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Ein politischer Prozeß spielt vor dem Gerichte in Che in- nitz. Neun hervorragende Sozialdemokraten: Vollmar, Bebel, Diez, Auer, Frohme, Ullrich, Müller, Heinzel und Viereck sind angeklagt, an dem Sozialistenkongreß in Kopenhagen im Jahre 1883 theilgenommen und überhaupt heimliche Verbindungen unter­halten zu haben, um Maßregeln der Verwaltung oder die Voll­ziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern. Als Zeugen sind u. A. vorgeladen, Bennigsen, Windthorst, Sonne­mann, Stöcker und andere Parlamentarier. Vollmar und Viereck sind wegen Krankheit nicht erscheinen. Verthciviger sind die Rechts­anwälte Freytag in Leipzig und Munkel in Berlin.

Innsöruck, 29. Sept. Die Südbahn ist auf der Strecke Salurn-Neumarkt durch Hochwasser zerstört, die Reichsstraße über­flutet und der Verkehr unterbrochen. Die Etsch trat an mehreren Stellen aus, zerstörte die Wegverbindungen. Aus einigen Gegen­den fehlt jede Nachricht.

Schweiz. Nach derN. Z. Z." werden neuerdings Eier aus Ungarn in die Schweiz eingeführt: vom Januar bis Ende Juli erhielt letztere dorther 7500 Meterzentner Eier. Bisher waren Deutschland und Italien die einzigen Eierlieferanten der Schweiz.

GHur, 29. Sept. Die Tombabrücke bei Thusis ist vom Hochwasser weggerissen, die Tardisbrücke beschädigt worden. Die Posten über den Splügen sind am 28. ausgeblieben. Schnee in Chur.

Hlom, 30. Sept. Gestern starben in Palermo 68 Personen an der Cholera.

Arrest, 29. Sept. Gestern Abend wütete hier ein furcht­barer Südweststurm. Sämmtliche Ufer und umliegenden Straßen wurden überschwemmt Ein österreichisches Barkschiff ist gesunken, die Mannschaft aber gerettet.

H^Hikippopeft 30. Sept. Fest entschlossen, die Ereignisse in Rumelien zu lokalisiren, Hot Fürst Alexander leinen Adjutanten Marinow an die Grenze von Macedonien geschickt mit dem Be­fehl an alle Behörden, jede bewaffnete Person, welche versuchen würde, die bulgarisch-macedonische Grenze zu überschreiten, festzu­nehmen und binnen 24 Stunden von den Militärgerichten ab­urteilen zu lassen. Hirr herrscht vollkommene Ruhe und Ord­nung. Eine bulgarische Deputation geht nach Konstantinopel, um sich dem Sultan vorzustellen.

Aus H*repolah, an der serbischen Grenze gegen Altserbien gelegen, wird, einem Wiener Privat-Telegramm zufolge, gemeldet: Seit zwei Tagen ist Kanonendonner aus der Richtung von Pri- stina und Djakowa vernehmbar. Dort kämpft Wechsel Pascha mit den Albanesen. Der Miriditenaufstand überrascht Nieman­den, denn schon im vorigen Sommer standen die Miriditcn mit den Türken wieder im Kampfe. Indessen hängen die albanesi- schen Vorgänge mit den bulgarischen in keiner Weise zusammen,

Angesichts der Wirren im Balkan und der in Folge dessen stattfindenden Mobilmachung der serbischen Armee dürfte es nicht uninteressant sein, darauf hinzuweisen, daß die serbische Armee vielleicht die beste Bewaffnung unter sümmtlichen europäischen Heeren besitzt. Die bekannte Gewehrfabrik der HH. Gebrüder Mauser in Oberndorf hat an dieselbe 120 000 Gewehre vorzüg­lichster Beschaffenheit geliefert.

Kalkutta, 29. Sept. Ein Orkan zerstörte in Fasepoint (Bengalen) insbesondere die Schiffsanlagen, ausgenommen den Leuchtturm. An 300 Personen sind umgekommen.

Tnierhalitndks.

Girre Wacht im Sumpf.

Ja gderlebnih aus der Lüneburger Haide.

Erzählt von Hermann Rovolsky.

(Fortsetzung.)

Gibt es denn überhaupt Wild in dieser merkwürdigen Land­schaft?" wandte ich mich noch einmal an den Reisegefährten.O ja!" nickte er.In der Nähe der vereinzelten Dörfer und Colonate, die doch alle etwas cultivirtes Land aufzuweisen haben, sind die Hühner- und Hasenjagden in günstigen Jahren leidlich ergiebig. Wo Kieferschonungen gedeihen, findet sich auch balb der rothe Räuber ein, und wehe natürlich den Ansiedelungen, wenn sie einen Hühnerhof Hallen. Der schuftige Reinecke läßt nicht eher nach, bis er alles Federvieh wegstiebitzt hat."Der nimmt auch Birkhühner!" sagte ich und blickte dabei meinen Nachbar an. Wenn er sie kriegen kann, natürlich. Die Vögel sind aber sehr scheu; es müßte denn zur Balzzeit sein, wo die Hähne bekannt­lich in ihrer Leidenschaft geradezu dumm werden. Doch ich kam ja von meiner Geschichte ab," besann sich der gutmütige Mann

und fuhr erzälend fort:Nicht immer hat die Haide, wie vielfach angenommen wird, nur sandigen Unterboden. Es giebt auch moorige Strecken, die ebenfalls von der Erica überzogen wurden. Die Pflanzen-Specizies ist eine etwas andere. Wo sie steht, hat sich manche Sumpfpflanze angesiedelt. Ich betrat jetzt einen schmalen Fußpfad, der mich bald in das unverfälschte Haidebereich führte. So weit das Auge reichte, nichts als das braune Mumiengewüchs! Ganz in der Ferne erhob sich wie ein Eiland im Meer ein Rudel von Krüppelkiefern. Auf diese gedachte ich loszusteuern, weil ich wußte, daß sich des Abends in ihren Zweigen oft Birkhühner hören ließen. Auch hatte ich dort schon etliche Male prächtige Exemplare der großen Ringeltaube geschossen. Der Steig schlingelte sich, rechts abbiegend, tiefer in die Wildniß. Er führte schließlich auf eine einsame Meierei zu, in welcher der Eigentümer mehr aus Gastfreundschaft, wie um zu verdienen, an zufällig Vorsprechende Erfrischungen verabreichte. Dieses Haus wollte ich nach Beendigung meiner Jagd aufsuchen. In einer guten halben Stunde vermochte ich es zu erreichen. Noch war mir keine Feder vor das Rohr gekommen. Ich verstehe den Ruf der Birkhenne nachzuahmen und that dies ein paar mal, um zu erforschen, ob sich nichts von dem gesuchten Wild in meinem Bereich aufhielt. Fast that es mir schon leid, daß ich nicht doch einen Hund mitgenommen hatte. Beim zweiten Locken wurde es in meiner Nähe laut und gleich darauf strich ein halbes Dutzend der interessanten Vögel über das Haidekraut da­hin. Schnell gab ich beide Schüsse darauf ab; auf jeden fiel ein Huhn. Einer ausglühenden Feuerkugel ähnlich ging die Sonne im Westen unter. Ihr Sinken gewährte einen geradezu hinreißenden Anblick. Immer von Neuem und immer blitzender schossen die goldenen Strahlen am weiten Firmanent empor. Die Spitzen der Tausende und abertausende von Haidesträußchen mit ihren zartfarbigen Blütenglöckchen erglänzten in wahrhaft schillern­der Pracht und, als nun ein leiser Hauch durch die Liliput-Wipfel strich, bewegten sich die unzähligen feinen Fädche.r, welche die Wanderspinne von einem Strauch zum andern gezogen. Es fehlten nur noch die Elfen, um mit weißen Fingerchen jene zarten Saiten im Wunderspiel zu schlagen. Meine Erwartung hatte mich nicht getäuscht. Vom Tannicht herüber erscholl das Burren eines bal­zenden Hahnes. Je näher ich den Bäumen kam, um so lauter wurde das Kollern."Balzt denn der Hahn auch im Herbst?" unterbrach ich mißbegierig noch einmal den Waidmann.Für ge­wöhnlich nicht!" belehrte mich der Sachverständige. Mein Ge­fährte erzählte weiter:Sankt Hubertus schien mir einen guten Jagdtag bescheeren wollen, denn nach Verlauf von kaum ein halben Stunde hing der stattliche Hahn an meiner Jagdtasche. Im weiten Bogen hatte ich das Wäldchen umgangen und, als der liebestolle Vogel gerade so recht im Schleifen und Springen gewesen war, hatte ich ihn heruntergeknallt. Jetzt wandte ich mich direct und auf geradem Weg der mir bekannten Meierei zu. Von dort aus wollte ich den Fußsteig wieder benutzen und hoffte so gegen zehn Uhr Abends in der Försterei zurück zu sein."

Noch war es ziemlich hell. Unzählige von Cicaden ließen in der dichten Haide ihren monotonen Gesang ertönen. Wenn ich mit dem Fuß gewaltsam durch das Kraut strich, hüpften jedes­mal wohl an zwanzig der Springer nach allen Seiten davon. Allmählich begann die endlose Fläche in der Ferne sich in form­loses Ungewiß zu verlieren. Dämmerung senkte sich auf die Erica- Wüste hernieder und ein verflogener Rabe strebte in eiligem Flug dem fernen Horst zu. Bald sah ich duftblauen Rauch gen Himmel steigen. Da lag die Ansiedelung. Ein strohgedecktes, schwarzgeräuchertes Haus ohne Schornstein, ein erbärmliches Stall­gebäude in das Luft und Licht nach Belieben dringen konnten, ringsum etliche Breiten Kartoffel- und Roggenland, ein Haus­garten mit einigen krüppelhaften Obstbäumen, ein halbzerfallener Backofen, das war so ungefähr das ganze Gewese. Der Qualm aber zog oben zur Einfahrtsthür des Hauses heraus. Nahe der Besitzung hütete ein alter Mann eine Heerde brauner Haide- schnucken. Der Hirt saß gedankenlos inmitten der Schafe auf einem Stein und strickte. Als der wachsame Zottelhund des Hofes meiner gewahr wurde, fuhr es wütend auf mich los und nur auf energisches Anrufen gehorchte er knurrend seinem Gebieter. Ein einfaches aber reinliches Zimmer nahm mich auf. Weitere Gäste traf ich in dem Haidekrug nicht. Der Wirth kannte mich und meine Gewohnheit. Er setzte mir nach gegenseitiger Be­grüßung eine Flasche mit abgegohrener Mehte vor, stellte Butter, Brod und Käse auf den Tisch und nötigte mich zum Zulangen. Mir schmeckte das einfache Mahl ganz vortrefflich. Der Land­mann hatte sich zu mir gesetzt und wir sprachen das beliebte Gespräch von der Imkerei und den Aussichten auf die heran­nahende Honigernte. Die Haide blühte köstlich und aus dem Wendland, dem Lemgo'schen, der Altmark u. s. w. waren viel