6. Jahrgang

MONTAG, 9. OKTOBER 1950

Nummer 157

Entscheidung für Tibet?

Verhandlungen mit der chinesischen Volksrepublik

H. G. v. St. Dieser Tage traf in der west- bengalischen Stadt Kalimpong eine unter der Führung von Tseppon Shakabpa stehende Delegation der tibetanischen Regierung ein, um einen neuen Versuch zu unternehmen, die mit der chinesischen Volksrepublik schweben­den Streitfragen auf friedlichem Wege einer Lösung entgegenzuführen. Die Verhandlungen sollen in Delhi sattfinden, wobei als Partner der dortige rot-chinesische Botschafter aus­ersehen ist, der sein Amt soeben angetreten hat. Bereits in diesem Früjahr hatte Tsepon Shakabpa sich bemüht, mit der Regierung Mao Fühlung zu gewinnen. Er plante damals an der Spitze einer siebenköpfigen Abordnung über Indien nach Hongkong zu reisen, wurde jedoch in Delhi festgehalten. Die von den indischen Behörden gegen seine Weiterreise erhobenen formellen Einwände gründeten sich offensichtlich ebenso auf den Wunsch der in­dischen Regierung, sich in Verhandlungen über die Zukunft ihres Nachbarlandes Tibet einzuschalten, wie auf der Abneigung der bri­tischen Regierung, solche Besprechungen auf dem Boden ihrer Kronkolonie Hongkong statt- flnden zu lassen.

Verhandlungsobjekt ist der Wunsch der chi­nesischen Volksregierung. Tibet ihrer Souveränität zu unterstellen und diesen Wunsch mit dem Bestreben der Tibetaner nach größtmöglicher Unabhängigkeit in Ein­klang zu bringen. Die Aussichten Tibets inner­halb des kommunistischen chinesischen Macht­bereichs eine weitgehende Autonomie zu be­wahren, sind allerdings gering. Einmal genießt die Regierung von Lhasa kaum die Unter­stützung auswärtiger Mächte. Zwar gab Groß­britannien 1921 und 1945 den jeweiligen chi­nesischen Zentralregierungen zu verstehen, daß sie Tibet als autonom betrachte, aber sie erkannte gleichzeitig die Souveränität Chinas über Tibet, an. Diese wurde erstmalig im 17. Jahrhundert durch den Mandschukaiser Kang Hsi verwirklicht, dem es gelang, sich die Tibetaner tributpflichtig zu machen. 1912 wur­den die Chinesen jedoch endgültig aus Tibet vertrieben. Die Anerkennung einer de jure-

Bruch der Verfassung

Protest der VVN

TÜBINGEN. DieVereinigung der Verfolg­ten des Naziregimes von Südwürttemberg- Hohenzollern (VVN) hat in einer Erklärung des Landesvorstandes gegen den Beschluß der Regierung, Maßnahmen vorzubereiten, die u. a. auch Mitglieder der VVN aus ihren Stellun­gen in den öffentlichen Diensten entfernen sollen, protestiert. In der Erklärung wird u.a. festgestellt, daß es die Aufgabe der WN war und noch sei, für diejenigen, die wegen ihrer gegen den Nationalsozialismus gerichteten po­litischen Haltung oder wegen ihrer rassischen Herkunft unsägliches Leid hätten erdulden müssen, eine gerechte Wiedergutmachung der erlittenen Schäden zu erwirken. Die VVN habe sich ferner zum Ziel gesetzt,konsequent al­len Erscheinungen eines neu sich bildenden Fa­schismus und Militarismus entgegenzutreten. Im gleichen Zusammenhang habe sie ihre warnende Stimme gegen die drohende Gefahr eines neuen Krieges erhoben und als höchstes Ziel die Notwendigkeit der Erhaltung des Friedens erkannt und dalier alle Bestrebun­gen zu dessen Festigung unterstützt.

Der Beschluß der Regierung von Württem- berg-Hohenzollern, alle Angehörigen der VVN aus den öffentlichen Diensten zu entlassen, stelle eineneklatanten Bruch der Verfas­sung dar.Artikel 68 unserer Verfassung bestimmt, daß alle verbindlichen Gebote und Verbote der Gesetzesform bedürfen. Eine solche Gesetzesvorlage sei aber dem Landtag nicht vorgelegt worden. Demnach breche der Beschluß der Regierung die bestehenden Vor­schriften der Verfassung.

Souveränität des ohnmächtigen Reiches der Mitte über Tibet durch die Engländer war dementsprechend für die britische Position in Indien belanglos. Am 22. Juni dieses Jahres wiederholte ein Stellvertreter des britischen Außenministers, Kenneth Younger, diese Er­klärung, die heute, nachdem sich die Macht­verhältnisse in China grundlegend geändert haben, unverständlich erschiene, wenn sich nicht gleichzeitig Großbritannien aus Indien zurückgezogen haben würde.

Die indische Regierung, die nicht in der Lage wäre, den chinesischen Anspruch auf Tibet zu bestreiten, hat sich beeilt, dieBerechtigung der chinesischen Forderungen anzuerkennen, und hat überdies in Peking ihre guten Dienste zur Vermeidungüberstürzter Aktionen an- geboten. Ob diese von Mao tatsächlich geplant waren, sei dahingestellt. Zwar haben sich letzthin Nachrichten über eine zunehmende Aggressivität der rotchinesischen Propaganda gegen das Regime des Da Lai Lama gehäuft, ebenso wie Meldungen über chinesische Trup- penzusammenziehungen an den Grenzen dieses bis 4000 m ansteigenden Berglandes. So soll eine chinesische Kolonne westwärts durch die

Provinz Sikang vorrücken, während eine an­dere auf Jyekunde durch die Provinz Tsching- hai marschiert. Von dort nach Lhasa benöti­gen jedoch gewöhnliche Karawanen schon vier Monate. Eine Armee würde für die 900 km lange Strecke auf schlechtesten Wegen zweifellos länger brauchen.

Sicher ist, daß solche Nachrichten ebenso wie solche über eine wachsende Intimität der chi­nesischen Kommunisten mit dem Pandschen Lama, dem Gegenpol der Machthaber von Lhasa als Einschüchterungsmanöver die Ver­handlungen begleiten sollen. Auch die Ereig­nisse in Korea dürften ihre Wirkung tun.. Was Mao in Tibet letztlich vor hat, machte ein Kommunique des Außenministeriums der kommunistischen Zentralregierung vom 21. 1. 1950 unmißverständlich klar. In ihm wird die tibetanische Autonomie als eineKomödie des amerikanischen Imperialismus bezeichnet und wörtlich hinzugefügt:Es ist der Wunsch des tibetanischen Volkes. Mitglied in der großen demokratischen Familie der chinesischen Volksrepublik zu werden und unter der ein­heitlichen Führung der Zentralregierung seine angemessene regionale Unabhängigkeit zu haben. ..Was in Peking unterangemessen verstanden wird, dürfte dem tibetanischen Abgesandten Shakabpa in Bälde bekannt werden.

Niemöller sdiriebprivat

DUD spricht vonunberufener Einmischung

BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer bat durch seinen persönlichen Referenten, Ministerialrat Wirmer, am Freitag den Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau, Pa­stor Martin Niemöller, in einem Schrei­ben um Aufklärung darüber, ob dessen kürz- liches Schreiben zur Remilitarisierung die Meinung der evangelischen Kirche oder seine eigene zum Ausdruck bringe.

Pastor Niemöller erklärte am Samstag, sein Protestschreiben gegen die Haltung Aden­auers zur Remilitarisierung habe er als Pri­vatmann geschrieben und an den Bundeskanz­ler persönlich gerichtet. Er habe das Gefühl, daß man sich in Bonn an den in dem offenen Brief der Bruderschaften der bekennenden Kirche und in seinem Privatbrief erwähnten Beweisen für die angelaufene Remilitarisie­rung vorbeidrücken wolle. Niemöller hatte in seinem Schreiben jede Remilitarisierung Deutschlands abgelehnt und dem Bundeskanz­ler das Recht abgesprochen, in dieser Frage

etwas ohne Volksbefragung oder Neuwahlen zu unternehmen.

Der Deutschland-Union-Dienst (DUD) der CDU/CSU warf dem Bruderrat der bekennen­den Kirche und Niemölleroffensichtlich un­berufene Einmischungsversuche in hochpoli­tische Dinge vor.

Zuerst die Anderen

Erbfeind nurdummes Schlagwort

BREMEN. Der französische Hohe Kommis­sar Frangois-Poncet erklärte am Sonn­tag in Bremen, Deutschlands Teilnahme an der gemeinsamen Verteidigung Westeuropas könne erst in Erwägung gezogen werden, wenn die anderen westeuropäischen Staaten vollkommen verteidigungsbereit seien. In der Zwischenzeit müßten die Alliierten für Deutschlands äußerste Sicherheit garantieren.

Die Deutschen sollten alles das in tiefster Versenkung verschwinden lassen, was Frank­reich als denErbfeind Deutschlands hinstel­len möchte. Nichts sei unbegründeter, mora­lisch anfechtbarer und politisch fruchtloser als dieses dumme Schlagwort.

Nadirichten aus aller Welt

TÜBINGEN. Die dritte Landestagung der CDU von Württemberg-Hohenzollern findet vom 27. bis 29. Oktober in Freudenstadt statt.

STUTTGART. Die württemberg-badische Re­gierung hat dem Landtag in einem Entwurf für ein Gemeindewahlgesetz vorgeschlagen, die Ge­meinderatswahlen auf den 28. Januar 1951 fest­zusetzen.

MANNHEIM. Die Mannheimer Kriminalpolizei nahm am vergangenen Wochenende zwei Deutsche und zwei Polen fest, die in der Nacht zum 2. Oktober ein Stück des nach Frankfurt führen­den Fernmeldekabels gestohlen und als Altmate­rial verkauft hatten.

FRANKFURT. Der amerikanische Hohe Kom­missar hat für die Unterbringung amerikani­scher Truppen Verstärkungen zum 1. November die Räumung von 11 ehemaligen Wehrmachts­kasernen in der US-Zone angeordnet. Die Eva­kuierung von 26 weiteren Kasernen soll bis 1. Dezember abgeschlossen sein.

ESSEN. Die Ursache für die größte Schlagwet­terkatastrophe im deutschen Kohlenbergbau, die am 20. Februar 1946 auf der Schachtanlage Grimberg 3 und 4 bei Hamm rund 400 Berg­leuten das Leben kostete, kann nach dem Ab­schlußbericht des Untersuchungsausschusses nicht festgestellt werden.

HAMBURG. In verschiedenen Städten der Bundesrepublik fanden^ am Samstag Protest­kundgebungen der Jugend gegen die bevorste­henden Sowjetzonenwahlen statt.

HAMBURG. Eine südafrikanische Kommission hat aus 150 Anwärterinnen in Norddeutschland 48 ausgewählt, die in Kürze als Krankenschwe­stern und als Krankenhaushilfspersonal nach Südafrika abreisen werden.

WILHELMSHAVEN. Eine amerikanische Ree­derei in Philadelphia hat derKriegsmarine­werft Wilhelmshaven einen Auftrag zum Bau eines 20 000 BRT großen Tankers übermittelt. Ihr war anscheinend nicht bekannt, daß diese Werft auf alliierten Befehl längst bis auf die Grundmauern demontiert und für alle Zeit zer­stört wurde.

BERLIN. Am Samstag zählte die deutsche Industrieausstellung 1950 am Funkturm 137 000 Besucher. Rund 85 000 kamen aus der Ostzone bzw. dem Ostsektor von Berlin.

ROM. Der Vatikan gab am Samstag bekannt, die jugoslawischen Behörden hätten den katho­lischen Bischof von Mostar, Msgr. Cule aus der Gefängnishaft entlassen. Es ist dies der erste Fall in Jugoslawien, daß ein zu Gefängnis ver­urteilter katholischer Bischof auf freien Fuß ge­setzt wurde. Seit Kriegsende sind in Jugosla­wien 228 Priester hingerichtet und 1726 in das Gefängnis geworfen oder deportiert worden.

KARATSCHI. Von den schweren Ueberschwem- mun.gen auf Grund der Erdbeben im Pandschab- gebiet in Nordostindien sind rund fünf Millio­nen Menschen betroffen. Der Ernteausfall wird auf über 30 Millionen Pfund Sterling geschätzt.

Immer besser

cz. Mit den bereits emphatisch begrüßten Schumanschen Nachschubeinheiten scheint es nichts zu werden. Doch schon tut sich ein neuer Ausweg auf. Der Washingtoner Korre­spondent desFrance Soir berichtete jeden­falls, eineFrankreich besonders befreundete atlantische Macht da kann man vorweg nur sagen ulkigeFreunde habe dem amerikanischen Außenministerium vorgeschla­gen, zu den neuzubildenden deutschen Einhei­ten einfach keine Offiziere und Unteroffiziere usw. zuzulassen, die unter Hitler Soldat wa­ren. Somit könnten nur die heute 18jährigen rekrutiert werden. Da sie die Wehrmacht nicht gekannt hätten, ließen sie sich leichter in eine demokratische Armee einfügen.

Wenn nicht noch weitereeuropäische Aeu- ßerungen zu diesem Thema zu erwarten wä­ren, könnte man jetzt unbesehen behaupten, das sei das Absurdeste, was sich je jemand ausdachte. So weiß man aber nicht, was nocn kommt.

Der einfältige Knabe, der sich das ausdachte, hat ganz übersehen, daß die Mütter, als sie so um 1932/33 ihre heute 18jährigen stillten, dauernd nebenher das Horst-Wessel-Lied san­gen. Woraus abzuleiten wäre, daß auch die 18- jährigen bereits verseucht sind, ganz abge­sehen, von den martialischen Vätern, die im Urlaub zu Hause mit der Familie ä la NS- Wehrmacht Exerzieren abhielten.

Das gibt einen Krieg! Lauter 18jährige, da die Sieger hoffentlich aus Solidarität oder nach Selbstkritik sich ebenso verhalten und vor allem keine Leute verwenden, die sich durch Umgang mit den Nazideutschen ange­steckt haben. Wenn unsere 18jährigen schon infiziert werden sollen, dann können wir das ja selbst besser besorgen.

Ein Selbstvertrauen hat diese europäische Demokratie, daß es zum Davonlaufen ist. Das muß gesagt werden, obwohl wir ja nur Grund zur Dankbarkeit haben, da eine deutsche Re­gierung, die ihre 18jährigen unbesehen einem europäischen Haufen ausliefern würde, einen Extratod sterben müßte, also die Remilitari­sierung ausfallen muß. Die mehr als 18jähri- gen kommen aber vielleicht dahinter, daß der europäische Heldentod kein anderer ist als der hitlerische, ohne daß sie sich deshalb gleich der Feststellung eines neueren amerikanischen Wildwestfilms voll anschließen müssen,jetzt weiß ich, wodurch sich Soldaten und Esel un­terscheiden: durch die Uniform.

Das mit den 18jährigen ist gar nicht so schlecht ausgedacht: Auf dem Felde der Ehre zum Wohle eines freien Europas! Was über achtzehn ist, bleibt zu Hause, liebt seinen Nächsten und zeugt neuen, jetzt aber sogar uns selbst unverdächtigen Demokratie-Nach­wuchs. Für noch später. Wie wärs, wenn wir vorläufig mal mit letzterem anfingen. Das heißt mit dem Drumherum, da es ja schon seit dem Weltkrieg Nr. 1, amtlich dekretiert, zuviel unserer Sorte gibt. Ueber das mit den 18jährigen ist eh jedes weitere Wort zuviel.

Schwere Kämpfe in Indodiina

SAIGON. Im Norden Indochinas sind be­reits seit einigen Tagen schwere Kämpfe zwi­schen französischen Truppen und Vietwinh- Aufständischen im Gange. Einheiten, die vor­geschobene Stützpunkte räumten, konnten sich nur unter größten Schwierigkeiten zu den ent­gegengeschickten Ersatzkolonnen durchschla­gen. Die Vietminh versuchen, die ganze Kette befestigter Wachposten im Norden Indochinas aufzurollen.

Ganz im Süden Indochinas, 120 km südlich von Saigon, kam es gleichfalls zu schweren Gefechten.

ROM. Ein italienisches Verkehrsflugzeug vom amerikanischen Baumuster DC 6 landete am Samstag in Rom, nachdem es erstmals die Luft­strecke von New York über Gandet (Neuschott­land) und Shannon (Irland) ohne Zwischenlan­dung in 15 Stunden und 4 Minuten zurückgelegt hatte.

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Da nahm er auf einmal ihre beiden Hände, beugte sich nieder und drückte sein Gesicht hinein. Er stieß ein en ungeduldigen leisen Ton aus, wie einen Ruf.

Auch aus dem geschwungenen Mund der Lara kam ein Laut wie von einer freudigen und in der Freude leidenden Wollust. Einen Augenblick lag sah es aus, als wolle sie ihr Gesicht zu dem Kopf niedemeigen. der sich in ihre Hände flüchtete. Aber der Laut ver­stummte sofort. Durch ihre Augen fuhr das Aufschimmern eines Triumphes. Ihr schlanker Körker reckte sich ein wenig gerade.

Sie ließ Born die Hände und fühlte in ihren inneren Flächen die Form seines Ge­sichtes, der Augenhöhlen, der Nase und der Lippen... und die Wärme seines Atems.

Professor Born! stgte sie endlich leise und mit einem fragenden Mahnen.

Born richtete sich auf. Er schien ruhig, ge­stillt und ernst.

Unvermittelt sagte er:Ich möchte Ihnen diesen Doktor Mabuse zeigen. Ausschließlich ihm haben meine letzten drei Jahre gehört.

Plötzlich klang seine Stimme ungeduldig und so, als ob es unmöglich sei, daß die Frau seinem Wunsche Widerstand entgegensetzen könne:

Kommen Sie, Frau Lara. Nehmen Sie Ihren Mantel, wir gehen gleich hinüber!

In seinen Augen war es eine besondere Aus­zeichnung für die Besucherin; ließ er doch sonst, außer den Wärtern, niemanden zu dem Kranken.

Die Tänzerin schien das auch zu begreifen, denn sie gehorchte, ohne etwa9 einzuwenden,

und folgte ihm stumm aus dem Zimmer. Born konnte nicht sehen, daß für einen Augenblick ein kleines Lächeln um ihren Mund spielte und schnell wieder verschwand.

Borns Villa lag außerhalb der hohen Mauer, die die Anstalt von den umliegenden Straßen absonderte. Durch einen Garten, wo im Som­mer Blumen blühten, führte ein Weg auf eine Tür in dieser Mauer. Eine elektrische Lampe hing an einem Träger darüber. In ihrem Licht tanzte ein wenig Schnee, als Born und die Lara auf die Tür zugingen.

Jenseits der Mauer waren schmale Anlagen, aus denen Gebäude in die Dunkelheit ragten. Sie traten in das erste ein, das zugleich das größte war.

' Der Türwächter grüßte, indem er hinter dem Fenster seiner Loge aufstand und sich ver­beugte.

Sie stiegen eine Treppe hinan, kamen in einen Flur. Die Lara las auf einer Tür in er­habenen weißen BuchstabenVerwaltung.

Am Ende des Flurs schloß Born mit einem Schlüssel, den er inmitten anderer an einem Bund trug, eine Tür auf. In dem breiten Flur, in den sie jetzt eintraten, standen einige Män­ner herum oder gingen auf und ab. Ein Wär­ter grüßte und trat heran.

Rufen Sie Dominik! sagte Born zu ihm. Während der Wärter sich entfernte, wandte Born sich an die Lara:Sie brauchen sich nicht zu ängstigen. Es sind alles harmlose Kranke.

In diesem Augenblick trat von einem der Fenster her ein Patient an Born heran:

..Mein Name ist Hoffmeister! Herr Professor wissen schon, nicht wahr? Kriminalinspektor Hoffmeister... Darf ich fragen, wann ich frei­komme?

Weshalb wollen Sie denn nicht noch ein bißchen bei uns bleiben? fragte Born gemüt­lich.

Es besteht gar keine Ursache dazu, Herr

Professor. Ich fühle mich ja vollkommen ge­sund.

Gefällt es Ihnen nicht bei uns? Sind wir nicht nett zu Ihnen?

Ich muß freikommen, Herr Professor. So­bald wie möglich. Die Störung ist völlig vor­bei. Ich habe eine wichtige Angelegenheit mit der Polizei zu regeln. Es handelt sich um eine Entdeckung, die ich vor meiner Einlieferung gemacht habe, und die Polizei kennenlernen muß, damit größerer Schaden verhindert wird ...

Ja, ja..., sagte Born nur,....wir spre­chen noch darüber. Kommen Sie, Frau Lara!

Er zog die Frau mit sich, und als sie einige Schritte gegangen waren erklärte er leise:

Ein typischer Fall, sehen Sie: Völlig ge­sunder Mensch, mit 1 normaler Begabung, bis auf die Tatsache, daß er ein Verbrechen auf- gedeckt zu haben glaubt. Dieser Wahn ist nun vorherrschend in ihm und bestimmt sein gan­zen Denken und Fühlen.

Ist er heilbar?

Gewiß! Durch sorgsame Behandlung, durch die Zeit, durch Zufälle ... die auf das Zentrum, von dem die Störung ausgeht, heilend ein­wirken und ihre Ursachen wieder beseitigen.

Der Wärter Dominik kam durch die Tür am anderen Ende des Flures.

Was macht er? fragte der Professor.

Wie immer, Herr Direktor.

Wir wollen zu ihm. Schließen Sie auf.

Sie verließen den Flur auf der anderen Seite und gingen nun stumm hinter dem Wär­ter her. Bald kamen sie wieder an eine ver­schlossene Tür. Der Wärter öffnete sie, und sie traten in einen Durchgang, der anscheinend zwei Häuser miteinander verband. Ein Wärter saß auf einem Stuhl und erhob sich schwer­fällig. Es war ein riesenhafter Mann mit einem Gesicht, das kaum geformt zu sein schien. Nur die Augen, die iu klein waren, hatten den Ausdruck eines ständigen Zorns.

Die Lara schaute ihn ein wenig erschrocken an.

Guten Abend! sagte Born.Nichts Neues? Nichts! antwortete der Wärter kurz und mit unfreundlicher Stimme.

Inzwischen hatte der Wärter, der sie beglei­tete, die zweite Tür aufgeschlossen, auf die der Durchgang mündete. In der Öffnung dieser Tür wurde ein Gitter aus eng aneinander- stehenden dicken Eisenstäben sichtbar, das einen beleuchteten leeren Flur absperrte.

Wir kommen jetzt in das sogenannte feste Haus, sagte Born zur Lara.Darin sind die vom Gericht überwiesenen kriminellen Ver­brecher und solche, die verurteilt, aber wegen ihres Geisteszustandes in Irrenpflege gegeben werden mußten, untergebracht. Auch Mabuse wohnt hier. Wir sind gleich da. Ich bitte Sie, sich nicht im geringsten zu ängstigen. Die Ueberwachung ist sehr streng und sichert Sie vor jeder Gefahr. Er wandte sich an den Wärter:Danke, Dominik, jch brauche Sie nicht mehr.

Dann schloß er die erste Tür auf und ging voran in eine kleine Kammer, jn der über einem Bett in der Decke ein Licht brannte. Das Licht schien auf einen Mann, der halb aufrecht im Bett saß. Der erste Blick, den die Lara in den Raum warf, traf diesen Menschen. Sie sah zunächst nur die wild zerzausten, schneeweißen Haare. Dann erschien darunter ein graues Gesicht, das aussah wie ein Stück verdorrter Wiese. Das Gesicht veränderte Ausdruck und Haltung nicht, als sie eintraten. Es war tief auf die Brust gebeugt und völlig reglos. Zuerst erschienen die Augen geschlos­sen. Aber bald war zu erkennen, daß sie einen Spalt weit geöffnet waren und auf einen Block niederschauten, der auf der Decke des Bettes lag und auf dem die Hand des Mannes mit langsam steilen und beharrlichen Zügen einen Bleistift führte.

Sie können laut sprechen, sagte Born.I nimmt uns nicht wahr. Ja, es ist Doktor Mi buse. (Fortsetzung folg