NWWW

«WWWWi

MM

MW

H e r i e n L r ä t h s e l.

Novelle

von

! K. Werk.

lFortsetzung.» (Nachdruck verbaten.)

Am Himmel schwanden in den nächsten Tagen die Wolkenschleier, aber sie schwanden nicht von der Seele des jungen Mädchens. Nie­mand vermochte aus ihrer wunderlich wechselnden Stimmung klug zu Vierden, weder die Mutter, noch der Bräutigam, noch die Freundin. Ost saß sie Tage lang eifrig nähend uüd stickend zu Hause, als müsse die Aussteuer in wenig Wochen fertig gebracht werden. Ein anderes Mal konnte sie wieder lange Nachmittagsstunden bei Alber­tine verträumen, die Hände müßig im Schoß liegend, schweigsam, zerstreut.

Einstmals, etwa einen Monat nach der Heimkehr von der Herbst­reise, hatte Gertrude eben Lei der Freundin Hut und Mantel abgelegt und sich in dem behaglichen Wohnzimmer der jungen Frau einen niederen Fauteuil an den Arbeitstisch herangerückt, als eine Dame Meldet wurde, welche sie noch nie bei Doktors getroffen: Fräulein v. Helders. Es war ein sehr großes junges Mädchen, mit roth- blondem, hübschem Haar und leidenschaftlichen grauen Augen; sie konnte eher interessant, als schön genannt werden. Als Albertine nach freund­licher Begrüßung die Freundin vorstellte, schaute das Fräulein dieselbe erst lange und starren Blickes an, so daß Gertrude unwillkürlich er- Ähete; dann nahm sie aber nicht die geringste Notiz mehr von ihr, sprach überhaupt nur in kurzen, zerstreuten, mehr hervorgestoßenen Sätzen, so daß Albertine die größte Mühe hatte, die Konversation nur einigermaßen im Gang zu erhalten und erleichtert aufathmete, als sich die Dame nach einem ebenso scharfen, haßsprühenden Blick der grauen Augen auf Gertrude, und einer sehr kühlen Verbeugung gegen dieselbe mpfahl.

Welch' seltsames Mädchen!" sagte Gertrude halb lächelnd, halb gekränkt.Mir ist's gerade vorgekommen, als spielten wir Drei Komödie, nein Tragödie vielmehr, denn ihr grabesdüsterer Ton hätte nicht in ein Lustspiel gepaßt. Nur muß ich gestehen, daß ich das Stück nicht ver­stund, denn sie zeigte mir eine so offenkundige Feindseligkeit, und ich sehe sie zum ersten Male, kann ihr also doch nichts zu Leid gethan haben."

Du hast ihr allerdings etwas zu Leid gethan, Trudi," sagte Albertine lächelnd, indem sie den Arm um die schlanke Gestalt des Mädchens legte.

Ich!"

Ja, ja, freilich ohne alle Absicht, ohne alle Schuld. Weißt Du, Liebe, ich darf es ja erzählen, denn sie hat selbst nie ein Geheimniß daraus gemacht, sie ist Deinem Professor einmal sehr gut gewesen. Er war Assistent bei ihrem Vater, seine Verlobung, von der sie doch Wohl gehört haben mag, hat ihr einen Lieblingsgedanken zerstört; Du be­greifst, daß sie deshalb der Braut nicht gerade freundlich gegenüber­steht!"

Sie hat ihn geliebt! Das arme, arme Mädchen! Wie leid sie mir thut! Dann freilich! Ach, hätte ich's gewußt I Doch was hätte ich ihr sagen können, das ihr nicht wie Mitleid geklungen hätte, welches sie von mir ja nur kränken mußte! O, das macht mich traurig, Tine!"

Sie schaute dabei mit ganz düsteren Augen, wie schuldbewußt und reuevoll zu der Freundin, die vor ihr stand, empor.

Aber Trudchen! Du hast doch früher solche Dinge nicht so schreckbar ernst genommen. Ich bitte Dich I Hat denn Dich nicht auch ü« Mancher lieb gehabt, nicht Mancher den Professor beneidet um seine frische hübsche Braut, das Herz ist doch Keinem gebrochen I Es wird auch ihr nicht brechen, glaub' mir's, Kind!"

Aber sie muß doch so unglücklich gewesen sein, als sie die Nach­richt hörte; hast Du sie damals nicht recht bedauert, sag' mir's offen, Tine!"

Siehst Du, Gertrud, bedauert habe ich sie schon lange vor Deiner Verlobung, denn der Professor hat als echter Ehrenmann ihr ja nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie ihm gleichgiltig sei. Er ist keiner von den Männern, denen es um der lieben Eitelkeit willen recht wohl gefällt, in stolzer Unnahbarkeit, wie indische Götterbilder auf dem Altar zu stehen und sich anschwärmen zu lasten. Nun macht es mir immer einen peinlichen Ausdruck, wenn ein Mädchen die Gedanken an einen Mann hängt, der nichts von ihr wissen will und ihr dies deutlich merken läßt. Daß sie aber so gar kein Geheimniß aus ihrer thörichten Leidenschaft machte, daß sie den Professor gewissermaßen zwingen wollte, dieselbe anzuerkennen, indem sie dieselbe überall herumposaunte, das hat mich empört und mein Mitleid bedeutend geschmälert. Und heute, nun heute hat sie sich geradezu albern benommen!"

Gertrude aber war nachdenklich geworden und ließ sich nicht be­ruhigen. Besorgt schaute die Freundin auf das bleicher gewordene Gesicht, auf die unruhig hin und her flackernden Augen des Mädchens, das sich in den wenigen Wochen so ganz verändert hatte

Ich bitte Dich, Trudchen, habe Vertrauen zu mir, fehlt Dir etwas, bist Du nicht zufrieden? Was liegt Dir im Sinn, wenn Du so düster auf die Arabesken meines Teppichs starrst?"

Gertrude hatte schon die Lippen geöffnet; im selben Augenblick klang draußen die Glocke, ein Männerschritt kam bald darauf über den Korridor.Das ist Theodor!" sagte Gertrude hastig, strich sich die Haare aus der Stirne und ging dem Verlobten entgegen.

An seinem Arm schritt sie dann durch die Straßen, das Licht der Gasflammen flackerte im Winde, über den Mond flogen graue phan­tastische Wolken.

Gertrude erzählte von dem Fräulein, das sie heute getroffen. Der Professor Hörle sie gleichgiltig an.

Weißt Du, daß sie Dich geliebt hat?" sagte sie dann Plötzlich stehen bleibend und ihm fest in das Gesicht schauend.

Er lächelte.Liebes Kind," erwiederte er,Du mußt das nicht zu tragisch nehmen! Es gibt Frauen, deren Leben von ihrem fünf­zehnten bis zu sagen wir bis zu ihrem dreißigsten oder auch vier­zigsten Jahre, ein langer Roman in vielen Kapiteln ist. Der Held wechselt, ist einmal blond, einmal braun, einmal alt, einmal jung, der Roman geht immer fort. Das Fräulein gehört zu diesen, ich will ihr damit nichts Uebles nachsagen; sie hat wohl die meisten Kapitel mehr gedacht als gelebt; aber es wäre doch geradezu unnatürlich, jedenfalls wenig schmeichelhaft für Deinen Schatz gewesen, wenn sie dem Assi­stenten ihres Vaters, der so viel in ihrem Hause verkehrte, nicht ein­mal einen kleinen Abschnitt gewidmet hätte. Wenn dieser mit einer anderweitigen Verlobung schloß sei unbesorgt, liebes Herz, sie hat noch mehrere Fäden in Händen und gewiß schon ein zweites und drittes Kapitel begonnen!"

Du bist boshaft, Theodor, hast Du sie niemals lieb gehabt?"

..Nein, Gertrude, niemals! Denn mir war die Liebe nie ein Spiel, sondern heiliger, tiefer Ernst. Ich verlange ein volles, frisches Herz, in dem keine Schatten vergangener Liebe herumirren, ich will der einzige Held in dem Romane eines Lebens sein Deines reinen Lebens, Geliebte!"

Seine Stimme hatte einen weichen Klang angenommen, und durch seine Worte hörte man die lautere herzensfrische Empfindung. Das Mädchen an seiner Seite durchbebte mit tiefem Schauer das Gefühl seiner Güte, seiner Treue, sie fühlte, daß der Arm, auf den sie sich stützte, sie schützen würde, ohne Wanken, daß sie keinen sichereren Halt als diesen finden könne, und doch zitterte ihre Hand, als er sie mit herzlichem Drucke in die seine nahm, doch legte sich ihr eine unsägliche Angst auf's Herz, daß sie meinte, sie müsse ersticken.

Kann man nicht zwei Menschen zu gleicher Zeit lieben?" frug sie plötzlich tonlos und sah mit bleichem Gesichte zu ihm empor. Er hatte in dem Lärmen der Straße, in dem Raffeln der Wagen das Zittern ihrer Stimme nicht vernommen.

Wie kommst Du aus die Frage?" erwiederte er ganz ruhig.

«Ich ich weiß nicht! Ich las ein Buch, das ließ mich dar­über Nachdenken!"