Laute und Stimmen in der Tierwelt
Eine lorschungsstätie für Tierstimmenkunde ' Neue Wege der Schädlingsbekämpfung / Von Dr. A. habet
ln der letzten Ausgabe der Sonntags-Zeitung haben wir unsere Leser auf die Tatsache hingewiesen, daß Fische keineswegs, wie meistens angenommen wird, stumm und taub sind. Der nachstehende vom Leiter der Tübinger Arbeitsstelle für Tierstimmenforschung, einer Außenstelle des Staatl. Museums für Naturkunde in Stuttgart, geschriebene Beitrag befaßt sich vor allem mit den Stimmen der Heuschrecken. Das ist ein ganz kleiner Ausschnitt aus der in Tübingen betriebenen Erforschung der Stimmen im Gesamtgebiet der Tierwelt.
fer, Zikaden, Käfer und Fliegen dient nung aus einem ganz bestimmten
Wir Heutigen haben längst gelernt, daß eine wissenschaftliche Betrachtung der Natur nichts von der elementaren Kraft und dem Zauber zu nehmen braucht, mit. der sie auf uns wirkt. Aber zu der ungebrochenen Tiefe des Naturerlebnisses tritt nun die Kenntnis einer immer staunenswerteren formalen Mannigfaltigkeit von Erscheinungen, das Verständnis für die Funktionen, die diesen Erscheinungen als Gliedern biologischen Geschehens im ganzen und im einzelnen zukommen, und endlich der Ausblick auf die praktischen Anwendungen, die aus dieser Wissenschaft erwachsen-
Stimmen der Tiere Will man die Aufgabe richtig stellen. so umspannt dieses Forschungsgebiet die akustischen Erscheinungen im gesamten Bereich des Organischen überhaupt. Wir beschränken uns heute an dieser stelle auf das
schon das Trommeln des Spechtes, aber auch für die Insektenwelt konnten wir eine Reihe von Beispielen finden: das Auftrommeln rivalisierender Heuschrecken, das wir erst durch die neuesten Untersuchungen kennengelernt haben, und, um nur eine der mancherlei Merkwürdigkeiten herauszugreifen, das Gebaren eines kleinen Bockkäfers, der erst durch seine Laute für unser süddeutsches Gebiet entdeckt wurde; er bedient sich in höchst origineller Weise der blättrigen Kiefernborke als Musikinstrument.
Es würde zu weit führen, wenn
einmal zur Fühlungnahme der Arten untereinander. Es gibt eine Art von Mitteilungslauten, zur gegenseitigen Orientierung hervorgebracht, wenngleich sie unverkennbar schon ein wenig die Tönung von Rivalitätsäußerungen haben. Sehern manchem Beobachter sind im Herbst die abwechselnden Tonfolgen der überall in Mitteleuropa vorkommen-
„Zweck“ heraus verstanden werden soll, vor allem noch die sogenannten gewöhnlichen Gesänge zu hören, jene allem Anschein nach ohne spezielle Ausrichtung auf eine bestimmte Wirkung vorgebrachten Laute, die zunächst einmal nur ganz einfach zur Erscheinungsform des vitalen Daseins gehören.
Es sind zusammen über 400 genau
den Strauchschrecken aufgefallen, die spezifizierte Einzellaute allein bei sich ihr zri zri zurufen und beant- einer einzigen Ordnung der Insekten Worten. Die Rivalenlaute, meist kurz, _ allerdings der stimmbegabtesten -,
scharf und kampflustig, hört man 'stets da, wo mehrere Männchen beisammen sind; sei es, daß sie sich um ein Weibchen streiten, sei es, daß sie unter sich in Abwehrhaltung verfallen.
Weiterhin sind die Lautäußerungen in den Dienst der Erhaltung
nämlich bei unseren einheimischen Geradflüglern festzustellen; wir beschränken uns für diese Angabe bewußt auf die in Mitteleuropa vorkommenden Arten.
Vielstimmige Lautwelt Es ist gar nicht so schwierig, wie
der Art gestellt; die Werbungs- und es zunächst den Anschein haben Paarungslaute der Männchen locken mag, sich in diese reiche Welt einzu- nicht nur die Weibchen an, sie berei- leben. Wer es getan hat, braucht ten auch die Paarungsbereitschaft kaum mehr hinzusehen; schon an
vor,
sehr häufig durch besonders
wir in einem einzigen Aufsatz auf eindringliche, monotone, man möch- das gesamte Gebiet der Tierstim- te sagen hypnotisierend - einschlä- menforschung eingehen wollten. So fernde Lautfolgen. Und dann sind, greifen wir aus der großen Auswahl aller platten Erklärungssucht zum diesmal ein einziges Teilgebiet her- Trotz, daß jede biologische Erschei- aus: die Welt der Insekten. „Zikaden“, „Grillen“, „Heimchen am Herd“, das sind so im allgemeinen die Begriffe, die man von den Insektenlauten hat. Und doch ist hier eine unendliche Vielfalt vorhanden.
Klang der Sommerwiesen
Was in den heißen Monaten m ungezählten Scharen aus allen Wiesen seine Laute hören läßt, so daß es wie ein großes rauschendes Wogen und Schwirren über der Sommerlandschaft liegt, sind zum allergrößten Teil Heuschrecken. Ihr Singen erreicht in der Mittagssonne und an den sengendsten Sommertagen seinen Höhepunkt. Wenn ein Wolkenschatten über die Landschaft zieht, so breitet sich eine plötzliche, eindrucksvolle Stille aus, aus der nur noch einzelne Tiere zögernd ihre Laute hören lassen. Dies alles hat —
■vielleicht unbewußt — jeder Beobachtende in sich auf genommen; es gehört zum Bild des Sommers.
Das tausendfältige Singen dieser Insekten ist nur scheinbar ein undefinierbarer Chor. In Wirklichkeit hat
Diese Heuschrecke, die größte und fetteste Art, die bei uns vorkommt, trat in den Sommern 1947 und 1949 auf der Schwäbischen Alb und in der Baar als Massenschädling auf (Fettschrecke,
Polysarcus denticauda). Mit seinen kurzen Flügelstummeln erzeugt das Männchen einen lauten, schrillenden Lärm, der noch auf eine Entfernung von 25 jeder einzelne Laut, ja jedes einzelne
den Lauten ist eindeutig nicht nur jede einzelne Art, sondern auch jeder augenblickliche Zustand des zirpenden Insekts zu erkennen. Und so kristallisiert sich dem Zuhörer aus der unendlich vielstimmigen Sommerwie- ssn-Symphonie ganz klar eine Vielfalt von Lebensbildern und biologischen Abläufen heraus. Es ist aufschlußreich für das Wesen der Insektenstimmen, daß eine solch große g e n für die Auswertbarkeit bei der
Die Luftröhrenschlinge des Löffelreihers (nach Yarrell). Bei bestimmten Vogelarten (Schwänen und Kranichen) ist die vor dem unteren Kehlkopf liegende Luftröhre verlängert und in Schlingen aufgewunden, wodurch die Stimme besondere Klangfülle und eine besondersartige Klangfarbe erhält.
gen auf diesem Gebiet haben neue Ergebnisse über das Instinkt- und Affektleben der Tiere ermöglicht. Deshalb interessiert sich neuerdings auch die Wirtschaft stark dafür, seit sich gezeigt hat, daß die Erwartun-
Pifferenzierung der Laute, der lauterzeugenden Bewegungen und meist auch der Tnnapparate bei sonst oft sehr naher Verwandtschaft der Arten eingetreten ist.
Man hört übrigens auch, wie groß der Anteil der verschiedenen Insek-
Schädlingsbekämpfung zu so konkreten Erfolgen geführt haben, wie dies bei der Moskitobekämpfung in Amerika (Anlockung der Männchen durch auf Platten festgehaltene Lockrufe der Weibchen und Abtötung durch den elektrischen Strom)
tenarten am Gesamtkonzert ist und allgemeiner bekannt geworden ist.
man kann daraus vieles über die Verbreitung und die Verbreitungsdichte entnehmen. Da nun sehr viele dieser Insektenarten streng an bestimmte Landschaften gebunden sind, gehört zu einer Landschaft auch ein eigener Klangcharakter im kleinen; dort drüben, wo die schnalzenden Laute des großen Weidespringhahns — wie ihn die Holländer nennen — zu hören sind, liegt ein kleiner Sumpf; an jenem Abhang liegt eine trockene Wiese, der die gewöhnlichen Pflanzen unserer Fettwiesen schon weitgehend fehlen: dort fallen uns schon aus
Derartige Versuche waren auch bei uns im Gang, konnten aber durch Kriegs- und Nachkriegsschwierigkeiten nicht zu Ende geführt werden, so daß uns nun die Amerikaner mit ihren ungleich viel besseren Hilfsmitteln auf diesem Gebiet voraus sind. Es ist bei uns zurzeit noch nicht möglich, erfolgreich weiterzukommen, da die finanziellen Hilfsmittel fehlen. Die Methoden, m denen zurzeit gearbeitet wird, werden auf dem Gebiet der akustischen Beeinflussung und Instinktablenkung der Tiere weiterführen. Die
Meter zu hören ist. Der Schall wird durch den als Schalltrichter ausgebildeten Halsschild rückwärts geworfen. Auf diese Weise werden die Weibchen der Umgebung angelockt.
Gebiet der Tierstimmenforschung. Dazu gehört alles, was in der Tierwelt von ihren niedersten bis zu ihren höchsten Formen mit der Erzeugung von Klängen. Lauten, Stimmäußerungen und deren Aufnahme zusammenhängt- Lauterzeugung und Hörvorgänge, Tonap rate und Gehörorgane. Dabei sind uns auch die entwicklungsgeschichtlichen Parallelen wichtig, die beim Menschen vor allem zu den Gebie-
Kratz- oder Schabgeräusch seinen ganz bestimmten Platz in der großen Ordnung. Da gibt es in unserer nächsten Nähe auf einer Wiese vielleicht ein Dutzend verschiedener Heuschreckenarten auf kleinstem Raum beieinander, und jede dieser Arten hat ihre ganz spezifischen Laute, alle leicht voneinander und von denen der anderen Tierarten zu unterscheiden. Doch nicht genug damit. Jede einzelne Art hat ganz verschiedene Lautäußerungen, die streng den biologischen Zuständen zugeordnet sind: jede Einzelart hat ihren Alleingesang. ihre Rivalenlaute, ihre Werbe- und Paarungslaute, die oft ten der Sprache und des musikali- noch in § anz verschieden® Formen
Die Reihe dieser Zähnchen, die sich an der Innenseite der Hinter Schenkel befinden, wird gegen eine scharfe vorspringende Ader der Flügel angerie- einiger Entfernung die schnarrenden Voraussage, daß diese Methoden ein- ben; dadurch entsteht der Gesang. Laute des weichflügeligen Grashüp- mal eine Zukunft haben, wird ebenso
fers (Stauroderus mollis) auf, der in i n Erfüllung gehen wie die schon manchen Gegenden die sogenannten* früher ganz allgemein ausgespro- Steppenheidestellen bewohnt. Sover- chene, daß das Gebiet der Tierstimmittelt uns schon der Gehörsein druck eine ganze Welt im. Kleinen.
Durch verschiedenen Rhythmus der Bewegung und verschiedene Klangfarbe kommt eine große Vielzahl von gut unterschiedenen Stimmen zustande, an denen sich die verschiedenen Arten erkennen. — Der Pfeil an der unteren Zeichnung gibt die Lage der Zähnchen an der Innenseite des Heuschreckenschenkels an.
Für die Praxis Die experimentellen Beobachtun
menforschung eines Tages für die Praxis der Schädlingsbekämpfung überhaupt Dienste leisten wird, was durch die Moskito-Bekämpfung nun schon erwiesen ist.
Die Forschungsarbeit zweier Jahrzehnte
sehen Ausdrucks führen, obwohl beides dem Wesen nach etwas anderes ist als einfach eine Höherentwicklung von Vorformen (jer Tierwelt. Uebrigens ist es nicht erst der Mensch, der außerhalb des Körpers liegende Instrumente zur Tonerzeugung geschaffen hat. Zu den mancherlei Vorformen der Natur gehört
auf geteilt sind je nach dem Grad der Leidenschaftlichkeit und nach der Phase des dramatischen Geschehens. Dazu kommen noch einige weitere Aeußerungen bei bestimmten Anlässen.
Früher glaubte man, daß außer in seltensten Ausnahmen nur die Männchen Laute hervorbrächten. „Glücklich sind die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber“, schreibt schon der griechische Dichter Xenarchos. Bei unseren Untersuchungen fanden wir dann allerdings, daß auch die Weibchen vieler Arten einen Gesang haben, wenn er auch ungleich viel weniger differenziert ist als der der Männchen und seltener geäußert wird.
Wir hatten Gelegenheit, die Arbeitsräume in der in Tübingen eingerichteten Forschungsstätte kennen zu lernen. Dr. F a b e r hat diese Untersuchungen seiner botanischen Berufsarbeit hinzugefügt und gehört zu den auch im Ausland bekannt gewordenen Experten der Tierstimmen-
Wir bekamen Einblick in die Untersuchungsmethoden für diese Laute, die zum großen Teil erst von Dr. Faber entwickelt wurden. Besonders interessant war der Bericht darüber, wie im vergangenen Jahr der Nachweis einer noch völlig unbekannten Lauterzeugungsweise gelungen ist:
forschung. Nun liegt eine stattliche An den heißesten Stellen des Spitz
Vierzehn verschiedene Lieder und Lautäußerungen besitzen die Männchen u’td Weibchen dieser rauchbraunen Grasschrecke' (Stauroderus morio). Ihre Lautäußerungen klingen überall gleich, ob sie in den Alpen, auf der Schwäbischen Alb oder in der norddeutschen Tiefebene beobachtet werden. Zeichnungen: Seilacher
Die Bedeutung der In sektenl^ute
Dieses Zirpen, Kratzen, Schaben und Singen der kleinen Grashüp-
Menge an Beobachtungsmaterial vor, das in mustergültiger Ordnung aufbewahrt, zur Veröffentlichung bereit liegt. Eine Reihe von Arbeiten wurde bereits veröffentlicht, viele warten nc-h auf die Herausgabe Schrifttumskarteien unterrichten über den Stand der Tierstimmenforschung. Zeichnungen und Photographien be- r chten über die Vorgänge bei lautäußernden Insekten. Seit neuestem können die Laute der beobachteten Tiere auf Magnetophonband bzw. auf Astromag-Platten fC-tge- halten und zu Demonstrationszwek- ken wiedergegeben werden. Wir hörten die in den letzten Jahren als Schädling von der Alb in weiteren Kreisen bekannt gewordene dicke Fettschrecke (Polysarcus denticauda) ebenso deutlich wie Proben von Tierlauten aus dem Hochgebirge.
Dr. Faber ist auf dieses Arbeitsgebiet gestoßen, als er zur Unterstützung pflanzenökologischer Untersuchungen sein Augenmerk auch auf die Orthopteren (Geradflügler) richtete. Vor ihm haben verschiedene Forscher, u. a. Karny, La Baume, Zacher und Ramme betont, wie aufschlußreich gerade die Insekten bei pflanzen- und tiergeographischen Forschungen seien.
berges bei Tübingen kommt die italienische Wanderschrecke (Callipta-
mam
Wie wird der Laut erzeug't? Obwohl das Mikroskop die Bewegungen des Tieres erkennen läßt, ist das Ohr zu weit entfernt, um gleichzeitig die feinsten Lautäußerungen noch hören zu können. Wie beim. Arzt muß das Schlauchhörrohr die sehr feinen Geräusche zum Ohr tragen ,
mus italicus) vor, deren Larven in Italien, zu großen Scharen gesellt, zerstörende Wanderungen ausführen. Von ihr war bisher angenommen worden, daß sie ihre Laute — wie alle Feldheuschrecken — durch Anreiben der Hinterbeine gegen die Flügeldecken hervorbringe. Dr. Faber mißtraute dieser allgemeinen Annahme, denn der Laut war auch zu hörtn. wenn die Hinterschenkel bei ihrer Bewegung nicht fest auf den Flügeldecken auflagen.
Nach langwierigen Versuchen, mit Mikroskop und Schlauchstethoskop gelang endlich der Nachweis, daß das Tier seine Laute mit den Mund- w erkzeugen hervorbringt, dabei allerdings mit den Beinen dieselben Bewegungen macht wie alle anderen Feldheuschrecken auch. Diese Tatsache ist vor' allem entwicklungsgeschichtlich sehr interessant: ist die Bewegung mit den Beinen ein Veber- bieibsel oder umgekehrt die Andeutung eines Entwicklungsweges, det eben bei dieser Art und ihren Verwandten nicht weiter verfolgt wurde’ c ‘ Auch solchen Fragen muß ein Forscher seine Zeit widmen, denn von derartigen unscheinbaren Dingen aus gelingen manchmal überraschende Einblicke in große Entwicklungszusammenhänge, und von solchen dem .Laien gleichgültig und kleinlich erscheinenden Entdeckungen über die Lebensweise und die biologischen Verhältnisse aus werden die Melho- dei entwickelt, die zum praktischen Eingreifen in Fragen der Züchtung und der Schädlingsbekämpfung führen.