FHEITAG, 17. NOVEMBER 1950
NUMMER 179
Blick in die Zukunft
Von Lord Bertrand Rusell, Nobelpreisträger für Literatur 1S50
Ein Blick in die Zukunft läßt uns zwei Möglichkeiten erkennen: eine Wendung zum Besseren oder eine Katastrophe, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nicht zu verzeichnen war. Soll es zu einem glücklichen Ausgang kommen, dann nur, weil sich alle mächtigen Nationen der Gefahren einer Weltkatastrophe bewußt geworden sind.
Rein logisch entwickelt, und ohne Rücksicht darauf, ob sie als unwahrscheinlich oder unerwünscht anzusehen sind, stehen folgende sechs Möglichkeiten offen:
1. Rußland bringt die kapitalistische Welt auf seine Seite, und ein kommunistisches Weltreich wird errichtet.
2. Rußland kehrt zum Kapitalismus zurück und arbeitet bereitwillig mit dem Westen zusammen.
3. Beide Seiten kennen einander eine fest begrenzte Machtsphäre zu, und die Welt wird geteilt.
Diese drei Möglichkeiten bedingen keinen Weltkrieg. Im Falle eines Krieges ergeben sich drei weitere Möglichkeiten:
4. Amerika siegt und tritt die Weltherrschaft an.
5. Rußland siegt und errichtet ein kommunistisches Weltreich.
6. Der Krieg bringt keine Entscheidung, und beide Seiten bereiten sich auf den nächsten vor oder entschließen sich — wie im Westfälischen Frieden nach dem Dreißigjährigen Krieg — verspätet zur dritten Möglichkeit.
Inwieweit ist jede dieser sechs Möglichkeiten wahrscheinlich?
Ein Sieg Rußlands mit politischen und propagandistischen Methoden ohne Entfesselung eines Krieges wird von den meisten Menschen im Westen für höchst unwahrscheinlich gehalten — eine Ansicht, die ich teile.
Ich glaube jedoch, daß die Sowjetregierung diese Möglichkeit keineswegs für so unwahrscheinlich hält. Die sowjetischen Wirtschaft-
Beruf: Kaiser von Oesterreich
Auf einer Sonderschau über die geschichtliche Entwicklung der österreichischen Postsparkasse, die das Museum für österreichische Kultur in der Burg veranstaltet, wird das Postsparbuch Nr. 1 ausgestellt, das für Kaiser Franz Josef bei der Gründung der Postsparkasse 1883 mit einer Einlage von 500 Gulden eingerichtet wurde. Im Sparbuch ist als Eigentümer angegeben: Name: Franz Josef I., Beruf: Kaiser von Oesterreich, Wohnort: Wien, Schloß Schönbrunn. Die Einlage mit den angelaufenen Zinsen wurde niemals abgehoben.
ler rechnen seit langem mit einer amerikanischen Wirtschaftskrise, ir. die alle von Amerika wirtschaftlich abhängigen Länder mit hineingerissen werden Sie erhoffen sich hiervon eine Hinwendung zum Kommunismus, und alles, was die wirtschaftliche Gesundung des Westens hemmt, liegt daher in ihrem Interesse.
Ein großer Teil der russischen Politik ist meiner Meinung nach von der Hoffnung auf eine ..friedliche“ Durchdringung inspiriert, und diese Politik hat. vor allem infolge westlicher Fehler, bereits Erfolge gehabt. Aber nur wirtschaftliche und politische Ignoranz kann sie auf Erfolge in Großbritannien und den USA hoffen lassen. Eine amerikanische Wirtschaftskrise ist außerdem unwahrscheinlich, solange der Marshallplan läuft und die Kriegsgefahr die amerikanische Produktion auf Hochtouren laufen läßt. Die Bedeutung der ersten Möglichkeit liegt daher nicht in ihrer Wahrscheinlichkeit, sondern darin, daß die Sowjets sie für wahrscheinlich halten.
Die zweite Möglichkeit — Bekehrung Rußlands zum Kapitalismus — ist so unwahr
scheinlich, daß es sich, darauf nicht einzugehen lohnt.
Die dritte Möglichkeit — Aufteilung in Machtsphären — würde verwirklicht, wenn alle Regierungen vernünftig wären. Aber dann müßte die Sowjetregierung ihre Haltung ändern. Alles deutet daraufhin, daß die russischen Machthaber an die Möglichkeit eines echten Friedens zwischen Kapitalismus und Kommunismus nicht glauben. Es ist ein Dogma des dialektischen Materialismus, daß der Kommunismus den Endsieg erringen werde.
Die vierte Möglichkeit — ein amerikanischer Sieg — dürfte von den meisten Amerikanern für die wahrscheinlichste gehalten werden. Man kann annehmen, daß die Russen innerhalb weniger Wochen den Kontinent bis zum Kanal besetzt haben werden. Wenn die Amerikaner und Engländer dann als Befreier kommen, dürften allerdings nur noch ein paar Geister übrig sein, um sie zu begrüßen, denn von Calais bis Wladiwostok wird sich ein Ruinenfeld erstrecken.
Die fünfte Möglichkeit — ein sowjetischer Sieg — würde ähnliche Folgen wie die vierte Möglichkeit haben. Weitere Kriege wären unmöglich, aber die Welt würde zu einem rus-
Jede der großen Hauptstädte Europas hat ihre Eigenart. Die Eigenart Lissabons ist die Hintertreppe. Sie bestimmt das Gesicht der Tejostadt, sie gibt ihr einen Charakter, der architektonisch und empfindungsmäßig von dem anderer europäischer Städte abweicht.
In den älteren Stadtteilen ist die Hintertreppe lediglich ein Eisengerüst, das an der Rückseite des Hauses zu hängen scheint, unmotiviert, fremdkörperhaft und verwirrend, wie ein Kinderspielzeug, dessen praktischer Sinn nicht ohne weiteres klar wird. In den modernen Vierteln und Straßen, in denen die Häuser heute bis ins achte und neunte Stockwerk hinaufwachsen, ist sie festgemauert, ein Stützpfeiler, der die Last des Hauses zu tragen scheint. Immer aber, ob luftiges Eisenwerk oder festgefügter Stein, ist die Hintertreppe die Schlagader eines jeden Hauses. Durch sie flutet das eigentliche Leben der portugiesischen Hauptstadt.
Die Vordertreppe der Lissaboner Häuser ist tot und seelenlos. Kein Namenschild verrät, wer hinter den Türen wohnt. Die Bewohner sind nach Stockwerken, nach rechts und links katalogisiert und wissen nichts voneinander. Sie kennen sich nicht, sie grüßen sich kaum. Sie verschließen sich hinter ihren namenlosen Türen.
Im Morgengrauen schon hasten die Zeitungsjungen von Stockwerk zu Stockwerk. Sie kümmern sich nicht um die Klingeln, sie haben dazu keine Zeit. Unten im Innenhof eines jeden Hauses stoßen sie einen kurzen gellenden Ruf aus. Ein Hahnenschreiersatz, der durch Mark und Bein geht. Aber der Portugiese hat gute Nerven. Ihn stört das ebensowenig. wie der rhythmische Schlag der Teppichklopfer, der bald darauf von Haus zu Haus, von Straße zu Straße springt. In Portugal dürfen Teppiche nur zwischen 12 Uhr nachts und acht Uhr morgens geklopft werden.
Den ganzen lieben Tag lang gibt es keinen Augenblick der Ruhe auf der Hintertreppe. Der Milchmann kommt mit hohen, blanken Messingkannen heraufgeächzt, der Brotausträger balanziert seinen Riesenkorb voller warmer Brötchen um Ecken und Kanten. Die ,.criadas“, die ungekrönten Königinnen der Hintertreppe, wandern auf den Markt und keuchen mit vollen Taschen wieder treppauf, Dazu gesellen sich die Obstfrauen und Blumenmädchen, die Laufjungen und Lehrlinge der Drogerien und Kolonialfrarenläden, die
sischen Gefängnis, und die Menschheit versklavt.
Die sechste Möglichkeit ist die schrecklichste von allen. Sollte in absehbarer Zeit ein Krieg ausbrechen, so dürfen wir nicht wünschen, daß er unentschieden ausgehen möge.
Was sollten wir tun, und was dürfen wir hoffen?
Aus obigem Ueberblick scheint sich zu ergeben, daß eine Teilung der Welt und eine Uebereinkunft, sich nicht in die Sphäre des anderen einzumischen, das beste wäre. Ich fürchte aber, daß es nutzlos ist, ein solches Uebereinkommen vorzuschlagen, da Rußland keine Verträge einhält. Der einzig mögliche Weg. einen Krieg zwischen Rußland und Amerika zu vermeiden, ist daher, soweit ich sehen kann, der russischen Regierung klarzumachen, daß im Falle eines Krieges Amerika als Sieger hervorgehen würde.
Es liegt auf der Hand, daß der Marshallplan, kombiniert mit einer westeuropäischen Union, uns in dieser Beziehung Hoffnungen gibt und gleichzeitig die Waagschale zugunsten eines westlichen Sieges senkt. Dennoch halte ich es für sehr schwierig, die Russen (die glauben, daß Gott, den sie auf den Namen ..Dialektischer Materialismus“ umgetauft haben, auf ihrer Seite ist) davon zu überzeugen, daß sie nicht siegen werden. Hiervon wird es jedoch abhängen, ob es zum Kriege kommt oder nicht. Copyright 1950 by „elite“
mit ihrem Notizblock in der Hand die Tagesbestellungen einsammeln, die Losverkäufer und die Bauern, die mit Eiern und Butter von Haus zu Haus ziehen. Sie alle springen oder klettern, pfeifen oder stöhnen die Treppe hinauf und herab, je nach Lust und Laune, Alter und Kräften.
Mit ihnen stellen sich die Händler aller Art ein, die von dem Loch der „criadas“ mitzehren. Der eine bietet Strümpfe und Unterwäsche, der andere Knöpfe und Kämme feil, der dritte verkauft Seife und Schönheitsmittel, der vierte Pillen gegen alle nur vorhandenen Gebrechen, und ein weiterer endlich preist Schreibpapier und Horoskope an.
Dazwischen fließt der nimmer endende Strom der Bettler. Alte gebrechliche Weiblein, die in jedem Stockwerk haltmachen, um Atem zu schöpfen. Zigeunermädchen mit weiten, langen Röcken, .Männer und Kinder — ein wirres Durcheinander.
Dann präsentieren sich Klempner, die Wasserhähne reparieren und durchlöcherte Kochtöpfe verlöten, Holzkohlenverkäufer und das ganze unübersehbare Heer der Hintertreppenwanderer. Sie kehren irgendwie und irgendwann immer wieder, ' sie grasen die Stadt ab, Straße für Straße. Die „criadas“ kennen sie und haben sie alle säuberlich eingeordnet, denn man weiß nie, wozu man sie gebrauchen kann. Da ist der alte Klempner, bei dem man gebrauchte Schuhe nach Maß bestellen kann, und der Kammverkäufer, der auf Wunsch den Brief an die Familie oder sogar die ganz vertraulichen Liebesgeheim- nisse an den „noivo“, den Bräutigam, in der Provinz zu schreiben versteht. Und wie sie gibt es viele, unendlich viele. Darum herrscht in dieser Republik der Hintertreppe auch eine Höflichkeit, wie sie heute im übrigen Europa ausgestorben ist. Nie würden die „criadas“ zueinander sprechen, ohne nicht das liebenswürdige „Menina“, Fräulein, vor den Namen zu setzen. Und selbst für den zerlumptesten Bettler haben sie als Trost ein bedauerndes: „Verzeihen Sie und gedulden Sie sich bitte. Eure Exzellenz“. Und der so abgewiesene zuckt seinerseits entschuldigend die Achseln und antwortet: „Vielen Dank, mein Fräulein!“ Portugal ist das Land der Liebenswürdigkeit, und das Geringste, was man einem Mitmenschen anbieten kann, wenn er schon gar keinen Titel hat und in Lumpen geht, das ist eben „Eure Exzellenz!“
Exzellenzen auf Hintertreppen
Portugiesischer Alltag vor der Küchentür
Von unserem, Lissaboner W. Sch.-Korrespondenten
Späte Hochzeitsreise
Von Fred Andreae
Der See glänzte und flimmerte wie flüssiges Silber. Das Auge wurde geblendet von dem Licht, das aus der Höhe herniederströmte. Niemand dachte daran, daß der Sommer vorbei war, am wenigsten taten dies jene beiden Menschen, die in ihre Mäntel gehüllt auf einer der vielen Bänke saßen und auf die weite Wasserfläche hinausschauten. Die Luft war ganz klar, so daß man nicht nur das jenseitige Ufer, sondern auch das Gebirge als gewaltige Kulisse des herrlichen Bildes deutlich zu erkennen vermochte.
Es war ein seltsames Paar, das sich nicht um das farbige Spiel der lautlos in den See fallenden Blätter zu kümmern schien und auch durch den aufkommenden Wind sich nicht vertreiben ließ Sie waren beide nicht mehr jung. Das Haar des Mannes war stark ergraut; innere und äußere Not hatte sein Gesicht gezeichnet. Auch die Frau trug Spuren, die auf ein hartes Leben schließen lassen konnten.
Sie saßen schweigend nebeneinander, hielten sich bei den Händen, lauschten nur auf das ferne, unbestimmbare Dröhnen, das fast wie Orgelspiel klang. Es bedurfte zwischen ihnen keiner Worte. Sie waren längst wie zwei Instrumente aufeinander abgestimmt, die schon beim leichtesten Anschlag zu tönen begannen. Dabei wußten sie, daß gerade die besten und empfindlichsten Intrumente sehr rasch verstimmt, in ihrer Harmonie gestört werden konnten und darum von Zeit zu Zeit nachgestimmt werden mußten.
Wenn ein Außenstehender sie beobachtete, vermutete er kaum, daß die beiden Menschen seit zwei Jahrzehnten verheiratet waren. So konnte er auch nicht ahnen, daß diese herbstliche Reise zum See iffre tiefere Bedeutung hatte Nicht etwa, daß ihre Liebe im Zeichen des Herbstes stand, wohl aber gaben sie sich keinen Illusionen darüber hin, daß für sie
die hohe Zeit des Lebens zu Ende war. Es fiel ihnen nicht weniger schwer als ihren Mitmenschen, den Uebergang zu finden, um so mehr als ihnen ihr Sommer so vieles schuldig geblieben war, was andere mit vollen Händen hatten hinnehmen dürfen ...
Das silberne Leuchten des Sees verblaßte. Der Wind ward stärker und kühler und vom Osten her breitete sich die Dunkelheit stetig über die weite Wasserfläche. Die beiden Menschen erhoben sich fröstelnd. Noch eine Weile standen sie und erlebten den Einbruch der Nacht. Noch einmal tasteten sie sich mit ihren Blicken hinüber zu der unnahbaren Majestät der stummen Riesen aus Granit und Eis. Dann schritten sie. Arm in Arm. langsam vom See zurück.
Es war Zeit. Die Nachtfeuchtigkeit setzte sich schon in Kleider und Haare; sie barg Gefahren in sich, die man nicht unterschätzen durfte. Darum war es gut, daß die beiden ein geheiztes Zimmer vorfanden. Bei ihrer Wirtin hatten sie vor dem Weggehen ein festliches Abendessen bestellt, nicht nur, weil dies der letzte Tag ihrer kurzen Ferien, sondern zugleich auch ihr zwanzigster Hochzeitstag und diese Fahrt gewissermaßen ihre Hochzeitsreise war.
Auf dem geschmückten Tisch prangten blutrote Astern in einer kristallenen Vase. Als die beiden Kelche mit dem Seewein gegeneinanderstießen. klang es ganz hell und fein durch das Zimmer. Das feiernde Paar lauschte dem Ton nach, so wie drunten am See auf das ferne Orgelrauschen. Sie grüßten sich mit den Augen und reichten sich die Hände. Lange sagten sie kein Wort. Doch dann stieg das Vergangene aus den geschliffenen Gläsern ...
Lange nach Mitternacht löschten sie das Licht und traten ans Fenster, das auf den See hinausging. Ganz scheu, als müßten sie es heimlich tun, küßten sie sich und schauten zu den Sternen empor, die der Mann einst für seine Frau hatte herunterholen wollen.
Solche Ärzte gab es
Richard Mead, der berühmte Leibarzt des englischen Königs Georg II. wurde zu dem erkrankten Ministerpräsidenten Walpole gerufen.
Da Meads Kollege Friend seit sieben Monaten unter dem Verdacht, die Stuarts wieder auf ihren Thron bringen zu wollen, ungerechterweise im Tower gefangen gehalten wurde, lehnte er die Behandlung des Ministerpräsidenten ab.
Die Lebensgefahr für Walpole stieg, aber Mead blieb standhaft, obwohl er von allen Seiten bestürmt wurde, dem Ministerpräsidenten zu helfen.
Erst als sein Kollege freigelassen worden und in seiner Wohnung erschienen war, ging er zu Walpole und errettete ihn aus der Lebensgefahr. Hinterher gab Mead seinem Kollegen die Summe von mehr als zehntausend Mark, die er durch dessen Vertretung während der Haft eingenommen hatte.
Für den Bücherfreund
Theorie der sozialen Arbeit
Casework fn USA, Theorie und Praxis der Einzelhilfe, hgg. von Dr. Hertha Kraus, Prof, of Social Economy. Wolfgang Metzner- Verlag Frankfurt a. M. 1950. 500 S. 7.50 DM.
„Casework“ kann man eigentlich nicht ins Deutsche übersetzen. Man versteht darunter „Vorgänge, die der menschlichen Persönlichkeit zu ihrer Entfaltung durch eine Reihe von Anpassungen verhelfen, die bewußt herbeigeführt werden zwischen Mensch und Mensch und auch zwischen dem Menschen und seiner Umgebung“. Es ist eine aus dem Frontier-Erlebnis heraus gewachsene Art der sozialen Einzelhilfe, die — ausgerichtet auf das Fühlen des Hilfsbedürftigen und auf seine Art der Entgegnung — dem Menschen helfen will, seine eigenen Angelegenheiten selbst mit größerer Fähigkeit und Befriedigung zu meistern. Die Theorie des Casework, die in Arfierika zu einer Wissenschaft ausgebildet wurde, und seine Praxis werden uns hier von führenden Fachleuten vorgeführt. Die Deutschen Praktiker
Petain erinnert sich nicht mehr
Das Leben des Gefangenen auf der Insel d’Yeu
Das französische Parlament hat es abgelehnt, einen Antrag zu behandeln, das Schicksal des zu lebenslänglicher Haft verurteilten MarschaUs Petain zu ändern. Petain wurde bekanntlich verurteilt, weil er während der deutschen Besatzungszeit Staatspräsident von Vichy-Frankreich war. Der folgende Bericht schildert die jetzige Lage des greisen Mannes.
Da eine Schwester Petains 99 Jahre gesund verbracht hat, glaubt ihr 95jähriger Bruder sich zu der Hoffnung berechtigt, das 100. Lebensjahr zu erreichen und somit wohl auch das eine oder andere Jährchen in Freiheit Diese vermißt er heute nicht mehr allzu bitter. Denn die Bedingungen seiner Gefangenschaft sind erleichtert worden; zum anderen läßt sein Gedächtnis so zu wünschen übrig, daß er sich bisweilen des Gefängnislebens nicht bewußt wird. Die Vergangenheit ist ihm nur mit den Erinnerungen an seine Kindheit und Schulzeit gegenwärtig. An Vichy scheint er sich nicht mehr entsinnen zu können. Wird er nach einem Minister aus dieser Zeit gefragt, antwortet er nicht selten: „Ich weiß nicht, wer er ist. Ich kann mich nicht erinnern. Nicht einmal die Persönlichkeit de Gaulles ist ihm „präsent“. Gelingt es aber, das Andenken an den ehemaligen Lieblingsschüler zu beschwören, äußert der Gefangene keinen Groll gegen ihn. Die Erinnerung an frühe Zeiten ist dagegen frisch; in ihr lebt „der Sieger von Verdun“. Verdun selbst hat er zu großen Teilen vergessen.
Petain schreibt keine Memoiren, nicht bloß, weil ihn dabei sein Gedächtnis im Stich lassen könnte, sondern aus dem Grundsatz heraus: „Memoiren werden geschrieben, um anzugreifen oder um sich zu verteidigen.“ Er hat große Summen, die ihm für seine Erinnerungen an- geboten worden waren, abgelehnt. Er zieht vor, seine Zeit mit dem Anschauen von Foto- Albums und illustrierten Büchern zu verbringen. Manchmal nur wird die Vergangenheit lebendig, wenn er laut Botschaften liest, die er ehedem an das französische Volk gerichtet hat: Seine Stimme nimmt dann ihre alte Kraft, ihre Intonation und ihr Pathos an. Ab und zu liest er einige Seiten aus einem Buch, zum Beispiel aus den Büchern Weygands.
Der Gefangene erfreut sich einer guten Gesundheit. Nur Schlaflosigkeit macht ihm zu schaffen. Sein Appetit ist normal. Er kann noch ohne Brille lesen. Wenn seine Frau zum Gehen des Rheuma wegen einen Stock benützen muß, kann es Vorkommen, daß er lacht und kleine Sprünge riskiert. Doch erst seit diesem Jahr ergeht es ihm leidlich. In den Kasematten des Fort d’Yeu sind ihm zwei Räume wohnlich eingerichtet worden; Frau Petain hat darin für Vorhänge und einige Geraniumstöcke gesorgt. Damit ist aus dem Gefängnis noch kein Palais geworden. Doch hat der Greis jetzt sein gutes französisches Bett, während er drei Jahre lang auf einem 75 Zentimeter breiten Lager schlafen mußte. Früher bekam er das Essen aus der Mannschaftsküche der Soldaten; heute kocht eine Krankenschwester für ihn. Im allgemeinen stehen ihm drei Schwestern zur Verfügung.
Für Spaziergänge dient ihm der Hof des Forts, das er nicht verlassen darf.
Morgens um 7 Uhr pflegt Petain aufzustehen. Bald darauf besucht ihn seine Frau, die ihm Obst, Konfitüren oder Blumen mitbringt und — Post. Täglich treffen bis zu 400 Briefe ein. die Absender aus aller Welt haben, und zahlreiche Geschenke. Einmal war einer der ausländischen Briefe adressiert: „An Frau Marschall Petain. Insel d’Yeu. Frankreich (Land der Undankbarkeit).“ Da Frau Petain f zum Gefängnis einen Weg von vier Kilometer zurücklegen muß und dies ihr offensichtlich beschwerlich war, haben Unbekannte ihr ein Auto geschenkt... Die Marschallin bewohnt in einem kleinen Hotel ein Zimmer mit zwei Fenstern. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts bekommt sie eine Pension: die Pension, die der Witwe eines höheren Offiziers zusteht, der kein Frontkommando gehabt hatte.. .A.D.
werden nicht umhinkönnen, bei der Ueberprü- fung ihrer eigenen Arbeitsweise auch diese Art der sozialen Arbeit, die in Deutschland noch keine Verbreitung gefunden hat, zu berücksichtigen und ihr einen geeigneten Platz im Lernstoff der Fachschulen und Universitäten einzuräumen.
Wertpapierrecht für die Praxis
Alfred H u e c k , Recht der Wertpapiere; Neue Rechtsbücher für das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Verlag für Rechtswissenschaft, vorm. Franz Vahlen GmbH. Berlin u. Frankfurt a. M., 124 S.
Dem verhältnismäßig ausführlich behandelten Wechselrecht folgen in Kürze Scheckrecht, kaufmännische Orderpapiere und die Schuldverschreibungen auf den Inhaber. Es werden in erster Linie die allgemeinen Grundsätze herausgearbeitet. Die Form ist knapp und klar und sehr verständlich. Der Verfasser kommt zu Ergebnissen, die mit der herrschenden Meinung übereinstimmen, das Bändchen wird deshalb nicht nur dem Studierenden, sondern auch dem juristischen Praktiker und dem Kaufmann von Nutzen sein.
Kulturalle Nachrichten
Eduard Munchs aquarellierte Lithographie „Tingeltangel“ mit einem Ausrufungspreis von 6000 DM ist unter den Angeboten der 10. Kunstauktion des Stuttgarter Kunstkabinetts am 29. November. Der Katalog umfaßt 500 Werke Aquarelle, Handzeichnungen, Graphik des 19. und 20. Jahrhunderts, von Barlach, Baumeister, Lovis Corinth, Corot, Daumier, Georges Cross, Klee, Kokoschka, Kubin, Marc, Paula Modersohn-Becker, Nolde, Picasso, Renoir, Rodin, Anders Zorn u. a.
Der Wilhelm-Raabe-Preis 1950 ist dem in der Schweiz lebenden Dichter Hermann Hesse verliehen worden. Der Betrag wurde von 1000 auf 3000 DM erhöht.
„Ich habe Adolf Hitler verbrann t“, heißt ein Buch von Erich Kempka, das jetzt im Kyrburg-Verlag, München, erschienen ist. Kempka war 13 Jahre lang ständiger Begleiter und Fahrer Adolf Hitlers.
Vom 11. 11. bis 8. 12. 1950 veranstaltet das Kunsthaus Fischinger, Stuttgart, Eßlinger Str. 20, eine Kollektivausstellung des Malers Werner Rohland.