Nr. 263.

Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

S2. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mai wöchentlich. LnzeigenpreiS: 9m Oberamts« beztrr Ealw Mr die einspaltige Zeile 10 VfL, außerhalb de-selben 18 Psg.. Reklamen 85 Pfg. Schluß iür Anzeigenannahme S Uhr vormittags. Fernspr. S

Freitag, de« 9. November 1917.

Sc ng^prelS: In der Stadt mit rrügertohn Mk. I.W oierreljLhrllch

o.tbezugSpreiS tm Orrs- uvd Rttchbaron-verkehr Wk. 1 LS. im Fernverkehr vcfteNgeld in Würr emberg SV P a.

Sieg der Maximalisten in Petersburg.

Die Vorgänge in Rußland.

Der Aufruf de» Petersburger A.- und T.-RatS.

(WTB.) Wie«, S. Nov. Aus dem Krirgspressequartier wird mitgeteilt: Die durch die letzten Ereignisse in Rußland geschaffene Lage wird deutlich durch folgenden Aufruf de» Petersburger Arbeite» und Soldatenrats gekennzeichnet: l. An alle Anneekomitees der operierende« Arme« und a« alle Räte der Soldatrndrputierten! Die Petersburger Gar­nison und das Proletariat haben die Regierung KcreuSkis, die sich gegen die Revolution und gegen das Volk aufgelehnt hat, gestürzt. Der Umsturz geschah ohne Blutvergießen. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat den Umsturz feierlich begrüßt und bis zur Einsetzung einer Regierung der Räte die Macht des kriegsrevolutionären Komitees anerkannt. Die Soldaten werden aufgefordert, das Benehmen der Kommandobehörden zu überwachen. Offiziere, welche sich nicht offen und direkt der Revolution angefchlossen haben, müssen als Feinde ver­haftet werden. -- Programm: 3 ) Sofortiger Vorschlag eines demokratische« Friedens, b) Uebergabe de» Bodens der Grundbesitzer an die Bauern, c) Uebergabe der Macht an die Räte und sofortige Einberufung der konstituierenden Ver­sammlung. 6 ) Die Absendung unzuverlässiger Truppenteile von der Front ist unzulässig. Die Absendung ist evtl, mit schonungsloser Gewalt zu verhindern. Eine Verheimlichung dieses Befehls vor den Soldaten würde den schwersten Ver­brechen gegen die Revolution gleichen und mit aller Str-nge der revolutionären Gesetze geahndet werden. Soldaten! Für den Frieden! Für Brot! Für Land! Für die Volks­macht. 2 . An alle Kompagnie- und Gerichtskomitees; Der allrussische Kongreß hat beschlossen: Die von KerenSfi wie­dereingeführte Todesstrafe an der Front ist aufzuheben. Alle revolutionären Soldaten und Offiziere, die sich wegen poli­tischer Vergehen in Haft befinden, sind sofort zu befreien. Die früheren Minister Konolawow (Minister für Handel und Industrie), Kischkin (Minister für öffentliche Fürsorge), Terestschenko (Minister des Aeußem), Malantowltsch (Ju­stizminister), Nikitin (Minister des Innern, des Post- und Telegraphenwesens) und so weiter sind vom revolutionären Komitee verhaftet worden. Kcrenski ist geflohen. Es ergeht an alle Armeeorganisationen der Befehl, Maßnahmen für die sofortige Verhaftung Kerenskis zu kessen und ihn nach St. Petersburg einzuliefern. Jede Kerenski geleistete Hilfe wird als schweres Staatsverbrechen bestraft. 3. An alle Eisenbahn­angestellten! In St. Petersburg hat die Arbeiter- und Sol­datenorganisation gesiegt. Der Verkehrsminister ist unter der Zahl der anderen verhafteten Minister. Der allrussische Kon­greß der Arbeiter- und Soldatendeputierten drückt die Ueber- zeugung aus, daß die Eisenbahnarbeiter und Beamten Maß­nahmen zur Aufrechterhaltung der vollen Ordnung auf den Eisenbahnen kessen werden. Der Verkehr darf nicht eine Mi­nute eingestellt werden. Erhöhte Aufmerksamkeit muß auf die ungehinderte Zufuhr von Proviant in die Städte und an die Front gelenkt werden. Die revolutionäre Macht der Räte nimmt die Sorge zur Verbesserung der materiellen Lage der Eisenbahner auf sich. In das Berkehrsmiuisterium werden Vertreter der Eisenbahner gerufen werden. Der allrussische Kongreß der Räte. 1 . Au alle Nrnicedivisionskomiteeö! Heute wird der Kongreß der!' eröffnet. Die Armeekomitees lehnten eS ab, Vertreter zur , , ißerung des Willens der Ar­mee zu entsenden. Wir schk n Euch vor, Delegierte aus Euerer Mitte unverzüglich zu itsenden. Tic Teilnahme an der Lösung der Frage über d s Los der Revolution abzu­lehnen, ist eine Sünde, die die 'Ä'ck-u: !x nicht verleihen wird. Wählt je einen Delegierten a::' i / -i-'nn und sendet ihn zum Kongreß! -- Der St. u gcr Arbeiter- und Sol­

datenrat.

Die Forderungen der Maximalisten.

(WTB.) Petersburg, 7. Nov. Das Vorparlament hat gegen Mitternacht die Beantwortung der Vertrauensfrage, bi« KerenSki gelegentlich seiner Rede über das Vorgehen des Heeres der Maximalisten stellte, mit 123 gegen 102 Stimmen bet 26 Stimmenthaltungen eine Entschließung angenommen, in der die sofortige Bildung eines öffentlichen Wohlfahrts­ausschusses gefordert und ferner die Hintanhaltung des Bür­gerkrieges verlangt wird. Ferner wird verlangt, den Agrar- ouSschüssen Land zu übergeben und die russische Diplomatie zu'entscheidenden Schritten zu veranlassen, damit die Alli­ierten sich über die Friedensbedinglmgrn aussprechen und Friedensunterhandlungen einleiten. Im Laufe der Woche und heute früh verschärfte sich der Streitfall zwischen der Re­gierung und dem Arbeite» und Goldatenrat noch weiter. DaS Vorgehen der Maximaltsten entwickelte sich ziemlich schnell. Der Telegraph sei bereits in ihre Hände Lberge- gangen. Soweit die Meldung der Pet. Tel.-Ag. ES folgt sodann wörtlich die von uns verbreitete Rmtermrldung.

(WTB.) London, 8 . Nov. Reuter erhielt ein Tele­gramm von der amtlichen Pet. Tel.-Ag. die in Händen der Maximalisten ist. in dem es heißt, daß die Maximalsten die Stadt in ihrer Gewalt haben und die Minister verhaftete«. Der Leiter der Bewegung, Lenin, verlangt sofortigen Waffen­stillstand und Frieden.

Die Gefangennahme der Minister n»d des Petersburger Generalstabs.

(WTB.) Petersburg, 9. Nov. (Petersb. Tel.-Ag.) Bei Tagesanbruch bemächtigten sich gestern nach einer mehrstündige« Belageruag und einem Gewehrkampf, begleitet von einigen Kanonenschüssen, die Truppen des revolutionären Komitees des Winterpalais, wo mit Ausnahme von Kerenski alle Minister versammelt wa­ren. In gleicher Weise bemächtigten sie sich des Peters­burger Generalslabs.

. Anarchische Zustände i« SLdr«tzlL«d.

(WTB.) Bern, 8. Nov.ProgrSs de Lyon" meldet aus Petersburg: Das Landgut des Großfürst«« Ni­kolaus Rikolajewitsch bei Rikolajew »nrde dem Erd­boden gleichgemacht. Die sehr wertvollen Kunstschätze des Großfürsten sind verschwunden. Alle Untersuchungen zur Entdeckung der Schuldigen sind ergebnislos geblie­ben. In Psdalie«, in der Ukraine und in Rord-Bessara- bien ist die Lage durch plündernde Banden so ernst ge­worden, daß die Regierung der Militärbehörde die Vollmacht gab. mit aller Strenge vorzugehen, um die Ordnung wieder herzustellen.

Finnland vor einer Hungersnot.

(WTB.) Kopenhagen, 8 . Nov. Der amtliche Gesandt«, des finnischen Senats, Prof. Dr. Georg von Wendt, der stM augenblicklich in Kopenhagen aufhält, sandte foglendes,Tek legramm an de» Präsidenten Wilson, den Premiermipistm Lloyd George und den früheren Premierminister ASqnith: Der äußerste Notstand, in dem mein Land sich befindet, er­mutigt mich, mich unmittelbar an Sie zu wenden tznd Ihr? Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß uns augenblickliche Hilfe nottut. Finnlands Notstand ist vollständig ohnegleichen. Nach einer außergewöhnlich unglücklichen Ernte hllcr LebenS- nritte! entblößt, und sich selbst überlassen in verzweifelter Hoffnungslosigkeit in unserem kalten abgelegenen Lande mit einer Hungersnot im kommende» Winter vor Augen rufen wir um HUfe und nur um Ihre Hilfe. Falls die Lebens­mittel von den Vereinigten Staaten oder andern Hilfsquellen licht eiittrcsfen, stehen wir dem Hunger gegenüber. Gott gebe, hgß Ihre Hilfe nicht zu fpät kommt.

Die Kriegslage. Die neue Umwälzung in Rußland.

An der Westfront steht nach den Angaben der Verteidiger Von Flandern, General Sixt v. Arnim und seines General­stabschefs, General v. Loßberg, etwas mehr als die Hälfte des deutschen Heeres. Demgegenüber hat sich das ganz« eng­lische Heer an der flandrischen Front konzentriert. Seine zah­lenmäßige Uebrrlegenheit wird etwa zwei- bis dreifach sein gegenüber unfern Flandcrnkämpfern. Und mit dieser Urbrr- macht haben sie nun seit Frühjahr dm Bogen um V' 'rn gegen Nordosten hin etwa um 5 Kilometer zu erweitern ver­mocht, während sie aber im Südosten von Dpern nicht einmal soviel Raum durch ihre Massenangriffe zu gewinnen in der Lage waren. Die Franzosen haben sich seit dem glänzend durchgeführten deutschen Rückzug im Frühjahr an der Aisne rumgequält, und haben dort ebenfalls jetzt im Ganzm 68 Kilometer vorzudrtngen vermocht. Das ist das Ergebnis un- ehcurer Opfer innerhalb eines halben Jahres. Demgegen­über haben die Verbündeten einmal die Russen aus Galizien und der Bukowina hinausgeworfen, haben Riga genommen, und haben nun innerhalb 14 Tagen dm glänzendsten Feld- ug dieses Krieges durchgeführt, indem sie die gesamte ita­lienische Armee zweimal (am Fsonzo und Tagliamento) mb scheidend geschlagen und zur ausgesprochenen Flucht ge­zwungen haben. Die Auflösung der in der venetianischm Ebme kämpfenden italienischen Armee ist soweit fortge­schritten, daß sie auch daS nächste natürliche Verteidigungs­mittel, die Livenza zu haltm, nicht mehr die Widerstandskraft besaß. Der Fluß wurde schon überschritten und die verfol­genden Armeen der Verbündeten marschieren der nur etwa 20 Kilom. von der Livenza entfernten parallel zu dieser der Adria zuflkeßenden Piave entgegen. Was dieser Eilvormarsch für die am Ostrand der venetianischm Alpen sich haltenden italienischen Divisionen bedeutet, geht aus der Meldung hervor, daß sich südlich von Tolmezzo 17000 Italiener er­geben mußten, weil sie von Norden und Südm her einge- schloffen worden warm. So wird es allen diefm am Gebirgs- rand der venetianischm Alpen stehenden feindlichen Tnippen ergehen, weil sie einerseits von der venetianischm Ebene, andererseits von den Dolomiten und der Südtkoler Front her bedroht find, und über kurz oder lang keinen Ausweg mehr finden werden. Man kann es begreifen, daß Cadorna eine Hilfsarmee von 400 000 Mann, also 10 Armeekorps, von den Alliierten fordert. Daß die Alliierten Truppen schicken, scheint festzustehen, ob aber in diesem Umfange, darf vorerst bezweifelt werden. Die Hilfsarmee soll sich im Raum von VeronaMantua bilden, also ziemlich wett zurück vom Schuß, weil man Angst hat, ihre Bildung könnte durch einm Vormarsch der Verbündeten von Südtirol her gestört werden. Inzwischen scheinen aber die Engländer und Franzosen ihre Entlastungsversuche fortsetzen zu wollen, und die Franzosen Haben wohl sogar die Absicht, ihre vergeblichen Angriffe von WMAiMe bis ins Elsaß zu erstrecken.

englische Hilferuf nach Rußland dürfte vorerst weil er in die maximalistische Telegra- lp^Mritung geraten sein bürste, und die Maximalisten, als 'deren ausfiihrmdes Organ der A.- und S.-Nat in Peters­burg zu gelten hat, beabsichtigen gerade das Gegenteil von einer Hilfeleistung, nämlich dm baldigen Abschluß eines Friedens, und haben deshalb die vorläufige Regierung, die sich diesem Ansinnen widersetzte, kurzerhand gefangen genom­men, mit Ausnahme von Kerenski, der entflohen ist. Ke­renski, der es versuchen wollte, nationalistische Politik mit sozialistischen Ideen in Einklang zu bringen, hat ein- sehen müssen, daß ein solcher Plan vorerst nicht im Bereich der Möglichkeit in Rußland liegt. Die nächste Frage ist nun die: Wird der A.- und E.-Rat in PeterSbura soviel Autors-