-Wildbader Chronik.
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Urs. SS.
Samstag, den 13. Angust
1887.
Die GntHütl'irng des Wil'öev- rrrutböenkmcrt's.
Tübingen, 10. Aug. Die heutigen Enthüllungsfeierlichkeiten des Denkmals für Frau Ottilie Wildermuth begannen kurz nach 9 Uhr mit einer Feier am Grabe, wo sich eine große Zahl von Güsten, namentlich Frauen, eingefunden hatten. Von der Höhe des Friedhofs klangen dem herannahenden Zuge die ernsten Töne des Chorals „Jesus meine Zuversicht!" entgegen und nach dem Lied: „Wie sie so sanft ruhn", hielt Dekan Sandberger vor dem mit Blumen und Gesträuchen umgebenen marmornen Grabmal eine warm empfundene Rede: Nicht der Schmerz um Hingeschiedene habe uns diesen Morgen hier versammelt, sondern dem Danke des Herzens möchten wir warmen Ausdruck verleihen für das, was die vor 10 Jahren einem segensreichen Wirken entrückte Ottilie Wildermuth durch ihre Lebensarbeit in Haus und Gemeinde, durch ihr schriftstellerisches Wirken in weiten Kreisen gewesen ist. In ihrem Hause sei ein frohes und zufriedenes, auf den Grundlagen geistig gesunder und gehaltvoller Lebensanschauung beruhendes Familienleben geführt worden. Dem Manne war sie eine treue Gattin, welche sein ernstes Berufsleben mit der Wärme gemütvoller Herzlichkeit erheiterte; eine glückliche Mutter war sic den Kindern, deren Leben sie mit dem Duft der Poesie erfüllte und die sie doch in den Ernst des Lebens einführte. In ihrem Hause haben Viele offenen Zugang gefunden, denn Tausende wollten die Frau kennen lernen, die das rege kleine Leben der Familie, des Hauses, der Verwandtschaft und Freundschaft so treu und naturwahr wiederzugeben vermochte, als die Stätte, wo sich ebenso engherzige und kleinliche Schwächen, wie edle Kräfte des Geistes, Karakters, des Gemüts und Humors entfalten. In diesen Gemälden des Lebens wußte sie die Grundlinien eines wirklich beglückenden Sinnes und Handelns hinzustellcn. Einen Ehrenkranz müsse man auch der Frau weihen, welche von freundlich eingehender, mütterlich sorgsamer Liebe gegen die Armen erfüllt gewesen sei. Ihr edler, das Gute anregender Sinn, die Lauterkeit ihres Herzens, die dienende Liebe, ihre gesunde freie Lebensanschauung bleibe besonders in der deutschen Frauenwelt mächtig. Landgerichtsrat Scholl aus Stuttgart sprach nun im Namen der Familie tief gefühlte Worte des Dankes und der Anerkennung für die Verstorbene, worauf Dekan Rooschütz, der Bruder von O. Wildermuth, an das Grab trat und treffliche Züge aus dem Leben der Schwester vorführte. Die Wirkung von Ottiliens anspruchlosen Dichtungen erkläre sich aus dem Geiste lauterer Frömmigkeit, echten evangel Glaubens, herzlicher Menschenliebe, der ihre Schriften als
Lebenshauch durchwehe. In diesem Geiste - habe sie großes erreicht, auf kleine und große? Kreise sittlich anregend gewirkt. Ein schönes Heim, eine sonnige Kindheit sei ihr bescheert gewesen, reich ausgestattet mit regem Familienleben, reichen Bildungsmitteln aller Art, daran ihr Geist erwachte und sich bildete. Vom Vater habe sie als Erbe blühende Fantasie, ein reiches Gemütsleben, Kraft und Einfalt der Sprache, heitern Humor, von der Mutter' tief religiösen Sinn und ernste Auffassung des Lebens überkommen. Zahlreiche, prachtvolle Kränze wurden hieraus von Frauen und Familienangehörigen niedergelegt, von einer Enkelin mit den Worten:
Es haben deutsche Frauen Dir einen Stein geweiht.
Und in den fernsten Gauen Ertönt dein Name weit.
Wir Enkel stille legen Den Kranz dir auf dein Grab Zum Dank für all den Segen,
Den Gott mit dir uns gab.
Mit dem Choral: „Mein Glaub ist meines Lebens Ruh" schloß die erhebende Grabesfeier. — Gegen 11 Uhr bildete sich der Festzug im Wöhrwäldchen. An den Stufen des Denkmals hatten sich weißgekleidete Jungfrauen aufgestellt. Die Liedertafel sang die Ode von Gluck: „Steig aus deines Himmels Höhen", worauf Rektor I)r. Ramsler die tief durchdachte Festrede hielt Einleitend sagte der Redner, daß unser Volk nicht mehr wie in früheren Zeiten seine Fürsten im Reiche des Geistes mit Undank lohne; das ganze Volk gebe keiner innigen Dankbarkeit und Verehrung begeisterten Ausdruck. In unserer Stadt reihe sich den Denkmälern seit Uhland, Hölderlin und Silcher in würdigster Weise jetzt an das Denkmal einer Frau, der beliebten Jugendschriftstellerin Ottilie Wildermuth. Von einem kleinen Kreise hiesiger Frauen sei die Ausführung angeregt worden, denn die Dichterin gehöre unserer Stadt an. Der Redner gab nun eine eingehende Schilderung ihres Lebens und fuhr fort: Ottiliens Jugend war noch umstrahlt von dem untergehenden Glanze der klassischen Dichtung. Aus dem Widerstreit zwischen Klassizismus und Romantizismus bildete sich eine ruhigere Richtung der Dichtung heraus, der O. Wildermuth mit Paul Heyse, B. Auerbach u. a. angehörte; man stieg herab vom griechischen Korthurn und pries das einfache Stillleben, die Welt im Kleinen und der Kleinen, das ruhige Gleichmaß der Tage, und von Niemand besser als von O. W. wurde das Leben im Kleinen mit so gewissenhafter Treue, mit so viel Menschenkenntnis, mit so heiterem, oft auch schelmischem Humor geschildert. Hausfrau und Hausmagd, Pfarrer und Pfarrerin, Kandidat und Pfarrvikar, der Backfisch und die den Kampf mit dem Leben entschlossen aufnehmende Jungfrau,
-das heldenhaft entsagende Mädchen wie die abergläubische Braut werden uns geschildert im Festtagsgewande wie im Alltagskleide Und alles ist aufgebaut auf dem Boden gesunder religiöser Tüchtigkeit. Auf O. W. läßt sich das Wort Göthes anwenden:
Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an.
iDie Schriften unserer Dichterin sind nicht Gemeingut unseres Volks geworden, wie die Dichtungen Uhlands; aber der Kindheit und der Jugend Fühlen und Wollen hat sie abgelauscht und das einfache deutsche Haus und die Familie hat sie geschildert, wie kein Zweiter. Darum hat sie einen gewaltigen Zauber ausgeübt auf die weibliche Jugend, und deshalb ist dem Frauenkreise der heutige festliche Tag zu verdanken. „Glücklich die Tochter, die zu allen Zeiten und für alle Gefühle die erste und liebste Vertraute in der Mutter findet", sagt einmal O. W, wir fügen hinzu: Glücklich das Volk, das Schriften, wie O. W. sie geschrieben, hochhült und hochschätzt. Durch die Hand einer Enkelin der gefeierten Dichterin wurde nun die Hülle von dem Denkmal gezogen; Frl. Mayer sprach wirkungsvoll ein zu dieser Veranlassung verfaßtes Gedicht von K. Gerok. Stadtschultheiß Gös übernahm hierauf mit dankenden Worten das Denkmal in den Schutz der Stadt und legte einen Kranz nieder, worauf die Liedertafel die Feier schloß mit Flemmings Lied: „Nur in des Herzens heilig tiefer Stille". Wie auf dem Friedhofe, so war auch bei der Enthüllungsfeier die ganze gebildete Frauenwelt unserer Stadt vertreten. — Das Gedicht von K. Gerok, gesprochen bei der Enthüllungsfeier, lautet:
Wir standen an der Heilgen Stätte,
Wo friedevoll in Gottes Hut Im stillen, frisch bekränzten Betts Dein teurer Staub beim Staube ruht.
Doch nun auf sommergrünen Auen,
Im sonnenhellen Luftgefild Laß uns begrüßen und beschauen,
Geliebte, dein lebendig Bild.
Du ruhst ja nicht im kühlen Grunde Als Tote bei den Toten dort.
Du redest mit beredtem Munde Zu Lebenden lebendig fort.
Du blicktest gern mit offnem Auge Hinaus in Gottes schöne Welt,
Drum däucht uns auch, dein Denkmal tauge Am besten hier ins freie Feld-
Hier, wo entlang den Rebenhügeln Dein heimatlicher Neckar rauscht,
Der Vöglein Chor auf leichten Flügeln Im Lindengang die Grüße tauscht;
Wo heitre Dörfer freundlich blinken Durch Korn und Obstwald allenthalb.
Und fern im blauen Dufte winken Die Berge deiner Schwabenalb;
Hier, wo mit ihrem Schloßgemäuer Die Musenstadt herüberschaut,
Drinn manche Dichtung, die uns teuer,
Dir deine Muse hat vertraut.