6. Jahrgang
MITTWOCH, 25. OKTOBER 1950
\'umnieri66
noch kühn erschien, erscheint kurze Zeit danach schon als überholt. Gegenüber dieser zwangsläufigen Entwicklung, der das französische Parlament nicht nachkommen kann, zeigt sich die französische Volksmeinung um so aufgeschlossener.
Eine Rundfrage der von den breiten Massen gelesenen Zeitung „Paris-Presse“: „Was halten Sie von einer Wiederaufrüstung Deutschlands?“ brachte das erstaunliche Ergebnis. daß sich nur 23 Prozent der Leserbriefe gegen eine deutsche Wiederaufrüstung aussprachen, 55 Prozent um so energischer dafür eintraten und 22 Prozent Zustimmung und Bedenken gleichzeitig vortrugen. In den Briefen, die zumeist von Frontkämpfern und von Angehörigen der jüngeren Generation geschrieben wurden und die in so großer Zahl eingingen, daß das Blatt nur einen sehr geringen Bruchteil abdrucken konnte, kam aber immer wieder die Besorgnis zum Ausdruck, daß man warte, bis alles zu spät sei. ..Rüstet Deutschland mit Frankreich zusammen auf. Baut Europa, so lange es noch Zeit ist“, hieß es in diesen Briefen, welche die Meinung des französischen Volkes besser Wiedergaben als manche Rede im Parlament.
Dr. Lilje bedauert
Rücktritt Dr. Heinemanns sei falsch
HANNOVER. Landesbischof Dr. Hans Lilje erklärte am Montag, seiner persönlichen Ansicht nach sei der Rücktritt Dr. H eine m a n n s falsch gewesen. Obwohl er außerordentlichen Respekt vor der „beispielhaften ethischen Haltung“ Heinemanns habe, sei der Rücktritt ohne materiellen Nutzen.
Dr Lilje bedauerte, daß das Vorgehen Niemöllers in der Remilitarisierungsfrage in der Oeffentlichkeit den Anschein erwecken mußte, es handle sich um eine kirchenamtliche Aeußerung. Persönlich stimme er den Ansichten Niemöllers zur Remilitarisierung im Kern zu.
Die Synode der evangelischen Landeskirche von Westfalen beschloß am Montag, die Erklärungen des hessischen Kirchenpräsidenten über die Wiederbewaffnung Westdeutschlands in einem besonderen Ausschuß für eine Generaldebatte der Synode vorbereitend zu behandeln. Der Präses der evangelischen Landeskirche von Westfalen. W i 1 m, sagte, die Meinungen in dieser Frage würden sich auch innerhalb der evangelischen Christenheit schroff gegenüberstehen.
Bundesjustizminister Dr. Dehler warf Niemöller vor, er habe die Bundesregierung geächtet.
Jeder NS-Steuerzahler
US-Sicherheitsgesetz verschärft
NEW YORK. Mit der weiteren Unterbringung von 136 Passagieren des italienischen Ozeandampfers „Saturnia“ ist Ellis Island überfüllt. Die Lebensbedingungen auf der Einwandererinsel sind unerträglich geworden, da die Gefangenen sich wegen des Wetters nur in den Räumen aufhalten können, in denen nur die Hälfte der Zurückgehaltenen sitzen oder liegen kann. Nervenzusammenbrüche, Schimpfen und Fluchen der Eingepferchten haben eine sehr gespannte Atmosphäre geschaffen.
Durch die verschärfte Auslegung des amerikanischen Sicherheitsgesetzes werden neuerdings auch ehemalige freiwillige oder einge- zogene Angehörige der früheren deutschen Wehrmacht betroffen. Jeder, der jemals Steuern im nationalsozialistischen Deutschland gezahlt hat, wird als Unterstützer des nationalsozialistischen Systems angesehen und fällt unter das Gesetz.
BADEN-BADEN. Durch Anordnung des französischen Hohen Kommissars ist in Rastatt ein Obergericht als dritte Instanz in Restitutionsprozessen im französischen Besatzungsgebiet errichtet worden. Das Obergericht ist als Revisionsgericht zuständig für alle Restitutionsurteile sowohl der Oberlandesgerichte als auch der Gerichte zweiter Instanz wie der erstinstanzlichen Urteile der Restitutionskammer, die inzwischen rechtskräftig geworden sind.
Wo steckt Pontecorvo?
Der Atomforscher hatte kein finnisches Einreisevisum
HELSINKI. Die finnische Polizei bestätigte am Montag, daß der Atomwissenschaftler Professor Pontecorvo, über dessen Verschwinden bereits in der letzten Ausgabe berichtet wurde, mit seiner Familie am 2. September auf dem Flughafen von Helsinki eingetroffen sei. Pontecorvo sei jedoch nicht von finnischen Zollbehörden abgefertigt worden, und auch nicht an Bord der „Bellostrow“ gegangen. An diesem Tage sei auch kein Wagen der sowjetischen Gesandtschaft in den Hafen eingefahren. Wenn er Finnland unter Umgehung der üblichen Polizei- und Paßkontrollen wieder verlassen habe, so habe ihm vermutlich ein Wagen der Sowjetgesandtschaft zum sowjetischen Marinestützpunkt Porkala westlich von Helsinki gebracht.
Die finnische Regierung gab bekannt, Pontecorvo habe bei seinem Eintreffen auf dem Flugplatz von Helsinki kein finnisches Einreisevisum besessen. Daher sei sein Paß einbehalten und er aufgefordert worden, sich beim Paßbüro zu melden. Da er sich dort nicht eingefunden habe, hätten die finnischen
Behörden nach einiger Zeit Nachforschungen angestellt, die aber bisher erfolglos geblieben seien.
Nach Meldungen aus London erklärte der britische Beschaffungsminister Straus im Unterhaus, der für die britischen Atomanlagen in Harwell verantwortlich ist, Pontecorvo habe in den letzten Jahren nur begrenzt Zugang zu den geheimen Forschungsarbeiten gehabt. Im übrigen bezweifle er die Richtigkeit der Behauptungen, nach denen Pontecorvo ein „Busenfreund“ des wegen Atomspionage verurteilten Dr. Fuchs gewesen sein soll.
Der international bekannte Atomkernforscher Prof. O 1 i p h a n t sagte aus, Pontecorvo habe in Harwell als „einer der besten Köpfe“ gegolten. Die Rechtschaffenheit Pon- tecorvos sei von seinen Kollegen nie in Frage gestellt worden.
Der Stockholmer Korrespondent der italienischen Zeitung „II Tempo“ berichtete am Montag, Prof. Pontecorvo sei bereits am 5. September in Leningrad eingetrofien.
Molotow wieder in Moskau
Schuman für Beantwortung der Prager Erklärung
MOSKAU. Der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Molotow traf am Montagabend von Prag kommend, wo er als Hauptdelegierter der Sowjetunion an der Konferenz der Ostblockaußenminister teilgenommen hatte, wieder in Moskau ein.
Der Sowjetzonenaußenminister D e r t i n - g e r berichtete nach seiner Rückkehr nach Berlin auf einem Empfang beim Sowjetzonenstaatspräsidenten Pieck, die Prager Konferenz der Ostblockstaaten sei auf Initiative der Sowjetunion einberufen worden. Dertinger war am Sonntagabend zusammen mit dem Staatssekretär im ostzonalen Außenministerium, Ackermann, von Molotow empfangen worden.
Nach Meldungen aus Paris erklärte der französische Außenminister Schuman, nach seiner Ansicht dürfe die Prager Ostblockerklärung über Deutschland nicht unbeantwortet bleiben.
Haltung unverändert
Aeußerung Philipps wird berichtigt
LONDON. Das britische Außenministerium erklärte am Montag, daß Großbritannien weiterhin für eine Beteiligung der deutschen Bundesrepublik an der Verteidigung Westeuropas eintritt. Die „Bedingungen und Methoden“, unter denen eine deutsche Beteiligung möglich sei, würden zurzeit von den 12 Atlantikpaktstaaten überprüft.
Mit diesen Feststellungen soll eine Aeüße- rung des Generalsekretärs der britischen La- bour Partty, Morgan Philipps, richtiggestellt werden, der am Wochenende vor der Konferenz der europäischen Sozialisten (Co- misco) in Paris geäußert hatte, weder die britische Regierung noch die Labour Party seien sich über die Aufrüstung Deutschlands im klaren und eine Entscheidung'sei in dieser Frage noch nicht getroffen.
Das Unterhaus hat ohne Abstimmung die britische Regierung für ein weiteres Jahr ermächtigt, eine begrenzte Preiskontrolle auszuüben und die Rohstoffe zu verteilen.
NachrichteiTaus aller Welt
TÜBINGEN. Der aus 9 Vertretern der Regierungen von Württemberg-Baden, Südbaden und Württemberg-Hohenzollern bestehende Sachverständigenausschuß zur Vorbereitung der auf 7. November angesetzten nächsten Südweststaatkonferenz tritt morgen in Tübingen zu seiner ersten Sitzung zusammen.
STUTTGART. Der Vorsitzende des „Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) in Norddeutschland, Minister Waldemar Kraft, hat sich damit einverstanden erklärt, daß die „Deutsche Gemeinschaft“ in Württemberg-Baden ebenfalls die Bezeichnung BHE führt. Die Versuche, in Württemberg-Baden eine unabhängige BHE zu gründen, wurden aufgegeben.
STUTTGART. Der württemberg-badische Ministerrat hat in einem Schreiben bei der Bundesregierung gegen die „übermäßige Belegung“ des Landes mit heimatlosen Ausländern protestiert.
HEIDENHSIM. Im Rahmen einer Umbettungsaktion überführte ein italienisches Fahrzeug 36 in Italien gefallene deutsche Soldaten nach Deutschland.
HEIDELBERG. Der ehemalige Chemiker in den IG.-Farben, Walter Dürrfeld, der im IG.-Prozeß zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wurde am Sonntag wegen guter Führung vorzeitig aus dem Landsberger Gefängnis entlassen.
BACHARACH. Geschlossene Wandergruppen der FDJ dürfen künftig nicht mehr in Jugendherbergen aufgenommen werden, wie bei der Hauptversammlung des deutschen Jugendherbergswerkes beschlossen wurde. Die Altersgrenze für Einzelwanderer in Jugendherbergen wurde von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Bundespräsident Heuß hat sich bereit erklärt, die Schirmherrschaft über das deutsche Jugendherbergswerk zu übernehmen.
KASSEL. Interzonenreisende berichteten, Ende vergangener Woche seien plötzlich große Teile Thüringens zu „Grenzpunkten der Spionage“ erklärt worden und dürften von Reisenden aus dem Westen nicht mehr besucht werden.
HAMBURG. Eine junge Kommunistin wurde von einem britischen Gericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 100 DM verurteilt, weil sie einem Polizeibeamten während kommunistischer Zwischenfälle ein Büschel Haare ausgerissen hatte.
BERLIN. Durch die Unachtsamkeit eines Angestellten, der vergessen hatte, einen elektrischen Kochapparat auszuschalten, wurde am Samstag früh das Großfeuer im Femmeldezeug- amt Berlin verursacht, das einen Schaden von rund 1,5 Millionen DM zur Folge hatte.
GARMISCH-PARTENKIRCHEN. In der Nacht zum Dienstag beschlagnahmte die deutsche Zollgrenzpolizei an der deutsch - österreichischen Grenze bei Grießen 120 Ztr. Kaffee auf drei englischen Lastkraftwagen. Den vier in englische Uniformen gekleideten Fahrern gelang es zu flüchten.
ISTANBUL. 20 Millionen Türken hatten am Sonntag Hausarrest. Weder Bahn noch Omnibusses fuhren und die sonst von lautem Treiben erfüllten Straßen waren menschenleer. Grund: Die Türkei führte eine ihrer regelmäßig alle fünf Jahre veranstalteten Volkszählungen durch. Das türkische Gesetz sieht für alle Personen schwere Strafen vor, die an einem solchen Tag ihre Wohnungen verlassen.
RIO DE JANEIRO. Der Untergrundbahr.hof Ricardo Albuquerque wurde am Samstag von einer wütenden Menschenmenge zerstört und in Brand gesetzt. Ein Triebwagen war auf einen haltenden Zug aufgefahren, wobei vier Personen getötet und über 100 verletzt wurden.
Haben sich die Zeiten geändert!
Als ich nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft nach Hause kehrte , war einer meiner ersten Gänge zum Arbeitsamt. Das hatten sie schon im Kriegsgefangenenlager immer gesagt: Gleich zum Arbeitsamt! Mit denen muß man sich gut stellen (es war noch vor der Währungsreform). .
Ich wurde aufgeschrieben, ich nannte ein wenig beklommen meinen Beruf: frühefr (ich sagte gleich: früher) Offizier, Oberst i. G. Ja, sagte das Fräulein, sonst haben Sie nichts gelernt? Und sie sah mich mitleidsvoll an. Nein, stotterte ich, sonst gar nichts. Allerdings habe ich einmal die Versorgung eines ganzen Kriegsschauplatzes organisiert .. . Sonst nichts, murmelte das Fräulein noch einmal und ließ mich ohne Hoffnung gehen.
Ich ging und suchte und das Fräulein hatte so recht. „Der Betriebsrat würde es niemals dulden, daß wir Sie einstellen.“ „Was haben Sie gelernt? Wie alt sind Sie? Wir brauchen 25jährige Volkswirte mit jahrelanger praktischer Erfahrung, 22jährige Diplomkaufleute, die fließend vier Sprachen sprechen. Nein, was sollen wir mit Ihnen!“ ,,Unsere Behörde steht schon in dem schlechten Ruf, ein Sammelpunkt von Militaristen und solchen Leuten zu sein. Nein, nein, wir können Sie nicht gebrauchen.“
Und zwischen dem Anspruch auf Hilfe des Landes, dem ich einige 20 Jahre gedient hatte und mir stand das Kontrollratsgesetz Nr. 34 und vielleicht nicht nur dieses allein.
So gingen die Jahre ins Land und mit ihnen meine immer verzweifelnder werdenden Gesuche. Aber nun weiß ich, daß sich die Zeiten geändert haben! Auf eines meiner letzten Gesuche erhielt ich die Antwort:
„Wir bedauern sehr, aber unter den augenblicklichen Anzeichen einer nahe bevorstehenden Remilitarisierung möchten wir es nicht wagen, einen ehemaligen aktiven Offizier noch einzuarbeiten.“
Ja, diese Leute haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie hören das Gras wachsen. Nur: Niemand kam darauf, mich zu fragen, ob i c h „re- militarisiert" werden will. Und es gäbe'doch so anständige und achtbare Gründe, es nicht zu wollen. Finden Sie das zum Lachen? Eigentlich ist es doch ein wenig traurig, daß keiner daran denkt, ein früherer aktiver Offizier könnte Gründe haben, sehr anständige und achtbare Gründe, es nicht zu wollen. e. F.
Besatzungskosten
BONN. Die CSU-Gruppe der CDU/CSU- Fraktion hat die Bundesregierung um Auskunft über die Besatzungskosten ersucht. Sie fragt an, ob Pressemeldungen über Einzelangaben aus Abrechnungen des Jahres 1949 den Tatsachen entsprechen. Danach sollen ausgegeben worden sein: Für eine Sitzgarnitur (für Sessel und ein Sofa) 8880 DM, einen Einzelteppich 16 200 DM, 33 andere Teppiche 192 625 DM, eine Möbelgarnitur 64 000 DM, eine versilberte Besteckausstattung 15 123 DM, 2 Eßservices 2735 DM, ein Eßzimmer 12 884 DM, 6 silberne Zigarettenetuis 288 DM.
Die Bundesregierung wird außerdem gefragt, ob es zutrifft, „daß für unbekannte Zwecke in diesem Haushaltjahr Frankreich 162 Millionen DM, England 26 Millionen und die USA nichts erhalten haben“. Die Fraktion will ferner wissen, ob es stimme, "daß vom 1. Oktober 1949 bis 30. Jüni 1950 aus Besatzungskosten folgende Gegenstände gekauft worden sind: Für über 8 Millionen DM Teppiche und Gardinen, für etwa 8,5 Millionen DM Kühlschränke, für 31,5 Millionen DM Möbel, im amerikanischen Besatzungsgebiet für 53 000 DM und im britischen Besatzungsgebiet für 1,197 Mill. DM Frauenkleidung, für 4,2 Millionen DM Glühlampen und für 3,5 Millionen DM Holzverpackung.
Zuerst andere Finanzquellen
DÜSSELDORF. Der erste Vorsitzende des DGB, Dr. B ö c k 1 e r, äußerte zu der Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers Erhard, daß die Einkommenssteuern zur Finanzierung des westdeutschen Verteidigungsbeitrages erhöht werden müßten, die Bundesregierung solle zunächst andere Finanzquellen ausschöpfen. So z. B. die großen Geldreserven, die Industrie und Handel nach der Währungsreform gebildet haben.
De. jHaßÜM £et$te* Spiet
Roman «in« Dämoni von Norb.il Jacques
Copyright by Holtmann und Camps Vorlag, Hamburg
Oh, man kennt das. Jeder kennt es, der einmal da drinnen war. Das ist schlimmer als alles andere, schlimmer als Gefängnis. Von morgens bis abends wird man angespuckt... Natürlich in Ihren Akten nimmt sich das gut aus: soundso viele Stellen beschafft für Vorbestrafte ... aber was die durchmachen, was die leiden, das steht nicht mehr in Ihren Akten. Wohlfahrtsamt! Wohlfahrts ...“
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Helli ging hin, öffnete sie spaltbreit und nahm einen schmalen Brief, den die Hand der Wirtin hereinhielt. Sie brachte ihn zu Kent, der inzwischen vom Stuhl aufgestanden war. Erschrocken, mit zuckender Handbewegung, steckte er ihn in die äußere Rocktasche, sobald er nur einen Blick auf die Adresse geworfen hatte.
Helli beschloß, keine Notiz davon zu nehmen. Scheinbar ganz unbefangen, nahm sie das Gespräch wieder auf.
„Ich verstehe ja, Herr Kent“, begann sie, „daß Sie verbittert sind. Ich glaube Ihnen, daß Sie sehr schmerzliche Erfahrungen gemacht haben bei dem Versuch, wieder Fuß zu fassen im bürgerlichen Leben. Sie haben ganz recht: im Durchschnitt und in der Regel geht es meistens, auch mit unserer Hilfe, nicht gut. Aber Ausnahmen kommen vor, ich kenne welche... und darum meine ich, wir müßten es jedenfalls versuchen.“
„Sehr freundlich. Aber ich mag nicht mehr. Ich mag mich nicht bewerben ... mit Empfeh
lungsbriefen von einem Wohlfahrtsamt. Denn natürlich weiß ja Ihr Amt... und • wissen also auch Sie... mehr von mir als diese Unterschlagung vor vier Jahren und die Gefängnisstrafe. Die Polizei ist sehr tüchtig. Die hat Ihnen auch gesagt, daß ich bald wieder fällig bin. daß ich in Verbrecherkreisen verkehre... keine Angst, es stimmt! Ich bin einer. Ich...“
„Nein, Sie sind keiner!“ fiel ihm Helli ins Wort. „Aber ich möchte nicht... wir möchten nicht, daß Sie vielleicht einer werden, bloß weil Sie allein nicht den richtigen Weg finden.
Und ich will ganz offen zu Ihnen sein: Ja, die Polizei weiß allerlei Bedenkliches über Sie. Sie haben keine nachweisbaren Mittel und treiben einen zu großen Aufwand — wenigstens mit Ihrer Kleidung.“
„Stimmt“, sagte Kent trocken, „aber das hat seinen Grund “
„Sie sollen in einem eleganten Spielklub verkehren und vieleicht sogar zu den Unternehmern gehören ... denn Sie spielen selber nicht oder nur sehr selten und mit kleinen Einsätzen... Sie stehen auch in dem Verdacht. bei den Wahlattentaten mitgewirkt zu haben... und als Sie neulich in Plötzensee in Haft waren — im Polizeigewahrsam nennt man es wohl —, da sollen Sie oder Ihre „Hintermänner“ einen Wärter bestochen haben und mit seiner Hilfe ausgebrochen oder entflohen sein.“
Unwillkürlich mußte Kent lächeln. „Nicht nur mit seiner Hilfe, Fräulein Bom.“
„Ja, ich weiß, auch mit meiner. Aber das weiß die Polizei nicht, ich habe den Herren die Nummer nicht genannt, die Sie mich anzurufen baten.“
„Warum eigentlich nicht?“ fragte Kent kühl und sah Helli forschend iw die Augen.
Sie wurde auch gleich verlegen.
„Weil ich ... weil ich ... Ich hab’s eben nicht getan. Warum — das braucht Sie nicht zu kümmern.“
„Oh, verzeihen Sie, Fräulein Born.“
„Natürlich Ihretwegen“, erklärte Helli jetzt mit einer Art Trotz. „Aber immerhin wußte ich nicht, daß mein Anruf das Signal zu Ihrer Befreiung sein sollte.“
„Natürlich nicht. Und nun — ist das alles? Oder weiß das Wohlfahrtsamt... ich meine, die Polizei... noch was von mir?“
Helli kämpfte einen Augenblick mit sich, dann platzte sie heraus: „Sie stehen im Verdacht, mit den Banknotenfälschern in Verbindung zu stehen ...“
Das war unwahr In dem Auskunftsschreiben der Kriminalpolizei stand kein Wort von diesem Verdacht. Es war Hellis eigener Gedanke, in ihr aufgestiegen am Blumentag, als Kent ihr einen Hunderter hatte geben wollen und ihn im letzten Augenblick zurückgezogen hatte.
„Was die Polizei nicht alles weiß!“ sagte Kent nachdenklich. Ganz mechanisch zog er dabei den schmalen Brief aus der Rocktasche und steckte ihn hastig wieder hinein, als sei er aufs neue darüber erschrocken.
„Nein. Ich habe Sie belogen“, gestand Helli unvermittelt.
„Die Polizei hat diesen Verdacht nicht, er ist in der Auskunft überhaupt nicht erwähnt.“
„Wie günstig für mich, Fräulein Born. Dann ist es also Ihr eigener, Ihr persönlicher Verdacht?“
„Er war es wegen des Hundertmarkscheins, den Sie mir am Blumentag geben wollten... und dann doch nicht gaben.“
„Richtig ... Ich meine, ich erinnere mich sehr gut daran. Sie glauben also, daß ich mit den Banknotenfälschem ..“
„Damals glaubte ich das, aber nicht lange. Eigentlich war ich schon nach ein paar Minu
ten überzeugt, daß ich Ihnen unrecht getan hatte. Auch jetzt bin ich davon überzeugt.“
„Gewiß. Es hätte ja auch leicht sein können, daß ich falsches Geld mache... oder unter die Leute bringe. Und vielleicht haben Sie eine gute Meinung von mir. Vielleicht bin ich doch ein Falschmünzer ...“
„Oh, nein .. “
Es kam nicht ganz überzeugend heraus, obwohl Helli sich große Mühe gab, Kent zu zeigen, wie lachhaft sie den erwähnten Verdacht fand.
Sie hatte sich längst wieder gesetzt, aber Günther Kent stand noch immer am Tisch und machte seine bitteren Bemerkungen reglos und ein bißchen von oben herab. Jetzt ging er sogar zum Fenster, drehte seiner Besucherin den Rücken zu und blieb so stehen, stumm durch die Scheiben starrend.
Schließlich sagte er, ohne seine Haltung im geringsten zu verändern: „Das war ja sehr schön und liebenswürdig, daß Sie mir alles erzählten, was die Polizei gegen mich hat... aber warum eigentlich? Neu war es mir durchaus nicht.“
„Ich wollte“, entgegnete Helli schnell, „damit erreichen, daß Sie einsehen, dies muß aufhören. Das ist kein Leben für einen jungen Mann wie Sie, daß jeden Augenblick ein Kriminalbeamter kommen und Sie fragen kann, wovon Sie leben und was Sie im Spielklub tun, und ob Sie bei den Wahlattentaten dabei waren ... das ist eine unmögliche Situation für Sie, Herr Kent.“
Jetzt wandte der junge Mann sich wieder uml
„Halb so schlimm, Fräulein Bom. Man gewöhnt sich an alles.“
„Das glaube ich Ihnen nicht. Es muß widerlich und ärgerlich sein, gerade für Sie. Nein, Herr Kent, Sie müssen heraus aus diesem ganzen Milieu ,aus dieser zweifelhaften und verdächtigen Gesellschaft. Und Sie müssen sich von uns helfen lassen, wir haben schon oft,.
(Fortsetzung folgt)