während des Kampfes mit Steudle plötzlich der Gedanke gekommen sei, diesen zu erwürgen, damit er ihn nicht zur Anzeige bringen könne. Die Geschworenen sprachen unter Versagung mildernder Umstände den Angeklagten des schweren Diebstahls, des versuchten schweren Diebstahls und des Totschlags schuldig, worauf der Schwurgerichtshof Redinger unter Anrechnung von zwei Monaten Untersuchungshaft zu 10 Jahren 8 Monaten Zuchthaus und zu 10 Jahren Ehrverlust verurteilte.
Berlin, 20. April. Heute vormittag begann vor der IV. Strafkammer des Landgericht I die Verhandlung des neuen Prozesses Moltke-Harden. Spät abends verkündete der Gerichtshof folgendes Urteil: Der Angeklagte Harden wird wegen Beleidigung des Grafen Moltke zu 600 Mark Geldstrafe verurteilt. Im Unvermögensfalle tritt an Stelle der Geldstrafe für je 15 Mk. 1 Tag Gefängnis. Die inkriminierten Artikel sind unbrauchbar zu machen. Dem Kläger wird das Recht zugesprochen, den Tenor des Urteils auf Kosten des Angeklagten in der „Zukunft", der „Voss. Ztg." und der „Kreuzzeitung" zu veröffentlichen. Die Kosten des Verfahrens werden dem Angeklagten zur Last gelegt/ — Straferschwerend kam die Schwere der Beleidigung und der Umstand in Betracht, daß die hohe Stellung des Klägers erschüttert wurde, strafmildernd, daß der Angeklagte nicht aus unedlen Motiven gehandelt hat.
Berlin, 21. April. In der Angelegenheit der Reichsfinanzreform empfing der Reichskanzler gestern abend um 6 Uhr im Kongreßsaal des Reichskanzlerpalais die Deputarionen aus Bayern, Sachsen, Baden, Württemberg, Thüringen, sowie des Bundes der Industriellen. An dem Empfang nahmen teil die Staatssekretäre und Staatsminister v. Bethmann-Hollweg und Sydow, sowie die Bevollmächtigten zum Bundesrat der durch die Deputationen vertretenen Staaten. Die Sprecher der Deputationen und die Mitglieder derselbeu wurden durch den Unterstaatssekretär v. Löbell dem Reichskanzler einzeln vorgestellt. Hierauf hielt der Vertreter von Bayern, Unterstaatssekretär v. Mayr, die erste Ansprache. Ihm folgten die Vertreter von Sachsen, Prof. Wuttke, sodann Graf Linden für Württemberg, Geh.-Rat v. Engler für Baden, Prof. Anschütz für Thüringen, Geh.-Rat Wirth für den Bund der Industriellen, Kommerzienrat Heilner-Sturtgart für die württembergischen Industriellen. Auf die Ansprachen erwiderte der Reichskanzler mit einer längeren Rede und führte am Schluffe derselben aus: Ich erwarte also, um mich kurz zusammenzufassen, von der Reichsfinanzreform das folgende: Sie soll aufbringen 500 Millionen Mark. Sie soll diese Summe, abgesehen von 25 Millionen Mark neuer Matrikularbeiträge, in Form reichseigener Einnahmen und zwar, wenn die Fahrkartensteuer in verbesserter Form bestehen bleibt, mit 350—360 Mill. Mark vom Konsum und mit 90—100 Millionen vom Besitz. Bei den Konsumsteuern sollen Branntwein, Bier und Tabak rund 280 Mill. Mark bringen. Weitere 70—80 Mill. Mark sollen durch die sogen. Ersatzsteuer, über die sich der Bundesrat dieser Tage schlüssig machen wird, aufgebracht werden. Die Nachlaßsteuer wird in eine Erbanfallsteuer umgewandelt. Durchzuführen ist dies Werk noch in dieser Tagung. Als vor einem Jahre von diesem oder jenem die Reichsfinanzreform als eine große nationale Aufgabe bezeichnet wurde, da haben Routine-Politiker gelächelt und erklärt, es werde nie gelingen, ein Steuerprogramm populär zu machen, umsoweniger je mehr Steuerzahler ,'von den Wirkungen betroffen werden müßten. Daß heute die Reichsfinanzreform als nationale Aufgabe nicht nur im allgemeinen anerkannt, sondern daß sie populär geworden ist, weil man erkannte, daß mit ihr eine Stärkung des Staates nach innen und nach außen und damit auch eine Förderung unserer wirtschaftlichen Kraft liegt, ein Aufstreben zu höheren Zielen, dafür sind Sie lebendige Zeugen. Jeder Tag der Verzögerung bedeutet eine Vermehrung unserer Schulden, einen Verlust an Einnahmen, eine Erhöhung der Schwierigkeiten und eine Einbuße an Reputation. Die Arbeit wird den Mitgliedern des Reichstags erleichtert werden, wenn ihnen aus den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung die
Versicherung entgegenklingt, daß sie bei ihrer Pflichterfüllung auf die Bereitwilligkeit der Oeffentlichkeit rechnen können. Wenn Sie, meine Herren, dies mir und in dieser Stunde mit Würde und Bestimmtheit zum Ausdruck brachten, haben Sie für das große Werk und um das große Vaterland ein Verdienst erworben und sind seines Dankes sicher.
New-Iork, 13. April. Aus Fonte-u-Pitre (auf Guadeloupe) wird ein interessantes Interview mit General Castro gekabelt. Erst wollte Castro keinen einzigen Besuch empfangen, schließlich aber empfing er doch einen der Journalisten und sprach über eine halbe Stunde mit ihm. Er lag in seiner Kabine zu Bett und litt augenscheinlich große Schmerzen. „Ich wünsche vor der ganzen Welt zu erklären," so sagte Castro, „daß es eine Schmach ist, einen sterbenden Mann, der nie ein Verbrechen begangen hat, derart zu behandeln. Wenn man mir gestattet hätte, in Venezuela zu landen, so würde ich nur vor den Gerichten meine Ländereien und mein Vermögen reklamiert haben. Frankreich, England und Amerika haben sich dazu verstanden, sich als Rachewerkzeuge meiner persönlichen Feinde in Caracas benutzen zu lassen. Eme derartige Handlungsweise ist für eine zivilisierte Macht unwürdig." Castro setzte hinzu, daß er finanziell völlig ruiniert sei. Sein ganzes Vermögen belaufe sich nur noch auf zirka 3000 Pesetas statt der 300 Millionen, von denen man gesprochen habe. Es sei daher unsinnig, davon zu sprechen, daß er Venezuela angreifen wolle.
Lokales.
Wildbad, 21. April. ' Herr Hermann Schmid, Metzgermstr. hier kaufte von Herrn Diez das Gasthaus z. „Eintracht" samt Inventar um die Summe von 63 400 Mk. Die UrbernahE^wird^i^l^^uni^erfolHM
HlnteihoLtendös.
Er soll dein Herr sein.
Erzählung von C. Aulepp-Stübs.
(Nachdruck verboten.)
„Mein Gott, das können Sie ja später auchl" Es klingt aus dem kleinen Munde, mit den schmalen Lippen, genau so, als wenn sie sagte: „Mein Gott, wie kleinlich!" Das ärgert, das reizt ihn. „Wir haben so viel zu tun! Jedes Bett ist besetzt und Operationen jeden Tag. Wir rechneten so fest auf Ihre Hilfe und nun wollen Sie nicht!" Etwas wie echtes, mädchenhaftes Schmollen zuckte um den Mund, vibriert in der Stimme und läßt den Doktor aufhorchen. Aber trotzdem —
„Ich kann qber nicht unter der Leitung einer Dame arbeiten! In Amerika gibt es viele Aerztinnen — ja, das sind Kolleginnen, das ist etwas anderes mit solchen —, waren sozusagen gar keine Frauen."
„Sehen Sie! Da bin nun ich für Sie auch keine," erwiderte sie, „denn ich bin doch ebenfalls Kollegin."
„Sie — Kollegin, mein gnädiges Fräulein?"
„Nun, und was für eine, Herr Doktor! Auf die sind alle stolz," mischt sich der bis dahin ruhig iu einem Buche blätternde Bruder ein.
„Aber Richard", sagt Hilde und zieht die Stirn kraus. Dann wendet sie sich zu Doktor Paulus, ihr Gesicht ist noch blaß, doch ihre Stimme ruhig.
„Herr Doktor, was Sie mir vorhin sagten, veranlaßt mich zu einer kurzen Erklärung. Ich könnte Sie ruhig gehen lassen und ich muß gestehen, ich hätte es vielleicht auch getan, wenn wir Sie nicht, gerade jetzt, so sehr nötig brauchten. Bedenken Sie, mein Onkel ist es, welcher die Leitung dieser Anstalt — also das Wohl und Wehe seiner Kranken — in meine Hände legte. Glauben Sie, daß ein Mann wie er, nicht weiß was er tut? Ich war hier an dieser Stätte, schon als Kind sein kleiner Assistent, wie er mich scherzend nannte. Mein einziger Wunsch war stets, ihm in Wirklichkeit eine tüchtige Hilfe zu werden. Dieser Wunsch ist nun erfüllt, ich bin Aerztin geworden — ich fülle meinen Platz aus und kein Vorurteil, kein Achselzucken der Menschen soll
die der Portier Karl hereingebracht hat, durchlieft. Dann wendet sie sich wieder zu ihm und sagt mit gewinnendem Lächeln:
„Wenn Sie nachher mit mir einen Rundgang durch die Anstalt machen wollen, dann werde ich Ihnen unser Arbeitsfeld zeigen können."
„Fräulein Doktor haben nur zu befehlen."
O, nicht doch! Heute sind Sie noch frei, da habe ich Ihnen gar nichts zu sagen," erwiderte sie liebenswürdig, mich von diesem Platze verdrängen."
Der Doktor fühlt sich bis ins tiefste Innerste getroffen. Zum erstenmal in seinem Leben muß er die Sicherheit und schlichte Seelengröße einer Frau anerkennen. Er tut es widerwillig, es bäumt sich etwas auf in ihm. Nur nichts merken lassen, sich nicht unterordnen, nein, nein! Die echte Frau wird sich niemals über den Mann erheben, wird niemals einen so männlichen Beruf ergreifen wie den einer Aerztin. Seine Augen blickten kalt und prüfend über die junge Dame hin. Sie gleiten an der zarten, feingebauten Gestalt nieder, dann hasten sie an den kleinen, weißen Händen, die ohne jeden Schmuck sind. Diese Gestalt im Seziersaal, diese Hände am Operationstisch hantieren zu sehen — lächerlich. Sein Ideal von einem Weib ist anders. Und doch — sie ist schön, diese Fräulein Doktor! So ganz wie ein junges Mädchen, lieblich und hold. Das blonde Köpfchen etwas gesenkt, die Hände leicht ineinandergelegt, sitzt sie in dem reich geschnitzten großen Lutherstuhl, welchen sie etwas vom Schreibtisch zurückgeschoben hat.
„Nun, Herr Doktor! Ich bitte Sie, recht- fertigen Sie meines Onkels Vertrauen, der mir in Ihnen eine Hilfe zur Seite stellen wollte. Lassen Sie sich nicht durch kleinliche Bedenken leiten. Sie finden bei uns ein großes Arbeitsfeld, helfen Sie mir bei der segenbringenden Ernte, helfen Sie die Not meiner armen Kranken lindern — bedenken Sie, es sind junge Pflänzlein, sie bedürfen der allersorgfältigsten Pflege," sagte sie warm.
Sie schaute auf und blickte ihn an. Eine rosige Glut färbte jetzt ihr reizendes Gesicht- chen, selbst ihr kleines Ohr glüht dunkelrot vor Erregung, die Augen sehen tiefblau und fast überirdisch groß aus. Die blonden Haarwellen schimmern goldig und umgeben das Antlitz in reizvoller Einrahmung.
In des Doktors Brust kämpfen die widerstreitendsten Empfindungen. Er fühlt sich beschämt und bedrückt von der Güte dieser Frau. Sie hätte ihm ja einfach die Türe weisen können und statt dessen bat sie ihn förmlich zu bleck en. Er vergißt, daß sie auf Antwort wartet, da streckt sie ihm bereits mit einem lieben Lächeln die Hand entgegen und fragt:
„Nicht wahr. Sie bleiben oder kommen vielmehr morgen zu uns? Ja? — O, das ist schön?" Er hat keine Zeit, sich zu besinnen, denn er hält schon die kinderzarte Hand in der seinen und fühlt, wie die feinen Finger- chen sie fest umschließen.
„Nun denn — ich komme morgen." Er verneigt sich ein wenig.
„Wie mich das freut!" Und gute Kameradschaft werden wir gewiß halten, wenn Sie mir dieselbe auch oft recht schwer machen werden, denn das Fräulein Doktor wird Ihnen wohl noch manch liebes Mal recht unbequem sein und ihre Oberleitung erst recht," sagte sie mit schelmischem Lächeln um den feinen Mund. „Aber ehe der Onkel heimkommt, werden wir uns , eingewöhnt haben, meinen Sie nicht auch?"
„Gewiß, gnädiges Fräulein!"
„Bitte, einfach Fräulein Doktor!"
Er beißt sich auf die Lippen. Ihre Bemerkung ärgert, ihr ganzes Wesen reizt ihn. So sehr er auch ihre liebliche Schönheit bewundert und ihre Ansichten achten muß, es bedarf seiner äußersten Willensanstrengung, um nicht noch einmal zu rufen: „Nein, ich kann und werde nicht unter Ihnen, wie überhaupt unter der Leitung einer Frau arbeiten!"
Er zwingt die rebellischen Gedanken nieder und unterhält sich noch eine Weile in ruhigem Ton mit dem Bruder, welcher sich lebhaft für Amerika interessiert und ihn nach diesem und jenem fragt, während Hildegard einige Briefe,