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wegen Vergehen gegen das Haus und Abzeichen einer befreundeten Macht und weil sie ihr Vaterland in die Gefahr eines Krieges mit dem Auslande gebracht, vor Gericht gestellt werden.

Sofia, 21. Sept. (Havasmeldung.) Eine heute hier ein­getroffene Nachricht verbreitet: Die türkischen Truppen hätten die Grenze Ostrumeliens überschritten. Ein rumelisches Dorf wäre brsetzt. Die inzwischen zusammengetretene bulgarische Kammer genehmigte alle Anträge des Ministeriums und stimmte den ge­troffenen Maßregeln zu und nahm die Adresse an den Kaiser von Rußland an, worin dieser gebeten wird, den Eintritt russischer Offiziere in die bulgarische Armee zu gestatten. Der Kredit von 5 Millionen als eventuelle Kriegskosten wurde genehmigt.

Kalkutta, 23. Sept. Drei vollständig ausgerüstete, mit Martini-Henry-Gewehren versehene afghanische Regimenter sind von Kabul nach Herat abgegangen.

Aeterskurg, 22. Sept. Die bulgarischen Truppen stehen bei Haskiöj und in dem großen Lager bei Hermunli an der Maritza, um dem Einmarsch der Türken zu begegnen.

Wew-Aork. (Vertrauenspersonen.) Ein amerik. Millionär, S. B. Woods, hatte eine Summe von 2,000,000 Doll, für die Errichtung eines Collegs für Musik in New Iork vermacht. Von dieser Summe sind jetzt nur noch 2000 Doll, vorhanden! Und was ist mit dem Rest von 1,998,000 Doll, geworden? Der Curier vonCincinnati" antwortet darauf:Er ist verschlungen worden von den Vertrauenspersonen."

Unterhaltendes,

Are weiße Wose von Avles.

Novelle von Theodor von Tilly.

(Schluß.)

V.

Melancholisch ragten der Thurm und die morschen Umfassungs­mauern der alten Schloßhallen in den Abendsonnenschein hinein. Es war im Spätherbst. Die Blätter entfärbten, die Bäume ent­laubten sich, die kalten Herbstwinde strichen scharf über die Stoppel­felder, aus den Blumenbeeten des Schloßparks blühten nur noch Georginnen und Astern. Aber in dem Schlosse leuchtete Heller Glanz. Es sollte die Hochzeit von Eugen und Blanche gefeiert werden.

Drinnen in den Prunkgemächern waren die Hochzeitsgäste versammelt. Die Räume boten einen feenhaft schönen Anblick dar, das Helle Kerzenlicht bestrahlte goldgestickte Gewänder, blitzende Orden, rauschende Seidenstoffe und blendende Schultern. Es brach sich hundertfältig in den Diamanten und edlen Steinen, mit denen die herrlichen Frauengestalten geschmückt waren. Blanche hatte sich aus dem Kreise der Hochzeitsgäste heimlich entfernt und mit gepreßtem Herzen in die Laube geflüchtet, wo sie unge­stört ihren Gedanken nachhängen konnte. Eugen hatte gestern melden lassen, daß seine schlecht verheilte Schulterwunde wieder aufgebrochen und er deshalb än das blaue Thurmzimmer gefesselt sei. Lange saß sie ruhelos. Dann ging sie in das Haus zurück und gab dort ihrer alten Amme Bertrande den Auftrag, ins Schloß zu gehen und sich nach dem Befinden des jungen Mannes zu erknndigen.

Mit einer sonderbaren Antwort kehrte die Geschickte zurück. Eugen sei in den Zimmern des Schlosses nicht zu finden gewesen! Getrieben von Angst und Sehnsucht begab sich Blanche selbst ins Schloß.

Die Zimmerthüre des Kastellans Martin Guerre fand sie verschlossen. Sie ging weiter nach der Eingangsthüre zum blauen Thurmzimmer. Diese stand weit offen. Sie betrat sodann durch die Verbindungsthür das Geschäfts- und Kassenzimmer ihres Bräutigams, dessen Seitenwand an das Zimmer des Kastellans stieß. Weder hier noch in den Fabrikräumen ermittelte sie eine Spur des jungen Mannes. Traurig, mit gesenkten Haupt ver­ließ sie das Schloß und ging in das Wohnhaus zurück.

Eugen ist krank oder tot!" sprach sie hier zu ihrer Amme Bertrande.

Einige Minuten später erstieg sie wiederum und zwar dies­mal in Bertrandes Begleitung die schmale Wendeltreppe des allen Schloßthurms. Die Amme trug eine Blendlaterne. Alles Durchsuchen blieb vergeblich! im Ganzen Schlosse keine Seele! Es blieb nur noch ein Raum zu durchsuchen, die Gruft des alten Grafen von Montgommery, zu welcher der unterirdische Gang hinführte. Ein banges Zagen ergriff Blanche's Herz. Eine fieberhafte Glut trieb ihr alles Blut auf den Siedepunkt.

Du willst doch nicht nach der Gruft des alten Grafen v.

Montgommery hingehen?!" rief sie Vertranden zu, dort würden wir ihn vergeblich suchen.

Durch Gegenvorstellungen überwand die Amme des Mädchens ängstliche Bedenken. Die morsche Thür, welche vom Gange ins Grabgewölbe führte, aus dem Modergeruch hervordrang, fanden sie zu ihrer Verwunderung halb offen. Bertrande leuchtete hinein. Die alten zerfallenen Särge über welche halbzerfetzte Fahnen und Standarten von der Wand herabhingen, boten im Halbdunkel einen schauerlichen Anblick dar. Als sie im Gewölbe weiter vor­drangen, um in die Grabkapelle sich zu begeben, fanden sie die alte eichene Thür verschlossen und so zogen sie sich nach erfolg­losem Wandern zurück.

Die Sonne beleuchtete einen traurigen Hochzeitstag. Der Bräu­tigam war verschwunden und mit ihm die ihm anvertraut gewesene Kassette mit einem bedeutenden Geldinhalt. Die Hochzeitsgäste legten mit verstörten und angstvollen Blicken ihre prachtvollen Gewänder ab und kehrten dem Unglückshause den Rücken. Der Küster löschte die halb herabgebrannten Kerzen auf dem Altar der Kirche aus und trug den silbernen Teller mit den Ringen in die Sakristei zurück. Eugen wurde von Allen als ein Ver­brecher angesehen und das Verdammungs-Urteil über ihn ausge­sprochen.

Arme Blanche!

Draußen im Garten senkte die letzte Rose ihr blühendes Haupt zum Sterben. Auch die Rose von Arles trauerte gebrochen um ihr fortan freudenleeres schmerzerfülltes Dasein. Ob auch Alle den Geliebten ihrer Seele verurteilten, sie allein glaubte an ihn.

VI.

Nach mehreren Jahren fand das schaurige Rätsel seine natür­liche Lösung. Im Jahre 1874 wurden die im alten Bergschlosse gelegenen Fabrikräume durch einen Anbau erweitert; die Maurer drangen durch eine mit dichtem Gesträuch bedeckte, von Außen in die Grabkapelle führende alte morsche Thür in das Innere der­selben ein. Hier stießen sie zunächst auf einen auf dem Fuß­boden liegenden eisernen Spaten und eine daneben befindliche geldleere eiserne Kassette, sodann auf ein in einer Mauernische ausge­streckt daliegenden männlichen Leichnam mit zerschmettertem Schädel! Der herbeigerufene Fabrikherr Georg Lenoir erkannte die Leiche als die die Eugen Blanc's, die Kassette als die ihm gehörige und den Spaten als Eigentum des Schloßkastellans Martin Guerre an, der sammt seinem Neffen Arnold seit dem unseligen Hochzeits­tage vermißt worden war.

Ja, es war Eugen, der schöne, edle, vielgeschmähte Mann, der auf dem Fußboden der Grabkapelle lag im weißen Nacht­gewand.

Beim Anblick des Toten sank Georg wie vom Schlage ge­troffen, am ganzen Leibe zitternd, in die Knie.

Eugen" brach es von seinen Lippen hervor,unglücklicher verkannter Freund! Als Opfer Deiner Treue bist Du hier ge­fallen!" Jetzt wurde ihm Alles klar. Der schurkische Kastellan und sein Neffe hatten die Kassette aus Eugens Zimmer gestohlen und waren unter Mitnahme des Spatens in die Gruft geflüchtet, um hier das Geld zu vergraben. Von Eugen wurden sie hier auf frischer That betroffen. Die Raubmörder haben ihn mit dem Spaten erschlagen!

Daß in der That in dieser Weise Beide in Gemeinschaft das Verbrechen verübt hatten, dies wurde durch ein bald darauf an Georg gerichtetes Schreiben eines katholischen Priesters aus Marseille zur Gewißheit, dem es der dort auf dem Sterbebette liegende Martin Guerre gebeichtet.

Als Aebtissin der Benediktinerinnen des alten Klosters von Saint-Quentin lebt jetzt Blanche der Andacht und Buße, der Seligkeit der Erinnerung, der Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit dem Geliebten.

Im Juli 1878 besuchte ich sie in ihrem Kloster.

Wie im Thränenschleier einer Magdalena trat dies liebliche Bild mir entgegen. Ein tief niedergehender schwarzer Schleier war über das goldig schimmernde Haar geworfen. Die feinen Züge des Antlitzes«wurden von jenem Listigen Hauche verklärt, der alle Reize irdischer Schönheit überdauert. In dem schwär­merischen Aufschlag dieser wunderbar schönen seelenvollen Augen lag eine träumerisch unbewußte, unendliche Sehnsuch, eine sanfte Schwermut, ein Hauch stiller Melancholie umspielte den schön ge­schnittenen Mund. Sie ging nach einem der Bogenfenster, die nach dem Blumengarten hinauslagen. Ein blühender Rosenstrauch drängte sich dort herein mit hundert bethauten Blüten. Ihre feinen Finger brachen eine der schönsten weißen Rosenknospen und reichten sie mir dar mit der leisen Bitte:

Gedenke mein!"