(23. Fortsetzung)

(Nachdruck verboten)

Großartig! Das liegt genau am Rande mei­nes Interessengebietes, sagt er erfreut

Ich befürchte nur, es wird Sie nicht ganz ausfüllen.

Oh, ich hoffe doch. Und wann könnte ich beginnen?

Von mir aus Montag!

Olcey!

Bisher klappte alles reibungslos. Zwar mangelte es nicht an peinlichen Schrecksekun­den und Ueberraschungen. doch Andre hat seine Rolle glänzend gespielt. Wenn er nun aber glaubt, alle Klippen umschifft zu haben, sieht er sich nochmals enttäuscht. Denn jetzt verwickelt der Professor ihn in ein gediegenes Fachgespräch. Fragen, Zahlenangaben, Ver­gleiche und Aussichten prasseln ihm pausen­los entgegen, und es kostet ihn größte Ener­gie, dieser Geistesattacke standzuhalten und sich nicht zu verraten oder in die Enge trei­ben zu lassen. Als der Professor sich nach einer weiteren Stunde endlich verabschiedet, fühlt Andre sich wie gefoltert und kalter Schweiß bricht nachträglich aus seinen Poren. *

Vornübergebeugt, in nachdenklicher Haltung sitzt Tom Brandley vor den Apparaten des Kontrollraumes von Y 99. Schwer ruht sein breiter Schädel mit den etwas abstehenden Ohren auf dem Ballen der aufgestützten Rech­ten. In unablässigem Spiel strapazieren seine Finger das dunkel gescheitelte, allzeit etwas fettige Haar.

Für ihn brachten die letzten vierzehn Tage eine Ueberraschung nach der anderen, und er hat eigentlich allen Grund, mit der Entwick­lung der Dinge zufrieden zu sein. Die Ereig­nisse überstürzten sieh förmlich, und wenn auch die Auseinandersetzung mit dem alten ..halsstarrigen Querkopf, wie Tom Brandley den Professor im stillen zu nennen pflegt, den Reigen recht unangenehm eröffnete, so haben die folgenden Dinge den Schaden doch längst wieder wettgemacht.

Ja. es scheint eigentlich, als sei alles von einer höchsten Instanz so eingerichtet, daß Doktor Brandley seinem Ziele Schritt für Schritt näher kommt. Er braucht, selbst gar nichts dazu zu tun. und dieses sein Ziel heißt nach wie vorLissy Oienhigh.

Immer wieder kreisen seine Gedanken um das Mädchen. Er kennt sich selbst nicht mehr. In ruhigen Stunden, sei es unterwegs im Wa­gen oder in der Maschine, sei es am Prüf­stand des Zyklotrons oder des Nachts, taucht ihre verlockende Gestalt vor seinem inneren Auge auf. Widerstandslos, gar zu willig läßt sie es dann geschehen, daß seine bebende Wunschtraumphantasie sie genießerisch und pikant ihrer ohnehin schon aufreizend leich­ten Hüllen entledigt Wie verdurstend trin­ken ln solchen Momenten die krampfhaft starren Augen des Hemmungslosen das ver­lockende Bild ihrer willig gebotenen Reize.

Aus ihrem unverdorbenen Mädchengesicht glaubt er dann in wildem» sprunghaftem Wech­sel alle Seligkeit, alle Milde und Leidenschaft der Welt herauslesen zu können. Einmal blik- ken ihre glänzend blauen Augen in bezau­bernder Innigkeit fast anschmiegsam und ein wenig hilfesuchend zu ihm herab, und im nächsten Augenblick läßt der Orkan aller In Ihr tobenden leidenschaftlichen Gefühle wilde, verlangende Blitze unter der feingeschwunge­nen Linie der schmalen dunklen Brauen her­vorzucken und ihre halbgeöffneten feucht- glänzenden Lippen nähern sich in erwar­tungsvoller Entspannung seinem Gesicht.

Dann erschüttern krampfhafte Schauer sei­nen Körper und wildverlangende, ungezügelte Triebe beben nach Erfüllung.

Die folgenden Minuten erschöpfter Ernüch­terung verbringt er dann in hoffnungslos dumpfer Niedergeschlagenheit und seine Ge­danken wandern zurück. Seit zwanzig Jahren gab es in den Staaten keine Frau, die dem je nach Bedarf galanten, koketten oder hart­näckigen Werben Tom Brandleys auf die Dauer widerstand. Und es waren wahrhaftig nicht wenige, an denen er im Laufe der Zeit Ge­fallen fand. Immer wieder berauschte er sich nach dem Siege an dem schönen Gefühl der Ueberlegenheit. Die Freude am Spiel mit den eigenen und den Gefühlen anderer, die Sucht, sich im Glanze billiger Siege zu sonnen, heben sein Selbstbewußtsein. Das ist es, was ihn immer wieder in neue Abenteuer stürzte.

lieh, wer sollte außer ihm noch Einfluß auf das Mädchen haben?

Andrä...?

Lächerlich, Rußland ist weit, und da drü­ben wird man sich hüten, den Ueberläufer jemals lebendig wieder herzugeben. Und wenn seine Doppelrolle einmal herauskommen sollte, dann wird man ihn sich sowieso ein wenig näher besehen. Klarer Fall. Die Rechnung geht auf.

Dann die Versetzung nach Los Alamos! Da hat der alte Teufel sich mächtig geirrt! Er glaubt vielleicht der Hassende kann ein rauhes, widerliches-Lachen nicht unterdrücken er glaubt vielleicht, daß die vierzehnhun­dert Kilometer Luftlinie den Willen eines Tom Brandley lähmen könnten!

Dieser Idiot! Wenn er nur ahnte, was für Möglichkeiten sich dem neuen Chef hier er­öffnen! Sicher, das Mädel wird in Chikago

Tom Brandley aber geht an die Arbeit. Ah erstes legt er den großen Hauptschalter. ..

Zeichnung: Springer

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Gebrochene Frauenherzen sind für ihn senti­mentale Kuriositäten. In beschwörenden Wor­ten, in heißen Tränen sieht er nichts als ei­nen geschickten Schachzug der Gegenseite, und diese Auffassung deckt sich zum großen Teil mit seiner bisherigen Erfahrung.

Denn seit zwanzig Jahren und das kommt Tom Brandley nicht zum Bewußtsein wa­ren es immer Frauen, deren mondäne, im Verhüllen entblößende Erotik sie an sich schon zu geeigneten Objekten seiner Liebes- manöver machte. Daß Lissy Oienhigh hier einen ganz anderen Typus vertritt, kann er auch bei gründlichstem Durchdenken seiner bisherigen Erlebnisse nicht ahnen. Er müßte es fühlen, doch wahrer Gefühle, und das Ist sein Kainsmal, ist er nicht mehr fähig.

Für ihn ist die Wurz.el allen Uebels und aller Gleichgültigkeit, mit der das Mädchen ihn behandelt, der Einfluß Ihres Vaters. Von Tag zu Tag bohrt sich die rücksichtslose Erkennt­nis tiefer ln sein von tödlichem Haß durch- lodertes Inneres: der Weg ist frei erst, wenn er gefallen ist.

Aber ist der Weg dann wirklich frei? Natür-

festgehalten, aber er selbst muß kommen, bald sogar, um nach einer Besichtigung des Labors die Amtsbestätigung desVerbann­ten von seinenKomplizen in Washington zu erwirken.

Ja, er wird kommen, der Hund. By god, kommen und nie wieder gehen. Denn diese Fahrt, die er hier antritt, soll nicht wieder nach Chikago führen, sondern zur Hölle!

Mit tiefer, jauchzender Genugtuung ließ Tom Brandley vor vierzehn Tagen die Offen­barungen und guten Ratschläge des alten, klapprigen und ach so besorgten Fitzgerald über sich ergehen.

Die Gefährlichkeit der Atomumsetzungen im Synchrotron und der jugendliche Drang dieses treu-dämlichen deutschen Michels zum Ge­fährlichen fügen sich herrlich in den Plan.

Seit Tagen schon liegen die Werkzeuge be­reit. Alles ist vorbereitet, daß dieser erste Versuch schiefgehen muß, in denSchwieger­väterchen mit breitem, verächtlichem Grin­sen murmelt Tom den Kosenamen vor sich hin seine Schnüffelnase steckt.

Der Deutsche wird dann eben gerade die Versuchsleitung in der Hand haben, wenn es knallt, und Fitzgerald in seinem kalifornischen Sanatorium soll sich kaum wundem, wenn er seine Vermutung über ihn so rasch bestätigt findet. Mag sich freuen, der Alte, seine ei­gene Haut noch rechtzeitig heil herausbe­kommen zu haben.

Ein kurzes Klopfen an der Schiebetür reißt den Brütenden hoch. Unter den unwillig zu­sammengezogenen buschigen Brauen hervor blickt er dem Störenfried entgegen. Eichberg. Sollte er schon zur Ablösung kommen?

Doch der Eintretende streckt ihm nur wort­los einen schmalen weißen Papierstreifen entgegen.

Das Verhältnis des Doktors zu Lofty ist im Gegensatz zu dem Fitzgeralds ejn schroff ge­trenntes. Hier Chef, da Untergebener und das Anklopfen am Labor ist nur eine der vielen Neuerungen, die Dr. Brandley einge­führt hat.

Mit wortloser Gebärde nimmt er den be­druckten Streifen entgegen. Ah, Teleprinter, Fernschreiber.

Mit schnellem Blick überfliegt er die Buch­stabenreihe und ein gefährliches Glimmen kalter Entschlossenheit kommt in seine Augen.

Dann wendet er sich in barschem Ton an den Wartenden:Professor Oienhigh von der .Organisation for Scientific Research and De­velopment trifft morgen früh hier ein. Sor­gen Sie dafür, daß genügend Ersatztargetkam- mem mit Plutonium Seaborgat und Fermi- nium gefüllt werden. Die Sache muß rei­bungslos ablaufen, damit der Alte nichts zu meckern hat.

Mit erstauntem Blick vergewissert sich Lofty nochmals:Soll ich wirklich fünfhundert Gramm oder mehr nehmen?

Nehmen Sie so viel, wie unsere Sicherheit es erlaubt und auf der anderen Seite für gute Umwandlungsergebnisse nötig ist, überläßt der Chef vorsorglicherweise dem Jüngeren die Entscheidung...

*

Um drei Uhr morgens übernimmt Dr. Brandley wieder das Synchrotron. Bleich und übernächtig schickt Lofty sich an. den Kon- trollraum zu verlassen.

Beeilen Sie sich aber mit dem Schlafen, um sieben Uhr wollen wir die letzten Vor­bereitungen treffen. Ich denke, daß der Pro­fessor pünktlich ist, und für neun Uhr hat er sich angesagt.

Also um sieben Uhr, erwidert der Assi­stent mit unterdrücktem Gähnen.Ich bin bestimmt zur Stelle. Dann schlägt er fröstelnd den Rockkragen hoch und stapft durch den schmalen Flur nach draußen.

Tom Brandley aber geht an die Arbeit. Als erstes legt er den großen Hauptschalter an der Wand über dem Kontrolltisch aufauto­matische Kontrolle. Das soll zwar nur im Falle unvorhergesehener Zwischenfälle oder sonstiger Gefahr getan werden, aber daran stört sich der Doktor jetzt nicht.

,Ist ja auch allerhand Gefahr im Verzüge, stellt er mit überlegener Selbstironie fest.

(Fortsetzung folgt)

..S O N N T A G S Z E I T U N G" Herausgeber: Will Hanns Hebsacker. Dr Ernst Mül­ler und Karl Kirn ln der Schwäbischen Verlags- gesellscbaft m b. H. Redaktion und Verlag. Tübingen, Uhlandstraße 2. Telefon 2141 Drude: Tübinger Chronik. Druckerei und Verlags­genossenschaft eGmbH Tübingen

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