Nr. 170. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 91. Jahrgang.
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24. Juli 1916.
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Rücktritt Ssasonows.
Zum Rücktritt Ssasonows. — Der Druck der Entente auf die Neutralen.
Als vor ein paar Tagen die Meldung durch die Zeitungen ging, der russische Minster des Aeußern, Ssasonow, sei schwer erkrankt, körperlich und geistig zusammengebrochen, da wußte man schon, daß der Auslandsminister Rußlands picht nur physisch erledigt war, sondern auch politisch. Mit Ssasonow tritt wieder einer der an der Schuld dieses fürchterlichen Krieges unmittelbar Beteiligten von der politischen Tribüne ab, nicht mit dem Zeichen des Erfolges, der unter Umständen jedes Unrecht verwischt, sondern als Enttäuschter, Geschlagener. Als Ssasonow im Jahre 1910 den Auslandsminister Jswolski ablöste, der dann bekanntlich nach Paris ging, um seine gegen Deutschland geplanten Intrigen noch besser spinnen zu können, da war in der deutschen Presse, (die wie man erst jetzt jeden Tag mehr einsieht, in auswärtigen Dingen«größtenteils erbarmungswürdig schlecht unterrichtet war) die Anschauung zum Ausdruck gekommen, daß der neue Mann dazu berufen sei, bessere Beziehungen zu Deutschland anzubahnen, als der als deutschfeindlich bekannte Jswolski. Ssasonow hat auch scheinbar nach dieser Richtung gewirkt, indem er sowohl Deutschland als auch Oesterreich-Ungarn gegenüber Annäherungsabsichten kundgab durch das Arrangement verschiedener Zusammenkünfte hoher fürstlicher Persönlichkeiten aus Leiden Lagern. Die Ursache dieser freundlichen Politik gegenüber den Zentralmächten lag aber, wie heute klar ersichtlich ist, darin, daß Rußland unter dieser Freundschaftsmaske nur seine Rüstungen ungestört fortzusetzen gedachte. Es war infolge des japanischen Krieges noch iricht so weit gewesen, sich nun gleich wieder dem von England suggerierten neuen Ziel zuwenden zu können, deshalb mußten die Fürstenbesuche und -Zusammenkünfte herhalten, um die Frist für den richtigen Zeitpunkt herauszubekommen. Für die Handhabung dieser meuchlerischen Politik war Ssasonow ausgewählt, und man muß sagen, er hat seine Rolle nicht schlecht gespielt. Aber, woran dieser gute Mann wohl nicht gedacht hat, es ist ihm auch der Lohn des Intriganten zu Teil geworden, er glaubte, eine Hauptrolle in dem großen Drama spielen zu dürfen, und er ist nun als Nebenspieler von der Bühne abgeschoben worden,' weil man ihn für den Schlußakt nicht brauchen konnte. So hat ihn das Schicksal seines Spießgesellen Salandra, und eines Delcasss ereilt, wobei man von dem Franzosen noch sagen muß, daß er uns wenigstens über seinen wahren Charakter nie getäuscht hat. Und alle drei, die glaubten, sich mit dem Kriege gegen die Zentralmächte unsterblichen Ruhm holen zu können, sind in der Versenkung verschwunden, sang- und klanglos, weil ihnen in ihren sehr fein durcharbeiteten Rechnungen der kleine Rechenfehler bezüglich der deutschen Kraft unterlaufen war. Ssasonow hat wohl noch die große Offensive abwarten wollen, aber auch sie hat bis heute den Russen noch nicht das gebracht, was man erhofft hatte, die Wiedereroberung Galiziens, und die Zurückdrängung der deutschen Front. Wohl operieren die Russen immer noch mit glänzend frisierten Heeresberichten, aber, daß man nicht mehr an den großen Erfolg glaubt, das sieht man auch an dem Rücktritt des Führers der russischen Nordarmee, Rußki, den man nach dem Abgang des Großfürsten Nikolajewitsch als den kommenden Mann im russischen Heere betrachtete. Rußki soll gesagt haben, wenn die Alliierten den nun begonnenen gemeinsamen Druck stetig durchhalten könnten^ so wäre der Frieden vielleicht eher da, als man glaube.
Die Alliierten müssen doch immer ein Schlagwort haben, das sie bei offensichtlicher Abnützung des einen wieder in Anwendung bringen können. Da die große Offensive im Osten und Westen doch nicht zu den Erfolgen geführt hat, die man von ihr vorausgesagt hatte, so wird jetzt eben die öffentliche Meinung damit getröstet, daß der anhaltende Druck den Zusainmenbruchherbefführen muß, zusammen mit
der stetig steigenden Lebensmittel- und Rohstoffnot bei Deutschland und seinen Verbündeten. Dieser Eindruck wird besonders aber bei den Neutralen zu verbreiten versucht, unter denen jetzt wieder mit allen Mitteln agitiert wird. Bekanntlich hat der Vierverband unter Vorantritt Rußlands in neuester Zeit mit Nachdruck seine Forderungen an Rumänien wiederholt, es müsse sich jetzt entscheiden, wenn es noch Anspruch auf Berücksichtigung bei den Friedensverhandlungen erheben wolle. Was Rumänien tun wird, können wir auch heute noch nicht sagen. Die Lieferung von Munition durch Rußland gieLt zu bedenken, wir wissen aber noch heute nicht, was die Rumänen zu tun beabsichtigen. Allen Anzeichen nach ist jedoch ein Eingreifen von dieser Seite nach Einbringung der nun bald beendigten Ernte zu erwarten. Nun, unsere Heere, lind namentlich auch die Bulgaren sind wohl für alle Eventualitäten gerüstet. Auch der wirtschaftliche Druck wird mit allen nur erdenklichen Schikanen gegen die Neutralen weiter verstärkt. England beschlagnahmt alle niederländischen Fischerfahrzeuge, 60 Schiffe sind bereits beschlagnahmt. Dadurch wollen die Engländer erzwingen, daß der ganze holländische Ertrag für Deutschland gesperrt, und nach England geliefert wird. Die holländische Rccdcrver- einigung hat eine große Protestoersammlung gegen diesen englischen Gewaltakt veranstaltet, und energische Maßnahmen der Regierung gefordert. Die Stimmung gegen England ist erbittert. In Amerika und Holland machen sich weiter starke Bewegungen bemerkbar gegen die schwarzen Listen der Alliierten, in denen die neutralen Firmen eingetragen sind, die mit den Zentralmächten Handel treiben, und deren Waren deshalb in erster Linie der Beschlagnahme anheimfallen sollen. Es ist klar, daß die Alliierten mit der Veröffentlichung dieser Listen in neutralen Staaten die betreffenden Firmen schwer schädigen, und es werden deshalb von beteiligter Seite Maßnahmen gegen derartige schamlose Erpressungspolitik gefordert, mit welchem Erfolg, das soll die nahe Zukunft lehren. Auch gegenüber Schweden treiben die Alliierten jetzt eine offene Gewaltpolitik. Systematisch werden die Hoheits- gcwässer Schwedens von russischen Kriegsschiffen befahren, und deutsche Dampfer verfolgt. Auch in Schweden verlangt man eine energische Haltung der Regierung gegenüber dieser offensichtlichen Nichtachtung der schwedischen Neutralität. So verschärft sich die politische Lage von Tag zu Tag mit der zunehmenden Verschärfung der militärischen Lage. Der zweite Jahrestag des Krieges wird die Situation in höchster Spannung antreffen. : 0.8.
Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.
Die deutschen amtlichen Meldungen. 7 77"
(WTV.) Großes Hauptquartier, 22. Juli. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Im Sommegebiet haben unsere Gegner nach ihrer verlustreichen Niederlage des vorhergehenden Tages gestern auf große einheitliche Angriffe verzichten müssen. Einzelne Teil- vorstöße sind mühelos abgewiesen oder schon im Entstehen unteichrückt worden. Bei Säuberung eines Engländernestes im Fourreaux-Wäldchen machten wir einige Dutzend Gefangene und erbeuteten 9 Maschinengewehre. Die lebhaften Artilleriekämpfe wurden mit Unterbrechung fortgesetzt. Nördlich von Massiges (in der Champagne) blieb heute in der Frühe ein französischer Angriff auf schmaler Front ohne Erfolg. Beiderseits der Maas steigerte sich die Artillerietätigket zu größter Heftigkeit. Gestern früh und heute nacht scheiterten feindliche Angriffe im Frontabschnitt von Fleury. Eine unserer Patrouillen nahm in der französischen Stellung nordöstlich von St. Diö 14 Mann gefangen. Der Flugdienst war Tag und Nacht beiderseits sehr tätig. Mehrfache feindliche Bombenangriffe haben nur geringen militärischen Schaden angerichtet, teilweise «her unter
der Bevölkerung Opfer gefordert, so in Laon, wo eine Frau schwer verletzt und 3 Kinder getötet wurden. Unsere Gegner verloren 7 Flugzeuge im Luftkampf und zwar 4 südlich von Vapaume und je eines südwestlich' von Arras, westlich von Combles und bei Royc. Leutnant Wintgens hat seinen 1V. und 11., Leutnant Höhndorf seinen 10. Gegner außer Gefecht gesetzt. S. M. der Kaiser hat seiner Anerkennung für die Leistungen des Oberleutnants Freiherr von Althaus, der bei Roye Sieger über einen französischen Doppeldeckers blieb, durch Verleihung des Ordens Pour le MSrte Ausdruck verliehen.
Oestlicher Kriegsschauplatz. Beiderseits der Straße Eckau—Kekkau schlugen brandenburgischs Regimenter einen starken russischen Massenangriff zurück, der am Nachmittag wieder ausgenommen und bis spät in die Nacht fortgeführt wurde. Sie sind sämtlich unter den schwersten Verlusten zusammengebrochen. Von der übrigen Front sind Ereignisse von besonderer Bedeutung nicht zu melden.
Balkankriegsschauplatz: Nichts Neues.
(WTB.) Großes Hauptquartier, 23. Juli. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Zwischen dem Meere und der Ancre haben in einzelnen Abschnitten lebhaftere Feuerkämpfe stattgefunden. In der Gegend von Richcborg ist eine starke feindliche Erkundungsabteilung abgewiesen worden. Zwischen Ancre und Somme kam es nach tagsüber gesteigerter Artillerietätigkeit abends und nachts erneut zu Znfanteriekiimpfen an der Front Thiepval-Cuille- mont. Die hier angesetzten englischen Angriffe blieben trotz rücksichtslosen Einsatzes an Menschen erfolglos, bei und westlich von Poziöres im Foureau-Wäldchen und am Westrande von Longueval führten sie zu heftigen Nahkämpfen. Zwischen Euillemont und der Somme wurden Angriffsversuche des Gegners bereits in den Ausgangsgräben durch Sperrfeuer erstickt. Südlich der Somme folgten dem zeitweise sehr starken, von uns in gleicher Weise erwiderten Feuer nur vereinzelte französische Vorstöße, die mißlangen. Es find über 100 Gefangene eingebracht» darunter einige Offiziere. Im Maasgcdiet Artilleriekampf von mehrfach großer Stärke. Oestlich des Flusses wurden im Abschnitt von Fleury feindliche Handgranatentruppen, im Bergwald (nördlich der Feste Tavannes) Erkundungsabteilungen abgewiesen. Südlich von Damloup gewannen wir in Richtung des Gehöftes Dicourt Gelände, machten Gefangene und Beute.
Die Stadt Müllheim in Baden und in dev Nähe gelegene Dörfer wurden gestern von einem französischen Geschwader mit Bomben belegt. Wir haben zwei der feindliche« Flugzeuge im Luftkampf abgeschossen und den Angriff sofort mit schwerem Feuer auf die Stadt Bel- fort beantwortet.
Oestlicher Kriegsschauplatz. Südöstlich von Riga wurde spät abends ein feindlicher Angriff mit Sperrfeuer zum Scheitern gebracht. Uebergangsver- suche der Russen über den Styr bei Zahatka (südwestlich von Beresteczko) wurden durch deutsche Batterien verhindert.
Balkan kriegsschauplatz: Nichts Neues.
Oberste Heeresleitung.
Der letzte russische Bericht.
(WTB.) Petersburg, 23. Juli. Amtlicher Bericht vom 22. Juli mittags. Westfront: Auf dem linken Flügel der Rigastellungen dauern die Kämpfe gegen deutsche Truppen an. In der Gegend des Dorfes Martyski (11 Kilometer, nordöstlich Smorgon) gelang es uns, durch einen erfolgreichen nächtlichen Handstreich einen Teil eines feindlichen