6. Jahrgang

FREITAG» & OKTOBER 1950

Nummer 155

Chinas doppeltes Gesicht

Marxistische Theorie und chinesische Praxis / Landreform schafft Privateigentum

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Landreform schafft Privateigentum

Mao Tse-tung hat in seiner Juni-Rede seinen kommunistischen Parteigenossen dringend nahegelegt, sich dem Volk zu nähern, die andersgesinnten Volksteile zu gewinnen, aber noch stehen sich Regime und Volk wie zwei landfremde Größen gegenüber. An den Werken von Regierung und Partei allein er­kennt man, daß letzten Endes alles für das Volk geschieht, aber bisher spürt man überall zu sehr den kalten Planungsgeist einer auf pseudo-wissenschaftlichen Marxismus gegrün­deten materialistischenPhilosophie der füh­renden Schicht, es fehlt völlig die in China so charakteristische Wärme menschlicherPeng- yo Freundschaftsbeziehungen, sympathische Annäherung, Aussprache.

Zwei Gesichter

Wie der alte römische Janus-Kopf zeigt die heutige Chinesische Volksregierung zwei Ge­sichter: Nach der einen Seite zeigt sie die Züge eines kommunistischen, mit Moskau solidari­schen Organs der internationalen ,,Friedens­front, auf dem andern Gesicht prägen sich immer deutlicher alle Merkmale ihres chine­sischen Charakters aus und die Erklä­rung dieser paradoxen Doppelgesichtigkeit liegt darin, daß die chinesische Kommunistische Partei durchaus nicht nur Moskauer Propa­gandaschöpfung ist, sondern ihre Wurzeln im chinesischen Bauernvolk und Bauernelend hat. Die Partei-Elite ist in einem Bauernkrieg von der Dauer einer Generation zu dem harten kampferprobten Führungsorgan geworden, das heute über die 470 Millionen herrscht und da­her so überraschend chinesische Züge und Herrschereigenschaften entwickelt, wie sie an dem Wiederherstellungswerk der Hauptstadt Peking zutage treten. Noch deutlicher tritt der chinesische Charakter der neuen Männer aber an dem großen Werk der Agrar-Reform in Erscheinung, die als grundlegendes Gesetz am 30. Juni in Kraft gesetzt wurde.

Die große Agrarnot

Die in den zentral- und südchinesischen Pro­vinzen, besonders in Kiangsi und Hunan, durch immer unhaltbarere Pachtverhältnisse und Ausbeutung des Bauerntums verursachte Agrarnot hatte schon in den 20er-Jahren zu einer aufständischen Bundschuh-Bewegung ge­führt, die unter Leitung durch Moskau inspi­rierter Studenten schließlich in eine kommu­nistische Bauernregierung in Kiangsi ein­mündete undEnteignung der großgrund­besitzenden Klasse (die in dem kommerziell und wirtschaftlich früher als der Norden ent­wickelten Südchina mit seinen großen Wirt- schmftszentren und Außenhandelsplätzen be­reits im 19. Jahrhundert in Erscheinung getre­ten war), und revolutionäre Aenderung der Agrar-Pachtverhältnisse als Ziele prokla­mierte.

An dieser Forderung hat sich die ganze kom­munistische Bewegung und Partei Chinas emporentwickelt ,,Agrar-Revolution wurde mit allen Varianten begleitender Schlagworte, das Rückgrat des Parteiprogramms und überall fanden die Kommunisten mit diesem Appell bei 85 v. H. der chinesischen Bauern­massen Zugang und Gehör. Besonders nachdem während der Kriegsjahre infolge militärischer Zerstörungen von Deichwerken ain H u a n g h o und H u a i und Vernachlässigung aller Fluß­regulierung überhaupt, die in der waldlosen nordchinesischen Ebene sofort zuUeberschwem- mungskatastrophen führt, das Bauernelend seinen äußersten Grad erreicht hatte, war es diese Parole der Agrar-Revolution. die der Kommunistischen Partei das Bauerntum in die Hand spielte.

Kleinbauern auf eigener Scholle

Heute, wo Mao Tse-tung und seine Bauern- Revolutionäre an die Macht gelangt sind und endlich die Regierung dieses Bauernlandes bilden, hat die Volksregierung ein Agrar­reform-Gesetz erlassen, für das charakteristi­scher Weise der als gemäßigt bekannte Theo­retiker der Partei, Liu Shao-chi, verant­wortlich zeichnet und das keinen revo­lutionär - kommunistischen Zug aufweist. Dies Gesetz schafft vielmehr und lehnt sich darin nicht an s o w j e t russische Vorbilder, sondern eher an die Stolypinschen Reformen der Zarenzeit (1909) an den Kleinbauern auf eigener Scholle, bekanntlich einen soziologisch kleinbürgerlichen Typ, der am zähesten den Eigentumsbe­griff von jeher (vgl. Frankreich) verteidigt hat. Man kann sicher sein, daß diese neuge­schaffenen Kleinbauern jedem Versuch, ihr jetzt gesetzlich verankertes Privateigentum, sei es zwecks kommunistischer Kollektivi- sierung, sei es zwecks sozialistischer Nationali­sierung anzutasten, den hartnäckigsten Wider­stand entgegensetzen werden. Je weniger Eigentum der Mensch hat, um so mehr hängt er daran.

Angesichts dieses Gesetzes kann man sich wirklich fragen, ob diese Gesetzgeber noch kommunistische Revolutionäre sind ... Zwei­fellos bedurfte es innerhalb dieser materia­listischen chinesischen bürgerlichen Gemein­schaft von heute durchaus eines landfremden militanten Revolutionär-Typs Moskauer Par­teidisziplin und Moskaus kaltherziger marxi­stischerWissenschaftlichkeit, um überhaupt den Griff nach dem Privateigentum der grund­besitzenden Klasse zu führen, dies ist aber auch der einzige wahrhaft revolutionäre Akt im ganzen Reformwerk geblieben. Aber, darüber hinaus nun etwa, nach Sowjetvor­bild, in Richtung einer verstaatlichten land­wirtschaftlichen Produktion vorzugehen, einen solchen, gegen alle Instinkte der alten Bau­ernrasse Chinas gerichteten Schritt zu tun, das konnte von kemem chinesischen kom­munistischen Parteimann erwartet werden. Im Ergebnis kann man also auf diesem für China

und die chinesische Kommunistische Partei allerwichtigsten Gebiet der Innenpolitik den Sieg des chinesischen Menschen über das inter­national-marxistische Parteiprogramm konsta­tieren. Das alte Bauernland China nahm eine kommunistische Landreform nur unter' Scho­nung, ja Förderung seines privat-bäuer­lichen Eigentums hin.

Schon jetzt kann man überall auf dem Lande feststellen, daß das chinesische Volk aus dieser ärmlichen Reform einen Riesenerfolg machen wird. Wie oft hat man früher zur Zeit der endlosen Satrapenkämpfe gesehen, daß dies geduldige fleißige Volk eigentlich nichts weiter verlangt, als in Ruhe gelassen zu werden, um sofort wieder eine blühende Produktion zu entfalten... Aber noch niemals habe ich das Land so intensiv angebaut, so bis ins Kleinste ausgenutzt, so üppig und blühend gesehen, wie in diesen Sommermonaten. Auch die Neben- und Folgeerscheinungen dieser Re­form z. B. auf dem Gebiet der Selbstverwal­tung, Eigenschulung und -kontrolle der Bau­ern- und Dorfgemeinschaften bringen die besten Züge im Charakterbilde des chinesi­schen Menschen zur Geltung.

Nach allem, was in den letzten Monaten vor der Landreform an kommunistischer Partei­propaganda, Trommeln und Werben für so­wjetische Kollektive und Besuchsreisen russi­scher landwirtschaftlicher Experten (in die­sem Bauernland China!) vor sich ging, hätte man tatsächlich ein ganz anderes Ergebnis dieser Reform-Bestrebungen erwarten können. Daß China sich dem befürchteten Einbruch sowjetrussischen Einflusses gerade auf dem Gebiet der Bauernfrage und Agrarreform so stark und widerstandsfähig erwiesen hat, bil­det eine vollkommene Bestätigung der politi­schen Prognose, die Pandit N e h r u über das heutige China aufstellte:

In einem Lande wie China (ebenso wie In­dien) muß sich die eigene Charakter-Erbschaft aus mehr als 5000jähriger Kulturvergangenheit weit stärker als alle momentanen politischen Konjunktureinflüsse der Gegenwart erweisen, und deshalb wird so folgerte er die indische Regierung das neue Regime Mao Tse- tungs ohne Bedenken anerkennen, in der Ueberzeugung. daß China wie Indien niemals ein serviles Werkzeug Moskaus wer­den kann. Was bleibt, nachdem sich das Haupt­ziel der Kommunisten, die chinesische Agrar­reform, als vernünftiger und staatsmännisch notwendiger Akt ohne kommunistische Impli­kationen erwiesen hat, sonst noch von allem kommunistisch-revolutionären Streben?

In den Sommermonaten tagten in Peking Konferenzen von Vertretern der Wirtschafts­

und Finanzorgane von Regierung und Par­tei aus allen Teilen Chinas, auf denen die von Mao Tse-tung in seiner Juni-Rede angekün­digte Abgrenzung der Tätigkeitsfelder der verstaatlichten und der privaten Industrie ge­regelt wurde. Auch auf diesem Sektor der chi­nesischen Wirtschaft wird kein kommu­nistischer Kurs, sondern ein möglichst harmonisches Zusammenarbeiten der bestehen­den staatlichen und privaten Unternehmun­gen angestrebt, also eine Synthese des noch in seinen Anfängen steckenden chinesischen Staatskapitalismus und des freien Privat­kapitals. Die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit hat bereits dahin ge­führt, daß man bedeutende, allgemein be­kannte Industrie-Magnaten, die zu den Be­ratungen nach Peking eingeladen und in ihrer Stellungnahme und ihrem Urteil auch ge­bührend gehört wurden, nach Hongkong und anderen Plätzen des Auslands entsandte, um das dorthin geflüchtete und sehr beträchtliche chinesische Finanzkapital mit verlockenden Eröffnungen über lohnende Betätigungsmög­lichkeiten im neuen China zur Rückkehr ein­zuladen.

Evolution das Ziel

Eines steht fest: Auf den Juni-Kongressen der Partei und Regierung, auf denen Mao Tse-tung seine programmatische Ankündi­gung machte, ist die Innenpolitik der Volks­regierung in ihrer Agrar-, Industrie- und Handelsförderung nicht mehr auf revolutio­näre Methoden und Tendenzen eingestellt worden, sondern erstrebt eine den Verhält­nissen des ganzen chinesischen Volkes und Landes entsprechende Evolution, eine vor­sichtige Wandlung und keinen Umsturz. China könnte, falls keinerlei äußere Hindernisse störend eingreifen, in der Tat auf diesem Wege zu Gesundung und Wiederaufbau ge­langen.

Das chinesische Volk hat immer ein Ge­fühl für das richtige Maßhalten und eine Abneigung vor Extremen bewiesen. Es liegt in seinem Charakter, den anderen immer noch eine Chance, vor allem aberdas Ge­sicht zu lassen. Ich glaube nicht, daß man hinsichtlich der kommenden Entwicklung Chinas als Ausländer pessimistisch zu sein braucht. Auch der heutige Januskopf des Chi­nesischen Staates blickt, wie der alte rö­mische, mit dem einen Gesicht sehr stark in die eigene chinesische kulturelle Vergangen­heit, mit dem anderen aber, das in Wirklich­keit gar nicht so kommunistische Züge trägt wie befürchtet, genau so hoffnungsvoll wie wir alle in eine bessere Zukunft.

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Frankfurter Brief;

Die Superlative Stadt

Schon Goethe sagte: Frankfurt steckt voller Merkwürdigkeiten. Er ist (ohne Konkurrenz) Frankfurts größter Sohn. Der Chronist von heute konstatiert: diese Stadt steckt voller Superlative. Sie hat den dicksten (und auch sonst) Oberbürgermeister, die größte Ver­kehrsdichte (1 Auto auf 18 Einwohner), Euro­pas größtes Warenhaus (Kaufhof), den größ­ten Flughafen etc.

Nur eines kann sie nicht verwinden: daß sie nichtreichsunmittelbar (heute: landes- unmitelbar) ist und vor einem kleinen Regie­rungspräsidenten in Wiesbaden kuschen muß. Das geht Frankfurts kahlköpfigem Ober gegen den Strich. Und die gefügigen Stadtvä­ter haben an Hessens Kabinett einen bösen Brief geschrieben. Im Referentenentwurf zur neuen Hessischen Gemeindeordnung stand nämlich unter § 155, 3: Die Aufsicht über die Stadt Frankfurt am Main führt der Minister des Innern. Auf dem Instanzenwege vom Ka­binett in den Landtag ging dieser Absatz ver­loren. Damit ist es also aus mit der Frank­furter Extrawurst. Kassel und Wiesbaden die gleichfalls die Unmittelbarkeit anstrebten, haben keinen Grund mehr zur Eifersucht.

War es Eifersucht, die Oberbürgermeister Kolbs Kandidatur für den Landtag torpe­dierte? Seine eigenen Parteifreunde standen gegen ihn auf. Solange es arme, aber ehrliche Parteisekretäre gibt, die immer noch nicht Regierungs- und Ministerialrat geworden sind, hat ein gutdotierter Oberbürgermeister nichts im Landesparlament zu suchen; es sei denn, er lege sein Stadtoberhaupt zur Ruhe.

Die Stadt hat den Herbststurm der Messe gut überstanden. Acht Tage bevor der erste Messeonkel eintraf, war die gesamte City ein aufgewühlter Sandhaufen. Streikende Bau­arbeiter hatten die Kelle im Zement stecken lassen und waren davongelaufen. Zwölf Stun­den nachdem der Magistrat den Verkehrs- Notstand erklärt hatte, fiel in Remagen der befreiende Schiedsspruch. In acht Tagen und Nächten ließ Stadtrat Miersch, Frankfurts vielgehaßter Fluchtlinien-Napoleon, durch ver­stärkte Kolonnen wenigstens die Wege zum Messegelände glatt walzen. Inklusive Ver­kehrskreisel. seinem großen Hobby. InMierschs Kreisel am Platz der Republik läuft der Ver­kehr ohne Ampel und Schutzmann wie in einem Karussell. Der Mann am Gashebel hat nur dafür zu sorgen, daß er in der Kreisel­rotation nicht zweimal umgeschleudert wird.

Im Fluidum des Kreisels liegt Frankfurts größte Garage, 200 Boxen. Miersch hat die Garagen-Straße zur Sackgasse degradiert und vor die große Auto-Waschanstalt zwei Laden­geschäfte hinbauen lassen. Nun liegen die Benzinpumpen still. Die Anfahrt zur Garage hätte ihm die Flüssigkeit seines Kreisels ge­stört, sagt Miersch, verliebt wie Archimedes über seinemNoli tangere circulos meos-Sand- kasten, damals bei der Eroberung von Syrakus.

In Frankfurts Großer Eschenheimer Gasse, wo die Ruinen derFrankfurter Zeitung immer noch klagen, will Post-Schuberth sich em Denkmal setzen: das größte und höchste Telegraphen- und Fernsprechamt Europas.

Vorgelagert wie idyllisch das alte Ge­mäuer des Thurn- und Taxisschen Palais. Die amtlichen Hochbauer haben schweren Herzens Ja gesagt; nirgendwo in Europa laufen so­viel Kabelstänge zusammen. Unterirdisch ist Frankfurt mit der ganzen Welt verbunden.

Die Herbstsaison ist inoffiziell eröffnet. Das Cafe Hauptwache feierte Premiere. Es ist aus den Trümmern neu und modern entstan­den. Wo einst Gefangene in Ketten schmach­teten, stehen jetzt Kühlschränke und Sahne- Schlagmaschinen. Die Hauptwache war Frank­furts weltbekanntestes Cafe, in einer Stadt ohne sonstige Kaffeehaus-Tradition. Das soll jetzt anders werden. Kranzier baut gleich gegenüber, daß einem vor Pracht und Barock die Augen übergehen sollen. Vorerst aber hält der Run auf die Hauptwache an. Kaffeetanten aus den entlegensten Stadtteilen kommen an­gewalzt und stehen Schlange, ehe sie durch die Drehtüren geschleust werden Dabei kostet bei Hermann Brand die Tasse Kaffee keinen Pfennig weniger als achtzig, ohne Schlagoper.

Was die Theatersaison anbelangt, so steht Der fliegende Holländer bevor. Im Schau­spielt hält sichDer Biberpelz auf den sta­bilen Beinen von Traute Rose als Mutter Wolfen. Fritz Remonds Bühnen florieren un­entwegt. Am Roßmarkt hat dasNeue The­ater einen neuesten Nachfolger gefunden und, damit auch dieSchmiere nicht fehlt, hat Rudolf Rolfs. Jahrgang 15. seinen Thespikar- re n am Römerberg-JuSitiabrunnen angebun­den und nebenan im kunstverhaftetenStei­nernen Haus seinen Original Schmieren- Keller eröffnet. Er ist alles in einer Person: Prinzipes Hauptdarsteller, Textdichter und Hauptgläubiger. Vom Kollektiv nimmt er 12 Prozent für sein Risiko. Gespielt wird bei jedem Wetter und von zwei Zuschauern an aufwärts. Rolf plakatiert: das schlechteste Theater der Welt. Immerhin auch ein Super­lativ. Jo Froesch

Unser Kommentar

Gefährliche Innenpolitik

cz. Man wird nicht fehl gehen, wenn man die neuerliche Häufung kommunistischer Stör­aktionen in westlichen Ländern mit der Nie­derlage der Sowjets in Korea in Beziehung setzt. Soll doch damit wohl gezeigt werden, daß die Weltrevolution keineswegs zum Still­stand gekommen ist; gleichzeitig lenkt man die Aufmerksamkeit von eben jener Korea-Pleite ab, die zeigt, daß auch dem Expansionsdrang der Sowjets Grenzen gesetzt werden können. Behält man diesen Aspekt im Auge, so wird man den kommunistischen Demonstrationen, auch dem von Moskau inszenierten General­streik in Oesterreich, der (siehe Nachrichten­teil dieser Ausgabe) offensichtlich scheiterte, keine übermäßige Bedeutung zuschreiben.

Die Angelegenheit hat jedoch auch noch eine andere Seite. In welches Dilemma gerät die arbeitende Bevölkerung der westlichen Län­der, wenn sie feststellen muß (siehe auch im Wirtschaftsteil dieser Ausgabe), daß die Kom­munisten durchaus berechtigte Forderungen vertreten. Um der Gefahr einer Sowjetisie- rung zu entgehen, sehen sich die Arbeiter heute gezwungen, in der Lohn- und Preisfrage gegen ihre eigensten Interessen zu handeln. Ein verhängnisvoller Zwiespalt.

Daß die österreichische Regierung mit dem faulen Kompromiß, den das vierte Lohn- und Preisabkommen darstellt, auf nicht mehr öf­fentlichen Protest stieß, verdankt sie also dem weltpolitischen Ostwest-Gegensatz. Man sollte sich davor hüten, Innenpolitik im Ver­trauen auf diesen Gegensatz zu betreiben. Eine Mahnung, die auch an die Adresse der Bundes­republik zu richten ist, falls sie sich in erster Linie damit begnügen sollte, Polizeiformatio­nen aufzustellen, anstatt eine echte soziale Be­friedung herbeizuführen.

Es reicht uns!

o. h. Vor etwa zwei Jahren prasselte über uns eine wahre Sintflut nieder von Skandal­geschichten und Erlebnisberichten aus dem Dritten Reich. Vom Tagebuch der Eva Braun und den Erinnerungen des Kammerdieners Hitlers bis zu den Enthüllungen der Putzfrau im Propagandaministerium ist uns nichts er­spart geblieben. Immerhin konnte man da­mals noch der Meinung sein, alle diese Ver­öffentlichungen erfolgten, um auch noch den letzten, bisher unbelehrbar gebliebenen Deut­schen über das Dritte Reich die Augen zu öffnen. Zwar fiel es schon damals schwer, an einen solchen Zweck zu glauben, und man war eher geneigt anzunehmen, es solle hier lediglich ein Geschäft mit dem Appell an niedere und niederste Instinkte gemacht wer­den. Zum Glück hat sich zu jener Zeit die Sache bald totgelaufen, weil sich zu viele an dem Job beteiligen wollten, und auch dem gutmütigsten Leser dieses Dreckaufrühren schießlich zum Halse heraushing.

Aber offenbar haben jetzt die Zeitschriften­redaktionen den Eindruck, der Leser habe sich schon genügend erholt und man könne ihm nun wieder in dieser Hinsicht etwas Stärkeres zumuten. Nur sind diesmal die Veröffent­lichungen und Bildberichte um eine kleine Nuance anders. Heute zeigt man das Dritte Reich in seinem ganzen Glanze, bringt die gleichen Bilder, mit denen die gleichen Foto­grafen im Dritten Reich schon einmal Geld verdient haben, indem sie damals den natio­nalsozialistischen Größen in Bild und Wort schmeichelten. Zwar soll scheinbar auch heute der Text zu den Bildern den Eindruck er­wecken, man sei noch immer gegen das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Wir kön­nen uns jedoch des Eindrucks nicht erweh­ren, als geschehe das alles mit einem leisen Augenzwinkern: Du, Leser, verstehst schon, wie wir es meinen. Wir können nur noch nicht ganz so, wie wir gerne möchten. Und nicht wahr, es ist doch damals eine ganz schöne Zeit gewesen, als unsereFührer noch so stolze Uniformen tragen konnten! Doch warte nur, lieber Leser, balde sind wir wieder so weit . . .

Doch Spaß beiseite. Die Bonner Regierung ist in der letzten Zeit sehr energisch gegen alle kommunistischen Organisationen vorge­gangen, weil sie glaubt, die Bonner Demokra­tie sei in Gefahr. Wäre es nicht an der Zeit, endlich auch diesen neuerwachenden Unfug in den Illustrierten und Wochenzeitungen abzu­stellen? Denn zeichnet sich nicht in diesen Veröffentlichungen auch bereits eine Tendenz ab, die ebenfalls eine Gefahr für die neue Demokratie darstellt, die sich den in Bild und Wort wieder gezeigtenglanzvollen Zeiten gegenüber doch etwas schäbig ausnimmt. Man sollte meinen, es gäbe für die Bilderredaktio­nen und die Zeitschriften genug andere Stoffe aus unserer Zeit. Allerdings müßte man sich bei ihrem Aufspüren vielleicht et­was mehr das Köpfchen anstrengen, als es bei dem Rückgriff auf dasAlte und Bewährte offenbar der Fall ist

Dasheikle Problem

Französischer Ministerrat berät deutsche Wiederaufrüstung

PARIS. Unter dem Vorsitz von Staatsprä­sident A u r i o 1 fand am Freitag im Elysee- Palast ein Ministerrat statt, der sich vor al­lem mit der Haltung der französischen Regie­rung zur Frage der deutschen Aufrüstung befaßte. Außenminister S c h u m a n, der am Mittwoch aus USA zurückkehrte, berichtete über die in New York mit dem amerikanischen und dem britischen Außenminister über die­ses Problem geführten Verhandlungen.

Schuman bezeichnete nach seiner Rückkehr Pressevertretern gegenüber die deutsche Wie­derbewaffnung als einsehr heikles Problem.

Das französische Kabinett ist über das deutsche Wiederbewaffnungsproblem geteilter Meinung. Einige Minister widersetzten sich diesem Plan grundsätzlich, während andere, darunter auch Schuman. die Inangriffnahme dieser Frage gegenwärtig noch für verfrüht halten.

Nach bisherigen Verlautbarungen wird sich der französische Staatshaushalt für das kom­mende Jahr auf über 2,4 Billionen Franc be­laufen. Von zuständiger Seite wird versichert, Frankreich werde aus eigenen Mitteln für mi­litärische Zwecke nicht mehr als 550600 Mrd. Francs aufbringen können, d. h. das Haus­haltsdefizit wird nach Vornahme gewisser Einsparungen immer noch auf rund 500 Mrd. Francs veranschlagt. 200 Mrd.. sollen durch neue Steuern, der Rest durch innere und aus­ländische Anleihen gedeckt werden.

Was ist Terror?

Der Einsender der unter der Ueberschrift Was jV* Terror 0 in Nummer jso gebrachten Zuschrift. Herr Reinhardt Wüst, halte dieVer- chung unter seinem vollen Namen ge­wünscht.