekannt. ES sei wohl selbstverständlich, daß die deut­sche Regierung alle diese Umstände in ernsteste Erwägung ziehe, bevor sie sich Wilson gegenüber festlege. DieDeutsche Ta­geszeitung" schreibt: Ein Wort, eine Wendung in der deutschen Antwort kann für die deutsche Zukunft,' ja überhaupt für die Möglichkeit einer solchen positiv oder negativ entscheidend wer­den. DaS Verlangen an das Deutsche Reich, die besetzten Ge­biete zu räumen, ist durchaus nicht allein eine militärische, soli­dem auch st hohem Grade eine politische Frage und eine solche dcS nationalen Ansehens. TiePost" schreibt: Wenn eS den Alliierten wirst'ch um einen wahrhaften Völkerbund mit stiedenS- steundlicher Tendenz zu tun ist, können wir ihm zustimmen. An­ders verhält es sich, wenn der Bund das Mittel der Entente dar­stellen soll, Deutschlands Bewegungsfreiheit einzuschnürcn. ImBerliner Lokalanzeiger" liest man: Der deutschen Note vom 5, Ost. sind, wie eS scheint, keinerlei Sondierungen in Washing­ton vorausgegangen. Herr Wilson war also ohne weiteres in der Lage, von uns erst einmal die Räumung der besetzten Gebiete zu verlangen und damit den Franzosen, den erklärten Lieblinge« der amerikanischen Nation, ein ungeheueres Geschenk zu vermit­teln, für das er sich ihre ewige Dankbarkeit erwerben würde. Wie die deutsche Antwortnote diese Näumungsstage behändest, wird daS deutsche Volk nunmehr bald erfahren. Daß wir in Sicsem Punkt ohne jeden Vorlehalt auf die Wilsonschen Forde­rungen eingehcn könnten, darf wohl einstweilen noch als «msec schlossen gelten.

Die Türkei «nd das Friedensangebot.

(WTB.) Konstantinopel, 11. Okt. Die öffentliche Mei­nung in Presse nnd Publikum drückt die starke Hoffnung aus, daß diesmal das neue Angebot angenommen werde. Sie berust sich darauf, daß keinerlei wesentliche Unterschiede in der allgemeinen Auffassung der Friedens- ziele vorhanden seien. Mit Genugtuung stellt die Presse fest.

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