Vor entscheidenden Kämpfen

Die innere deutsche Lastenverteilung nach Paris

Die endgültige Festlegung Deutschlands auf den Aoung- Plan in Paris hat noch nicht die innere deutsche Klärung herbeigeführt, die erwartet und von den Regierungen seit dem Mai vorigen Jahres stets ausdrücklich zugesagt worden ist. Die erschreckende Aussicht auf eine weitere Schuldhaft Deutschlands von SS Jahren gab der Reichsleitung nicht ein­mal Anlaß, wenigstens Sen zehnten Jahrestag der Unter­zeichnung des Versailler Vertrages zum Ausgangspunkt einer geschloffenen Kundgebung des ganzen Volkes gegen Kriegsschuld und Kriegsschulden zu gestalten. Die mandat­stärkste Regierungspartei hat es abgelehnt, sich für eine überparteiliche Willensäußerung des gesamten Volkes ein­zusetzen. Sie ist dagegen weiterhin entschlossen, sich die Zu­neigung der Massen durch allgemeine Opfer zu erhalten. Der parlamentarische Finanzsachverständige der Sozial­demokratie, Wilhelm Keil, hat die Auffassung in die sozial­demokratische Öffentlichkeit geschleudert, - dieErspar­nisse von 690 Millionen infolge der Pariser Sachverstän­digenkonferenz" wichtigen sozialpolitischen Aufgaben zuge- wanüt werden müßten, die man bisher aus Mangel an Mit­teln zurückgestellt habe. Mit diesen Ansichten müssen wir also rechnen, wenn wir die Aussichten der inneren deutschen Lastenverteilung abwägen. Das Programm der stärksten Regierungspartei ist die Forcierung einer Sozialpolitik, die im wesentlichen die Verschlechterung unserer Wirtschafts­und Kreditlage mit hervorgerufen hat. In den Winter- und ersten Frühlingswochen ist diese jedermann, auch den So­zialdemokraten, sichtbar gewesen. Heute tröstet man sich mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit infolge der üblichen Som­merkonjunktur -es Arbeitsmarktes. Wenig beachtet wird aber die Steigerung des Erwerbslosenstandes, gemessen in der gleichen Zeit des Vorjahres, um 499 990.

Augenblicklich gestaltet sich die Gesamtlage unserer In­dustrie nicht ungünstiger als im Vorjahre um die gleiche Zeit, wenn die Textil- und Lederindustrie auch bedenklich abbröckeln und mit Arbeitseinstellungen und hochgradiger Kurzarbeit über die anhaltende Schwäche des Jnlandsmark- tes für Massenverbrauchswaren hinweg zu kommen suchen. Nicht nur in diesen Erzeugungszweigen, sondern in der ge­samten Industrie wäre es zweifellos schon jetzt zur Vermeh­rung krisenhafter Vorgänge, wie Wechselprotesten, Ver­gleichsverfahren, Konkursen, gekommen, wenn nicht sämt-

Auf der Rückreise von der Völkerbundsratstagung in Madrid stattete der Reichsaußenminister Stresemann seinem französischen Kollegen Briand im Quai d'Orsay einen Besuch ab, während dessen auch Poincare zugegen war. Nach Aus­führungen Briands wurde gemeinsam über die beste Art be­raten, in welcher die Regierungen die Verhandlungen über den Plan der Sachverständigen einleiten können. Die diplo-

Das Problem der Arbeitslosenversicherung

Zentrum und Bayrische Volkspartci fordern die Ver­abschiedung einer Teilrcform.

TU. Berlin, 22. Juni. Der Vorstand der Zentrumsfrak­tion des Reichstages hat in Uebereinstimmung mit der VVP. an den Reichskanzler einen Brief gerichtet, in dem gegen das selbständige Vorgehen einzelner Regierungsparteien in der Arbeitslosenversicherungsfrage Verwahrung eingelegt und dabei auf die bei der Regierungsbildung eingcgangenen koali- twnsmäßigen Verpflichtungen verwiesen wird. In dem Schreiben heißt es:

Die Zentrumspartei und Bayrische Volkspartci haben in den interfraktionellen Besprechungen keinen Zweifel dar­über gelassen, daß auch sie eine Teilreform der Ar­beitslosenversicherung noch vor Schluß der jetzi­gen Sitzungsperiode des Reichstages verlangen. Sie haben alles getan, um eine solche möglich zu machen. Die Verhand­lungen haben aber ergeben, daß dieses Ziel nur erreicht wer­den kann, wenn innerhalb der die Regierung stützenden Par- teien eine Verständigung über das erweiterte Sofortpro­gramm erzielt wird. Wir beantragen hiermit, unverzüglich eine Besprechung der Fraktionsführer unter Zusicherung der sozialpolitischen Sachverständigen der Fraktion einzuberufen mit dem Ziel, den Weg zu einem gemeinsamen Vorgehen der Regierungsparteien in der Arbeitslosenversicherungs­frage noch vor der Sommerpause des Reichstages zu finden."

*

Der bayerische Fiuauzminister über Stenerfrage«. Im Plenum des bayerischen Landtages erklärte Ftnanzminister Dr. Schmelzte in der Aussprache über den Steuerhaushalt u. a., daß eine Erhöhung der Landessteuern in einem sol­chen Ausmaße, daß dadurch der Fehlbetrag abgewendet werden könnte, schlechterdings unmöglich sei. Das Problem der Staatsvereinsachung sei nunmehr entscheidnngsreif. Heute sei nichts jo dringlich, als die Staatswirtschaft tu

liche beengten Betriebe sich zu einer gesteigerten Wider­standskraft aufgerafft hätten, in der Hoffnung auf eine er­neute Besserung der Kreditlage infolge von Paris und in der Erwartung der Verminderung des steuerlichen und so­zialpolitischen Druckes. Die Kreditaussichten sind durch die katastrophale Anleihepolitik des Reichssinanzministeriums wesentlich verschlechtert. Um so wichtiger wird die Erfül­lung der Erwartungen auf den Abgabenabbau. Der Sach­verständigenausschuß hat in dieser Hinsicht den deutschen Un­terhändlern die Aufhebung der Jndustrieumlage, durch die zur Zeit 800 Millionen zu den Reparationstributen beige­tragen wird, mit besonderer Betonung anempfohlen. Die Sachverständigen sind also offensichtlich von der beengten Lage der deutschen Industrie überzeugt gewesen. Die In­dustrie stellt auch für die deutsche Arbeitnehmerschaft den kräftigen Ast dar, auf dem sie ihr Auskommen findet. Es geht nicht an, daß man aus partetpropagandistischen Grün­den nach diesen 300 Millionen der Industrie die begehrliche Hand ausstreckt. Fällt die Jndustrtebelastung, dann stehen nur Reichsbahn und die allgemeinen Steuerquelle» hinter den Reparatioustrivuten. Wirtschaftsentlastend würde auch eine Aufhebung der Veförderungssteuer wirken, weil die Reichsbahn bet der Einsparung der auf diese Steuerquelle entfallenden 29Ü Millionen mit ihren Tarifen heruntergehen und gleichzeitig die Drosselung ihrer Ausgaben für produk­tive Zwecke mindern, also dem Arbeitsmarkt wieder mit loh­nenden Aufträgen beispringen könnte. Die Wirtschaft wird trotz der Autorität der Sachverständigenkonferenz, die hinter der Aufhebung von Jndustriebelastung und Beförderungs­steuer steht, äußerst schiver zu kämpfen haben, um sich die­ses ihr zukommende Gut gegen die Ansprüche der Reichs­verwaltungen und der Sozialpolitik zu sichern. Das Ringen um die Beseitigung des Defizits durch Beschränkung der Verwaltungsausgaben mutz mit vermehrter Kraft ausge­nommen werden, auch wenn der Reichstag ihm durch eine ungewöhnlich verlängerte Sommerpause auszuweichen sucht. Die Ermäßigung der Lasten Deutschlands in Paris darf nicht in das Flickwerk der Finanzkünste zur Ermöglichung der Überfütterung unserer Verwaltungen vernäht werden, sie muß der Wirtschaft und Ser Bevölkerung ganz restlos zu­gute kommen durch Steuer- und Abgabenermäßigung, Preis­senkung und Nachlaß der Verkehrstarife.

matische Konferenz, die die Inkraftsetzung des Doungplan er­örtern soll, soll bereits im Juli zusammentreten.

* *

Unser Bild zeigt links Poincare jX) mit dem Finanz- minister Cheron beim Verlassen des Quai d'Orsay nach der Unterredung. Rechts: Stresemann auf dem Balkon des Quai d'Orsay.

Reich und Ländern einschließlich der Gemeinden wieder auf eine gesunde Basis zu stellen, denn ohne die Ordnung der Staatswirtschaft gebe es keine Gesundung der Volkswirt, schaft. Der Minister wandte sich gegen die neuerlichen Be­strebungen auf Kürzung der Ueberweisungssteuern und auf Verreichlichung der Mietzinssteuer, die hent edas Rückgrat der Landesfinanz und des Wohnungsbaues darstellen.

Dom Calwer Rathaus

In der letzten, unter Vorsitz von Stadtschultheiß Göhner stattgehabten Gemeinderatssitznng stand zunächst die Frage der Kostentragung für die Ausbesserung der während des Winters beschädigten Wasserleitungen (Nebenleitungen und Hausanschlttffe) zur Beratung. Der Einzug dieser Kosten stößt bei den durch die Wasserbezugsbedingungen rechtlich zur Zahlung verpflichteten Hauseigentümern auf erheblichen Widerstand, da diese die Forderungen nicht als billig empfin­den. Der Vorsitzende setztdte Rechtslage auseinander, nach wel­cher der Hauseigentümer grundsätzlich zur Tragung der Ko­sten für Reparaturen an Nebenleitungen verpflichtet ist, an­dererseits ist nicht zu verkennen, daß bet alleiniger Vertre­tung des Rechtsstandpunktes manche Härten entstehen, da die frostgeschädigten städt. Leitungen z. T. Altersmängel und Systemfehler aufwiesen, und ordnungsmäßige Leitungspläne, welche das Auffinden der Schäden erleichtert hätten, nicht Vorlagen. Der Vorsitzende schlägt deshalb vor, sich wohl grundsätzlich auf den Rechtsstandpunkt zu stellen, hingegen einen angemessenen Beitrag, etwa 2909259g RM., freiwillig berettzustellen, um Härten auszugleichen. Insgesamt sind den Hausbesitzern durch Frostschäden an Nebenleitungen 6S09 NM. Unkosten entstanden. Nicht zu vergessen ist, daß auch die Stadt durch die Frostschäden an Hauptleitungen sehr hohe Unkosten hatte. GR. Sannwald hält den Vorschlag des Vorsitzenden für gangbar, auch GR. Mast äußert sich befür- woriend nutz will KejonLerö die Unkosten für Plasteruugen

von der Stadt übernommen wissen. GR. May s»richl in erster Linie für die bedürftigen Klein-Hausbesitzer und wünscht eine Ersetzung ihrer Unkosten bis zu 49 Proz. GR. Baeuchle hält eine Unterstützung in Härtefällen für billig, glaubt aber mit einem Beitrag von 2099 NM. in den härtesten Fällen einen Ausgleich schaffen zu können. GR. Stüber führt Fälle an, in welchen die Verpflichtung der Hauseigen­tümer zur Bezahlung unklar erscheint, z. V. in Straßen, die überhaupt keine Hauptleitung haben. Die GR. Pfrommei und Conz sprechen sich für den Vorschlag des Vorsitzenden aus,' GR. Pr oh regt an, die bei den Ausbesserungen fest­gestellte Lage der Leitungen sogleich aufzunehmen, um Unter­lagen für spätere Pläne zu gewinnen. GR. Riüerer hält in einigen Fällen die Rechtslage für zweifelhaft und sieht die Hauptschuld in dem alten württ. System der Wafferleitungs- anlagen. Die Fertigung von Leitungsplänen wie der Vorsitzende ausführt, sind Etatmittel hiefür bereits eingesetzt ist dringend notwendig. Systemverbesserungen können nur mit der Zeit erfolgen. GR. Schiele wünscht eine Erhöhung des freiw. Beitrags seitens der Stadtgemeinde. Der Ge­meinderat beschließt nach abschließenden Ausführungen von GR. Halle, der Verwaltungsabteilung einen Beitrag im Rahmen von 20992590 RM. zur Verfügung zu stellen und sie mit der Prüfung der einlaufenden Gesuche zu betrauen. Genehmigt wird die Verlängerung eines Gasanschlußstrangs zum Neubau von Bahnwärter Rentschler in Hirsau sPlet- schenau); an den Unkosten in Höhe von 399 RM. hat -er An­tragsteller 200 RM. zu tragen. Die Erteilung -es Religi­onsunterrichts an den Höheren Schulen ist bekanntlich im Oktober letzten Jahres im Gemeinderat ausführlich behan­delt worden und es wurde hierbei aus dem Kollegium her­aus der Wunsch ausgesprochen, die Oberkirchenbehörbe möchte die Unkosten für diesen die Stadt belastenden Unterricht über­nehmen. Der Vorsitzende erläutert, nachdem er in diesem Sinne Fühlung genommen hatte, wiederholt die Rechtslage, nach welcher die Kirchenbehörde nicht verpflichtet ist, die Ko­sten für den Religionsunterricht, welcher als ordentliches Lehrfach gilt, zu tragen. Die Geistlichen seien zum Unterricht in den höheren Klassen tauch der Handelsschulen) verpflichtet da dieser ausschließlich von Theologen gegeben werden müsse: sie seien mit Unterrichtserteilung überlastet. Die Lage ab 1. April ist an den Höheren Schulen so, daß 11 bezahlte Wochen­stunden von den Geistlichen beider Konfessionen erteilt wer­den. Nach einem Meinungsaustausch der GR. May, Schüler, Baeuchle, Schlatterer und Beigel wird die Aussprache ab­gebrochen. Di« Unkosten für den Religionsunterricht belaufen sich für die Stadt auf jährlich 1329 RM. Das württ. Lau­desgewerbeamt hat die Satzungen des Gewerbeschulverban­des genehmigt. Der Gemeinderat nimmt hievon Kenntnis. Die Wahlvorschläge für den Verbandsgemeinderat und den Ortsschulrat werden vorläufig zurückgestellt. Genehmigung finden nachträglich die Preissätze im städt. Schwimmbad und die Entschädigung für die Wärterin. Im Anschluß entspinnt sich eine von GR. Sannwald herbetgeführte Aussprache über die Haltung der Stadtgemeinde gegenüber dem Plan zur Errichtung eines Schwimmbeckens auf dem Spielplatz des Turnvereins. Es wurde hiebei entgegen nichtbegrün- deten gerüchtweisen Vermutungen durch den Vorsitzen­den nachdrücklich festgestellt, daß in dieser Frage bindende Versprechungen seitens des Gemeinderats dem Turnverein niemals gemacht wurden. Der Gemeinderat hat dem Projekt des Vereins gegenüber einen wohlwollenden Standpunkt ein­genommen und ist einerseits geneigt, falls der Verein die Finanzierungsfrage gelöst hat man rechnet hier mit Jah­ren ihm seine Unterstützung in einer geeigneten Form nicht zu versagen. Andererseits hält der Gemeinderat die Anlage eines Schwimmbeckens im Freien, angesichts der kurzen Ver­wendungsmöglichkeit während der Sommermonate, nicht für ratsam. Wenn der Turnverein schon große Mittel für «in Baffinbab aufzuwenden die Absicht hat, wird es für zweck­mäßiger erachtet, diese Mittel für Erstellung eines ganz­jährigen benützbaren Hallenbades anzusammeln. BlS dahin tritt er für eine Vertagung des Planes ein. Der Turnverein selbst denkt, wie GR. Proß ausführt, nur dann an die Anlage eines Schwimmbeckens, für welches übri­gens auch seitens des Kurorts Hirsau starkes Interesse be­zeigt wird wenn ihm von einer der Sozialversicherungs­anstalten billiges Geld zur Verfügung gestellt wird,' dies könnte durch vermittelnde Tätigkeit der Stadtgemeinde er­leichtert werden. Der Turnverein wird aber unter keine» Umständen an die Durchführung des Projekts herantreten, bevor die Finanzierungsfrage eine klare Lösung gefunden hat. GR. Sannwald hält die Anlage eines Schwimmbek- kens für nicht vernünftig, solange es in der Nagold möglich sei, den Schwimmsport in idealer Weise auszuüben. Er tritt für unbedingte Beibehaltung der städt. Badeanstalt ein und bezeichnet die Flußverhältnisse beim Turnplatz als denkbar ungeeignet. Ein Hallenbad kann seiner Ansicht nach ein Fluß­bad nicht ersetzen, die Errichtung eines solchen verstoße gegen das Sparsamkeitsgebot unserer Zeit; eine weitere Etatbela­stung müsse vermieden werden. An der z. T. unbegründet scharfen Debatte beteiligten sich noch die GR. May, Pfrommer Baeuchle, Conz, Schüler und Schlatterer Auf Antrag von GR. Haile erfolgt Abbruch. Einer Bitte des Verwaltungsrats um einen außerordentlichen Beitrag an die Freiw. Feuerwehr in Höhe von ISO RM. jMusikvergütung) wird entsprochen. Dem Bezirkswohltätigkeitsverein werden auf Grund dessen neueingeführten Gemeinöeumlageverfahrens 109 RM. -uge- teilt. Zur Kenntnis genommen wird die Abrechnung über die Rektoratskasse der Höheren Schulen. Di« Einnahmen betragen 1799, die Ausgaben 1781 RM. DaS bereits be- handelte Baugesuch der Baufirma Alber betr. Dachausbau eines der Firma gehörigen Anwesens in der Stuttgarter Straße wirb in abgeänderter Form befürwortet. Der Vor- sitzende schließt hierauf die öffentliche Sitzung: anschließend nichtöffentliche Sitzung und Sitzung der Verwaltungsabtei­lung.

Wetter für Sonntag «nd Montag.

Die Wetterlage wird jetzt mehr von einem westlichen Hochdruck beherrscht. Für Sonntag «nd Montag ist mehr- fach heiteres und vorwiegend trockenes Weller zu erwarte«.

tresemanns Besprechungen in Paris.

VS