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Familienzimmer des Arztes, wo uns eine würdige Dame mit violettem Häubchen und langen Schmachtlocken im Alter von ungefähr 40 bis 50 Jahren begrüßte, die der Direktor als seine Schwester Marsa Jwanowna vorstellte. Marsa Jwanowna bereitete uns den Thee mit der Grazie eines alten Jüngferchens, das noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben hat und sie schmunzelte sehr freundlich, als der Oberst anfing, ihr sehr angelegentlich den Hof zu machen. Einmal bemerkte ich, wie der Oberst ihr etwas in's Ohr flüsterte und wie sie dann einen ängstlichen Blick auf -mich richtete. Sobald wir uns erwärmt hatten, bat ich den Direktor um eine Unterredung unter vier Augen und machte ihm Mitteilungen über den Zweck unseres Besuches. „Mein armer Kamerad!" — sagte ich am Schluffe meiner Eröffnungen: „Ich hoffe, daß sein Leiden kein unheilbares ist."
Der Direktor sah mich mit einem forschenden Blicke und mit einem feinen, kaum bemerkbaren Lächeln an. „Ich hoffe", sagte er dann, daß auch Ihnen der Aufenthalt in diesem Hause sich wohlthätig erweisen wird." — „Mir? Ich verstehe Sie nicht!"
_ Darf ich bitten?? — Er machte den Versuch, mir den Puls
zu fühlen. — „Was fällt Ihnen ein? Ich bin nicht krank." — „Sie sind es nach dem, was der Oberst mir über Sie gesagt hat. Und Sie begreifen wohl, da Einer von Ihnen Beiden der Kranke ist und ich erst meine Beobachtungen machen muß. — Sie haben keine schriftliche Beglaubigung?" — „Nein", sagte ich. „Der General wird Ihnen wohl die Fähigkeit zugetraut haben, den Verrückten von dem Gescheiden zu unterscheiden." — „Hm!" fuhr der Arzt fort. „Es ist der seltsamste Fall, der in meiner Praxis vorgekommen ist. Zwei Herren kommen in meine Anstalt und jeder bezeichnet den anderen als denjenigen, der meiner ärztlichen Pflege bedarf. Uebrigens gibt es ein leichtes Mittel, um aus dieser Verlegenheit herauszukommen." — „Und das wäre?" — „Ich werde sogleich einen reitenden Boten zur Stadt schicken. Bis dahin bitte ich Sie, in diesem Zimmer es sich bequem zu machen." Ich warf mich auf das Sopha und belächelte das seltsame meiner Lage. Die Fahrt hatte mich ermüdet und ich schlief fest ein. Als ich nach einer Stunde wieder erwachte, stand der Direktor vor mir. „Herr Major", sagte er,
„ich bitte um Verzeihung."-„Nun? Der Bote kann doch
nicht schon zurück sein?" — „Nein. Aber ich weiß jetzt,woran ich bin." — „Wieso?" fragte ich. — „Der Herr Oberst hat meiner Schwester soeben in aller Form einen Heiratsantrag gemacht. Folglich ist er der Verrückte."
Gemeinnütziges.
— (Ein einfaches Mittel bei Verwundungen.) Unter dem Titel „Etwas Wissenswertes" bringt der „Bauernfreund" folgende Mitteilung eines Lesers: „Wir lesen öfters, daß Leute, welche in rostige Nägel getreten oder sich auf andere Weise kleine Wunden beigebracht haben, heftig erkrankt, ja teilweis an Mundsperre dem Tode erlegen sind. Wenn Jedermann in der Well mit einem Mittel gegen solche Uebel bekannt wäre, so würden alle solche Berichte aufhören. Wir können ein solches Mittel angeben, aber wir können die Leute nicht zwingen, es anzuwenden. Dasselbe wird Vielen zu einfach Vorkommen; doch es ist bei leichter Anwendbarkeit unfehlbar in seiner Wirkung. — Man räuchere, um seine Beschreibung zu geben, die Wunde mit brennender Wolle oder mit einem brennenden wollenen Tuch. Zwanzig Minuten in dem Rauch von Wolle wird die Schmerzen aus der schlimmsten Wunde nehmen und bei wiederholter Anwendung dieses Verfahrens wird die heftigste Entzündung beseitigt werden. Die Leute mögen über das Alte-Weiber-Mittel spotten, so viel sie wollen, aber wenn sie in Gefahr sind, laßt sie es nur probiren. Dasselbe hat viel Schmerzen gelindert, manches Leben gerettet und ist wert, in Buchstaben von Gold in jeder Familie aufge- chängt zu werden."
Verschiedenes.
— In ganz Württemberg war das Gerücht verbreitet, der König sei katholisch geworden. Ein Pfarrer faßte sich das -Herz, schrieb an den König und fragte ihn, ob es wahr sei und ob er, der König, vielleicht nur deshalb das h. Abendmahl nach evangelischem Brauche nehme, weil die Jesuiten ihm ausnahms- nveise dazu Erlaubnis gegeben hätten. Als Antwort gab der König dem Consistorium die feierliche Erklärung, daß er von ganzem Herzen an der evangelisch-lutherischen Kirche hänge und in seiner nächsten Nähe nur einen einzigen Katholiken habe.
— Nicht so alt, aber fast ebenso berühmt wie weiland .Davids Harfe ist Davids Geige, nämlich des verstorbenen Leipziger Concertmeisters David. Es ist eine echre Joseph Guarnerio-
Geige und dieser Tage für 17 000 Mark in den Besitz des Prof. Florian Zajec in Straßburg übergegangen.
— Zum Kapitel: Druckfehlerteufel! Ein Buchhändler in der Provinz kündigte kurz vor Weihnachten an, daß Marlitts Höherertöchter-Roman „Gold elfe", der bei ihm trotz der eifrigen Nachfrage nach dem neuesten Ebers'schen Höherentöchter - Roman vergriffen war, wieder eingetroffen sei. As er aber am nächsten Morgen den Moniteur des Städtchens in die Hand nimmt, leuchtet ihm sein Inserat in folgender Gestalt entgegen: Soeben eingetroffen „Marlitt, Goldlese". Natürlich verlangt der Buchhändler eine neue, korrekte Annonce resp. eine Berichtigung, und sie wird ihm eben so natürlich zugestanden. So hatten denn die Leser des Blattes am nächsten Tages das Vergnügen, zu lesen: „Es muß in unserer gestrigen Nummer nicht heißen: Marlitt, Goldlese, sondern: Marlitt, Goldsele". Wiederum reklamirte der entrüstete Buchhändler und erzwang denn auch durch die entsetzliche Drohung der völligen Jnseratenentziehung die nachstehende zweite Berichtigung: „In unsere gestrige Richtigstellung der Annonce der Buchhandlung von Ä.'. D. Nachfolger hat sich leider wiederum ein sinnstörender Druckfehler eingeschlichen. Wir bitten weder „Goldlese" noch „Goldsele" zu lesen, sondern wie es allein heißen muß: „Marlitt, Goldesel". — Als der betreffende Buchhändler nun wutentbrannt dem Korrektor des Blättchens diese neueste „Berichtigung" unter die Nase hielt, zuckte dieser sehr kühl die Achseln und erwiderte, es sei gar kein Wunder, daß sich der Titel dieses Buches nicht ohne Druckfehler setzen lasse; das ganze Buch sei ja nur ein einziger großer — Druckfehler!
Nerkosungskiste über alle bis Dezember gezogene» Serienkose nebst Nerkosungs-Kalender für's neue Jahr.
Diese bevor in ihrem 19. Jahrgang erschienene Liste ist in der That für jeden Losbesitzer die lohnendste Geldausgabe, wenn man bedenkt, wie viel Gausende von gezogenen Losen (sogar mit Haupttreffern von 100 000, 80 000, 70 000, 60000, 50 000 rc.) noch unerhoben sind und der Verjährung anheimfallen. Gegen 50 Pf. Briefmarken wird Jedem die Liste franco eingesandt vom Herausgeber A. Dann in Stuttgart.
Wr> 119 des praktischen Wochenblattes für alle Hausfrauen „Jürs Kaus" enthält:
Die Stütze der Hausfrau. — Wenn man zum Photographen geht. — Strafgelder. — Weizenschrotbrot. — Übt nicht zu viel auf dem Klavier! — Das Abteilen und Abziehen des Weines.
— Die Cholera. — Buchhändlerinnen. — Stenographie. — Heuchlerische Geselligkeit. — Knopfloch Apparat. — Spitzenkasten.
— Wollene Söckchen. — Eisenvitriol. — Düngesalze. — Moden- und Trachten-Ausstellung. — Stuttgart. — Zimmeröfen für Heiz-, Koch- und Ventilationszwecke. — Leinwand Hausirern. — Vorgardinen. — Rotweinflecke aus Marmor. — Lampen-Cylinder zu reinigen. — Zink zu putzen. Petroleumflecken aus Teppichen- und Tischdecken zu entfernen. — Auswachsen der Zwiebeln zu verhindern. — Gänseleber. — Prinz Pückler-Bombe. — Leberwurst. — Bratwürstchen. — Cichorienkaffe. — Feinster Apfelstrudel. — Hasenpastete. — Speisezettel. — Rätsel. — Fernsprecher. — Echo. — Anzeigen. — Probenummer gratis in allen Buchhandlungen und der Geschäftsstelle „Fürs Haus" in Dresden-^. — Preis vierteljährlich 1 Mark*) — Notariell beglaubigte Auflage 70 000 Wochenspruch:
Was Du bist, das sei auch ganz;
Nicht die Blüt' allein, die lichte.
Auch das dunkle Blatt, das schlichte.
Hat Bedeutung für den Kranz.
— Kladderadatsch-Deutschland singt England mit folgendem hübschen Liedchen an:
Liebe, statt mit mir zu schmollen Reich' mir freundschaftlich die Hand!
Sollen wir einander grollen,
Altbefreundet und verwandt?
Sprich, soll ich denn gar nichts kriegen Von den Ländern, die umher Ohne Eigentümer liegen,
Von den Inseln rings im Meer?
Sieh, du hast an allen Enden Schon dein Banner aufgepflanzt:
Du umspannst mit deinen Händen Mehr fast, als du halten kannst.
Selber muht du dieses wissen,
Drum, wenn du vernünftig bist,
Laß auch mich mal Flaggen hissen.
Wo noch was zu hissen ist.
Vergesset die hungernden Vögel nicht!