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Lilie, 6. Mai. 8000 Arbeiter drangen heute morgen in die Liller Vorstadt Saint Andre ein und wollten die Spinnerei Bardery stürmen. Die Truppen gaben Feuer, viele Arbeiter wurden verwundet und die Meuterer schließlich aus der Stadt hinausgedrängt.
AusAewyorK wird telegraphisch gemeldet: Eine Feuersbrunst zerstörte das Irrenhaus in Longue Point (Distrikt Ouebek). Eine Anzahl Personen soll dabei das Leben eingebüßt haben. — Ein ferneres Telegramm besagt: Bei dem Brande der Irrenanstalt in Longue Point sollen nach weiteren Berichten an 150 Personen umgekommen und nahezu 100 mehr oder minder verletzt sein.
Aus Wew-Hsork wird gemeldet: Singers große Nähmaschinenfabrik in New-Jersey ist abgebrannt. Der Schaden beträgt 20 Millionen Mark. 3000 Arbeiter sind brotlos.
Kanzißar, 7. Mai. Kilwa ist heute von den Arabern geräumt worden, nachdem es von deutschen Schiffen beschossen und von Major Wißmann am 4. d. M., der im Anmarsch siegreiche Kämpfe zu bestehen hatte, vom Süden her angegriffen worden war. Zwei Schwarze sind gefallen. Die Verfolgung wird morgen begonnen werden. Das Wetter ist entsetzlich. Das Depeschenboot „Max" wird vermißt. — Eine weitere Depesche über die Einnahme von Kilwa besagt. Der Feind räumte den Platz in wilder Flucht, nachdem von der Seeseite her zwei kaiserliche Kriegsschiffe das Bombardement eröffnet hatten. Gleichzeitig fand vom Lande her der Angriff der Wißmannschen Truppe statt.
Unterhaltendes.
Sein Kind.
(Schluß.)
„Ich bin es selbst."
„So kann ich mich meiner Bestellung entledigen," sagte er, einen Brief in ihre Hand legend, und ein Kind, das sie bis dahin nicht bemerkte, vor sich herschiebend. Sie sah in atemlosen Erstaunen auf beides. „Für mich!" fragte sie befremdet. „Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?"
„Mein Name ist Morris, mein Auftrag lauter an Fräulein Anna Volker. Ich habe versprochen, das Kind und den Brief persönlich abzuliefern."
„So treten Sie gefälligst näher."
,Jch danke mein Fräulein, ich reise mit dem" Nachtzuge weiter. Sie werden alles Nötige aus dem Briefe ersehen."
Er klopkte dem Kinde freundlich auf den Kopf, grüßte Anna und eilte die Treppe hinab.
Anna stand einen Augenblick unbeweglich in halber Betäubung, dann sah sie, daß das Kind vor Frost zitterte, und ein Gefühl aus Verwunderung, Erbarmen und Freude seltsam gemilcht, wallte in ihr auf. Sie zog das Kind herein, schloß die Thüre und trug es in die Stube. Sie wollte nach Name und Herkunft fragen, aber in dem warmen Zimmer machte sich die Wirkung der Kälte plötzlich geltend. Das kleine Geschöpf bebte und zitterte in ihren Armen und das Mitleid unterdrückte jeve andere Regung.
Es war ein Mädchen von drei bis vier Jahren in hübschem Straßenanzuge, der nur für die draußen herrschende Temperatur nicht warm genug schien. Anna schlug den Schleier zurück: ein frostgerötetes Gesichtchen kam zum Vorschein, und zwei große dunkelblaue Augen blickten sie fragend und ängstlich an. Dann nahm sie dem Kinde die Kapuze ab, unter der ihr goldenes Lockenhaar entgegenquoll, entfernte
eilig den Mantel und zog die Stiefel von den kalten kleinen Füßen. Die kleine Gestalt war srosterstarrt und sie nahm sie auf den Schoß und vergaß alles Andere in dem Bemühen, sie in ihren Armen zu erwärmen. Es war ihr seltsam dabei zu Mute; sie dachte nicht daran, daß dies Kind ihr fremd war. Sie drückte das Cngelsköpfchen fest an ihre Brust, küßte und streichelte die kleinen Hände und sprach liebkosende Worte, die ihr unbewußt über die Lippen kamen. Sie brachte ihr eigenes Abendbrot, das noch unberührt stand, zündete geschäftig die Theemaschine an und holte, was sie an Kuchen, Obst und Naschwerk im Hause hatte. Dann nahm sie das Kind wieder auf den Schoß, schnitt ihm die Bissen und sah zu, wie es mit Behagen den warmen Thee trank und die Speisen mit gesundem Appetit verschwinden ließ.
„Nun bin ich satt," erklärte die Kleine endlich, indem sie sich rings im Zimmer umsah. „Es ist hübsch bei Dir," setzte sie hinzu. „Werde ich jetzt bei Dir bleiben, und bist Du meine Tante Anna?"
Sie sprach ein fremdartig Deutsch, mit einzelnen englischen und spanischen Worten untermengt.
„Woher weißt Du meinen Namen?" fragte Anna erstaunt. Das rätselhafte dieser Lage kam ihr erst in diesem Augenblick wieder völlig zum Bewußtsein.
„Mein Papa hat ihn mir gesagt," antwortete die Kleine. Ich heiße ja auch Anna, und ich habe meinen Namen von Dir, sagte Papa."
„Wer ist Dein Papa, Aennchen?"
„Kennst Du ihn denn nicht?" fragte das Kind verwundert. Meinen Papa kennen doch alle Leute. Er läßt Dich grüßen, er ist in den Himmel zu meiner Mama gegangen, und ich soll Dir einen Brief von ihm bringen."
Anna hatte indessen den Brief gesucht, den ihr der Fremde gegeben. Sie fand ihn endlich auf dem Teppich, und als sie ihn aufhob, entfuhr ein Schrei ihren Lippen. Sie sah die unvergessenen Schriftzüge einer bekannten geliebten Hand.
Mit zitternden Händen riß sie die Hülle ab, sie überflog den Brief und ließ ihn wieder sinken. Die Kleine, die mit den großen erstaunten Kinderaugen unverwandt zu ihr aufsah, fühlte sich plötzlich aufgehoben und an ein stürmisch pochendes Herz gedrückt. Anna hielt sie fest in ihren Armen, als wollte sie jene niemals mehr von sich lassen; sie küßte wieder und wieder den roten Mund, und die Thränen fielen unaufhaltsam auf das goldene Lockenköpfchen.
„Warum weinst Du?" fragte das Kind. „Bist Du traurig?"
Sie konnte nicht antworten, die Thränen erstickten ihre Stimme, während sie den Brief entfaltete und noch einmal las:
„Anna, geliebte Anna: Ich darf Dich noch so nennen, obgleich ich Dir selbst ein Fremder geworden und vielleicht Deinem Gedächtnisse ganz entschwunden bin. Doch nein. Du, treues Herz, hälft fest, was Du einmal liebtest; und mich hast Du lieb gehabt, das weiß ich — als wir Kinder waren — vielleicht auch noch später. Ich habe es damals nicht gewußt, und in der Ferne gesucht, was ich daheim schöner und besser hätte finden können. Sie, die mein Weib wurde, hat mich auch wohl lieb gehabt, auf ihre Weise, die nicht die Deinige und auch nicht die mcinige war. Genug davon! Sie ist auch dahin gegangen, wo Vorwurf und Reue schweigen, und auch mir ist nur noch eine kurze Frist beschieden.
Ich war wohl immer ein wilder Gesellt,
und das Grübeln war meine Sache nicht. Nun bin ich hilflos an das Lager gebannt, allein mit den Erinnerungen vergangener Zeiten, und jetzt — die Nähe des Todes, sagt man, macht hellsehend — jetzt erst ist es mir wie eine Offenbarung aufgegangen, daß Du dem wilden Spielgefährten eine Liebe bewahrt hast, die er nicht verdiente.
Ich gehe bald, Anna, und lasse Dir mein teuerstes Erdengut, mein Kind. Du wirst ihm eine treue Mutter sein, und ich sterbe zufrieden, wenn ich meine kleine Anna an Deinem Herzen geborgen weiß. Was ich an irdischem Gut hinterlasse, gehört meiner Tochter und Dir, wie Euch beiden meine letzten Gedanken und Segenswünsche gehören. Lebe wohl, Anna! Möge der Segen eines Sterbenden Dir Glück bringen und mein Kind Dir vergelten, was ich Dir an Dank und Liebe schuldig geblieben bin! Eckhardt."
Anna hatte zu Ende gelesen, und wieder drückte sie das Kind an sich und weinte in Schmerz und Wonne. Ob es das Kind einer anderen gewesen — es war sein Kind und nun das ihre, und sie fand in dem süßen Kindergesichte die Züge des geliebten Mannes und hörte mit Entzücken auf das liebe, Helle Sümmchen, das seiner Stimme ähnlich war.
Das Kind plauderte zutraulich, als sei es hier immer daheim gewesen, vom Papa und der alten Wärterin Juanna, von fremden Leuten und dem großen Wasser, bis ihm die Augen zufielen unv cs in Anna's Armen einschlief. Leise zog sie es aus und brachte es in ihrem Bette zur Ruhe. Aber als sie es in die weißen Kiffen legte, wachte die Kleine nochmals auf und schlang die runden Aermchen um ihren Hals:
„Ich bin Dir gut," flüsterte sie. dann fielen die blauen Augen wieder zu, und sie lallte schon halb im Traume: „Mama!"
Anna saß noch lange und sah in das rosige Gesicht, um das die goldenen Locken sich kräuselten. Sie war nicht mehr allein; nun würden kleine Füßchen durch das Haus trippeln und frohes Leben durch die öden Zimmer klingen. Eine reiche Zukunft erschloß sich vor ihrem Geiste, und die Saat der Liebe» die sie verloren geglaubt hatte, sproßte in vollen Halmen.
Die gute alte Hanne aber stand an der Thür und fuhr mit der Schürze über das ehrliche Gesicht. Sie ahnte, daß hier unendlich Köstliches bescheert worden war: dem verwaisten Kinde ein treues Mutterherz, der einsamen Frauenseele eine neue Liebe, ein neues Leben.
Sinnsprüche.
Kein Mensch hat öfter Unrecht, als der welcher nicht leiden kann, daß er Unrecht hat.
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Die Schmeichelei richtet mehr Menschen zu Grunde als die Verläumdung.
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Auf dem Wege der Freundschaft darf man das Gras nicht wachsen lassen.
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Wer nach dem Urteile der Welt sein. Handlungen richten will, füllt Wasser in ein Sieb. . * .
Wenn auch Bücher nicht gut oder schlecht machen, bester oder schlechter machen sie doch.
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