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Sonntag, 1. Aeßruar.
Tagespolitik.
lieber die Unfreiheit unserer Kultur hat der Rektor der königlichen Hochschule in Berlin, Professor Otto Kämmerer gelegentlich der Kaiser-Geburtstagsfeier eine viel bemerkte Rede gehalten. Der Professor führte in seiner Rede aus, daß die Ingenieur-Kunst dieser Unfreiheit ein Ende machen werde, da die moderne Entwicklung der Maschineakunst bestrebt sei. alle Hilfeleistungen, alle Handlangerdienste, alle Transportbewegungen der Maschine selbst aufzubürden, sodaß der Mensch nur überlegende und regelnde Thatigkeit auszuüben habe. Die Befreiung werde gerade von dem Jngenieurfach kommen. Wir leben augenblicklich noch in einer Uebergangszeit, der Erfolg aber werde nicht ausbleiben. Zu seiner Erreichung habe der Kaiser viel beigetragen, indem er allen höheren Schulen die Gleichberechtigung verlieh. Aber auch gerade auf dem Gebiete der Schulreform habe noch unendlich vieles zu geschehen. Gegenwärtig herrsche noch immer die Anschauung, daß das Sprachstudium der Kern- und Mittelpunkt der Bildung sein müsse, obwohl doch die Sprache immer nur ein Werkzeug und nicht der Inhalt sein kann. Naturwissenschaftliche Bildung im vollen Ernst mit wahrhafter Naturbeobachtung betrieben, ist bisher immer nur ein Wunsch geblieben. Sehr richtig war die Bemerkung über den Geschichtsunterricht in unseren Schulen. Die Geschichte besteht nicht aus einem Gemenge von Jahreszahlen und Schlachten, sondern aus Kulturentwickluug, die das Werden und Vergehen der Völker entrollt. Völlig fehlt unserer Schulbildung die Anleitung zur Achtung vor Arbeit in allen ihren Formen auch der körperlichen, für die jetzt nur Verachtung vorhanden ist. Etwas ganz Fremdes ist der Schule die Erziehung zum Kunstverständnis geblieben; der Sinn für Formen und Farben, für Naturgefühl und Kunstcmpfindung wird nicht geweckt, sondern erstickt, denn nur das körperlose Wort geschichtlicher Mitteilung, nicht die lebendige Anschauung dient zur Vermittlung. Keine Macht der Welt, so schloß der Festrednerseine von guten Gedanken erfüllte Rede, wird die Denkrichtung des herrschenden Geschlechts wandeln, keine Macht wird es Schönheit und Natur verstehen lehren, wird ihm innere Freiheit bringen. Darum wendet der Schule sich all unser Hoffen zu, damit eine neue Zeit heraufblühe, sonnig und frei!
*
Ein evangelisch-kirchliches Blatt klagt über die Abnahme der Theologie-Studierenden wie folgt: „Kein anderer Studienzweig hat innerhalb eines siebenjährigen Zeitraumes so starke Schwankungen in der Besuchszifser aufzuweisen gehabt, wie der evangelisch-theologische. Im Semester 1830/31 machten die evangelischen Theologen 26,9 Proz. der gesamten Studentenschaft Deutschlands ans, im Semester 1885,86 dagegen nur 16,4 Proz. und 1899/1900 gar nur 7,2 Proz. 1902 fiel diese Zahl auf 6,2 Proz. Für die Jugend von heute gelten eben meist nur materielle Werte. Was ein Amt einbringt, darnach taxiert es unsere Zeit, und nach dieser Taxe kommt freilich das Pfarramt tief zu stehen. Unsere Jugend ist im Verhältnis zu früheren Zeiten be-
geisteruugsarm für Ideale irgend welcher Art, seien sie religiöser, philosophischer oder ästhetischer Natur. Die Begeisterungsfähigkeit der Jugend ist seit zwei Jahrzehnten entsetzlich gesunken, als unpraktischer Narr wird verhöhnt, wer auf ideale Güter etwas giebt. Mancherorts gehört bei einem Gymnasiasten schon ein großer moralischer Mut dazu, zu sagen, daß er Theologe werden wolle. Als ein weiterer Grund für das Zurückgehen des Theologie-Studiums wird mitunter auch der Mangel freier Bewegung der Geistlichen auf der Kanzel bezeichnet. Es ist allerdings wahr, daß schon wiederholt Geistliche gemaßregelt wurden, weil sie in ihren Predigten von den kirchlichen Glaubenssätzen zu weit abwichen.
Die Gerichte urteilen immer milder. Das lehrt „das schwarze Buch" vom Jahr 1900 wieder. Die schwerste Strafe, die Todesstrafe, wurde im Jahre 1900 nur 38 Mal verhängt, während sie durchschnittlich von 1882—1887 74 Mal, von 1888—1893 51 Mal und von 1894—1899 50 Mal verhängt wurde. Dabei sind die Mordthaten aber nicht seltener geworden, ebensowenig als andere Verbrechen mit Ausnahme der Duelle (1900: 99). Auch die Zuchthausstrafe nimmt ständig ab, statt dessen wird mehr auf Gefängnis erkannt. Hier spielten die „mildernden Umstände" neuerdings eine große Rolle. Ebenso nehmen die Gefängnisstrafen ab. Dafür wachsen aber die Geldstrafen riesenhaft an. Von 1882—1887 wurden jährlich durchschnittlich 98,701 Personen mit Geldstrafen belegt, im Jahre 1900 aber rund 200,000. Ebenso wie die Gefängnis- und Zuchthausstrafen gingen die Urteile auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeiaufsicht zurück, sowie die Verurteilungen Jugendlicher. — Wäre es möglich, durch mildes Gericht die Menschheit zu bessern und wäre es nicht nötig, durch Strenge abzuschrecken, dann würde jeder Menschenfreund diese größere Milde begrüßen. So aber muß man fürchten, die Zunahme der Verbrechen wird durch zu milde Strafen begünstigt.
Deutscher Wsichstcrg.
* Werkt«, 30. Jan. Auf der Tagesordnung steht die Interpellation der Polen, in der der Reichskanzler gefragt wird, was er zu thun gedenke, um der ungleichmäßigen Behandlung der Polnischen Staatsbürger in Preußen ein Ende zu machen. Abg. v. Dziembowsky (Pole) begründet die Interpellation und legt zunächst die Kompetenz des Reichstages zur Erörterung dieser Frage dar. Es handelt sich aber nicht um einzelne Mißgriffe preußischer Behörden, sondern um ein System, gegen das die Reichsbehörden cinschreiten müßten. Den Polen würden fortgesetzt ihre heiligsten Rechte verletzt und die Beamten, die sich nicht in den Dienst dieser Politik stellten, würden gemaßregelt, wie der Fall Löhning beweise. Der Redner führt eine große Zahl von Beispielen unrechtmäßiger Behandlung der Polen an. Redner schließt mit einer allgemeinen Bemerkung über die Aussichtslosigkeit des gegen die Polen
^ Ich habe Hunger.
Ein Stück italienisches Volksleben von GeorgPaulsen.
(Nachdruck verboten.)
Die Sonne meinte es gut mit dem ewigen Rom, trotzdem es erst Anfang April war. Heiße Glut strahlte vom wolkenlosen Himmel hernieder, und nur schwach regten sich die Palmen und Büsche auf dem palatinischen Hügel, dessen Palasttrümmer weiß in die klare Luft hinausstrebten. Oben tiefe Stille, tiefe Einsamkeit auch unten zwischen den Säulen und Ruinen des Forum Romanum. Ein paar vereinzelte Fremde, die in der Mittagshitze, es war bald zwölf Uhr, umherwanderten, dienten nur dazu, die augenblickliche Verlassenheit dieser Stätten des antiken Rom noch mehrher vorzuheben.
Ich kam zum Triumphbogen des Titus, zu dem die Eroberung von Jerusalem den Anlaß gegeben, und über der Straße sich erhebt. Auch hier Alles verlassen . . doch nein, da im kargen Schatten des Mauerwerkes kauerten zwei Personen, ein dürftiger, abgemagerter, schmutziger Greis und ein Bube von 8—10 Jahren mit weinerlichem Gesicht und trübseliger Stimme, die „llo käme !" (ich habe Hunger) herleierten; zu dem sorgenvollen Gesicht und der jammernden Klage wollten nur die recht lustig blitzenden dunkeln Augen nicht Passen, die sich immer schnell hinter den Wimpern versteckten, wenn ein forschender Blick sie traf. Der Junge bettelte und kreischte zum Stein-Erbarmen, und sein würdiger Großvater, der der Alte sein sollte, beteuerte, daß er seit o und so viel Stunden nichts genossen.
Das schöne Land Italien giebt jedem Besucher so
Bekanntmachungen aller Art finden die erfolgreichste Berbreitung.
1993.
reiche Erfahrungen, daß selbst ein gutmütiger Deutscher hart wie Stein werden kann und alle Klagelieder mit der größten Gleichgiltigkeit anhört. Ich machte das allen Bettlern bekannte Fingerzeichen, das ihnen andeutet, es giebt nichts, erzielte aber im vorliegenden Fall keine Wirkung. Der Alte erzählte blos eine neue Geschichte, er sei ein alter Soldat, in den Kämpfen für das freie und einige Italien zum Krüppel geschossen, und müsse nun hier herumkriechen, um sein bischen Brot kaufen zu können. Und dabei wimmerte er gräßlich. Na, was thut man trotz aller Erfahrungen? Ich gab ein paar Soldi, und schließlich auch dem hungernden Bengel, der gar zu erbärmlich quickte, und machte, daß ich fortkam.
Nach einer Weite drehte ich mich um. Auch die beiden Bettler hatten sich auf den Weg gemacht und der Alte, von dem Jungen geführt, schwankte langsam dem nächsten Straßenzuge zu. Unwillkürlich wendete ich mich, um ihnen in einiger Entfernung zu folgen, und es gelang, ohne beachtet zu werden. Es ging sehr langsam voran, und schon wollte ich die Verfolgung aufgeben, als die Beiden in den Hof einer schmutzigen, verräucherten Volkskneipe traten. Ich ging in einen Raum vorn im Hause, aus dem man durch ein glasloses Fenster auf den Hof schauen konnte. Uebrigens hatte ich den Besuch nicht zu bereuen, der Wein war recht gut, der Käse und das Weißbrot nicht minder.
Draußen auf dem Hofe saßen ein Mann und eine Frau und sie empfingen die Bettler mit dem Zuruf: „Kommt Ihr endlich, Ihr Faulpelze!" — „Der BepPo ist zu lang
geführten Kampfes, der bisher die Polen nur gestärkt habe. Die Deutschen seien ja gewohnt, immer nach Staatshilse zu schreien, aber so mächtig sei der Staat nicht, daß er die Polen durch noch so große Geldaufwendungen germanisieren könnte. (Beifall bei den Polen und im Centrum.) Staatssekretär Graf v. Posadowsky erklärt zunächst, daß es eine „polnische Frage" im internationalen Sinne nicht gebe. Die ehemals polnischen Landesteile seien auf immer mit Preußen verbunden. Die vom Vorredner vorgebrachten Fälle seien mit wenigen Ausnahmen innerpreußische Angelegenheiten, die nicht Gegenstand der Erörterung im Reichstage sein könnten. Das Reich beträfe nur die gegen die Militärverwaltung gerichteten Beschwerden, auf die der Kriegsminister antworten werde. (Beifall rechts.) Kriegsminifter von Goßler rechtfertigt die Entziehung der Berechtigungsscheine zum Einjährigendienst gegenüber einigen im Thorner Geheimbundprozeß verurteilten Polen. Die Entziehung sei durchaus gesetzlich, man sei bei der Auswahl der vom Einjährigendienst Ausgeschlossenen außerordentlich milde vorgegangen. Die Boykottierung polnischer Gewerbetreibender durch die Militärbehörde sei aus disziplinären Gründen erfolgt. Das Haus beschließt, gegen die Stimmen der Rechten die Besprechung der Interpellation. Abg. Fürst Radziwill (Pole): Es komme nicht auf einzelne Fälle an, sondern auf die Gesumtpolitik der preußischen Regierung. Die Vorwürfe der preußischen Minister gegen die Polen sind unbeweisbare Insinuationen, durch die die polnische Bevölkerung provoziert werde. Den Juden ist doch kürzlich zugestanden worden, daß ihre kirchliche Behörde über die Gestaltung des jüdischen Religionsunterrichts zu entscheiden habe. Wir verlangen dasselbe Recht für uns. Abg. Rören (Ctr.) bedauert, daß er den Fall Löhning noch nicht besprechen könne, da noch nicht klargestellt sei, ob der preußische Finanzminister oder der Oberpräsident von Posen die Wahrheit gesagt habe. (Heiterkeit.) Redner kritisiert scharf die Polenpolitik der preußischen Regierung, namentlich das Verfahren der Behörden in dem Thorner Geheimbundprozeß. Der Ausschluß der Gymnasiasten vom Einjährigendienst sei ungesetzlich, da sie sich keiner ehrenrührigen Vergehen schuldig gemacht hätten. Hoffentlich werde der Kriegsminister diese Ausschließungen nachträglich aufheben. (Beifall bei den Polen.) Durch die Mittel, die die preußische Regierung jetzt anwende, mache sie sich einfach lächerlich. (Zustimmung im Zentrum und bei den Polen.) Es werde ja doch nicht gelingen, die Polen zu naturalisieren. (Beifall im Zentrum und bei den Polen.) Abg. Tiedemann (Rp.) bestreitet, daß die Absicht bestände, die Polen zu entnationalisieren. Diese Behauptung des Vorredners beweise, daß er von der ganzen Frage nichts verstehe. Abg. Lenzmann bringt den Fall Löhning zur Sprache. Der Kriegsminister stellt fest, daß der kommandierende General in Posen sich in die Angelegenheit nicht eingemischt, sondern nur privatim geäußert habe, es werde Löhning schwer fallen, seine Frau in die Gesellschaft einzuführen, weil er nirgends seine Verlobung angezeigt habe. Staatssekretär Graf Posadowsky bestreitet die Kom- pedenz des Reichstags zur Erörterung der Angelegenheit.
sam!" schrie der Junge. — „Soll ich für die paar Soldi noch rennen?" brüllte der Alte mit einer Stimme, die im Verhältnis zur früheren Jammerstimme auffallend kräftig klang. — „Seid still!" kommandierte die Frau. „Geld her!" Der Alte zählte, der Junge zählte. Aber gleich darauf ging das Geschrei von Neuem los. „Was anderthalb Lire hast Du blos, Beppo?" — „Der Beppo ist faul, ich muß immer allein bitten," rief der Junge. — „Du Lügenmaul, Du Taugenichts von Pietro!" Die Worte begleitete der Alte mit einem kräftigen Schlag nach dem Jungen, der gewandt entwischte. — „Untersteh' Dich!" riefen der Mann und die Frau. „Was, dafür geben wir Dir unfern Jungen mit und anderthalb Lire bringst Du blos? Du betrügst, Du stiehlst, Du Lump!" Der Krüppel nahm seine Krücke und drohte wütend: „Ich will Euch!" Dabei konnte er vorzüglich stehen und gehen. „Da habt ihr zehn Soldi, mehr giebt's nicht!" — „Zwanzig!" schrieen Mann und Frau und Beppo. Sechs Hände griffen nach dem Gelde, und da sauste auch die Krücke auf die Köpfe nieder.
Ein heftiger Kampf entbrannte, der nie besiegte und nie geflohene alle Krieger ward jämmerlich verhauen und machte, daß er fortkam, so ausgelacht, wie nur möglich. So, dachte ich, um eine Erfahrung bist du wieder reicher. Dann ging ich auf den Hof, der Junge erkannte mich sofort, war natürlich nicht im Geringsten verlegen. „Aber, Pietro, so spielt Ihr Deinem Großvater mit?" — „Ja, Herr," war die Antwort, „heute war es ja blos der Stellvertreter vom Großvater!" — „Ach so!" sagte ich. Und da hatte der Bengel schon wieder Hunger.