Ltilagc ;ur Wil-ba-er Chromlr.
Nr. 136.
Samstag, den 20. November 1909.
45. Jahrgang.
AlrrLertzattenöes.
Herrlos.
Erzählung von S. CH. von Seil. (Fortsetzung). (Nachdruck verboten.!
Die Marchesa hatte Befehl zum Wenden gegeben. Bald hatten ihre flinken Rappen die Gäule des Mietswagens überholt. Kitty be
eine irrige Meinung berichtigt: „Machen Sie mir meine junge Freundin nicht so schlecht! Das war keine Laune, sondern der rechte warmherzige Impuls, der deu Menschen zupl Menschen zieht und nicht fragt ob der Andere eine vornehme Dame oder ein armer Straßenarbeiter ist. Mich dünkt, wenn wir uns mehr darauf besinnen, daß wir Meuschen sind . . . nicht vornehm und gering, reich und arm, geehrt und verachtet, auch nicht — so paradox es klingen
merkte jetzt erst, daß auch dessen Rücksitz besetzt ^ — auch nicht Mann und Weib, sondern war und zwar durch Josef Mengersen und em, erster Linie Menschen — es stände in vieler kleines braunlockiges Mädchen. Der sunge > Beziehung besser in der Welt. Sozial und sitt- Mann erkannte die Dainen und grüßte. Krtty!^ — um nur zwei viel gebrauchte Schlag- Hkigte dankend da§ «^auyt, aber wandte ßch > ^erau§zuarei^en." nicht zurück, um Joachim's Gruß zu empfangen. „Nun loben Sie mich auch noch", murmelte obwohl Mary sie aufmerksam machte, daß un! Kitty. Wie unendlich hoch stand dieser Mann Fonds des Wagens der große,chlonde Deutsche ^ber ihr, der er mit so viel Güte und Geduld sitze, „den wir gestern bei ihrer Tartte trafen. , begegnete; er, der reife Mann, der eine Andere Sie hatte das Gefühl, ihre äußere Ruhe nicht fl(Me.
bewahren zu können, wenn sie noch eiumal sehe, i „W§s brachten Sie iu Erfahrung?"
wie jenes wohlbekannte Antlitz sich Mit dem. „Der arme Kerl mußte ins Krankenhaus,
Ausdruck zarter Füriorge zu der fremden Frau doch ist alle Aussicht, daß die guten Nonnen ueigte. ; ih" wieder gesund pflegen werden. Und dann
Schon beim ersten Anblick hatte sie etwas ge- 'wirk, er wohl in den Armen der schönen Massina
packt und durchschüttelt, wie eine mit grausamem Griff sich in ihr Herz einkralleude Klaue. Und noch immer fühlte sie einen zuckenden Schmerz in der Brust. Und in den Ohren sauste und klang es ihr: „Um niemand sonst hätt' ich die Wanderung mit Ihnen aufgegeben."
Gerade aufrecht saß Kitty im Wagen. Sie hörte das Geplauder ihrer Gefährtin und gab von Zeit zu Zeit eine Antwort, aber sie wußte nicht was sie sagte. Ihre Augen ruhten auf dem 'zauberischen Bilde, das die Stadt im Abendröte bot. In den Straßen drängten sich Wagen und Fußgänger durcheinander. Heimkehrende Arbeiter, Fremde mit dem roten Bäd- ecker unterm Arm, bettelnde, zerlumpte Kinder und Greise; Karabinieri in strammer Haltung,
sahen
alles
— jenes Mädchen, das wir Ausgestandene vergessen."
„Entstand oer Streit um ihretwillen?"
„So scheint es. Sie ist Waise, und obwohl nicht eigentlich wohlhabend, doch viel umworben. Bisher hat sie sich für keinen ihrer Freier entscheiden mögen. Nun sie aber den armen Lionardo iu seinem Blute vor sich sah, hat sie ihr Herz entdeckt —"
Kitty wandte den Kopf, um ihr heißes Erröten zu verbergen.
„Und ist fest entschlossen, ihn zu heiraten, sobald er mit der Madonna Hilfe wieder gesund geworden."
„Wie haben Sie nur den kleinen Roman so hübsch ausgekundschaftet? Dehns könnte
Frauen von Albano in dem kleidsamen Kops- g^ich eine römische Novelle davon machen." tuche, vornehme Römerinnen in ihren Equipagen une Offiziere in den bunten Uniformen. Kitty schaute darauf hin, alZ sähe sie es nicht.
Plötzlich, an der Via Nazionale, trat ihr eine der vorüberfliegenden Erscheinungen in das Bewußtsein. Es war Dehns, der aus dem Cafe Castelloni trat. Da schlug ihr glühende Röte in die erblaßten Wangen. Der hatte es ihr vorausgesagt und sie hatte ihn verlacht.
Nun war es geschehen, wie er prophezeit. Ihr Herz war erwacht, der Rächer war gekommen!"
Das war eineAeltsame Wanderung, die Mansuetos und seine junge Freundin am nächsten Morgen durch die Vatikans unternahmen. „Zum letzten Mal" — das Wort durchzitterte Beider Herzen und doch war jedes bemüht, dem Andern zu verbergen, wie tief ihn der Gedanke bewegte. Draußen lacht die Sonne am wolkenlosen Himmel. Niemals wrreu die Stanzen des Raffaels schöner beleuchtet gewesen, als an diesem Morgen, und nie zwei Menschen eifriger bemüht, einander glauben zu machen, daß das Interesse 'ür diese erhabenen Schöpfungen sie ganz in Anspruch nehme.
Auf der Fahrt nach dem Vatikan hatte Mansuetos seiner Gefährtin erzählt: „Ich habe mich nach jenem armen Burschen von Trastevere erkundigt."
„Ah! Das sieht Ihnen gleich."
Er lächelte. „Der Anstoß dazu wurde mir vielmehr von einer gewiffeu jungen Dame gegeben."
„Oh — da hättenISie viel zu tun, wenn Sie allen Launen der ^verwöhnten Person zu Liebe laufen wollten."
Der Ausdruck des ihm zugewandten Gesichts war der übermütige spöttische, den Kitty zu Zeiten haben konnte, aber in der Stimme verriet sich etwas von der heiß aufsteigenden Bitterkeit ihres Herzens. Wß vA
Ein wenig befremdet blickte erZsiei'an und
„Ich Haffe zuerst einige Mühe. Die Traste- veriner sind mißtrauisch gegen Fremde, und der Wirt der Osteria, wo der Streit entstand, mochte seine Gründe haben, überhaupr etwas vorsichtig zu sein. Da kam zufällig ein freundlicher, dicker Franziskanerpater dazu. Es entspann sich ein Gespräch, das bald bei einem Glase Chianti fortgesetzt und vertraulicher wurde. Als Massina's Beichtvater war er genau orientiert, hatte auch die Aufnahme Lionardo's ins Hospital vermittelt und schien mit den Entschlüssen seines Beichtkindes ganz einverstanden."
„Ein Ehenstistender Franziskaner — eine Prachtfigur für eine Novelle", scherzte Kitty sich die eigene Rührung hinweg. Denn — es war freilich sehr töricht — sie hatte nicht übel Lust, die Massina maßlos zu beneiden und in diesem Gefühl einfach in Tränen auszubrecheu.
„So verfehlen Sie nicht, Ihren Dichterfreund mit den: „Stoff" bekannt zu machen", versetzte Mausuetos, einen Seufzer unterdrückend. „Er wird dann gewiß so galant sein. Ihnen die römische Novelle zu widmen."
So scherzten sich Beide durch deu Anfang ihrer Tour. Später wurden sie schweigsamer und waren dankbar, daß die Besprechung der Kunstwerke ihnen ein unverfängliches Gesprächsthema gab. Und doch — wo fände ein liebendes Frauenherz nicht Beziehungen zu dem Einen, das e§ ganz erfüllt? Und nur mit Anstrengung aller Willenskraft konnte der Mann seine äußere Ruhe bewahren, da er sich sagen mußte, daß er dies junge Weib, welches mit so vollem Verständnis auf seine Bemerkungen einging, morgen auf unbestimmte Zeit verlassen mußte. Wenn er sie wiedersah, war sie wohl längst die Gattin eines Anderen, der die reichen Schätze ihres Geistes und Gemütes vielleicht nicht einmal zu würdigen wußte.
Von den Stanzen stiegen sie zur Pinakothek
erwiderte iu einem Tone, wie man einem Kindhinauf. Vor der Transfiguration Raffaels
standen sie lange und wie von einem seligen Traum umfangen, lauschte Kitty den Erklärungen, welche die geliebte Stimme ihr gab. Er sprach ihr von dem ergreifenden Gegensatz dieses B'ldes: der erfüllten Verheißung — die Jünger dürfen den verklärten Christa« schauen —, und dem irdischen Elend, der menschlichen Ohnmacht
— den mondsüchtigen Knaben vermögen sie
aus eigener Kraft nicht zu heilen und müssen ihn auf den mächtigen, glorienumstrahlten Helfer weisen. *
Und Kitty hätte die Hände des Geliebten umklammern mögen und flehen: „Geh' nicht von mir, laß mich nicht führerlos! Was du pflanzest in meiner Seele, das muß verkümmern ohne dich, wie die Blume ohne Sonnenlicht. Ohnmächtig werde ich sein, wie die Jünger dort, gegenüber der Aufgabe, die du mir stelltest."
Es kam ihr nicht in den Sinn, daß diese Gedanken eine Profanation des Heiligsten sein könnten. Im Gegenteil. Sie hatte sich nie so geneigt gefühlt, Gott anzubeten in aller Demut, seit sie in diesem Manne zum ersten male einen Menschen gefunden, den sie bedingungslos verehren konnte.
„Sie sind erschreckend blaß, Fräulein Kitty", sagte Mansuetos plötzlich, in ihr Gesicht blickend. „Ist Ihnen nicht wohl?"
„Ich fühle mich ganz gut."
„Sie werden sich doch gestern nicht erkältet haben? Sie waren etwas lange draußen — ich sah Sie; die Campagnaluft ist gefährlich."
„Wir kamen vor Sonnenuntergang in die Stadt. Sie waren noch später unterwegs."
„So haben Sie mich doch erkannt? Ich dachte. Sie hätten mich nicht gesehen."
Eine Blutwelle schlug ihr ins Gesicht. „Doch. Zuerst — als Sie so eifrig beschäftigt waren, daß Sie mich nicht bemerkten."
Das war wieder jener gereizte Ton. Diesmal verdroß er ihn. Sie war doch wirklich ein rechtes Kind.
„Verzeihen Sie, wenn ich nicht zur rechten Zeit grüßte, gnädiges Fräulein", erwiderte er kühl und ironisch.
Kitty fühlte, daß sie sich verraten habe, und in ihrer Verwirrung kam ihr das gerade auf die Lippen, was sie eigentlich nicht sagen wollte: „Wer ist die Dame?"
„Eine alte Bekannte, die Gattin eines Freundes, Frau Hartert."
„Die — Gattin — Ihres Freundes?"
„Ja. Was ist daran so wunderbares? Ah
— ich begreife. Sie glaubten, daß ich selbst
Er lachte hart auf „Das war einmal vor langer, langer Zeit, als wir Beide, oder alle Drei noch jung waren."
„Warum soll ich's leugnen? Sie war sehr schön — ein Wunder der Schöpfung — und ich . . . nun, ich träumte davon, sie zu besitzen. Da kam mein Freund, und ich sah bald, daß er der glückliche Gewinner sein würde. Ich ging in die weite, weite Welt und suchte zu vergessen.,,
„Und?"
„Nun — sie heirateten sich."
„Und jetzt?"
„Jetzt sind Beide unglücklich — tief unglücklich durch eigene Schuld."
Kitty hatte klopfenden Herzens, von unwiderstehlichem Drange getrieben, immer weiter gefragt. Jetzt schwieg sie erschrocken.
Mansuetos aber sprach weiter: "Und seit Jahr und Tag geschieden."
Fortsetzung folgt.
(Der schlaue Wirt.) „Warum borgen Sie denn dem Herrn Professor immer nur zerrissene Schirme, Herr Wirt?" — „Sehr einfach — am andein Tag hat der Professor gewöhnlich vergessen, daß der Schirm nur geborgt gewesen ist und läßt ihn reparieren; wenn dies geschehen ist, verlange ich meinen Schirm zurück."