Nr. 228. Amis- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 91. Jahrgang.
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Freitag, den 28. September 1916.
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Deutscher Reichstag.
Beim Beginn der heutigen Reichstagssitzung waren am Vundesratstische zugegen der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, die Staatssekretäre v. Jagow, Dr. Helfferich, Graf Rödern, v. Capelle, Dr. Sols, Kriegsminister Wild v. Hohenborn, ferner die Staatssekretäre bezw. Minister v. Löbell, Lisco, Vcseler, Lerche, Krätke, v. Breitenbach, ferner die Herren Ha- venstein, Sydow, Wahnschaffe, Wackerzapp u. a. m. Das Haus ist sehr gut besucht. In der Diplomatenloge sitzt der türkische Minister des Neustern Hakki Pascha.
Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 3.18 Uhr mit folgenden Worten:
Wir treten zu erneuter Arbeit in einem Augenblick zusammen, in dem das gewaltige Ringen um Deutschlands Sein oder Nichtsein militärisch, politisch und wirtschaftlich auf dem Höhepunkt angelangt ist. Der neue Feind, der uns entstanden ist, schreckt uns nicht. (Bravo.) Rumänien büßt heute schon auf dem Schlachtfelds für seinen Treubruch. (Lebhaftes Bravo.) Auf allen Fronten wird um die Entscheidung gerungen. Beinahe übermenschlich sind die Anstrengungen unserer und unserer Verbündeten todesmutiger Soldaten und ihrer unerschrockenen Führer, die den Angriffen der feindlichen Millionenheere Trotz bieten, die jeden Futz breit Gelände mit ihren Opfern teuer bezahlen lassen und überall sonst die alte Offensivkraft in glänzender Weise betätigen. (Bravo.) Der Hungerkrieg, der von England geplant wurde, ist gescheitert an dem Ausfall unserer Ernte. (Lebhaftes Bravo.) Die Kriegsanleihe wird beweisen, datz wir fest entschlossen und imstande find, auch finanziell allen Stürmen zu trotzen, wie unsere Brüder und Söhne es tun in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern. (Lebh. Beifall.)
Der Präsident gibt sodann Nachricht von der Antwort des Kaisers auf das am 4. August 1916 an ihn abgeschickte Telegramm und gedenkt weiter der Fahrten der Handelsunterseeboote „Deutschland" und „Bremen" nach Amerika. Das Andenken der verstorbenen Abgeordneten Dr. Oertel und Dr. Eiese (Kons.) wird durch Erheben von den Sitzen geehrt. Der Abg. Schulenburg (Natl.) ist verwundet. Der Präsident wünscht ihm zeitige Genesung. (Bravo.)
Bis zur Stunde liegt die Rede des Reichskanzlers nur im Auszug vor, wir wollen sie auch in dieser Verkürzung unseren Lesern nicht vorenthalten.
Reichskanzler I)r. von Bethmann Hollweg:
Als unser Botschafter Nom verliest, haben wir Italien mitgeteilt, daß italienische Truppen auf Deutsche stoßen würden, wenn sie gegen Oesterrecher kämpfen würden. Oe tacto war damit der Kriegszustand gegen Italien gegeben. Vielleicht waren die englischen Daumenschrauben zu stark angezogen. Englischer Zwang gab wohl den Ausschlag in der Haltung Italiens. Vielleicht hatte Italien Wünsche für den Balkan. Es kamen Zusammenstöße mit deutschen Soldaten in Mazedonien vor. So kam es zur Kriegserklärung. Auch Rumänien hat sich unseren Feinden angefchlossen. Als der Krieg ausbrach, vertrat König Karol fest die Ansicht, daß Rumänien sich den Zentralmächten anschließen müsse auf Grund des Vertrags, sowie im Interesse des eigenen Landes. Kurz darauf starb der König an den seelischen Leiden, die ihm das Bewußtsein brachte, daß seine Regierung das Land verrate. Bratiauu schloß nach dem Fall von Lemberg einen Vertrag mit Rußland. Rußland wünschte aber die Bukowina zu erhalten, und der Vertrag kam nicht zum Abschluß. Wohl aber vergrößerte sich die rumänische Sympathie für die Entente. Immer beeinflußte die Kriegslage die rumänische Haltung. Als die große russische Offensive einsetzte,
und die Sommeschlacht anfing, glaubte Rumänien die Zeit für gekommen, sich an dem vermeintlichen Leichenraub zu beteiligen. Am S. Februar teilte der hiesige rumänische Gesandte mir auf Befehl des Königs mit, Rumänien werde die Neutralität aufrecht erhalten. Seine Regierung werde in der Lage sein, auch dies durchzuführen. Gleichzeitig erklärte Herr Bratianu dem Baron Busfche, daß er sich dieser Erklärung seines Königs vollkommen anschließe. (Hört! Hört!) Wir haben den König auf die Machenschaften seines Ministers hingewiesen und der König meinte nicht, datz sein Minister sich an die Entente gebunden habe oder binde. Noch K Tage vor der Kriegserklärung erklärte der König, er wisse, daß die große Majorität Rumäniens den Krieg nicht wolle (hört! hört!) und an demselben Lag versicherte der König, daß er die Mobilmachungsordrr nicht unterschreiben werde, und am Tage vor der Kriegserklärung erklärte der König dem österreichischen Vertreter, er wolle den Krieg nicht. An demselben Tage versicherte er dem Grafen Czernin, er sei entschlossen, die Neutralität anfrechtzu- crhalten und der Kronrat werde die Wahrheit seiner Worte beweisen. (Heiterkeit.) Dann überstürzten sich die Ereignisse. Rußland soll ein Ultimatum gestellt haben, über die unbeschütztcn Grenzen Rumäniens einzurücken, wenn Rumänien nicht den Krieg erkläre. Briand hat die Hoheit des Verhaltens Rumäniens gepriesen. (Heiterkeit.) Rumänien wird sich militärisch verrechnen, wie es sich politisch verrechnet hat. Es rechnete damit, daß die Türkei und Bulgarien abfallen werden, aber die Türkei und Bulgarien sind nicht Italien und Rumänien. (Lebh. sehr gut.)
Auf den Schlachtfeldern tobt harter Kampf in Ost und West und Süd. Seit anfangs Juni dauern die erbitterten Angrffe an der Somme. Jetzt sollte es glücken, die Front der verhaßten Deutschen zu durchbrechen und den Krieg über den Rhein nach Deutschland hineinzutragen. Aber, was ist geschehen? Wohl haben die Franzosen und Engländer Vorteile erstritten. Wohl sind unsere ersten Linien um einige Kilometer znriickgedrückt. Auch schwere Verluste an Menschen und Material haben wir zu beklagen, aber das» was unsere Gegner erhofft und erstrebt haben, der Dnrchbruch, die Ausrollung unserer Stellung im Westen, ist ihnen nicht geglückt. Ungebrochen steht unsere Front da. Schwer und hart sind die Kämpfe an der Somme und ein Ende ist noch nicht abzusehen, und sie werden noch manche Opfer kosten. Das eine oder andere Dorf wird noch verloren gehen, aber durch- kommen werden sie nicht! (Lebh. Beifall.) Dafür bürgt unsere Führung und die Tapferkeit der Truppen aller Gattungen. (Stürmischer Beifall.)
Auch im Osten tobt der Kampf weiter. Nachdem die große Offensive des Generals Brussilow durch die Truppen des Generals von Linsingen znm Stehen gebracht worden ist, haben schwere russische Angriffe westlich von Luck, an der Narajowka und den Karpathen eingesetzt. Unter blutigen Verlusten der Russen sind sie zusammengebrochen. Auch hier wird die Front gehalten dank des unwiderstehlichen Heldenmutes unserer Heere. Auf dem Balkan schließt der Verrat Rumäniens die Kette. Und was ist da erreicht? Alle feindlichen Angriffe sind erfolgreich abgewehrt und die feindlichen Angriffe sind auch dort gescheitert. So geht der ungeheure Krieg weiter. Immer neue Völker stürzen sich in das Blutbad und zu welchem Ende?
Die Kriegsziele unserer Gegner dulden keine Mißdeutung: Eroberungslust und Vernichtungswille dort, für uns: die Verteidigung des Rechtes auf Leben, Freiheit und Entwickelung. (Lebh. Beifall.) Darum konnten wir auch als die Ersten unsere Friedensbereitschaft erklären. Wer wagt es' nun noch, von uns ein neues Friedensangebot zu verlangen, wenn unsere Gegner, wie der französische Ministerpräsident es getan hat, einen heute zu schließenden Frieden als eine Erniedrigung des Friedcnsgedankcns, als eine Herausforderung und eine Schmach für das Gedächtnis der Toten be
zeichnen. Unsere Feinde sind daran schuld^ oaß die Berge der Toten sich täglich türmi". Wir wollen Deutschland füi alle Zeiten gegen einen Angriff schützen, aber glaubt Herr Briand, daß die Gedanken unserer Gegner: die französische Revanchepolitik, die russische Erobcrnngslust, die enHische Einkreisung und Englands Weltbehsrrschungsdrang, Haß und Vernichtungswille einen Boden für internationale Abmachungen bereiten, für ein Zusammenarbeiten, das Menschlichkeit und Sittlichkeit verbürgt?
In die inneren Zustände anderer Länder mischen wir uns nicht ein. Wie Rußland seine inneren Verhältnisse regeln will, ob autokratisch oder konstitutionell, ist seine Sache. Ich vertrete nur deutsche Interessen; nur die Achtung vor dem deutschen Recht und den deutschen Interessen, das ist das, was wir im Frieden von den anderen Mächten verlangen. Zu dauerndem Siechtum verurteilt, so malt sich England Deutschland aus. Wenn Frankreich sich verblutet hat, wenn alle Länder England Frondienste leisten, dann soll auch im ohnmächtigen Deutschland der Traum englischer Weltherrschaft Wirklichkeit werden. Für diese Ziele kämpft England mit einem in seiner Geschichte unerhörten Keäste- einsatz, mit Mitteln, die einen Bruch des Völkerrechts an den anderen reihen. Darum ist
England unter allen der egoistischste, erbittertste und hartnäckigste Feind.
Ern deutscher Staatsmann, der sich scheute, gegen diesen Feind jedes taugliche, den Krieg wirklich verkürzende Kampfmittel zu gebrauchen, ein solcher Staatsmann sollte gehenkt werden. Ich wünsche, daß , Sic aus diesen meinen Worten den Grad von Widerwillen und Verachteung erkennen mögen, den ich für die immer wieder verbreitete Behauptung empfinde, daß aus unbegreiflicher Schonung, aus veralteter Verstöndigungsneigung oder gär aus dunklen Zusammenhängen nicht alle Kampfmittel in ihrer vollen Ee- brauchsmöglichkcit angewandt würden. Aus Rücksicht auf das feindliche, auf jeden Bruch unserer inneren Entschlossenheit lauernde Ausland will ich hier nicht näher auf die Ihnen bekannten Treibereien eingehen. Die Zeit ist zu ernst.
Als wir gezwungen wurden, das Schwert zu ziehen, da wußten wir, daß wir gegen eine übermächtige Koalition Haus und Hof zu verteidigen hätten. Kampf- und siegesbewußt flammten damals die Herzen auf. Heute nach zwei Jahren wissen wir, daß es nur eine Parole für uns gicbt: Allsharren und siegen! Und wir werden siegen!! (Stürmischer Beifall.) Ich teile die tiefe Trauer um die Gefallenen und Verstümmelten. Ich neige mich vor dem Heldensinn mit dem die Opfer getragen werden von Frauen und Männern ohne Unterschied von Rang und Klasse, die hinans- gehen weit über das Maß der gewohnten Leistungen. Hoch und groß ist das, aber höher und größer ist der Todesmut unserer Söhne und Brüder draußen, mit dem sie dem wütenden Ansturm der an Zahl und an Geschossen überlegenen, mit äußerster Heftigkeit kämpfenden Feinden trotzen. (Lebh. Beifall.) Nie hat die Menschengcschichte ähnliches gesehen. Vor ihren Heldentaten muß unser Leid verstummen, kein Wort der Klage darf an ihr Ohr draußen dringen. Nur heißer Dank für ihr Blut soll ihre Begleitung sein, wenn höllisches Trommelfeuer sie umdröhut. Sind wir ihrer würdig, wenn wir nicht alles daran setzen? In diesen Dingen hat das deutsche Volk wiederum Gelegenheit, bei unserer Kriegsanleihe zu beweisen, daß cs zu allen Opfern fähig ist, daß es fest an unser» Sieg glaubt. Ich weiß, daß wir uns auf die Kämpfer hinter derFront verlassen können, daß jeder Deutsche, der sein Vaterland liebt, es als Ehrenpflicht ansieht, durch Hingabe aller verfügbaren Mittel die Riesenarbeit zu unterstützen und das Kommen des Sieges zu fördern. Zähne aufeinandergebisien und Herz und auf!
So wollen wir hinter unseren Feldgrauen stehen: Ein Mann ein Volt! (Stürmischer Beifall.) Das Haus brennt, es gilt