Justiz und Richterschaft
Der Justizetat im Reichstag.
---- Berlin, 14. Juni. Im Reichstag ist gestern der Etat des Reichsjustizministeriums in Anglist genommen worden. Die Debatte lieh sich zunächst nur wenig interessant an. Der Sozialdemokrat Levi, der zum radikalen Flügel zählt, hielt sich zunächst mit seiner Kritik zurück und erkannte sogar an, daß die Vertrauenskrise zum größten Teil überwunden sei, ging dann aber dazu über, das Reichsgericht unter der üblichen Verallgemeinerung von Einzelfällen der Klaffenjustiz zu zeihen. Der neue Reichsjustizminister von Gue- rard schenkte sich eine Etatsrede im eigentlichen Sinne. Daß sein Kurs sich wesentlich von dem seines demokratischen Vorgängers unterscheidet, haben ja die Ausschußberatungen über die Ehescheidung, die Todesstrafe und die Abtreibung hinreichend erwiesen. Vor dem Plenum begnügte sich der ZentrumSminifter damit, einige allgemeine Bemerkungen über die Notwendigkeit der Justizreform zu machen, die sich nicht nur auf das Strafrecht, sondern auch auf das Zivilrecht erstrecken soll. Wir freuen uns, erklärte der Minister, daß weite Kreise des Volkes heute viel mehr als früher an der Rechtsprechung Anteil nehmen. Gewiß sind manche Gebiete unserer Rechtspflege reformbedürftig. Insbesondere muß die Rechtsentwickelung auch den neueren Rechtsanschauungen Rechnung tragen. Ich glaube nicht, daß man von einer Ver- trauenskrise in dem Umfange sprechen kann, daß die Vertrauenswürdigkeit unserer Rechtspflege er- schüttelt werde. Mit dem Reichsgerichtsprästdenten habe ich mich in Verbindung gesetzt, um eine Einschränkung der gutachtlichen Tätigkeit der Reichsrichter zu erreichen. Eine Änderung des bestehenden Amnestiegesetzes kann ich nicht in Aussicht stellen. Der Reichstag hat erst vor einem Jahre die jetzt von den Deutschnationalen aufgestellte Forderung mit großer Mehrheit abgelehnt. Über die Vereinheitlichung der juristischen Ausbildung wird mit den Ländern verhandelt. Der Münster kündigte schließlich einen Gesetzentwurf an, der die mit der Fälligkeit der Auswertungshypotheken verbundenen Schwierigkeiten Hinwegräumen soll. Er begrüßte zum Schluß den vom preußischen Rtchtervereln zur Nachprüfung bestimmter Urteile eingesetzten Ausschuß. Dieses Mittel sei geeignet, die Richter zur Selbstkritik zu erziehen und gleichzeitig zur Festigung des Vertrauens in die Rechtspflege beizutragen.
Staatssekretär Joel wies Vorwürfe der Linken gegen die Personalpolitik des Justizministeriums zurück. Von den Abgeordneten verschiedener Parteirichtungen wurde das Verhältnis von Presse und Justiz zur Sprache gebracht. Nicht zu Unrecht bemängelte man namentlich die Art, wie vielfach über Sensationsprozeffe berichtet wird. Die Einrichtung von Justizpreffestellen dagegen fand allgemeine Anerkennung. Der Demokrat K o ch-Weser, der vor Herrn von Guerard das Justizressort verwaltete, forderte, wie übrigens auch der Volksparteiler Wunderlich, mit aller Entschiedenheit die Verreichlichung der Justiz. Er trat ferner für eine Einschränkung der Gesetzgebung «in. Bei der Abstimmung wurde der Leutschnationale Amnestieantrag für die sogenannten Fememorde, den der Abgeordnete Everling begründet hatte, gegen Deutschnationale, Nationalsozialisten und Christlich- Nationale Bauernpartei abgelehnt. Nachdem auch noch die Abstimmungen zum Reichspostministerium erledigt waren, vertagte sich das Haus.
Deutsch-östereichische
Handelsverlragsverhandlungen
Salzburg, 14. Juni. Am Mittwoch fand im Sitzungssaals des Salzburger Landeskulturrats unter dem Vorsitz von Nationalrat Prof. Dr. Drexol eine ganztägige Besprechung zwischen Vertretern der deutschen und österreichischen Landwirtschaft im Beisein von Regierungsvertretern über die im Rahmen der Handelsvertragsverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Oesterreich erhobenen Wünsche und Forderungen der österreichischen Landwirtschaft auf dem Gebiete der Vieh- und Pferdeaussuhr statt. Die Verhandlungen gingen von dem einheitlichen Willen aus, die Wirt.
Der goldene Mantel.
Roman von Heinz Welten.
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(83. Fortsetzung.)
Wie soll man einem Manne anders denn in größter Freundschaft begegnen, der sehr reich ist, aber von tetnem Reichtum nur soviel nimmt, um behaglich leben zu können und alles übrige denen gibt, die es notwendiger brauchen als er? Stiftungen und Kirchen, Armenhaus und Spital werden von chm stetig bedacht und feiner geht leer aus, der an feine Tür klopft. Mehr noch tut der Doktor Ulpianus. Er hat eine feine Art zefunden, seine Gefreundeten und ihre Sippen an seinem Reichtum teilhaben zu lassen, ohne daß die Beschenkten chm sich zu Dank verpflichtet fühlen. Er hat vom Nürnberger Rat einen Loshandel übernommen and verkauft die Lose, die hundert Gulden gellen und ihn selbst vierundneunzig Gulden kosten, um achtzig Gulden, also daß er bei jedem Handel vierzehn Gulden oraufzahlen muß. Gleichwohl ist es ein rechtschaffener Handel» für das ihm niemand Dank sagen mutz, und eine gute Spareinlage ist es obendrein für Kinder und Kindeskinder, da alle Loszettel einmal einen namhaften Gewinn erzielen müssen.
Die beiden Bürgermeister find mißtrauisch gewesen, rls sie von dem Loshandel erfuhren, und Herr Martin Schön, der zweite Bürgermeister, hat einen rettenden Boten nach Nürnberg geschickt und dort den hohe« Rat submissest um Auskunft gebeten, was es mit den Zetteln aus sich habe. Der erste Bürgermeister, Herr Kunz von Kunzen, hat noch mehr getan und auf die Nacht »ine Ratssitzung einberufen, auf die Herr Deuschlin entboten wurde, damit er als Fachmann Auskunft darüber gäbe- was es mit diesen Losen sei.
schaftltchs Annäherung der beiderseitigen Landwirtschaften so wett wie möglich zu fördern u. di« einschlägigen Interessen freundschaftlich zu behandeln. Die in diesem Sinn« geführten Verhandlungen und deren Ergebnis brachten «ine wertvoll« Klärung -er besprochenen Probleme und erfüllten damit ihren Zweck, die Fortsetzung -er Handelsvertragsverhandlungen vorzubereiten. Aus Württemberg nahmen an den Verhandlungen teil Ministerialrat Dr. Springer vom Wiirtt. Wirtschaftsministerium und Oberlandwirtschaftsrat Scherer von der Württ. Landwirtschastskarmner.
Owen Doung an den Kanzler
TU Berlin, 14. Juni. Der Vorsitzende des Pariser Sachverständigenausschusses, Owen D. Aoung, hat von Bord des Schiffes „Aquitania* folgendes Telegramm an den Reichskanzler Müller gerichtet:
„Meine Kollegen von der amerikanischen Gruppe und ich selbst erwidern aufrichtig den freundlichen Dank, den Sie uns übermittelt haben. Ich habe die Hoffnung, daß die Konferenz ihre Arbeiten in einem Geist beendet hat, der von guter Vorbedeutung für die Zukunft Deutschlands und aller beteiligten Länder ist. Wenn Sie die Empfindung haben, daß wir in der Lage ivaren, durch unsere Arbeit zur Er. reichung dieses Zieles boizutragen, so ist uns das eine große Befriedigung.
Englische Kritik am Sachverständigenberichl
Der englische Schatzkanzler Snowden und seine Mit» arbeiter bewahren vorläufig ein auffälliges Stillschweigen über de» Noung-Bericht. Daily Telegraph weiß zu berichten, baß in höchsten englischen Finanzkreisen der Bericht «ine sehr ernste Kritik findet, ganz abgesehen von der angeregten Neuverteilung der deutschen Jahreszahlunge« unter die Alliierten. Die Hauptgründe seien folgende: 1. daß der Verlust für England durch Verzicht auf di« Rückzahlung der früheren englischen Schuldleistungen a» die Vereinigten Staaten wenigstens 4 Milliarden Mark aus. machen würde,' 2. daß die Zuteilung von 28 Millionen Pfd. von insgesamt 33 Millionen Pfund, die Deutschland unter dem Abkommen als ungeschützte Zahlung zu leisten habe, zu hoch sei,' 3. die Fortdauer der deutschen Sachlieserung für eine weitere Zeit von Jahren werde auch in der gegenwärtig beobachteten Form beanstandet. 4. werde bezweifelt, ob die geplante internationale Bank in ihrer gegenwärtigen Form zu arbeiten vermöge. Wenn ja, befürchte man, daß sie die ihr zur Verfügung stehenden Finanzen benutze» wird, um den deutschen Export zum Schaden des englischen zu heben.
Der Denkmalsfrevel von Riga
KM
Wie bekannt, ist in Riga das am 22. Mai im Beisein von annähernd 16 000 Deutschen enthüllte Denkmal für die Gefallenen der baltischen Landeswehr mit Dynamit gesprengt worden. Der 17 000 Kilogramm schwere Granitblock liegt schwerbeschädigt einen Meter vom Sockel. Di« Tafeln mit
den Namen der Gefallenen sind glücklicherweise unversehrt geblieben. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur. Zweifellos handelt es sich um einen politischen Racheakt, der auf die gewissenlose Hetze der linken lettischen Presse zurückzuführen ist.
Kleine politische Nachrichten
Luftpostverkehr Berlin—Tokio. Da nach Beschneidung der der Lufthansa zur Verfügung stehenden Reichszuschüffe der innerdeutsche Verkehr gedrosselt wird, hat sich für Sie Lufthansa die Notwendigkeit ergeben, neue Projekte in Angriff zu nehmen, die Gewinne abzuwerfen versprechen. Infolgedessen ist man darauf gekommen, ein« Flugstrecke Berlin—' Tokio einzurichten, deren Unterhalt und Ausbau' allerdings mit erheblichen Kosten verknüpft sind. Die Lufthansa hat in einem Voranschlag für dieses Projekt 60 Millionen eingesetzt, die auf dem Anleiheweg hereingeholt werden sollen. Verzinsung und Amortisation der Anleihe will das Reich übernehmen. Ein Paffagierverkehr wird wohl zunächst noch nicht in Frage kommen, wohl aber ein Postverkehr, der auch allen Beteiligten gute Verdienste verspricht, weil schon jetzt feststeht, daß die Postflugzeuge sich eines regen Zuspruchs erfreuen werden, zumal auch die Strecken von London und Paris an diese Route Anschluß haben, also der gesamte westeuropäische Briefverkehr Mt dem fernen Osten übernommen wer- den kann.
Amsterdam huldigt der Königin Mntter Emma. Aus Anlaß des 60. Jahrestages des Einzuges der Königin Mutter Emma in Amsterdam huldigten die Gesangvereine und die Schulkinder, insgesamt 14 000 Menschen, der Jubilarin vor dem Schloß. Sodann wohnte die königliche Familie eine» großen Huldigungsfestspiel im Stadion bei. An -er Aufführung, die die Frau als Herrscherin im Laufe der Zeiten zeigtt^ nahmen 4000 Darsteller teil.
Vereinheitlichung der Steuern
für die Landwirtschaft
TU. Berlin, 14. Juni. Der Reichsminister der Finanzen hat zur Prüfung der Frage einer vereinfachten Besteuerung der Landwirtschaft einen Ausschuß eingesetzt, der anS Boh tretern des Reichstages, der Landwirtschaft und der Wisse» schaft besteht und unter seinem Vorsitz tagen soll. Er fall! insbesondere die Frage prüfen, ob es möglich fein wird, Stt gegenwärtig auf der Landwirtschaft ruhenden Steuer» durch eine einheitliche Steuer zu ersetzen. Die erste Besprechung l soll am 28. Juni stattfinden.
Gern ist Herr Deuschlin der Aufforderung gefolgt und die Auskunft, die er gegeben, hat alle Mißtrauischen beruhigt. Dann hat er den Ratsherren erzählt, daß Doktor Ulpianus ursprünglich ihm den Handel habe überlassen wollen, aus Freundschaft für ihn und sein Haus. Doch später habe er feinen Sinn geändert und sich entschlossen, die Lose selbst zu vertreibe«. Und wiewohl es ihn, den Wechsler, baß verdrossen habe, daß ihm der gute Handel nicht bleiben sollte, habe er sich doch beschieden und es ihm nicht verargt, well er erkannte, daß nicht schnöde Gewinnsucht ihn trieb, sondern das Verlangen, den Rothenburgern von seinem Reichtum abzugeben und Spargelder zu schaffe» für sie und ihre Kinder. Darum zürne er dem Doktor nicht, sei ihm vielmehr, wie alle Anwesenden bezeugen könnten, nach wie vor in Freundschaft zugetan und werde ihm gefreundet bleiben, solange er lebe. Denn das Wohl der Stadt gelte auch ihm höher als jegliches andere.
Also redet Herr Melchior Deuschlin in der Nachtsitzung des Senats am Achtzehnten des Maie» und der Bürgermeister Herr Marti» Schön dankt ihm für die gegebene Auskunft und sagt ihm» daß auch er einen guten Charakter haben müsse, da er daS Gemeinwohl über sein eigenes stelle und'daß, so dieses früher bekannt gewesen wäre, manches anders gekommen* wäre, als eS gekommen ist. Aber noch set^nKht cckler Tage Abend und etliches könne sich wohl'noch begebe», dessen sich jetzt niemand vermute. Und dann sitzt Herr MÄchtor Deuschlin als Gast inmitten der Ratsverwaudten zur Rechten seines Schwiegers und zur Linke» seines Schwähers und leert Kanne um Kanne mit de» Herren Winterbach und all den anderen. Und auch die Senatoren trinken ihm zu und freuen sich, daß sie wieder auf gleich sind mit chm. Nur der Senator Dickhauser sitzt Ml und macht sich seine Gedanken. Es will chm nicht in de» LM^daß etyex. de» er zeWebens als Me» Fuchsen
ästimiert hat, plötzlich sich als ein Lamm von Unschuld und eine Taube von Milde und Sanftmut geben kan». Darum schickt auch er »och eine Stafette als Eilpost nach Nürnberg und schärst ihr genau ein, was alles sie erfragen soll und daß vornehmlich auf die Nummer» zu achten sei, die die für Rothenburg bestimmte» Loszettel trage». Doch als beide Boten zurückkehren mit der nämlichen Botschaft und alles, was der Wechsler erzählt hat, sich als lautere Wahrheit ausweist, ist auch den ärgsten Zweiflern der Boden entzogen, auf dem das Kräutlein Mißtrauen wachsen könnte.
Schneller als Deuschlin geglaubt hat, ist Doktor Ulpiarms in den Loshandel hineingekommen. Von allen Seiten kommen die Begehrenden und heischen Lose. Der Doktor wird wieder zum Handelsmann, wie einst in Venedig, findet seine alten Geschäftspraktiken wieder, gibt den einen, vertröstet die anderen und macht dem Versprach auf die nächste Sendung, die nur für ihn da sein soll.
Ein wilder Taumel hat ihn gepackt und er gibt sich ihm zügellos. Nur nicht denken, nicht denken an das,
was sein wird-dereinst. ES ist doch alles umsonst,
umsonst die Butze, umsonst die Hoffnung auf Gnade, vergeben» alle Mühe, sein Geschick zu ändern. Sein Mensch entrinnt seinem Schicksal; wen der Herr verdammt hat, der ist verdammt in Zeit und Ewigkeit. Denn das Rad rollt, und keine Hand ist stark genug, um ihm tu die Speichen zu fallen. Er hat es erfahren.
Wie im Rausch geht er umher, in wilder Trunkenheit, getrieben von edier Lustgkeit, die aus der Verzweiflung geboren wird. Jetzt ist nichts mehr, das er sich zu versage« braucht. Warum soll er sparen? ES hat keine» Zweck mehr. Er hüllt sich in die teuersten Gewänder, bestellt seinen Tisch mit den erlesensten Speise» und mit den edelsten Weinen und lädt Gäste zu jeglicher Mahlzett, damit sie mit ihm zechen und ihm die dumme« Gedanke» vertreiben. (Fortjetzuna folgte
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