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Anzeiger und Unterhaltungs-Blatt für Wildbad und Umgebung.
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Uro. 23.
Mittwoch, den 21. März
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Die Leisetzlingsfeier des Kaisers.
Der Menschenandrang in der Reichshauptstadt war ein ganz enormer. Ein einziges Hotel, der „Kaiserhof", hat bereits am 14. d. M. der „F. Z." zufolge 960 telegraphische Wohnungsbestellungen abweisen müssen.
Seit den ersten Morgenstunden ist Berlins „via triumphale" ein Schmerzensweg von Tausenden und Abertausenden von Menschen, deren Zahl sich jeder Schätzung entzieht. Kopf an Kopf in dichten Reihen ist der Weg besetzt ; bis in die Neben- und Parallelstraßen staut sich der Strom. In langen Zügen rücken die Innungen, Vereine, die Schulen, die Studentenschaft mit trauerumflorten Bannern an und nehmen ihre Plätze im Spalier ein. Vom Palais bis zum Dom ist der Raum abgesperrt, Regimenter der Garde zu Pferde und zu Fuß ziehen lautlos dorthin, die Leiche ihres Kaisers erwartend. Der Eindruck ist überwältigend; düsterster Pomp, feierlichster Ernst, wohin das Auge blickt, nur unterbrochen vom Dunkelgrün der Tannenreiser. Die Fronten der historischen Gebäude, alle Privathäuser sind von schwarzen Flordekorationen in den Hauptlinien ihrer Architektur umgeben, Trauerfahnen wehen von jedem Dach, Trauerpavillons von Haushöhe erheben sich an den Straßenübergängen und Kreuzungen. Alles ist schwarz mit Flor und Reisig dekoriert. Einen überwältigenden Eindruck macht das Brandenburger Thor. Die majestätischen Säulen sind mit schwarzem Flor umhüllt, ebenso das Viergespann der Siegesgöttin. Auf dem Platze befindet sich ein großer Triumphbogen mit der Inschrift: „Gott segne Deinen Ausgang." Alle Laternen brennen, von schwarzem Flor umgeben, ein Gesamtbild von mächtigster Wirkung.
Die zur Trauerfeier geladenen höchsten und hohen Gäste versammelten sich von 11 Uhr ab im Dom, wo schon während der Nacht die große Laufbrücke entfernt worden war, so daß das ganze große Schiff eine leicht geneigte Ebene bildete, an deren tiefstem Punkt der Sarg auf dem Katafalk, überdeckt von Blumen und Blüten, von Offizieren gehütet, sich erhob.
Herr Oberhofpredigcr Dr. Kögel hatte zum Text der Trauerrede gewählt die Worte aus Lucas 2, 29/30: „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben Deinen Heiland gesehen." In kräftigen Zügen entrollte er ein Bild des großen Toten. Nur ganz leise spielte die Politik hinein, als er erwähnte, wie sehr den Kaiser jedes Rütteln an der Einheit des Reiches geschmerzt. Mächtig ertönte die Stimme, als er aufforderte, an dieser Bahre Treue zu schwören dem geeinten Reich, Treue dem Erben der Kaiserkrone. Ein tief ergreifendes Gebet für die Hinterbliebenm und das Vaterunser bildete
den Schluß. Die Gemeinde sang unter Schluchzen: „Wenn ich einmal soll scheiden." Ein gemischter Chor sang u oapslla diesen Lieblingschoral des Verstorbenen. Kögel trat heran und segnete die Leiche. Ein ergreifender Moment: Mit „Heilig, heilig ist der Herr!" tönte der Chor in die Worte des Geistlichen, und draußen vom Lustgarten her rollten und krachten die Gewehrsalven, der letzte Gruß der Garden, über den Sarg ihres Kaisers. Zwölf Obersten ergriffen den Sarg und hoben ihn von dem Katafalk, die Glocken aller Kirchen erklangen und der feierliche Zug setzte sich in Bewegung, empfangen und begleitet von dem ehrfurchtsvollen Schweigen der unübersehbaren Menge. Die Militärparade, der eine Abteilung berittener Schutzleute in Gala voraussprengte, voran; dann je eine Schwadron zu Pferde sämtlicher hier und in Potsdam stehenden Kavallerieregimenter mit ihren Musikkorps, die Trauermärsche, zumeist die von Chopin und Beethoven, bliesen; dann je ein Bataillon der sämtlichen hiesigen Garde - Infanterieregimente!, voran die Leibkompagnie des 1. Garderegiments aus Potsdam mit historischen Blechmützen, mit zwei Musikkorps; schließlich 12 Geschütze der hiesigen beiden Garde-Feldartillerieregimenter. Der Vorüberzug dieser großartigen Leichenparade nahm nahezu dreiviertel Stunden in Anspruch Einer Abteilung vom Regiment Garde du Corps folgte zunächst die Domgeistlichkeit, dann die gesamte niedere und hohe Hofdienerschaft, ebenso wie die Soldaten in Mänteln. Dann Geheimrat Bork, die Hof- und Leibpagen in ihren schmucken roten, trauerumflorten Gewändern; die Leibärzte Dr. Timann und eine stattliche Reihe von Kam- merhcrren und Kammerjunkern in ihrer goldstrotzenden Hoftracht. Dann die Minister mit den Reichsinsignien, die höchsten Hofchargen, endlich der Leichenwagen. Acht tief behangene Rappen zogen den Wagen, der von einem ragenden Baldachin überdeckt wurde und auf welchem der mit purpurnem Sammet umkleidete Sarg frei aufstand. Das Kopfende des Sarges schmückte die große goldene Krone. Man sendet der teuren Leiche stumme Kußhände zu und blickt mit Spannung auf die Leidtragenden. Ach, der Sohn ist nicht darunter, krank erwartet er den Zug in Charlottenburg. Allein, ernst und schmerzbewegt vor sich hinblickend, schreitet Kronprinz Wilhelm hinter dem Sarge des ersten deutschen Kaisers. Erst nach einem Abstande hinter ihm folgten die Könige von Sachsen, Belgien Rumänien und all die zahllosen Fürstlichkeiten und Abordnungen, die einzeln kaum zu erkennen sind.
Im Zuge gingen fast alle Herrscher der deutschen Bundesstaaten. Es fehlte nur König Karl von Württemberg, der in Florenz zur Erholung wellt, und der seinen Neffen
und präsumtiven Thronfolger, den so lange Zeit in Berlin heimisch gewesenen Prinzen Wilhelm, gesandt hat; auch fehlt der kranke König Otto und der Prinzregent von Bayern, ihre Stelle versieht der künftige bayerische Thronfolger Prinz Ludwig. Auch der kranke Großherzog von Mecklenburg-Schwerin fehlt mit dem Erbgroßhcrzog von Baden in diesem Zuge, beide sind gezwungen, fern in Cannes sich aufzuhalten und sich von der heutigen Feier fernzuhalten. Die übrigen deutschen Herrscher sind wohl hier alle im Zuge vereinigt; die Großherzöge von Baden, Hessen, Sachsen-Weimar und Oldenburg, die Herzöge von Meiningen, Altenburg, Coburg-Gotha und Anhalt, die beiden Fürsten von Schwarzburg und von Reuß, die Fürsten von Woldeck, Schaumburg und Lippe. Von den auswärtigen Staaten sind die größern fast alle durch ihre Thronfolger vertreten, hier geht der Schwager unseres Kaisers, der Prinz von Wales, dann der mit dem Kronprinzen Wilhelm so eng befreundete stattliche Kronprinz Rudolf von Oesterreich, die jugendlichen Erscheinungen der fast gleichaltrigen Erben der russischen und italienischen Krone, der Graf von Flandern mit seinem ältesten Sohne, die beiden Oheime des Zaren, die Großfürsten Nikolaus und Michael Nikolajewitsch von Rußland, die beiden Kronprinzen von Dänemark und Schweden, sowie der älteste Sohn des Prinzen von Wales, der jugendliche Kronprinz von Portugal und der Kronprinz von Griechenland. Die einzigen Staaten, die sonach nicht durch die Herrscher oder Thronfolger vertreten sind, sind die Niederlande, dessen zur Reise unfähiger König keine männlichen Thronerben besitzt, Spaniens die Türkei und Serbien; sie sind ebenso wie die französische Republick durch besonders hoch- gestellte Abgeordnete vertreten. Ein besonderer Abgesandter des Papstes ist nicht eingetroffen, derselbe hat aber einen außerordentlich teilnehmenden Brief an den Kaiser Friedrich gerichtet. Zu den höchsten Herrschaften gesellte sich ihr Gefolge, voran die General- und Flügcladju- tanten des Kaisers Wilhelm, die Kommandeure der sämtlichen deutschen Lcibregimenter des verstorbenen Kaisers.
Nicht minder glänzend in der Pracht und Mannigfaltigkeit der Uniformen war folgende von zwei adeligen Marschällen geführte Abteilung: Voran schritt der Statthalter von Elsaß-Lothringen, Fürst von Hohenlohe. Es folgten die Ritter des Schwarzen Adler-Ordens, die Chefs der neuen fürstlichen Häuser, die Bundcsbevollmächtigten, der Vorstand des Reichstags und beider Häuser des Landtags, die inaktiven Staatsminister, die Oberpräsidenten und die höchsten Staats- und Reichsbeamten. Dann folgten, von zahlreichen Marschällen unterbrochen, die Abgeordneten der höchsten Reichsämter, die preußischen Ministe-