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Frau und zur Wittwe gemacht hatten, ehe sie reife Jungfrau ward. Sie war arm, und der tote Wladimir reich, das paßte; Romald Waruschkew, mit dem sie von Liebe schwärmt, hatte nicht mehr als sie. Sie seufzte, indem sie der Thränen gedachte, die ihr die erzwungene Ehe verursacht hatten, aber noch mehr Thränen hatte ihr die Ehe eines Anderen entlockt, desselben Romald Feodoro- witsch, den Niemand gezwungen. Nach einem Jahr verheiratet: also mußte er sie vergessen haben. Und es war schon lang her, daß sie ihn nicht mehr gesehen hatte.

Ach, was für trübe Gedanken solch ein Winterabend macht!

Wenn doch ein Gast käme! Nikolaja ist zu viel allein. Freilich, Zucharskoje-Kreslo liegt fern ab, wer sucht es auf? Immer sitzt sie lesend oder sinnend in der Nische; die Bauern thun ihre Arbeit und bringen, was sie müssen, und da sie oft schmutzig sind, sind sie Nikolaja nicht angenehm. Im Hause besorgt die Dienerschaft Alles, so daß die Cigarette zwischen den rosigen Lippen der Herrin nicht auszugehen braucht, und verfehlt einer etwas, so wirft ihm Nikolaja das nächste Buch an den Kopf, und dann liest und sinnt sie weiter. Wenn doch ein Gast käme! Und horch! wahrhaftig, er kam eben. Eine Troika klingelte in der Ferne; zwischen den Tigerfellen saßen ein Herr und eine Dame.

Nikolaja schellte heftig. Es wurde sogleich Licht gemacht, überall. Man sah nun nicht mehr den grämlichen Winter draußen, nur lag ein Abglanz seiner müden Blässe auf den Wangen der schönen Frau, die vor dem Spiegel ihr schwarzes Haar ordnete. Dann ging sie hinaus, der Schlitten hielt, und die Diener halfen den Insassen beim Aussteigen. Oben an der breiten Vordertreppe, unter dem Lichte einer großen Hängelampe erwartete sie die Wirtin. Als sie den Herren im Pelze erkannte, trat sie rasch einen Schritt vor, damit ihre Züge beschattet wären; denn tiefe Bewegung malte sich auf diesen Zügen.

Die Dame war noch zurück, indeß der Ankömmling die schmale, eiskalte Hand küßte, die sich ihm entgegenstreckte.

Romald Feodorowitsch", sagte Nikolaja mit fester, ruhiger Stimme,willkommen in meinem Haus." Ihre schwarzen funkeln­den Augen hafteten auf der sich näherten Fremden.

Es ist meine Gemahlin Helena, wenn Sie gestatten," sprach - Romald Waruschkew mit einer Verneigung.Wir wollten zur Bahn nach Kiew, aber es war zu spät, die Dunkelheit brach her­ein. Diese schlimmen Nebel! Ich wußte Zucharskoje-Kreslo nahe und Gastfreundschaft darin! Für meine Frau mußte ich die Nacht fürchten."

Ich hoffe, es bedarf keiner Entschuldigung," versetzte die Wirtin mit ihrer kühlen Stimme.Sie wissen: Gast im Haus, Gott im Haus! Treten Sie näher, ich bitte, Helene Romaldowna."

Und der Herr Wladimir Alexejitsch ist tot?" sagte Romald in bedauerndem Ton.

O ja wohl. Sie wissen es schon lange, wie ich sehe?"

Ich hörte ich hörte; nur als Gerücht. Mein lieber Gott, das Gerücht lügt so oft! Es ist sehr traurig für die gnädige Frau."

Sehr traurig, ja," Nikolaja. Alsdann war sie der Fremden beim Ablegen behiflich, oder sie that wenigstens so. Helena war nicht größer, als sie selbst, aber zarter gebaut, ihr Haar blond und lockig und ihr Auge dunkel. Sie hatte etwas schmiegsames, das an die Polinnen erinnerte, und nicht den kalten, stolzen, russischen Ausdruck.

Es wurde hierauf über dies und jenes gesprochen; danach begab man sich zu Tisch und hinterher zum Samowar.

Nehmen sie eine Cigarette, Romaldowna?"

Nimm nur, Helsa'" ermunterte ihr Mann.Die gnädige Frau rollt sie selbst."

Ich verstand mich schon in der Jugend darauf in der schönen Jugend," sagte die Gelobte langsam.

Romald lachte darüber, daß Nikolaja von der Jugend sprach wie von etwas Vergangenem.

»Ja, Feodorowitsch; ich rede von den Kindertagen in der Ukraine, wissen Sie; oder haben Sie diese vergessen?"

Wie könnte ich! Meine liebsten Erinnerungen!"

Die Ukraine muß sehr interessant sein; Romald hat mir versprochen, daß wir sie bald einmal sehen werden, im Mai viel­leicht," sagte Helena mit ihrer süßen, schmeichelnden Stimme. Dann soll sie am schönsten erscheinen."

Sie kennen die Ukraine nicht? So?" entgegncte Nikolaja erstaunt und fast spöttisch.Der Großstädterin wird sie kaum gefallen, denke ich; es ist merkwürdig, daß Romald Waruschkew, der in der Steppe aufwuchs, eine Frau bekommen mußte, die sie nicht kennt. Ach! wir jagten manchesmal darüber hin, einsam mit dem Himmel und dem Raubvogel; nicht, Herr?"

Jawohl! denkt die gnädige Frau noch an unfern alten Tabuntschik*), den Szymon?"

Nikolajas Lippe lächelte vertrauter. Ihre feinen Nasenflügel zitterten, und ein rascher Freudenblitz zuckte aus ihren leidenschaft­lichen Augen.Wir saßen so oft bei ihm und sahen den Spielen der Füllen zu und den Kämpfen der Hengste."

Wir sangen auch häufig Lieder, die er uns lehrte," setzte Romald lebhaft hinzu.

Und Du sangst mir noch nie eins davon," schaltete Helena vorwurfsvoll ein. Die Wirtin musterte die junge Frau, deren Mündchen reizend zu schmollen verstand, mit feindseligem Blick.

Er dachte wohl, daß, wer die Ukraine nicht kennt, auch für ihre Lieder lein Interesse hat," versetzte sie finster.Feodoro- witsch, dort lehnt eine Balalajka; nehmen Sie, singen Sie etwas!"

Damit warf sie die Cigarette in den Kamin und drehte zu­rückgelehnt eine neue. Ihre Finger zitterten dabei. Helena hatte sich aufgerichtet, ein Zug des Argwohns trat auf ihr Antlitz. Romold gehorchte, stimmte die Laute und sang die bekannte Weise: Könnt' ich als Sonne och am Himmel schweben, ur für Dich Eine Wollt' ich Strahlen geben.

Beim Uebergang trillerte er in eigentümlichen, hohen Tönen. Sie klangen wie das langatmige Schmettern eines fremden Vogels. Nikolaja preßte die Rechte heimlich auf das Herz; das rote Licht der Kohlen flammte auf ihren düstern Zügen.

Ich merke," sagte sie nach dem Schluß mit künstlicher Ruhe, Sie haben noch nichts verlernt, Romald; nur die Personen sind andere geworden. Als wir Kinder waren, sangen Sie für mich; nun sitzt eine Romaldowna an Ihrer Seite, welche Helena heißt. So kommt Vieles anders, als Kinder meinen, und am Schluß behält man aus ferner Zeit nur ein mattes Andenken und welke Blätter." (Forts, folgt.)

*) Roßhirt.

Neueste Nachrichten.

Stuttgart, 23. Jan. Seine Exellenz der Herr Minister­präsident Dr. von Mittnacht hat sich auf mehrere Tage nach Berlin begeben.

Hofrat Hemsen, der Vorstand der königl. Privatbibliothek, ist gestern Nacht vom Schlage gerührt in der Nähe der Akademie tot aufgefunden worden. Präsident v. Binder ist heute gestorben.

Keiköronn, 22. Januar. Die Vermutung in unserm Be­richt, daß die Entstehungsursache des großen Brandes in Gro ß- gartach Brandstiftung sei, hat sich bestätigt. Heute Mittag wurde der Brandstifter, ein 34 Jahre alter Dienstknecht, eingeliefert; er ist der That geständig, will aber selbst nicht wissen, wie er dazu gekommen sei, das Feuer anzulegen. Ohne Zweifel liegt ein Rache­akt gegen den früheren Dienstherrn des Verbrechers vor.

Vom 1. Februar d. I. ab wird die Jagd in Kraukreich geschlossen, weshalb vom diesem Tage an Wildbretsendungen da­hin nicht mehr befördert werden.

In der Waffenfabrik von Saint Ktienue macht man gegenwärtig Versuche mit einem von Picard, einem Neffen des Generals dieses Namens, erfundenen neuen Gewehre, dessen Ladung in 2 Tempos stattfindet und welches bis 30 Kugeln in der Minute abschießt.

Hkom, 21. Jan. In Folge von Schneelawinen in den Gemeinden Chiomonte und Exilles sind Menschen verunglückt. Mehrere Weiler wurden verschüttet, in Starone sind 15 Personen verunglückt. An der italienischen Grenze gegen Frankreich liegt der Schnee 2 Meter hoch. Der Verkehr durch den Mont Cenis dürfte einige Tage hindurch unterbrochen bleibeu.

London, 22. Jan. Eine Meldung aus Abuklei Mills auf dem Wege von Korti nach Metamneh vom 17. d. lautet: Die Kolonne Stewarts traf gestern in der Nähe von Abuklei Mills ein und fand hier die Stellungen von 10 000 Aufständischen be­setzt. Sie rückte am 17. d. 1200 Manü stark im Viereck auf­gestellt vor. Der Feind griff plötzlich an und sprengte für einige Augenblicke das Viereck. Die Engländer schlossen sich jedoch als­bald wieder zusammen und richteten ein verheerndes Feuer auf den Feind, welcher schließlich mit Verlust vou 1200 Toten sich zurückzog. Der Verlust der Engländer beträgt: 9 Offiziere, dar­unter der Oberst Burnaby, und 65 Mann tot, 9 Offiziere, dar­unter die Lords Saint-Vincent und Aiclie, und 85 Mann ver­wundet. Das Pferd Stewarts wurde getötet, er selbst ist unver­letzt. Die Engländer besetzten die Stellungen des Feindes. Stewart wird unverweilt nach Metamneh vorrücken.

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