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Nein," sagte der Professor nach einem kurzen Nachdenken,ich meine, ein echtes Gefühl ist so klar, so in sich selbst abgeschlossen, so sich selbst genügend, daß es nicht von Einem zum Andern flattern kann. Wer zwei Menschen zu lieben glaubt, ist nur nicht wahr gegen sich selbst, oder liebt vielleicht keinen wirklich."

Sie waren am Hause angekommen; Gertrude hatte sich hastig ver­abschiedet. Der Professor sah ihr befremdet nach.

Am nächsten Morgen erhielt er durch einen Dienstmann ein kurzes Billet seiner Braut:Komm heute vor Tisch. Mama ist nicht zu Hause. Ich muß Dich sprechen!"

Er schaute lange auf die hastig, wie in plötzlichem Entschlüsse hin­geworfenen Worte, schlug das Buch zu, in dem er studirt hatte, und eilte zu Gertrude.

Sie empfing ihn in dem Eckzimmer, dem stillsten Gemache, das dichte Portieren förmlich abschlossen von der übrigen Wohnung, in welchem kein Straßenlärm hörbar wurde. Es war die Arbeitsstube des verstorbenen Vaters gewesen; noch standen hier die hohen Bücher­kästen mit den Reihen von ernsten, fachwissenschaftlichen Werken, und die Büsten der Denker und Gelehrten schauten von den dunklen Wänden auf das junge, bleiche Mädchen herab, das hier eine feierliche Beichte oblegen wollte und mit überwachten Augen dem Erwarteten entgegen­

blickte. Er sah ihr besorgt in das Gesicht.Gertrude, was ist ae- schehen?" frug er angstvoll.Du bist so blaß! Deine Hände sind kalt!"

Ich habe nicht geschlafen; die Worte, welche Du gestern auf dem Heimweg gesprochen, ließen mir keine Ruhe. Was ich lange gefürchtet, was wie eine dunkle Angst auf meinem Herzen lag, es ist mir heute Nacht zur Gewißheit geworden: ich verdiene Deine volle Liebe nicht mehr!"

Eine dunkle Röthe stieg bei diesen Worten in die Stirne des Mannes; bei all' seiner Güte konnte er Wohl aufflammen in wildem Zorn, wenn sein Stolz verletzt wurde. Gertrude erschrak vor dem nie gesehenen Ausdruck in seinen Zügen; doch als sie nun so angstvoll mit den großen, treuherzigen Kinderaugen zu ihm emporschaute, ver­flog die düstere Wolke und er fragte sanft:Was habe ich denn ge­sagt, was kann Dich auf einmal quälen, erzähle mir's, Gertrude!"

O, nicht plötzlich ist mir die Unruhe gekommen; sie quält mich ja seit Wochen, Theodor; und Du ahnst nicht, was ich gelitten habe in dem Widerstreit der Gefühle: ob ich Dir Alles gestehen sollte, auf die Gefahr hin, Deine Liebe zu verscherzen, oder ob ich schweigen müsse, trotz des steten Vorwurfs, nicht wahr gegen Dich zu sein. Gestern aber, als Du so schroff von jenem Mädchen sprachst, als Du mein

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Abfahrt der Katarina Cornaro nach Cypern. (S. 172)

reines, erinnerungsloses Herz betontest, da fiel mir's wie ein Schlag auf das Gewissen. Nun konnte ich nicht weiter leben, ohne es Dir zu sagen!" Sie hatte den Blick zu Boden gesenkt und konnte nicht sehen, welch' furchtbaren Eindruck ihre Worte auf ihn machten, wie die Ein­leitung ihn folterte und er nur mühsam die nöthige Selbstbeherrschung gewann, um ihr schweigend zuzuhören. So fuhr sie leise in ihrer Beichte fort, ohne ihn anzublicken.

Theodor! Wir haben Dir Wohl von dem jungen Offizier ge­sprochen, dessen Bekanntschaft wir in Riva machten. Aber Niemand sagte Dir ich allein wußte es ja nur daß er mich liebte! Er hat kein Wort gesagt, bei Gott, Theodor, kein Wort , das Du nicht hättest hören dürfen; aber ich wußte es doch, und ich ließ es geschehen! Ich fürchte, ich habe mich sogar ein wenig darüber gefreut! Es war Unrecht! Unrecht, auch so lange zu schweigen; doch ich meinte, die Zeit müßte die Erinnerung verwischen, aber"

Du liebst ihn?" fragte er.

Ich weiß es nicht! Ich weiß, daß ich zu Dir grenzenloses Ver­trauen habe, daß ich mit verbundenen Augen, die Hände in den Deinen Dir folgen könnte, wohin Du wolltest! Und doch, und doch! Wie ich mich schelte, wie's mich quält und Peinigt, wenn ich Abends an Dich denken will, so huscht wie ein Spuk das Bild des schwarzäugigen

jungen Mannes vor meine Augen und mischt sich in meine Träume; wie eine Melodie, die uns verfolgt, klingt mir das Wort ,Auf Wiedersehen!' nach, das er beim Abschied sagte, und ich kann die sonnigen lachenden Tage nicht vergessen! Ach, es war so zauberhaft, so berückend schön, ach, daß mir gerade damals jedes Zeichen Deiner Liebe fehlen mußte!'

Beide schwiegen eine Weile, aber ihre Blicke begegneten sich nicht-

Man kann nicht zwei Menschen zu gleicher Zeit lieben, sagst Du! fuhr Gertrude fort.O Theodor, hilf mir, daß ich wahr sei gegen mich, gegen uns Beide!"

Er antwortete noch immer nicht; langsam schritt er ein Paar Male durch das Zimmer und blieb dann, von ihr abgewendet, vor Kant's Büste stehen; Minuten vergingen, ein schräger Sonnenstrahl fiel zum Fenster herein auf die tiefrothen Vorhänge; vereinzelte Schneeflocken wirbelten noch aus Hellem Himmel herab.

Gertrude hörte das Klopfen ihres Herzens in der tiefen Stille, und als er nun immer schweigend, regungslos auf die Wand starrte, ward ihr immer banger und banger, die Furcht, welche sie vor dem älteren Manne nie ganz hatte überwinden können, füllte ihr wieder die Seele.

Als er sich umwendete, war sein Gesicht ernst, aber gütig, und er sagte mit einer Ruhe, die ihr fast schmerzlich war:Du hast Dich mit mir verlobt, Gertrude, als Du noch ein Kind warst: das Wort