6. Jahrgang

FREITAG, 18. AUGUST 1950

Nummer 12 1

Schweiz erlebt Fremdeninvasion

Das Tor zum Paradies ist aufgesto ßen / Lebenshaltung ist sehr teuer

Gegenwärtig erlebt die Schweiz eine deut­sche Fremdeninvasion, die in den nächsten Monaten noch intensiviert wird. Ueber Mög­lichkeiten, Aussichten und Schwierigkeiten ei­ner Schweizerreise berichtet unser HvS.-Mit­arbeiter im einzelnen.

Der schweizerische Fremdenverkehrsver­band hat in diesem Sommer mit Ueberraschung feststellen müssen, daß die Deutschen plötz­lich nach den Amerikanern an die zweite Stelle der Einreisestatistik gerückt sind. Schon aber scheint sich das Verhältnis noch mehr zu­gunsten einer verstärkten Einreise von Deut­schen zu verschieben, weil viele Gäste aus Uebersee ihre für den Herbst gebuchte Schwei­zerreise in Anbetracht des Koreakonfliktes ab­gesagt haben. Im Straßenbild von Zürich, Ba­sel und Bern sind Autos mit deutschen Num­mern keine Seltenheit mehr. Selbst vor den eleganten und nicht sehr billigen Hotels am Zürcher Utoquai parken deutsche Wagen.

Travelsehecks statt Devisenschmuggel

Für Schweizerfahrer sind in den letzten Wochen Devisenerleichterungen eingetreten. Jährlich können 600 DM in Schweizer Fran­ken umgetauscht werden. Allerdings genügt es nicht, wie viele meinen, zur Bank zu ge­hen, sondern man muß einen Devisenantrag an das zuständige Landeswirtschaftsministe­rium richten und erhält dann nach einigen Tagen Antwort. Der Versuch, deutsche Mark schwarz über die Grenze zu nehmen, wird zwar immer wieder gewagt, ist aber alsDe­visenschmuggel verboten. Auch für die 600 DM erhält man in Deutschland nicht direkt Frankennoten, sondernTravelschecks, die man erst bei einer Schweizer Bank in Fran­ken Umtauschen muß.

Deutsche alsErsatz für Amerikaner

In der Mehrzahl fahren heute noch Ge­schäftsleute und Personen in die Schweiz, die von irgendwelchen Freunden oder Bekannten eingeladen werden. In den bekannten Ferien­zentren, vor allem im Engadin, sind zahlende Deutsche fast gar nicht zu finden, obwohl sie jetzt nach dem Rückgang der parties aus den USA alsErsatz erwartet werden. Bei den derzeitigen Devisenschwierigkeiten bevorzugen deutsche Feriengäste lieber die seit kurzem eingesetzten Gesellschaftsreisenan die schön­sten Punkte der Schweiz, bei denen alle Un­kosten in DM bezahlt werden. Die schweize­rische Migros-Genossenschaft beginnt jetzt auch, ihrHotelplansystem auf Deutschland auszudehnen. Man kann dann in Deutschland einen bestimmten Betrag einzahlen und ver­bringt mehrere Wochen seine Ferien in einem von der Migros gecharterten Hotel in der Sdhweiz.

Ein Brötchen für 15 Rappen

Vor Experimenten, nur mit eingetauschtem Geld in der Schweiz leben zu wollen, muß angesichts der sehr hohen Lebenshaltungsko­sten dringend gewarnt werden. Das billigste Hoteldoppelzimmer (auch das primitivste) ist nicht unter 9 Franken zu haben. Ein Mittag­essen kostet durchschnittlich 3 bis 4 Franken, ein trockenes Brötchen 15 Rappen, ein kleines Glas pasteurisierte Milch 40 Rappen. Die Löhne der Schweizer sind allerdings entspre­chend hoch. Ein Ausländer stellt aber bereits nach einigen Tagen seines Aufenthaltes resi­gniert eine empfindliche Kassenleere fest. Durch zwischenstaatliche Vereinbarungen der Frem­denverkehrsverbände ließe sich manche Ent­täuschung vermeiden und doch ein Besuch dieses an bezaubernden und beeindruckenden Landschaften so reichen Landes ermöglichen.

Die ersten Erfahrungen mit deutschen Gä­sten in der Schweiz haben zum Teil gezeigt, daß einKnigge für Schweizerfahrer . am Platze wäre. Es ist kein Geheimnis, daß der deutsche Ruf durch Jahre hindurch viel an Kredit eingebüßt hat und erst langsam sa­niert werden muß. Das in seiner Naivität wohl kaum zu überbietende Gespräch in der Eisenbahn auf der Strecke ZürichKreuzlin- gen trug sicher nicht dazu bei. Eine seriöse ältere Dame, die nach einem Besuch von Freunden wieder ausreiste, fragte den Schaff­ner und jeden Mitreisenden nach den Ver­hältnissen beim Grenzzoll aus. Anschließend widmete sie sich einem jungen Schweizer, der gerade zu einer mehrwöchigen Militärübung fuhr:Ja. Dienst muß auch sein. Gerade bei der jetzigen Lage. Na ja, die Amerikaner müs­sen eben die Atombombe werfen. Danach folgte eine Charakterisierung der Amerika­ner, wie sie jene Frau als Besatzungstruppe kennenlemte. Obwohl dem jungen Mann das

sehr einseitige Gespräch zusehends lästig wurde, begann sein Gegenüber persönlich zu werden.Sie sind sicher Ingenieur?Nein, ich bin in der Landwirtschaft tätig.Das sah ich Ihnen gleich an. Unsere deutschen Landwirte haben auch so ein gesundes Aus­sehen." In der Schweiz werden derartige Ge­spräche auf der negativen Seite des deutschen Ansehens gebucht. Man ist empfindlich gegen Redereien.

Siegeszug des Volkswagens

Ein stummer, sehr geschätzter Vertreter der deutschen Fremdeninvasion ist der Volks­wagen, der begeisterte Zustimmung findet. In dem größten und vornehmsten Autovertriebs­geschäft von Zürich steht der Volkswagen ne­ben amerikanischen Vettern mit ihren blit­zenden Karosserien. Er ist trotz vieler Vor­züge der billigste Wagen, den man heute in der Schweiz kaufen kann, und schon aus die­sem Grunde erobert er sich immer mehr die Straßen und Pässe des Alpenlandes. Beson­ders geschätzt wird seine Bergrüstigkeit und der geringe Benzinverbrauch. Der Volkswagen ist ein großer Posten im Export mit der Schweiz geworden.

Keine Leidenschaftsverbrechen mehr

Den Wandel der Zeiten kann man auch an den Prozessen ablesen, die heute vor die französischen Schwurgerichte kommen. 65 Pro­zent der Fälle, die vor dem Krieg diesen In­stanzen zur Aburteilung zugewiesen waren, betrafen Verbrechen aus Leidenschaft, vor­wiegend aus getäuschter oder enttäuschter Liebe. Inzwischen haben sich die Verhältnisse in den Gerichtssälen völlig geändert. Heute sind 75 Prozent aller Schwurgerichtsfälle Gangstergeächichten oder aridere gemeine Ver­brechen, deren Akteuren jede Seelengröße fehlt. Die forensischen Statistiker schreiben diese erstaunliche Abnahme der Leiden­schaftsverbrechen nicht nur auf die verän­derte Einstellung der Gerichte, die nicht mehr, wie früher, als galante Franzosen, eine schöne Mörderin kurzerhand freisprechen, sondern kaltherzig ins Zuchthaus schicken, sondern auf die gewandelten Beziehungen zwischen Mann und Frau, in denen dramatische Er­schütterungen keinen Platz mehr zu haben scheinen.

E 42

Belastete Marmorpaläste

die Gespensterstadt zwischen Rom und dem Lido von Ostia

F. L. ROM, im August

Die erste Station auf der Strecke Rom-Ostia heißt Magliana. Nur wenige der elektrischen Schnellzüge, die täglich Zehntausende bade­lustiger Städter an den Strand der Ewigen Stadt bringen, halten auf dem kleinen weißen Bahnhof an. In Magliana steigen Bauersfrauen, Carabinieri und sonntags vielleicht Jäger und Angler aus. Auf dem Hügel oberhalb des Bahnhofs stehen die beiden weithin sicht­baren Wahrzeichen der Gespensterstadt im E 42: derKulturpalast und die Kirche der Heiligen Peter und Paul. Vor wenigen Jahren noch galten sie als die vorgeschobenen Posten der sich nach dem Meer ausbreitenden Haupt­stadt Italiens. Heute gemahnen sie an ein gewaltiges Defizit.

Das Zeichen ,.E 42, das alle Schleusen­deckel der mit Unkraut überwucherten Stra­ßen des Weltausstellungsgeländes tragen, be­deutenEsposizione 1942: Für dieses Jahr wollte Mussolini ein universales Ereignis vor­bereiten, eine überwältigende Komposition in Marmor. Sie blieb eineUnvollendete. Das Weltausstellungsgelände macht heute einen gespenstischen Eindruck. Auf einer Fläche von 420 ha erheben sich verstreut die Flügel, Halb­runde und Säulenfronten riesiger Gebäude, von denen nur wenige fertiggestellt wurden. 20 000 ausgewachsene Pinien wurden zwischen den Straßen und Plätzen angepflanzt. Inzwi­schen haben sich übermannshohe Distelbüsche breitgemacht. Man hat das Gefühl, in den Ruinen eines verspätetenForum umherzu­wandern. Die wenigen Menschen, denen man auf dem Ausstellungsgelände begegnet, ver­lieren sich auf der weiten Fläche. Auf dem Abhang vor dem leeren, mit Brettern und Stacheldraht versperrten Kirche weiden Schafe. Vor dem einstigen Verwaltungsgebäude spie­len die Mädchen einer Schule für Flüchtlings­kinder aus Istrien. Selbst die auf dem Forum Romanum oder dem Palatin üblichen Liebes­paare meiden die gespenstische Leere der E 42.

In einem Nebenraum der Kirche wohnt einer der Wärter des Ausstellungsgeländes. Längs der Seitenkolonnade hat er ein Weizenfeld angelegt. Inmitten seines Zwiebelgartens er­hebt sich so muß man schon sagen ein luxuriöser Hühnerstall. Er wurde ausschließ-

Dollarmillionär, - aber vorläufig noch mittellos

Junge Schauspieler voller Illusionen Von unserem Berliner F.E.O.-Vertreter

Der in Berlin lebende Schauspieler Helmut vom Hofe erklärte in einem an die Berliner Presse gerichteten Schreiben, daß er seine amerikanische Erbschaft, bestehend aus sie­ben Millionen Dollar und einer Konservenfa­brik, dazu verwenden wolle, um eine eigene Filmproduktion aufzuziehen und mit seiner Partnerin Ingeborg Wehner dann die Rollen zu spielen die sie sich schon längst erträumt hätten.

Diese Zuschrift sieht ein bißchen nach einem Reklamebluff aus und wir beschließen, uns diesen ..Dollarmillionär doch mal näher an­zusehen. Unter der in dem Brief angegebenen Anschrift finden wir nicht ihn. sondern seine Partnerin, die erwähnte Ingeborg Wehner, eine junge Schauspielerin von interessantem dunklem Typ mit sehr klugen Augen, die ganz so aussehen, als wüßten sie genau, was sie wollten.

Ihr Partner hätte für ein paar Tage verrei­sen müssen, erklärt sie uns.Wer ist denn überhaupt Helmut vom Hofe? fragen wir vorsichtig und erfahren, daß jener ein 30jäh- riger Schauspieler ist. der aus Köln stammt, wo er kurz vor dem Kriege gegen den Willen seines Vaters an der Schauspielschule die Eig­nungsprüfung ablegte; dann brannte er nach Berlin durch, nahm bei Agnes Straub Unter­richt, bekam während des Krieges ein paar Filmrollen, u. a. inKampfgeschwader Lüt- zow Nach dem Kriege war er mal auf der Bühne Partner von Olga Tschechowa, darauf von Lil Dagover in ..Liebe im Müßiggang in derKomödie, später spielte er bei Rochus Gliese inDame Kobold.

Als wir uns nach den näheren Einzelheiten der Millionenerbschaft erkundigen, stellt sich heraus, daß der Erbfall bereits 1938 eingetre­ten ist und zwar durch das Ableben des Bru­ders des Großvaters von Helmut vom Hofe, eines gewissen Walter vom Hofe. Wir fragen daraufhin die charmante Partnerin des Er­ben, ob sie schon mal etwas von der Mi'lio- nenerbschaft v on Ursula Bauer gehört hat, die vor noch gar nicht langer Zeit so viel

Staub aufwirbelte und nachher zerplatzte wie eine Seifenblase.

Dergleichen sei in diesem Falle wirklich nicht zu befürchten, versichert sie, Helmut vom Hofe sei zwar nicht der einzige Erbbe­rechtigte, sondern sein Vater und sein jün­gerer Bruder seien Miterben, aber er habe von beiden Vollmacht, in ihrem Namen mit zu verhandeln und nun wolle er nach Ame­rika fahren, um in New York und Philadel­phia die Erbschaftsangelegenheit ins reine zu bringen.Und ich fahre mit erklärt sie ganz glücklich,nur haben wir eben noch nicht das Geld für die Ueberfahrt; wir wollen uns das Fahrgeld gern irgendwie erarbeiten, viel­leicht dadurch, daß wir auf dem Schiff ein Zwei-Personen-Stück spielen. Irgendwie wer­den wir es schon schaffen und im September hoffen wir fahren zu können."

Und wie ist. wenn alles klappt, die ei­gene Filmproduktion gedacht?

Darüber haben wir noch keine endgül­tigen Beschlüsse gefaßt. Vielleicht drehen wir die Filme gleich in Amerika; wir wollen dort ohnehin Theater spielen; vielleicht dre­hen wir die Filme aber auch in Deutschland. Wir suchen eben dafür geeignete moderne Filmstoffe, womöglich mit einem leicht ko­mischen Liebespaar.

Und wenn Ihnen die Erbschaft drüben gar nicht ausgezahlt wird, weil das deutsche Ei­gentum dort während des Krieges bekannt­lich beschlagnahmt wurde?

Darauf hat man uns auch schon aufmerk­sam gemacht, aber wir sind Optimisten und glauben fest daran, daß wir es schaffen wer­den, die Erbschaft frei zu bekommen. Schlimm­stenfalls müßten wir warten, bis der Frie­densvertrag abgeschlossen ist; eines Tages werden wir schon zu unserem Gelde kom­men . .

Es muß schön sein, sich Illusionen machen zu können, eines Tages eine Millionenerb­schaft antreten zu können. Aber, unter uns gesagt, glauben Sie daran, daß Helmut vom Hofe in USA die Dollarmillionen bekommt?

lieh aus karrarischem Marmor gebaut. Wer in der E 42 wohnt, muß zwangsweise den Sinn für die Werte des herumliegenden Baumate­rials verlieren. Die weißen und bunten Mar­morplatten gibt es stapelweise. In allen Stär­ken und Ausmaßen. Bis zum Herbst 1943 waren etwa eine halbe Milliarde Lire in die Weltausstellung investiert worden, davon 300 Millionen für die Bauten, die heute mangels Pflege und unter dem Einfluß der Witterung bereits wieder verfallen. Der gegenwärtige Wert der E 42 wird auf 25 Milliarden Lire geschätzt. 30 km Straße und die gesamte Ka­nalisation, Wasserzufuhr sowie provisorische Licht-, Gas- und Telefonleitungen waren be­reits fertiggestellt.

Während des Krieges diente die Weltausstel­lung erst der deutschen Wehrmacht und später den Alliierten zur Unterbringung von Kraft­wagenparks, Reparaturwerkstätten und Nach­schublagern. Gegenwärtig noch unterhält die IRO einenAutofriedhof auf der Piazza Im­periale, in deren Mitte das Skelett eines Obe­lisken an einen gewaltigen Lichtmast erinnert. Der Obelisk war für Guglielmo Marconi be­stimmt und sollte auf einer Serie von Re­liefs die Erfindung des Radios darstellen. Den Marmorfiguren des Kulturpalastes eine Art quadratisches Kolosseum schlugenGegner des faschistischen Regimes die Nasen und Finger ab, wie der Wärter es ausdrückte. Spä­ter schrieb jemand mit BleistiftEs lebe der Duce auf dieseWunden.

Im Zeichen der akuten Wohnungsnot des Nachkriegs wurde die E 42 zu einem Zank­apfel zwischen dem Staat und der Gemeinde von Rom.Ursprünglich hatte die mit dem Bau der Ausstellung beauftragte Behörde Musso­lini direkt unterstanden. Diese Behörde ar­beitet auch heute noch als eine besondere Ab­

teilung des Kanzleramtes in einem weiträu­migen Büro auf der Via della Concilliazione, Ingenieure, Buchhalter, Archivare und Stati­stiker beschäftigen sich in diesem Büro vor­wiegend damit, die Summen zusammenzu­rechnen, die der fortschreitende Verfall der Ausstellungsbauten zum jährlichen Defizit des Staatshaushaltes beiträgt. Die Gemeinde Rom bemühte sich bisher vergebens, dasErbe der Weltausstellung übernehmen zu können. Eine Fertigstellung der Bauten würde Arbeit brin­gen (zur Zeit des Aufbaus waren 5000 Arbei­ter, Angestellte und Techniker auf der Aus­stellung beschäftigt), die letztlich der Staat finanzieren müßte. Das Ausstellungsgelände war von jeher als der Kern eines neuen Stadt­viertels vorgesehen gewesen, das durch die inzwischen weit vorangeschrittene Unter­grundbahn mit dem Zentrum verbunden ist. Der Aufbau diesesQuartiers, in dem 100 000 Menschen eine Wohnung finden könnten, würde der Gemeinde Rom wohl zugute kommen. Vordem müßten jedoch erst die halbfertigen Großbauten beendet werden, um sie vor dem Verfall zu retten. Sie bedeuten trotz allem für den Staat ein Kapital. Ihre Anlage läßt nur wieder die Verwendung für Ausstellungen zu. Und für pompöse Ausstellungen braucht man die entsprechenden Fonds.

Abgesehen von diesen Erwägungen liegt auch noch eine Art Fluch, auf der Gespenster­stadt E 42. Sie war einSteckenpferd Mus­solinis. Es gibt viele Italiener und Ausländer, denen die Fertigstellung der E 42 als eine Anerkennung faschistischer Leistungen er­scheinen würde. Ihnen ist es dann schon lie­ber, wenn die 25 Milliarden Lire weiter unter Sonne und Regen schlummern.Wäre die Aus­stellung nicht ausgerechnet ein Lieblingskind- Mussolinis gewesen, erklärte einer der Wäch­ter mit realistischer Ueberzeugung,dann hätte man auch ERP-Gelder dafür freige­geben. Einmal muß die angefangene Arbeit ja doch beendet werden. Schließlich kann man die Bauten mit all den bereits gelegten Lei­tungen und Rohren nicht als Schrott ver­kaufen.

Steigende Jugendkriminalität in England

Wird dieNeunsrihwänzige Katze wieder eingeführt?

England erlebt zurzeit die größte Zunahme von Verbrechen, die jemals in der englischen Polizeistatistik registriert wurde. An manchen Tagen sind die Titelseiten der englischen Zei­tungen völlig mit dicken Ueberschriften be­deckt, die von neuen Untaten melden. Letztes Jahr wurden über 13 000 Verbrecher im Alter unter 21 Jahren verurteilt, und in der letzten Zeit ist darüber hinaus noch eine bedeutende Steigerung eingetreten. Durchschnittlich wer­den täglich 3040 junge Gangster den Polizei­gerichten präsentiert. Dies ist das ernsteste Problem bei dieser ganzen Entwicklung das kolossale Ueberhandnehmen der Jugendkrimi­nalität

Seit 1939 ist die Anzahl der jugendlichen Verbrecher um 30°/o gestiegen und die gefähr­lichste Altersgruppe 16 bis 20 Jahre zeigt sogar eine Steigerung um 45°/«. Dieser Welle von Verbrechen gegenüber ist Scotland Yard fast machtlos. Natürlich handelt es sich auch hier um Folgen des Krieges. Die meisten dieser jugendlichen Verbrecher haben die gleiche Vorgeschichte. Während der Bombar­dements der ersten Kriegsjahre wuräen sie aus den Großstädten evakuiert, lebten oft von Eltern und Familie getrennt unter zu wenig Aufsicht in fremdem, aber nicht immer sehr verständnisvollem Milieu, kamen zurück nach London, wurden wieder evakuiert, usw. Dies hat die normale Entwicklung und die An­passung der jungen Menschen an eine geord­nete Gesellschaft auf eine schicksalsschwere Weise unterbrochen.

Dazu kommt unzweifelhaft der Einfluß von Kriminalliteratur und Kriminalfilmen, der sich deutlich in dem Jargon, derhartgesottenen Sprache und in den typischen Ausdrücken der jungen Banditen dokumentiert. Auch die Art der Verbrechen unterscheidet sich deutlich von dem traditionellengemütlichen eng­lischen Einbrecher und Bauernfänger. Die jun­gen Verbrecher sind brutal, sadistisch und hemmungslos roh. Ihre Technik ist immer äußerst primitiv und zeugt von einem Mini­mum an Intelligenz. Am liebsten wählt man wehrlose Opfer, einsame Frauen, kleine Lä­den, die von einer ganzen Bande überfallen oder terrorisiert und erpreßt werden, usw. Die Beute besteht meistens aus wenigen Schil­lingen, ein paar Kartons Zigaretten oder ein paar Flaschen Whisky. Gerade diese bagatell- artige Beute, die nicht durch organisierte Ka­näle abgesetzt zu werden braucht, macht es so schwer, die Verbrecher aufzuspüren. Die Polizei weiß sich kaum noch zu helfen, und das Uebel wird größer und größer, je mehr

die jungen Helden straffrei ihren Filmvor­bildern nachahmen können.

Eine ganze Reihe von Gruppen solcher ju­gendlichen Gangster wurde von geflüchteten deutschen Kriegsgefangenen oder desertierten englischen und amerikanischen Soldaten orga­nisiert. Da den jungen Menschen jedes bür­gerliche Ehrgefühl fehlt, da sie keine Karriere haben, deren Ruin sie fürchten, da sie ohne inneren Kontakt mit ihren Familien sind und Gefängnisstrafen auf mehrfach evakuierte Kinder keine besonders abschreckende Wir­kung ausüben, ist man wirklich ratlos.

Vor einiger Zeit hat England die im übrigen selten angewendete alte barbarische Prügel­strafe mit der neunschwänzigen Katze abge­schafft. Jetzt verlangen viele Polizeiautori­täten und Richter die Wiedereinführung dieser gefürchteten Strafe. Die Regierung weigert sich vorläufig, einem solchen Rückschritt zuzustim­men, da Barbarei von seiten der Autoritäten nur neue Barbarei bei den Massen schafft. Auf jeden Fall will man erst alle anderen Mittel versuchen, um diesem Krebsschaden der entwurzelten und demoralisierten Kriegs­jugend zu bekämpfen.

Wilbert Grason

Streit um das Bett

Die Frage, ob das große Doppelbett oder zwei Zwillingsbetten vorzuziehen seien, hat schon Balzac beschäftigt, der in seinerPhy­siologie der Ehe ein ganzes KapitelTheorie des Bettes geschrieben hat. In dieser Sache hat es jetzt sogar Meinungsverschiedenheiten mit Nachwirkungen gegeben, die das Frem­denverkehrsgewerbe in Frankreich zurzeit lebhaft beschäftigen. An einigen großen Frem­denorten haben nämlich Hoteliers in dem Be­streben, ihren Gästen etwas Neues, Modernes zu bieten, bei der Renovierung ihrer Häuser auch die Möblierung geändert, die traditio­nellen französischen Betten abgeschafft und durch Zwillingsbetten in Frankreich sagt man?nach dem amerikanischen Geschmack ersetzt. Diese Neuerung hat aber nicht überall Beifall gefunden. Eine große Anzahl von Gästen, die bei der Ankunft Zwillings­betten vorfand, hat die Koffer gar nicht erst ausgepackt, sondern ein anderes, altmodisches Hotel aufgesucht, wo man nach Väter Weise zu zweien unter einer Decke stecken kann. Man wird jetzt versuchen, durch Umfragen und sonstige Erhebungen festzustcllen. wie die Mehrheit der Reisenden in Frankreich über diese Frage denkt.