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S 22 2#. n. Trin.

M 23 Severinus D 24 Raphael,Sal. M 25 Crispin D 26 Amandus F 27 Sabina, Adel. S 28 Simon u. lud.

ILLUSTRIERTES WOCHENBLATT

Nr. 43/2. JAHR/22. OKTOBER 1950

NEBELTAG

Erinnrung kränzt den Sommerweg milchweiß erglänzt das Licht und legt die Schatten unterm Steg ins herbstliche Gesicht.

Die Stunde trägt das Zwittermal vom Leben nah am Tod, die Buchen überm Neckartal sind gelb und grün und rot.

Ein Bussard kreist fast ungesehn, am Fluß stehn Nebel ein und ein paar ranke Halme wehn dürr um den Feldmarkstein.

Wie gut, daß meine müde Hand nun in der deinen ruht, als nähmest du das ganze Land und mich in deine Hut.

Artur Georg Richter

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Abschiedslied

Von Josef Schmieden

In den Morgenstunden, wenn ein frischer Wind die über dem Boden liegenden Nebel zerreißt und der Sonne das herbstbraune Land auf­schließt, fällt der Blätterregen der sterbenden Bäume dichter. Aber nur kurze Zeit! Schon gegen Mittag beherrscht die Sonne das weite Land. Die reifenden Früchte in' den Bäumen glänzen und drehen sich stolz nach der Sonne. Das letzte Grün der Wiesen ist satt und gibt gute Weide. Der Wald rauscht sein Ab­schiedslied. Er allein trauert!

Sonst ist der Herbst bunt, und das Lied, das er durch Tage und Wo­chen hindurch singt, ist laut und fröhlich und steht nicht hinter dem munteren Gesang der Winzerinnen in den Weinbergen. Auf den Feldern sind die Rauchfahnen der Kartoffel­feuer, die lustige Buben auf den Feldern anzünden, weithin sichtbar.

Obst liegt in den Straßengräben, verfault und durchsetzt die Luft mit einem gärenden Geruch. Das ist das Ozon des Herbstes! Lustig spielt der Wind mit dürrem Laub und treibt in wirbelnden Kreisen in die Luft. Dann verfängt er sich in der Farben­pracht des Waldes, der stumm und trauernd an den Hängen steht. Nun beginnt der Wald zu leben und in allen Schattierungen zu leuchten. Jeder Farbton wird lebendig und rteht in wundervoller Harmonie zum blauen Himmel, zur braunen Erde und dem Licht der Sonne. Noch ein­mal zeigt er seine ganze Pracht. Nichts auf dieser Erde hat ein so buntes Sterbekleid, wie der Wald und

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Für neue Saat wird die Erde vorbereitet

Aufnahme; Simma

AN DIE HERBSTSONNE

Hinter Nebel, grau und trübe, birgst du still dein Angesicht, und die ewig junge Liebe in dir sieht die Erde nicht:

Wie da welken Busch und Bäume und wie letzte Rosen gehn, und wie bald, als dunkle Träume, Wald und Au entblättert stehn,., l

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Gib mir, Sonne, von der Liebe in dir einen Schimmer nur; gib, daß alles Traurig-Trübe sonnig scheint in Herz und Flur:

So erfüllt sich mir in Milde, was das Leid erfüllen kann; liebevoll im Herbstgefilde find ich meinen Frühling dann!

OTTO LAUTENSCHLAGER

nichts weiß so groß und erhaben ins Grab zu sinken, wie eben der Herbst. Die Erde gebiert tausendfach in die­ser fruchtbaren Stunde, zu der der Schöpfer ihr Riesenkräfte gibt. Dann eines Tages wird es still auf den Feldern und im Wald. Die Vögel ha­ben ihre sangesfreudigen Kehlen wärmeren Gebieten zugetragen. Nur die Krähen tummeln sich auf den Stoppelfeldern und necken das wei­dende Vieh.

Die Sterbestunde der Natur mahnt

immer eindringlicher und der Freu­dentaumel des Herbstes weicht einem melancholischen Sang. Kalte Nebel legen sich auf das Land, naß hängt das spärliche Laub an den Zweigen und klebt auf den Straßen fest. Die füllige Reife hat sich erschöpft. Der Herbst hat seine Lustigkeit verlo­ren und ist zum ernsten Künstler geworden. Er weiß, daß seine Pracht bald vergangen ist, und daß er ver­gessen sein wird, sobald der Winter seinen Einzug hält.

Herbstwind kennt keine Scheu / Von Karl Bahnmüller

An einem naßkalten Tag ging der Herbst um, und wie war er doch anders als sein schmeichelnder Bru­der aus heißen Tagen. Dieser hatte sich immer hinter den Hecken ver­säumt, wo er sich auszuschlafen pflegte. Er zögerte näherzukommen, als fürchte er sich. Der Herbstwind kennt keine Scheu.

' Zuerst hörte ich ihn nur. Ich lag im Dunkeln, als er auf einmal an meinem Fenster rüttelte. Sein rück­sichtsloses Gehaben riß mich aus dem Schlaf, und als ich bei mir sel­ber war, . erreichte mich auch das Sausen, dieses Arbeiten der Luft, der es an Raum fehlte. Ich hörte, wie sie sich von Mauer zu Mauer warf, wie sie fauchend und rauschend aus der Enge entwich. Zu alledem kamen die Stimmen der Dinge: es schnarrten die R 'genrinnen, es klapperten die Läden, es ächzten die Bäume. Und immer der eine Grundton, ein an- und abschwellendes Seufzen, eine fortgesetzte Klage. So weinte wohl ein Wesen, das nicht finden konnte, was es suchte.

Als es dann ein wenig heller ge­worden war. stand ich auf und sah zum Fenster hinaus. Draußen in der Oede herrschte der Herbstwind un­eingeschränkt. Er jagte die blau­

schwarzen Wolken, das zottige Ge­tier des Himmels, vor sich her, er fiel die Erde an. Wütend berannte er alles Feste, den Stein sogar, als be­gehre er Einlaß. Es wankte, es schwankte so vieles, die Drähte von Haus zu Haus gespannt, der Blitz­ableiter auf der Dachspitze, am mei­sten aber die Silberpappel. Jetzt war sie nur noch kahles Gerüst, und wil­lig gab sie her, was ihr noch ver­blieben war, eine Handvoll Blätter, die letzten derer, die sich sommers zu einer ewig sich regenden Wand gefügt hatten. Nicht sie allein, alles Lose wurde mitgeschleift von diesem Wind, der aus den Rissen des Him­mels hervorzustoßen schien. Er nahm den Regentropfen von der Mauer­kante und verschmähte nicht die kleinen, schwarzen Zweige, vom Ast gebrochen und bald zertreten unter einem Schuh. Wohin aber mit allem, mit dem geflügelten Samen des Ahorns, mit der weißen Beere vom Heckenstrauch, mit braunem Laub und gelbem Halm? Zur Höhe hinauf, zum Dach, das ihm als Sprungbrett diente, in die feuchte Tiefe hinab und zu einem Wirbeltanz auf der Straßenkreuzung. Und immer aufs neue mit dem Kopf gegen die Wand, hinein in das, was fest war.

Ich stand am Fenster und dachte

dem Herbstwind nach. Er war ein Wesen ohne Körper, ein Etwas, dem das Umfangende fehlte, das Ge­häuse, in dem es still ruhte und ge­borgen war. Seufzend ging es um und

verlangte, daß es eingelassen werde in die Dinge.

Kleine Buchstaben

Jakob Grimm führte ein neues Sy­stem der Rechtschreibung ein, deren auffallendstes Kennzeichen in der Beseitigung der großen Buchstaben außer für Eigennamen und Satzan­fänge bestand. Durch nichts konnte man sich bei ihm mehr einschmei­cheln, als durch die Verbannung der großen Buchstaben. Aus der Landes­bibliothek in Kassel, an der die Brü­der Grimm angestellt waren, entlieh einmal ein junger Mann ein Buch. Kaum katte er den Raum verlassen, sagte Jakob begeistert zu seinem Bruder:Das ist ja ein recht ordent­licher und verständiger Mensch! Er hat da den Empfangsschein mit klei­nen Buchstaben geschrieben.

Qanz dahinter steht der Frühling

Der Herbst ist nicht halb der me­lancholische Geselle, den sie aus ihm machen. Natürlich hat er nichtRo­sen angezündet an Leuchtern von Smaragd im Dom, aber dafür hat er andere Verdienste. Dafür trägt er in Gelb und Gold, Braun und Rot und mit den Kringeln seiner vielfarbigen Blumen das bunteste Gewand des Jahres. Und bunt, erinnern wir uns recht, war von jeher die Leibfarbe der lustigen Schalksnarren der Himmel möge sie segnen.

Als ein guter gebefreudiger Herr kommt der Herbst. Er hat jedem et­was mitgebracht, den Großen und den Kleinen. ^Kartoffeln und Reben, Kastanien, wundervolle Gegenstände von herrlichem Mahagonibraun, gut um gegen Rheumatismus in der Tar- sche getragen zu werden. Papierene Drachen, um den arg verleumdeten Grauhimmel bunt zu betupfen. Ueber- haupt Drachen bauen, Drachen steigen lassen, ist eine wunderbare

Sache, um deretwillen allein es sich lohnt, kurze Hosen zu tragen. Dich­ter haben davon gesungen. Es nützt dem guten Herbst nichts. Einer hats gesagt, und alle stoßen sie in das­selbe Horn.

Ja, aber hinter dem Herbst wartet der Winter? Oh, was das betrifft, 90 wartet hinter dem Winter der Früh­ling. Und wenn wir dem mit vielen Versen und in zierlicher Prosa rüh­mend nachsagen, er sei eine gute Zeit zur Fröhlichkeit und Verliebtheit und zum Tandaradei, so sollten wir billigerweise daran denken, daß es sich unter Pflaumen und Birnen so gut verliebt und fröhlich sein läßt wie unter Knospen und Blüten.

Aber wir der Herbst legt uns kolossale Kürbisse und rotbackige Aepfel auf den Tisch, und wir wer­den melancholisch. Und wenn Ihr sonst die Fröhlichkeit Hes Herbstes nicht gelten lassen wollt, gebt zu: das zumindest ist zum Lachen.

Das Windspiel

Von Fred. Andreae

Zuerst, als die Wolke nach Osten segelte, sah sie im Scheine der Abendsonne einem brennenden Blatte gleich, das im herbstlichen Winde einer verblühten Rose entflogen war. Sie schwamm auf dem dunkelblauen See des Himmels ganz einsam und allein dahin. Trotz ihrem Verloren­sein wirkte sie aber stark und kör­perhaft.

' Doch je weiter sie nach Osten, in. den Arm der Nacht trieb, desto leich­ter schien sie zu werden. Es war, als habe der Wind sein besonderes Spiel mit ihr, als necke er sie, daß sie sich um sich selber drehte. Aber es blieb nicht bei diesem heiteren Tun. Von allen Seiten blies der ungestüm wer­dende Tanzpartner der Rosenwolke ins Gesicht.

Als sie schon über den östlichen Bergen stand, hoch über dem Rande des Horizontes, sah sie nur noch aus wie sichtbar gewordener Duft, der königlichen Blüte. Hauchdünn, ein zarter Schleierfetzen, schwebte sie ersterbend in der Luft.

So kam es, daß die Wolke sich unter dem heftigen Werben des Lieb­habers immer schneller in sich selbst auflöste. Und zuletzt war von ihr keine Spur mehr zu entdecken. Gleich einem Traum war sie in der abgründigen Tiefe der Nacht ver­sunken, wie alles Schöne und Reine den Augen 'und Händen verloren geht, wenn es dem Wind des Zufalls überlassen und nicht im Innersten geschützt und bewahrt bleibt.

Aelter werden ...

Ach ja man wird allmählich äl­ter (ich sage nichtalt, denn das wäre ja nach der merkwürdigen Lo­gik der Sprache eine Steigerung von älter!). Gestern stockte plöthich mein Federhalter: ich wußte einfach nicht mehr, wie man .interv^w schreibt! Und heute stand eine ent­zückende junge Dame in der S'ra- ßenbahn auf und bot mir ihren Platz ah!

Mit Anstand zu altern, gehört zur Hohen Schule der Lebenskunst. Das sagt sich so leicht hin solange man noch jung oder wenigstens jünger ist. Doch wird man erst mal von der Snruchkammer der Zeh in die Kategorie derBetroffenen ein­gereiht, so wird die Sache schwieri­ger. Die Urteile dieses Gerichts­hofes haben es ja leider an sich, im Fluß der Jahre sich eo ipso zu ver­schärfen;

Das Sprichwort, ein freilich recht anfechtbarer Zeuge, hat sich von je­her gerne mit Altern und Alter be­schäftigt. Die geläufigste Redensart ist, die, daß Alter nicht vor Torheit schütze. (Alt wird man wohl, wer aber klug? heißt es etwas höflicher bei Goethe.) Nun, wenn das stimmt (und ausnahmsweise scheint mir ein Sprichwort einmal recht zu haben), so ist damit, in aller Bescheidenheit sei es gesagt, bei näherem Zusehen eigentlich etwas höchst Tröst­liches ausgesprochen: daß eben auch das Alter noch die Kraft habe, Dummheiten zu begehen! Der Volksmund, des Sprichworts Zwil­lingsbruder. spricht in diesem Zu­sammenhang wohl auch von der zweiten Jugend und meint da­mit meist Begegnungen .älterer" Herrschaften! Schön, lieber Volks­mund: du hast ganz recht! Alter hat, dank einer Gnade der Natur, die Kraft zur Regeneration, und das ist etwas Großes! Liebe im Lebensherbst ist besonders schön, weil die Leiden­schaft mit einem gewichtigen Gran Bewußtheit durchsetzt schon von einer milden Resignation überglänzt ist! Ich habe immer gefunden, daß der in den Abend übergehende Soät- nachmittag der freundlichste Toi! des Tages ist: bereits ein bißchen kühl und sternennah ...

Im übrigen kann man sich, wie im­mer, auf Goethe berufen: ..Eben wenn man alt ist. muß man zeigen, daß man noch Lust zu leben hat!

Wendelin Ueberzwerch